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Das schwarze Zeichen

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Eine wohltuend kühle Brise verwuschelte Philies Haare, die pfeifend an reifen Weizenähren vorbei durch ein Waldstück auf einen nur noch selten benutzen Weg abbog.

Zweige schrammten über den Lack. Was Philie nicht störte. Sie holperte über Schlaglöcher und kapitulierte erst vor zwei fußballgroßen Steinen, die vom Hang auf den Weg gerollt waren.

Sie parkte in einer Einbuchtung und zögerte. Mum und Grandma warten mit dem Essen auf mich, versuchte sie sich zum Heimfahren zu überreden.

Doch die Anziehungskraft des verlassenen Anwesens am Ende der Sackgasse war stärker. Bis vor vier Jahren hatte dort oben der Verwalter des Herrensitzes, den jetzt Castori sein eigen nannte, mit seiner Familie gewohnt.

Mit schlechtem Gewissen wanderte Philie zu einem von Buchen umsäumten Plateau hinauf. Schließlich drehte sie doch um. Was einem Raben zu missfallen schien. Er stürzte sich aus einer Baumkrone und zwang sie mit einer hautnah geflogenen Spirale zum Stehenbleiben.

„Lass mich in Ruhe“, wehrte ihn Philie genervt ab.

Der Rabe protestierte mit einem aufdringlichen Krächzen und drängte mit kunstvoll dargebotener Luftakrobatik das schwarze Zeichen wieder in ihre Gedanken.

Das schwarze Zeichen, so hatte Philie das zweiflügelige Muttermal getauft, das wie ein Schmetterling auf Castoris rechter Schläfe hockte. Es zeichnete sich kontrastscharf auf seiner ungewöhnlich hellen Haut ab und ließ in ihr das unbehagliche Gefühl aufleben, dass es ihr nicht zum ersten Mal drohte.

Der Rabe landete und Philie fragte ihn: „Hat Dich Amira geschickt?“

Der Rabe antwortete mit einem bestätigenden Flügelschlagen, neigte kokett den Kopf und flog krächzend davon.

Amira weiß bestimmt mehr über dieses Zeichen. Hoffentlich sehe ich sie recht bald wieder.

„Mum und Grandma müssen warten! Ich muss dringend zum Verwalterhaus.“

Philies Gedanken schweiften, wie schon so oft, zu dem Mal in Castoris Gesicht.

Sie kickte einen Ast vor sich her und kramte in ihren Erinnerungsschubladen nach einem weiteren Träger des schwarzen Zeichens: „Es muss bei einem Besuch mit Dad in der Stadt gewesen sein. Wahrscheinlich am Bahnhof oder war es im Flughafen – ist uns ein hünenhafter Typ in noblen Klamotten über den Weg gelaufen. Dad hat einen Namen geflüstert, mich in einen Laden geschubst und mir eingebläut: „Er darf uns auf keinen Fall zusammen sehen.“

Wenn ich erst einmal in den Räumen bin, die Castori wie Fort Knox bewacht, dann finde ich seinen Namen heraus. Vielleicht hält er ja meinen Dad gefangen.“

Neben Philie grub sich ein Wildbach durch die Felsen. Sie bestaunte sein mäanderisch fließendes Wasser, das mit seinen spielerischen Richtungswechseln dicke Zöpfe ineinanderflocht, als würde ein unterirdischer Meister seinen Pinsel schwingen. Sonnenstrahlen zwängten sich durch das dichte Blätterdach der Bäume und legten das Schimmern tanzender Sterne auf die Wellen. Das Philie bis zu einem mit Holzschindeln gedeckten Forsthaus begleitete.

Philie rannte, von freudigen Erinnerungen beflügelt, am Gartenzaun vorbei zur Schlucht. Sie sind immer noch da, dachte sie und meinte damit die beiden Hanfseile, die über einer flachen Felsinsel in der Schlucht baumelten. Der Verwalter hatte hier für seine beiden Buben, als die noch klein waren, in eine Kalksteinplatte Eisenringe für zwei Seile gebohrt. Hier hatten sie früher immer Klettern und Abseilen geübt und an heißen Tagen in einer eiskalten Gumpe getaucht und gebadet.

Sie prüfte, ob die Eisenringe noch fest saßen und untersuchte die Seile. Dann gab sie einer spontanen Eingebung nach und rollte einen morschen Baumstamm über die Eisenringe. Auch die Seile waren jetzt nur noch aus nächster Nähe zu erkennen.

„Ein Weg, mit dem ein Freund einem das Tor zum Paradies öffnet, ist für Fremde tabu.“

Auf der Rückseite des Verwalterhauses, unterhalb des Küchenfensters, hatte der großflächig bröckelnde Putz blassrote Flecken freigegeben. Philie löste einen Backstein heraus und tastete nach dem Schlüssel, den sie im letzten Sommer in einem Blumenkasten entdeckt hatte.

Seither hatte sie in der Hoffnung, einen vergessenen Schatz zu entdecken, das verwinkelte Haus einige Male vom Keller bis zum Dach auf den Kopf gestellt.

Sie eilte über die aufgeworfenen Wegplatten zu einer schwarz eingelassenen Haustür, entnahm im Büro einem schlammfarbenen Schlüsselkasten zehn Schlüssel, die sie auf einem Eichentisch auslegte. Einer von ihnen hing an einer silbernen Kette an der mit Draht ein Pappschild mit der Aufschrift Kaminzimmer befestigt war. An den übrigen klemmten Plastikanhänger, die ebenfalls beschriftet waren.

Philie steckte den Schlüssel für den Haupteingang ein und sagte: „Vielleicht habe ich ja Glück und Castori hat die Schlösser nicht austauschen lassen.“

Dann zögerte sie einen Moment. Vielleicht wäre es gescheiter, alle dabeizuhaben. Aber das ist auch wieder Quatsch. Ich habe ja nur Platz für das Allernötigste und meine Taschenlampe und mein Feuerzeug brauche ich auf alle Fälle.

Das Spinnennetz des Schwarzen Schmetterlings

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