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Kapitel 2
ОглавлениеAbends saßen wir noch alle zusammen und planten unsere Reise. Sarah war immer noch nicht angetan von der Idee campen zu fahren, aber auf irgendwas mussten wir uns ja einigen. Sarah war eher der All-Inclusive-Türkei-den-ganzen-Tag-am-Pool-liegen-Typ, was uns allen einfach nicht zusagte. So war Sarah schon immer gewesen. Wir kannten uns noch aus Schulzeiten und sie hatte mir auch den Tipp gegeben, dass bei ihr ein WG-Zimmer frei war. Wir waren sehr unterschiedlich und nicht gerade auf der gleichen Wellenlänge, aber als Mitbewohner kamen wir gut klar. Bei Pia und Sarah sah das allerdings anders aus. Sie gerieten ständig aneinander und führten einen Kleinkrieg nach dem Anderen. Was es genau war zwischen den beiden wusste keiner von uns. Sie provozierten sich einfach ständig und stritten dann oft lautstark. Wir Mitbewohner hatten oft versucht, etwas dagegen zu unternehmen und sind kläglich gescheitert. Wir hatten Unternehmungen geplant, bei denen wir hofften, dass sich die beiden besser kennen lernen und endlich warm miteinander wurden. Aber sie mieden sich oder zickten sich bei jeder Gelegenheit an. Wir waren im Escape Room und haben uns erhofft, dass Teambuilding die beiden zusammen bringen könnte. Aber am Ende gab es Streit darüber, wer den Hinweis übersehen hat. Auch in diesen Urlaub setzten wir wieder große Hoffnungen, dass die beiden sich annähern. Vielleicht würde ja irgendwann ein Wunder geschehen.
Unsere dritte Frau im Bunde war Alex. Sie war das genaue Gegenteil von Sarah und beschäftigte sich bei der Urlaubsplanung eingängig mit der Preisliste für die Extremsportarten. Sie hatte sich fest vorgenommen, ihren Adrenalinspiegel auf ein neues Level zu heben. Ich für meinen Teil wollte lieber weiterleben und würde mich mit etwas Kanufahren und Wandern begnügen. Alexandra war schwarzhaarig, sehr sportlich und hatte einen top Körper. Sie gehörte zu den Frauen, die nach einem Tag an der Sonne knackig braun waren und obwohl sie absolut natürlich war, immer gefragt wurde, ob sie etwas hatte machen lassen. „Nein, alles selbst gemacht.“ war stets ihre Antwort. Alex war eine der coolsten Frauen, die ich kannte und wir kamen super klar. Sie war immer dabei, wenn es was zu feiern gab und ich mochte ihre lebensfrohe und selbstbewusste Art.
Am nächsten Morgen stieg mein Stresspegel schon vor dem Aufstehen in unerwartete Höhen. Es war sechs Uhr und Raffi brüllte die ganze Zeit durch den Flur. Pia war schon aufgestanden und rannte von einem Raum zum anderen. Ich wollte einfach nur noch zehn Minuten schlafen. Aber ständig kam jemand ins Zimmer und kommentierte „Der alte Sack schläft ja noch.“ „Toby, Aufstehen! Wir fahren ohne dich.“
Endlich kam Pia an mein Bett und versuchte auf sanfte Weise mich da raus zu kriegen. Sie streichelte meinen Arm und bat mich aufzustehen, damit wir alles fertig packen konnten. Einen Kaffee hatte sie auch noch im Gepäck, also ließ ich mich überreden. Ich stellte mich mit Kaffee und Kippe in Boxershorts auf den Balkon und fühlte mich bereit, den Tag zu beginnen. Ich zog mir etwas über und nahm am spärlich besetzten Frühstückstisch Platz. Sarah, Pia und ich saßen zusammen und aßen schweigend unsere Brötchen. Diese gefährliche Mischung ging auch leider nicht lange gut.
„Ich würde gerne direkt nach dem Frühstück los fahren, damit wir noch ein bisschen Puffer haben, falls wir in den Berufsverkehr kommen.“ sagte Sarah nüchtern.
„Äh, dann musst du alleine fahren. Wir sind noch nicht fertig mit Packen.“ holte Pia zum Gegenschlag aus.
Ich hatte schon jetzt den Wunsch mir einfach die Ohren zu zu halten und laut mit Singen anzufangen, aber es war bereits zu spät.
„Du rennst doch schon seit einer Stunde durch die Wohnung. Was musst du denn noch packen?“
„Obie ist grad erst aufgestanden. Wenn er im Bad war können wir erst unser Waschzeug zusammen packen. Ist doch logisch.“
„Immer schiebst du Toby vor, wenn du deine eigenen Defizite nicht eingestehen willst.“
Pia platzte gleich der Kragen. Ihre Mundwinkel kräuselten sich und ich konnte sehen, dass sie kurz davor war, auszurasten. Pia konnte sehr temperamentvoll werden, wenn sie sich angegriffen fühlte. Sarah wusste das und provozierte sie gerne. Pia stützte sich mit beiden Händen auf den Tisch und stand mit einem Satz von ihrem Stuhl auf. Sie hatte bereits ihren Mund geöffnet und wollte loslegen. Ich legte eine Hand auf ihren Arm und redete ihr gut zu.
„Pia, lass gut sein. Ich beeil mich einfach mit Packen.“ versuchte ich sie zu beruhigen. Sie atmete tief durch und verließ den Frühstückstisch. Sarah grinste selbstzufrieden vor sich hin. Ich sah sie kopfschüttelnd an. Warum musste sie es immer darauf anlegen, einen Streit anzufangen? Ihr Grinsen verflog und sie schaute etwas schuldbewusst in meine Augen.
Auch ich stand auf und kramte meine letzten Sachen zusammen. Nachdem auch wir fertig waren, setzte sich Pia wieder zurück an den Tisch und aß ihr angefangenes Brötchen zu Ende. Raffi schlenderte summend in die Küche und hielt einen Zettel in der Hand. Er ging langsam, aber leichten Schrittes zum Frühstückstisch und hielt direkt hinter Pia und Sarah. Er legte, immer noch summend, den Zettel genau zwischen die beiden, daneben einen Stift, ging bedeutungsschwer zwei Schritte rückwärts und wartete ab.
„Hm? Vertrag? Was ist das, Raffi?“
Pia nahm den Zettel in die Hand und las laut vor.
„Versichere ich, dass ich keinerlei Streitigkeiten mit meiner Mitbewohnerin anfangen werde. Ich werde aktiv dazu beitragen, dass unsere Wohngemeinschaft einen entspannten und reibungsfreien… Reibungsfrei, Raffi? Im Ernst?“
Er zuckte nur mit den Schultern und gab Pia zu verstehen, dass sie fortfahren sollte.
„Reibungsfreien Urlaub genießen können. Provokationen werde ich unterlassen oder gegebenenfalls ignorieren. Blablabla. Du hast sie ja nicht alle. Das unterschreib ich nicht.“
Pia warf den Zettel wieder auf den Tisch und verschränkte die Arme vor der Brust. Ich hielt mir den Mund zu, weil ich kichern musste. Sarahs Miene hatte sich völlig verdunkelt. Sie sah Raffi genervt an. Dann nahm sie den Zettel, las ihn durch ohne ein einziges mal aufzuschauen oder einen Ton zu sagen. Schließlich schlug sie die Beine übereinander, nahm den Stift und unterschrieb. Sie schaute Pia vielsagend an, stand auf und ging.
Die meisten von uns beobachteten die Szene mit offenem Mund oder sahen Sarah beeindruckt an. Als sie aus dem Raum war, fielen unsere Blicke auf Pia. Sie hatte das ganze aus dem Augenwinkel betrachtet und mimte immer noch die beleidigte Leberwurst.
„Pia?“ sprach Raffi sie direkt an. Sie druckste. „Würdest du bitte auch unterschreiben?“
Pia reagierte kaum.
„Komm schon, Süße. Stell dich nicht so an und unterschreib. Es ist ein Friedensangebot von Sarah, dass sie unterschrieben hat. Nimm es an!“ versuchte ich nochmal auf sie einzureden.
Pia schnaufte und verdrehte die Augen.
„Es ist nur ein Waffenstillstand!“ lenkte sie ein und unterschrieb ebenfalls.
Ein sanfter Applaus ging durch die Küche und ich lächelte Pia aufmunternd an. Ich wusste, dass es sie abfuckte, sich darauf einlassen zu müssen. Aber die Vorstellung einen ruhigen Urlaub ohne Diskussionen zwischen Pia und Sarah zu verbringen, war wirklich zu reizvoll. Ich legte einen Arm um Pia, als sie aufstand und streichelte ihre Schulter. Raffi grinste sie selbstzufrieden an.
„Geniale Idee, Alter!“ flüsterte ich ihm zu.
„Wozu bin ich Sozialpädagoge, wenn ich die Kinder in meinem eigenen Haus nicht geregelt kriege.“ antwortete er schmunzelnd. Pia schaute immer noch leicht bedröppelt, sagte aber nichts mehr dazu.
„Können wir jetzt endlich los?“ fragte Sarah genervt, die angezogen und mit Reisetaschen in der Hand im Flur stand.
Raffi sah hektisch auf die Uhr.
„Fuck! Schon sieben Uhr! Okay, alle anziehen und Taschen in die Autos laden! Naviziel steht auf dem Zettel. Wir sehen uns am Parkplatz!“
Feldwebel Raffi war wieder voll in seinem Element und koordinierte und befehligte seine WG-Armee. Wir luden unser Gepäck in Pias gelben Beetle. Sascha fuhr mit mir und Pia und nahm auf der Rückbank Platz. Pia steckte ihr Handy an und drehte die Musik voll auf. Es lief „She Will Be Loved“ von Maroon 5. Ich war zu müde, um mich zu wehren. Sascha gab nur ein resigniertes Stöhnen von sich und steckte sich Kopfhörer in die Ohren. Pia sang bereits laut mit, bevor wir losgefahren waren. Nachdem Raffis Golf 4 endlich angesprungen war, fuhren wir los. Ich versuchte noch einige Minuten die Augen zu schließen, aber bereits an der ersten Kreuzung merkte ich, dass schlafen chancenlos war, wenn man in einem Auto sitzt, dass von einer völlig Verrückten gelenkt wird. Pia hatte wirklich einen äußerst turbulenten Fahrstil. Vollgas an jeder Ampel, in letzter Sekunde noch die Ausfahrt nehmen und von den Überholmanövern will und kann ich gar nicht gar nicht erst sprechen. Mit weit aufgerissenen Augen hielt ich mich am „Angstgriff“ fest und lauschte Pias Gesang. Es war herausfordernd, aber auch aufregend. So wie vieles mit Pia. Ich genoss vielleicht nicht die Fahrt, aber wenn wir angekommen waren, fühlte ich mich lebendiger als vorher. Für dieses Gefühl liebte ich sie letztlich. Sascha hatte die ganze Fahrt gleichgültig Musik gehört und war gänzlich unbeeindruckt von diesem Nahtod-Erlebnis. Wir parkten die Autos auf dem Park & Ride Parkplatz, auf dem uns auch der Bus abholen sollte. Pia und ich setzten uns auf unsere Reisetaschen und kuschelten uns aneinander. Ich hielt sie fest in meinem Arm und freute mich so sehr auf die kommende Zeit. Wir steckten uns jeder eine Zigarette an und verschwanden im Nebel. Es war noch frisch am Morgen und ich genoss die Wärme unserer Umarmung.
„Ich hab dich lieb.“ flüsterte sie mir zu.
„Ich dich auch.“ antwortete ich und ärgerte mich auch ein bisschen darüber, dass es wieder kein „Ich liebe dich“ gewesen war. Ich wartete darauf schon seit Monaten und fragte mich langsam, ob sie sich nur nicht traute es zu sagen oder es vielleicht auch nicht fühlte. Ich war definitiv an dem Punkt, an dem ich wusste, dass ich sie liebte. Ich wäre sogar soweit gegangen, zu sagen, dass ich mein Leben mit ihr verbringen will. Seit ich Pia kannte, hatte ich nicht mehr an irgend eine andere Frau gedacht und ich hatte das Gefühl, sie mittlerweile gut genug zu kennen, um einschätzen zu können, dass sie DIE Frau für mich war. Ich liebte alles an ihr. Sie war so besonders für mich. Aber so wie es aussah, war sie sich mit mir noch nicht so sicher. Es verletzte mich zwar, aber ich wollte ihr auch die Zeit geben, selbst an den Punkt zu kommen, an dem ich war. Wo ist bis dahin schon der Unterschied zwischen lieb haben und lieben?
Es dauerte noch eine ganze Stunde bis der Bus endlich kam. Nach und nach fanden sich immer mehr Mitreisende auf dem Parkplatz ein und es war spannend zu sehen, wer uns begleiten würde. Es waren viele Paare, aber auch Gruppen von Freundinnen oder gemischten Freundeskreisen. Nur zwei Jungs waren alleine unterwegs. Mit sechs Personen waren wir auf jeden Fall die größte Gruppe. Die WG unterhielt sich noch angeregt und mittlerweile hatten alle auf ihren Reisetaschen Platz genommen und wir saßen einträchtig im Kreis auf dem Boden. Wir waren voller Vorfreude und Neugier was uns erwarten würde.
Dann ging ein Raunen durch die Gruppen, als der Bus auf unseren Parkplatz abbog. Wir luden das Gepäck ein und besetzten unsere Plätze. Pia war genauso aufgeregt wie ich. Ich konnte spüren, wie ihr Herz schlug, als wir endlich auf unseren Plätzen saßen und der Motor gestartet wurde. Sie sah strahlend aus dem Fenster und funkelte mich an.
Wir waren unterwegs nach Südfrankreich.