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Das Experiment

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Castori kämpfte vor Spechts Zimmertür mit sich, den Ungehorsamen gespielt besorgt an dessen Pflichten zu erinnern: Mein lieber Specht, ich bin für Ihr Wohlergehen verantwortlich und wenn sie nicht zur Ruhe kommen, dann muss ich das wissen.

Aber dann, er holte schon aus um anzuklopfen, hatte er eine geniale Idee. Er drehte auf dem Absatz um und legte für Specht den klebrigen Köder selbstzerstörerischer Schuldgefühle aus.

Specht atmete auf. Ich habe etwas Verbotenes getan, dass ist richtig. Aber wenn er mich irgendwann um den Gefallen bittet, der ihm eine Herzensangelegenheit zu sein scheint,

werde ich mit Begeisterung ja sagen. Ganz egal, um was es sich handelt.

Spechts Reaktion bestätigte Paragraf 4: Wenn jemand davon überzeugt ist, dass man ihn bei etwas Verbotenem überrascht hat, dann ist er, um sein Gewissen zu erleichtern, dazu bereit, etwas zu tun, was er normalerweise strikt ablehnen würde.

Specht harrte schuldbewusst aus, bis in der zweiten Etage eine Tür geschlossen wurde. Dann schlich er auf Zehenspitzen

und mit der Hoffnung, doch noch einmal ungeschoren davon gekommen zu sein, zum Sofa zurück.

Als er sich um kurz vor vier den Schlaf aus den Augen rieb, stand sein Mittagessen noch auf dem Tisch. Er stocherte ein paar Minuten lustlos darin herum. Dann warf er die Gabel hin und hastete zum Sofa.

„Nur damit ich absolut sicher bin, dass ich Professor Castori durch vermeidbare Fehler nicht unnötig verärgere“, murmelte er.

Er knöpfte den Sofakissenbezug auf, nahm das verbotene Buch heraus, blätterte darin und strich liebevoll über die Überschrift Besuche.

Um Castori gleich mit Beflissenheit zu imponieren und ihm nicht mit Unaufmerksamkeit die Laune zu verderben, las er sich, die beiden rot umrandeten Begriffe: „Therapie, Behandlung“, laut vor.

Rot signalisierte Alarm und kennzeichnete alles was Castori wie die Pest hasste.

„Ich danke Ihnen für Ihren Besuch“, flüsterte Specht vor sich hin.

Castori nannte seine therapeutischen Sitzungen „Besuche“. Die gängigen Termini Therapie und Behandlung lehnte er strikt ab. Sie passen nicht in ein Haus, das einzigartig und von nichts und niemandem zu übertreffen ist.

„Mein lieber Doktor Specht, Sie haben Probleme und Probleme lassen sich nach dem heutigen Stand der Wissenschaft nicht behandeln. Ich werde ihre Hand halten, wenn sie sich den Ballast ihres Lebens von der Seele reden. Und die Medikamente, die ich für Sie auswähle, werden ihre Zunge lösen, um sich von ihren Schatten loszusagen und ins Paradies zu entschweben. Sie sind mein Gast und ich besuche Sie“, hatte ihm Castori geantwortet, als ihm Specht nach seiner ersten Behandlung gedankt hatte.

Castori hexte mit Worten. Für ihn waren sie Magie. Strippen, an denen einfältige Hampelmänner, süchtig nach Lob und weltlichem Tand, von ihm mit der Utopie des freien Willens dirigiert wurden.

Castori hatte früh erkannt, dass sich niemand gerne behandeln lässt. Sondern auf seine individuelle Weise behütet, geachtet und umsorgt sein will. Bedürfnisse, die Castori für Paragraf 5 zu nutzen wusste: Abhängig vom eigenen Interesse, sind Vokabeln als Fluch oder Segen

zu verstehen.

Gäste wissen sich geschätzt und eingeladen. Patienten treten als Bittsteller auf und haben niedergeschlagen zu gehorchen.

Despoten, die sich Kraft und Erlösung durch die Unterwerfung der Massen erhoffen, taxieren ihre Opfer, fischen im See der Begrifflichkeiten nach Gefühlen und ehe man sich versieht, schwimmt man seelenruhig im Netz.

Unabhängigkeit ist Despoten ein Gräuel. Eine Gefahr, die

es zu vernichten gilt. Die, wenn sie erst einmal zum Flächenbrand der Freiheit ausufert, die Tempel der Mächtigen zum Einstürzen brächte.

Specht warf einen gehetzten Blick auf die Uhr: „Zehn vor fünf, ich muss mich beeilen.“

Er versteckte sein Notizbuch und flüsterte heiser: „Acht vor fünf.“

Aus seinen Achseln kroch der Schweiß in den weißen Hemdenstoff. Schon die kleinste Aufregung trieb Specht das Wasser aus den Poren und jeden Besuch Castoris begleitete ein verzehrendes Fieber.

Zwei Minuten vor fünf war es endlich soweit. In der zweiten Etage wurde eine Tür geöffnet und Specht hauchte ehrfürchtig: „Er.“

Castoris donnernd aufschlagende Absätze brachten Spechts Herz zum Rasen.

Er wischte sich den Schweiß von der Stirn und zählte aufgeregt flüsternd mit: „Nur noch fünf, vier, drei.“

Es klopfte und Specht bat heiser: „Herein!“

Von einem hellen Glockenschlag begleitet, trat Castori in das abgedunkelte Zimmer.

Specht seufzte: „Endlich sind Sie da.“

Castori setzte sich weit entfernt von Spechts wirren Gedanken ans Fußende auf einen Stuhl und sagte tadelnd: „Mein lieber Doktor Specht, das sollten Sie doch wissen: Ich bin immer für Sie da.“

„Ich bitte um Vergebung.“

„Schon gut.“

Castori beugte sich vor, tätschelte Spechts Hand und sagte: „Ich bin gekommen, um Sie zu erlösen.“

Die Kälte eines strengen Winters übermannte Castori. Spechts

Innerstes war von einer Kälte, die jedem, der ihn berührte, das Herz gefror. Wie zwei eisige Berge trieben Specht und Castori nebeneinander im tiefblauen Wasser. Der eine war der Spiegel des andern. Ein Ereignis in weiter Ferne hielt beide auf ihrer schneeweißen Insel gefangen und schrieb das Drehbuch für den Rest ihres Lebens.

„Es wird Ihnen wie in jedem Jahr gelingen“, antwortete Specht.

„Haben Sie Ihre Medikamente genommen?“

Spechts Magen brannte. Die Tablette in meiner rechten Hosentasche. Sein Hals war von roten Flecken übersät. Er hatte mit dieser Frage gerechnet, doch jetzt traf sie ihn wie ein Schlag ins Gesicht.

Ich muss lügen, dachte er, von sich selbst entsetzt.

„Haben Sie Ihre Medikamente genommen?“, fragte Castori etwas lauter, weil er annahm, dass Specht ihn nicht verstanden hatte.

„Die Medikamente habe ich“, Specht spielte einen Moment mit dem Gedanken, Castori alles zu beichten, doch dann räusperte er sich und log: „Die Medikamente habe ich genommen.“

Das wird er mir nie verzeihen.

„Sie sind klug und wissen, dass sich Ihre Probleme ansonsten gravierend verschlimmern?“

Castori lehnte sich zurück.

Specht schloss die Augen und Castori sagte: „Sehr schön.“

Specht faltete die Hände über seinem Gürtel und Castori dachte: Wenn er so daliegt, dann sieht er aus, als wäre er tot und genau genommen ist er es ja auch, denn er ist nur

eine Figur in einem Spiel, das ich mit ihm spiele.“

„Wie geht es Ihnen?“, fragte Castori.

„Ich bin froh, dass ich wieder in Sicherheit bin.“

„Wir beginnen sofort mit dem Experiment. Sind Sie bereit?“

„Das Experiment?“, fragte Specht vorsichtig.

Er hatte Angst. Schon vor dessen Beginn sehnte er das Ende herbei.

„Sind Sie bereit?“

„Ich fürchte mich so.“

„Vertrauen Sie mir. Sie werden sich unverzüglich besser fühlen. Geben Sie Ihrer Furcht jetzt eine Gestalt.“

„Das ist unmöglich.“

„Stellen Sie sich Ihre Sorgen wie ein wildes Tier vor.“

Castoris herablassender Blick glitt vom Fußende in Spechts erbleichtes Gesicht, das sich nun gespenstisch grau verfärbte.

„Beschreiben Sie mir Ihre Furcht!“

„Ich bin zu schwach.“

„Wollen Sie zur Tür des Ballsaals oder nicht? Was ist Ihnen lieber? Entscheiden Sie sich!“

„Vom Ballsaal träume ich jede Nacht.“

„Beschreiben Sie mir Ihre Furcht!“

„Sie ist riesig. Ihre gierigen Arme greifen nach mir“, stammelte Specht mit angstverzerrter Stimme.

Dann schwieg er lange.

Plötzlich schlug er seine Hände vors Gesicht und sagte erschüttert: „Sie wird größer, jetzt beugt sie sich über mich.“

„Genauer, genauer, Sie müssen sie mir noch genauer beschreiben. Wenn Sie mir das Wichtigste verschweigen, werden wir Ihre Gespenster nie in die Flucht schlagen.“

Spechts Augen wanderten unruhig in ihren Höhlen umher. Für Castori das Zeichen, dass Specht die Grenze des Erträglichen erreicht hatte und es Zeit war das Experiment zu beenden.

„Wärmen Sie jetzt die Stelle, die heute besonders stark schmerzt.“

Specht, den seit Jahren stechende Rückenschmerzen zum Verzweifeln brachten, schob seine Hand unter die ersten Lendenwirbel.

„Fühlen Sie Ihre brettharten Muskeln?“

Specht fühlte nichts, nur einen durchdringenden Schmerz, ausgelöst von einer Armada spitzer Nadeln, die sich in seine Muskeln bohrten.

„Nur Sie können mir helfen“, antwortete er geknickt, weil er sich schämte, wie ein entseelter Leichnam zur Aufnahme in den Himmel anzustehen.

„Prägen sie sich die Position Ihrer Hand ein und ziehen Sie sie danach wieder unter Ihrem Rücken hervor.“

Castori wartete, bis Spechts Arm wieder neben dessen Körper lag, dann flüsterte er bedächtig: „Zarte Kinderhände kneten Ihre Muskeln weich. Ihre Haut wird angenehm warm. Fühlen Sie die Wärme?“

Specht nickte eifrig.

„Spüren sie die Entspannung? Es ist erst der Anfang. Sie wandert durch ihren Körper in ihren Geist. Und hat sie ihn erst einmal erreicht, werden Sie Tränen des Glücks vergießen.“

Specht nickte wieder. Er fürchtete diese Übung. Der Schmerz

schwoll bis zur Unerträglichkeit an, ihm wurde übel, er wollte schreien, ein Messer greifen, es in den Schmerz rammen und ihn betäuben.“

„Mein lieber Doktor Specht, ich weiß, dass Sie leiden, aber wenn Sie Ihre Probleme lösen wollen, dann bleibt Ihnen keine Wahl“, hörte er Castori wie von weit her sagen.

Es sind Qualen, die mich befreien, Torturen die Erlösung versprechen, beruhigte Specht seinen geschundenen Leib.

„Ein Schwarm weißer Tauben trägt Ihren Schmerz in die Unendlichkeit“, flüsterte Castori.

„Ja, ja“, schrie Specht hysterisch schluchzend, weil er wusste, was für eine Katastrophe demnächst über ihn hereinbrechen würde.

Das Mittagessen stieg ihm beißend in die Kehle, er presste die Lippen aufeinander und schluckte mit feuchten Augen.

Castori sah Specht mit versteinerter Miene an, ganz so, als wolle er dessen Qualen ganz weit von sich schieben. Ihm graute vor der Wiederauferstehung der eigenen Geschichte: Wahrheiten, deren er sich schämte, die er, wäre es möglich, aus seiner Biografie radiert hätte.

Vor dreißig Jahren hatte er das Experiment entworfen. Es war ihm, bis auf eine einzige Schwachstelle, nahezu perfekt gelungen: In Momenten wie diesen, tauchten seine eigenen Geister, unerbittlich aus der Versenkung auf.

Wie bei jedem Mal, so verlor er sich auch jetzt in die verspielte Landschaft des Tapetenmusters und verwies seinen Kummer an den Ort, an den er hingehörte: Eine lichtlose Gefängniszelle im hintersten Winkel seiner Seele.

Dort hausten in der einen Hälfte die ungebändigte Wut auf die Schläge seiner Eltern, der bohrende Kummer einer verlorenen Liebe und jeder Mensch, der ihm einmal Unrecht getan hatte.

In der anderen, duckte sich die Furcht, als Mensch übersehen zu werden, die Schuld, seine Gäste um ihre Gesundheit zu betrügen und die ungeweinten Tränen seiner Einsamkeit.

Er hätte die Ängste seiner Gäste aus dem Haus jagen, und es für die Freude öffnen können. Aber dann wären sie frei und er allein. Ein zu hoher Preis für deren Seelenfrieden. Wer würde sie ersetzen? Nein, ihre Gespenster durften nicht sterben. Er musste sie sie hegen und pflegen, um selbst zu überleben.

Specht musste mit ansehen, wie seine Angst, als wollte sie nie wieder gehen, sich in den Wänden versenkte. Ein Gespenst, das wie bei jedem Experiment ein schmutziggraues Kleid trug. Durch den löchrigen Stoff fraßen sich entstellte Fratzen in grellen Farben, die giftig zischten, stöhnten und zum Erbarmen jaulten.

Unter höllischen Schmerzen beschrieb Specht Castori die Szene. Er ballte die Hände zu Fäusten, Schweiß rann über sein Gesicht, er bäumte sich auf, schrie und fiel wieder in die von Castori verordnete Position zurück.

Castori, der teilnahmslos an Specht vorbei gestiert hatte, erhob sich, formte auf Spechts Stirn mit den Händen einen Kamin und flüsterte hinein: „Das Böse hat Feuer gefangen, es löst sich in Rauch auf…..“

Castori verscheuchte die Rauchschwaden, schnippte mit den Fingern und sagte: „…wir haben wieder einen ihrer Teufel verjagt.“

Das Experiment schützte Castori mit einer Formel aus Angst, sicherer als jedes Patent: „Nur wenn ich, und nur ich, das Feuer entfache, ziehen sich ihre Gespenster bis wir sie wieder rufen, in eine entlegene Burgruine ins schottische Hochland zurück. Ansonsten würden sie Sie bis an Ihr Lebensende nicht in Ruhe lassen.“

„Verlagern Sie ihr Gewicht, mit minimalen, wiederkehrenden Seitwärtsbewegungen, von links nach rechts“, sagte Castori mit gesenkter Stimme.

„Ja“, antwortete Specht erleichtert, weil ihn das sanfte Wiegen schon so oft erlöst hatte.

Es entzog den Fratzen auf dem Kleid seiner Angst die Farbe, bis sie schließlich von frenetischem Jubelrufen begleitet, die Flucht ergriffen.

Castori nahm wieder Platz. Da ist es wieder. Es lauert in meinem Rücken, durchbohrt mich mit seinen Blicken, seine mit Blut besudelten Pranken krallen sich in mein Fleisch. Er fuhr herum. Gott sei Dank. Ich habe mir die Bestie nur eingebildet.

Sekunden später stockte ihm der Atem. Zwei riesige Tatzen quetschten seinen Brustkorb zusammen. Er sprang auf und sank

schweißüberströmt wieder auf seinen Stuhl.

Sie können mir nicht gefährlich werden, mich nicht berühren, foltern oder ermorden. Aber ich muss sicher sein, dass die Bestie, die in seinem Geist ihr Unwesen treibt, nicht auch mein Haus belagert hat.

Der helle Klang des Schlagwerks von Castoris exquisiter Uhr ertönte und zeigte Specht an, dass Castori ihn jetzt verlassen würde.

„Schlafen Sie. Sie brauchen die Ruhe. Wir fahren morgen fort“, versprach Castori.

„Wir fahren morgen fort“, er hätte ebenso gut sagen können: „Ab morgen wird ein Alptraum den nächsten jagen.“ Sein Gespenst würde ihm noch greller erscheinen und sein Stöhnen, würde ihm das Herz zerreißen.

Doch nach drei Wochen verstummte das Klagen, die grellen Farben verblassten und nach sechs Wochen belohnten ihn strahlende Kindergesichter.

Die Dauer des Experiments betrug exakt zehn Minuten. Zehn Minuten, die sich für Specht zu Stunden ausdehnten, nach denen er ausgelaugt bis zum nächsten Tag schlief.

Eine Vorlesung war die Geburtsstunde des Experiments. Castori hatte aus Mangel an Alternativen die Vorlesung eines esoterisch angehauchten Psychologiedozenten besucht. Schon in den ersten Minuten hatte Castori Feuer gefangen. Durch das Lockern verkrampfter Muskelgruppen Halluzinationen zu provozieren und psychische Krankheiten zu heilen, war ein völlig neuer Therapieansatz. Ein Höhenflug der Medizin. Mit Wahnbildern die Welt verbessern. Eine himmlische Zukunftsperspektive. Endlich kann psychisch Kranken schnell und dauerhaft geholfen werden.

Castori besuchte Kurse, verschlang Bücher, befragte internationale Wissenschaftler und avancierte zum Experten für das Auslösen von Wahnvorstellungen durch Entspannungsübungen. Er erkannte, dass die Körper seiner Patienten von schlimmen Erlebnissen besetzt waren und jagte sie davon.

Die dafür notwendigen Selbstversuche brachten ihn beinahe um den Verstand. Das Experiment förderte Bilder zu Tage, die er mit einem exzessiven Beruhigungsmittelkonsum so tief in seinem Innersten vergraben hatte, dass er guten Gewissens behaupten konnte: „Sie existieren nicht!“

Damals gab er zu: „Sie existieren nicht. Und doch bestimmen sie mein Leben. Genauso wie sie das Leben derer bestimmen, die mit Hoffnung auf Heilung meine Praxis aufsuchen. Sie gleichen einem ruhenden Vulkan. Die Schatten der Vergangenheit brodeln unbeachtet vor sich hin, bis ein leichtfertig dahingesagtes Wort oder ein Splitter im Auge des andern mit einer Explosion den Schutzpanzer bersten lässt. Todessehnsucht, Kriege, Morden und Gewalt sind die Konsequenz einer verleugneten Existenz.

Für mich ist es besser, meine Verletzungen mit Erfolgen zu schönen. Mein Vulkan muss schlafen. Meinen Patienten hingegen erlaube ich einen flüchtigen Blick ins Feuer. Wohl wissend, dass ihre Ängste unendlich sind.

Unter all dem Schrecklichen, soviel ist gewiss, sehnen sich unsere unschuldigen Kinderseelen nach Erlösung. Wir scheuen die Fron die Ketten der eigenen Geschichte abzustreifen. Sie werden uns in die Wiege gelegt, schneiden uns lebenslang ins Fleisch und wir nehmen sie hin, als gäbe es kein Entrinnen.

Nur die Mutigsten wagen sich ins Fegefeuer ihrer Ängste. Und nur die Tapfersten erobern ihr unschuldiges Kindergemüt zurück.

Meine Patienten zwinge ich, ihren Ängsten ein Gesicht zu geben. Meinen eigenen, die mich als ausgehungerte Tiger anfallen, verbiete ich es, mir den Schlaf zu rauben. Ich will sie nicht sehen. Nicht einmal an sie denken.“

Nach dem Abschluss seiner Forschungen weigerte sich Castori, in ein Maul zu blicken, aus dem Blut und Sehnen quollen und seinen Tigern sehenden Auges den Hals umzudrehen.

Sich von ihnen loszusagen, hätte auch bedeutet, den eigenen Lebensplan aufzugeben. Er wäre danach ein Anderer, ein sich selbst Fremder – jemand, dem er nie begegnet war und mit dem er nicht umzugehen wusste.

Anfangs hatte er noch davon geträumt, das Experiment einem großen Publikum zu präsentieren. Doch dann hingen die Opfer ihrer Lebenslügen an seinen Lippen, sie verehrten ihn, mochten nicht mehr von ihm lassen und es wäre absurd gewesen, Macht und Zuneigung, mit der Konkurrenz zu teilen.

Das Experiment sollte sein Geheimnis bleiben. Und deshalb ermahnte er jeden Gast: „Führen Sie das Experiment auf keinen Fall ohne mich durch. Diese Übung führt, ohne meine Anleitung, zu einem lebensbedrohlichen Anstieg Ihres Blutdrucks.“

Das Spinnennetz des Schwarzen Schmetterlings

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