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Kapitel 3

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Im Bus saßen bereits einige Fahrgäste, die der Bus auf dem Weg durch Deutschland abgeholt hatte, aus Hamburg, Berlin, Hannover. Trotzdem hatten wir uns gute Plätze gesichert und uns bequem eingerichtet. Nun trennten uns noch zwanzig Stunden von unserem Ziel. Wir unterhielten uns angeregt und lachten die ganze Zeit über irgendwelche Sachen, die wahrscheinlich außer uns niemand lustig gefunden hätte. Wir hatten uns über die WG-Zeit so einige Insider angeeignet. Der Rest des Busses sah uns teilweise finster an, weil wir so laut waren. Ich hatte schon Bauchschmerzen vom vielen Lachen.

„Und wisst ihr noch, der Abend als unsere Party von der Polizei aufgelöst wurde?“ erinnerte sich Sascha. „Wir hatten mehr als hundert Gäste im Wohnzimmer und irgendeiner hat immer wieder die Musik aufgedreht. Ich weiß nicht wie oft die Polizei kommen musste.“

„Ey, die haben unsere Wohnungstür ausgehebelt, weil wir nicht mehr aufgemacht haben, Leute! Das war nicht gerade die Glanzstunde unserer WG.“ ergänzte Raffi leicht beschämt.

„Aber der Abend war legendär, das musst du zugeben! Immerhin reden wir und alle die da waren heute noch davon. Ich finde, jede Unannehmlichkeit hat sich dafür gelohnt.“ verteidigte Alex unsere sagenumwobene Party.

„Ich wäre sooo gerne dabei gewesen.“ sagte Pia traurig, die noch nicht mit mir zusammen war, als die Party statt fand.

„Ach, du hast nichts verpasst. Es war echt ein bisschen over the top.“ beruhigte ich sie.

„Ha!“ Sarah lachte laut auf. „Das sagst du nur, weil du so voll warst, dass du schon nach dem ersten Polizeieinsatz in deinem Bett lagst und nichtmal mitbekommen hast, dass sie alle Gäste aus der Wohnung geholt haben.“

Das stimmte leider. Ich hatte an dem Abend zu viel Schnaps getrunken und war völlig ausgeknockt. Auch für mich war die Party keine Glanzstunde. Ich schaute verlegen zu Boden und nickte schuldbewusst. Pia lag in meinem Arm und streichelte lächelnd mein Bein. So vergingen die ersten drei Stunden wie im Flug und wir hatten schon die erste Raststätte erreicht.

Ich ging vor dem Bus auf und ab und rauchte. Nach einer Weile setzte ich mich auf den Bordstein und wartete auf Pia, die auf die Toilette gegangen war. Während ich dort saß, sah ich mir unsere Mitreisenden an. Es war eine ausgeglichene Mischung aus Frauen und Männern und einigen konnte man ansehen, dass sie sich gerade erst im Bus kennen gelernt hatten und alleine reisten. Viele lächelten mich freundlich an, während ich da saß und eigentlich wirkten die Meisten sehr nett. Da wir im Bus ja nicht gerade durch Zurückhaltung aufgefallen waren, waren natürlich auch einige abschätzige Blicke dabei, die ich aber an mir abprallen ließ. Spießer gibt es immer. Raffi kam mit einem blonden Typen auf mich zu, der mich auffallend freundlich anlächelte. Sie unterhielten sich und er nickte interessiert.

„Das ist Toby, einer meiner Mitbewohner.“

Der Unbekannte streckte mit die Hand entgegen und ich stand auf, um ihn auch zu begrüßen. Statt meine Hand zu nehmen, legte er seine auf meine Schulter. Ich war überrascht und schaute wohl auch leicht verwirrt.

„Hi, Toby! Ich bin Christoph. Rafael hat mir gerade ein bisschen von eurer WG erzählt.“

„Raffi!“ unterbrach er ihn. „Ich bin Raffi. Rafael sagt nur meine Oma. Und Toby, wenn ich was verbockt habe.“

„Sorry! Ich bin eigentlich auch nur Chris. Ich komme aus Berlin. Ihr seid in Köln zugestiegen. Wohnt ihr auch da?“

„Ja.“ sagten wir beide im Chor.

„Bist du allein unterwegs?“ fragte ich ihn.

„Ja, ich hab es dieses Jahr endlich gewagt. Ich dachte mir, ich bin ja kontaktfreudig und werde schon Anschluss finden. Mein Berliner Charme wird es richten.“ lachte er.

Naja. Berliner Charme war leider etwas, was ich noch nie mochte. Ich fand Berliner tendenziell distanziert und aufmüpfig. Die, die ich kennen gelernt hatte, gaben ständig freche Kommentare von sich und meinten dann sie wären ja nur ehrlich. Das hatten dann alle zu akzeptieren. Aber ich würde mich gerne eines Besseren belehren lassen. Trotzdem kam ich nicht umhin seine Aussage zu kommentieren mit:

„Berliner Charme, ja? Ist die Existenz mittlerweile bewiesen?“

Er lächelte, aber ich konnte spüren, dass er sich angegriffen fühlte.

„Bei euch merkt man jedenfalls, dass ihr rheinische Frohnaturen seid. Laut und trinkfest, was? Ich habe vorhin eure Geschichten von den legendären WG-Parties mitgehört. Das klingt auf jeden Fall nach Spaß… und Ärger.“

Er wirkte versöhnlich und ich beschloss, ihm eine Chance zu geben. Vielleicht war er ja gar nicht so übel und es konnte nicht schaden, neue Kontakte zu knüpfen. Pia und Sarah kamen gemeinsam vom Klo, aber sprachen kein Wort miteinander, als sie sich zu uns gesellten. Raffi stellte die beiden vor.

„Das sind Pia und Sarah, zwei von drei Mitbewohnerinnen.“

Pia reichte Chris die Hand. Er nahm sie mit beiden Händen und schüttelte sie freudig, während er sich vorstellte. Das gleiche tat er bei Sarah. Raffi und ich sahen uns abschätzig an. Was waren das nur für seltsame Begrüßungsformen, die der Typ an den Tag legte?

„Die Reise hat sich schon jetzt gelohnt, wenn ich nach nur drei Stunden solche bezaubernden Damen kennen lerne.“ sagte er und schaute die beiden bewundernd an.

Wow. Ich bin noch hier. Pia lächelte ihn dankend an und winkte ab. Sarah legte eine Hand auf seine Brust, schaute kokett zu Boden und spielte seine Bemerkung herunter.

„Ach, du übertreibst. Und eine der bezaubernden Damen ist außerdem schon vom Markt.“

Pia lehnte sich nickend an mich.

„Oh, sorry Bro. Ich wollte nicht…“

„Schon gut, Alter. Das ist bestimmt dieser berühmte ‚Berliner Charme‘, oder?!“

Wir lachten beide und gingen gemeinsam wieder in den Bus.

Chris gesellte sich zu uns und wir unterhielten uns über das Leben. Nach und nach legte ich meine Vorurteile ab und musste fest stellen, dass er eigentlich ganz nett war. Er war wie wir Student und liebte das Leben. Wie ich anhand seines Aussehens schon vermutet hatte, war er Surfer versprach sich ein paar windige Tage von unserem Urlaub. Generell war er sehr sportlich und spielte in Berlin in einem Basketballverein. Er schien sehr gut in unsere Gruppe zu passen, flirtete für meinen Geschmack aber etwas zu offensiv mit unseren ‚Damen‘. Diese genossen allerdings die Aufmerksamkeit, also ließ ich alle genießen, was sie wollten.

Alex hatte auf einem unserer Pinkelstopps anscheinend auch Bekanntschaft mit einem Mitreisenden gemacht, der es ihr direkt angetan hatte. Er war groß, dunkel, breit gebaut und hatte einen gepflegten Bart. Außerdem war er tätowiert bis an die Zähne und dass auf seiner Käppi nicht „Bad Boy“ stand, wunderte mich fast. Er war genau ihr Beuteschema und sie vermutlich seins. Sie passten wie Arsch auf Eimer und flirteten so offensichtlich miteinander, dass es fast schon unangenehm war. Gegen Abend kam sie mit ihm zu uns und stellte ihn uns als Dennis vor. Er war überraschend nett und man konnte gut mit ihm quatschen. Gegen Abend wurde es leiser im Bus und auch wir richteten unsere Plätze schlafgerecht ein. Ich hatte auf Reisen oder wenn ich woanders übernachten wollte, immer mein Kopfkissen dabei. Das hatte mir schon so einige Nächte den Arsch oder besser gesagt den Nacken gerettet.

Ich hörte Musik und Pia war an meiner Schulter eingeschlafen. Damien Rice sang ‚Cannonball‘ in mein Ohr und ich war glücklich. Wir hatten Deutschland hinter uns gelassen und irgendwie auch unseren Alltag los gelassen. Wir waren einfach wir selbst und hatten schon neue Kontakte geknüpft und trotzdem als Einheit Zeit verbracht. Ich war zufrieden mit unserer Truppe. Vorsichtig schaute ich Pia auf meiner Schulter an, weil ich sie nicht wecken wollte. Sie sah wunderschön aus und schnaubte zufrieden vor sich hin. Ich war so dankbar, diese Zeit mit ihr erleben zu dürfen und lächelte sie selig an. So glitt auch ich langsam ins Land der Träume.

Als ich nach circa zwei Stunden aufwachte, war es dunkel draußen. Ich kam langsam zu mir und spürte, wie sich verschiedene Schmerzen langsam in meinem Körper ausbreiteten. Ich hatte auf einem meiner Kopfhörer geschlafen und das machte sich nun durch einen fiesen Druck in meiner Ohrmuschel bemerkbar. Ich nahm den Ohrstöpsel heraus und hob vorsichtig meinen Kopf. Der Kopf war so ungefähr das Einzige, was ich überhaupt noch bewegen konnte. Pia hatte mich in die hinterste Ecke des Sitzes gedrängt und ein Bein um mich geschlungen. Mein linkes Bein war dadurch eingeschlafen und fing jetzt langsam an zu kribbeln und zu pochen. Meine Hand war unter Pia eingeklemmt und wenn ich mich befreien würde, würde sie aus dem Sitz rutschen. Der Rest meines Körpers schrie nur ‚Nikotin!‘ Ich hoffte so sehr, das wir bald anhalten würden, damit ich aus meiner misslichen Lage befreit werden konnte. Ich sah mich um beobachtete noch ein paar Minuten die schlafenden Menschen um mich herum. Alex lag halb auf Dennis und er schnarchte leise vor sich hin. Etwas Sabber hatte sich in Alex Mundwinkel gesammelt. Ich musste grinsen. Sascha saß mir gegenüber und hatte eine Hand halb in seinen Hosenbund gesteckt. Neben ihm schlief Raffi. Ich war erstaunt, wie normal er aussah. Er saß gerade in seinem Sitz und hatte den Kopf hinten angelehnt. Seine Hände hatte er auf seinen Beinen liegen und den Mund geschlossen. So wünscht sich jeder beim Schlafen auszusehen, dachte ich, als der Bus von der Autobahn abfuhr und endlich eine Raststätte ansteuerte. Ich drückte Pia vorsichtig von mir weg, um sie zu wecken. Ich gab den Vorwand an, dass sie doch bestimmt auf Toilette musste. Sie bejahte und ich stieß einen innerlichen Freudenschrei aus. Beim Aufstehen, kamen noch Schmerzen und Verspannungen an zwei bis drei Stellen hinzu. Aber das Anstecken der Kippe tat sein Übriges und ich fühlte mich wie neu geboren. Pia erledigte schnell ihr Geschäft und kuschelte sich dann rauchend in meine Arme. Sie zitterte. Es war sehr kühl in dieser Nacht und wir hatten nur T-Shirts an. Ich hielt sie ganz fest umklammert und streichelte ihre Arme, bis wir wieder einsteigen mussten. Das war der letzte Halt, bevor wir endlich an unserem Urlaubsort am Lac de St. Croix ankommen sollten.

Ich konnte es kaum erwarten.

Kryptonit

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