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Giftstachel

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Was immer den Ausschlag gegeben hatte, die Schikanen nahmen wieder zu. Tiko war einer der Besten mit dem Bogen, egal, ob zu Fuß oder zu Pferd. Gleichzeitig schien er mit allem anderen der Schlechteste zu sein, bekam ein Strafexerzieren nach dem nächsten aufgebrummt. Ein gerissener Zügel, ein schlecht gemachtes Bett, ein zerbrochener Pfeil, alles nur Kleinigkeiten, aber ausreichend für Strafdienste und in der Summe verheerend. Hauptmann Bodoke schien geflissentlich zu ignorieren, was da direkt unter seiner Nase passierte. Es wirkte schon fast wie eine Gewohnheit, wenn er mit missbilligender, aber völlig unaufgeregter Stimme Tiko einen weiteren Strafdienst zuteilte.

*

Am letzten Vollmond vor der Regenzeit durften traditionell die besten der Garde ihre Waffenkünste vor dem König zeigen. Da war, sie, die Gelegenheit, jetzt schon einen so großen Eindruck auf den König zu machen, dass er seine dritte Namenssilbe bekam. Einer nur, ein einziger aus jeder Gruppe der Kadetten würde seine Fähigkeiten öffentlich unter Beweis stellen können. Und der Gruppenleiter würde diese Person aussuchen.

Zakari machte es kurz. „Wer von euch traut sich das zu?“

Drei seiner Kameraden traten vor.

Ukele, der meisterlich mit dem Krummschwert focht. Saruke, der die Lanze weiter warf als jeder andere. Ponoko, der die Dolche tanzen ließ, als hätten sie Flügel.

Und Tiko, der beste Bogenschütze des ganzen Jahrgangs.

Zakari überlegte kurz. Dann sprach er Saruke an. „Du bist gut mit der Lanze. Aber der König schätzt die Lanze als Waffe nicht besonders. Damit können wir keinen Eindruck schinden.“

Saruke nickte nur und trat zurück.

„Ukele.“ Zakari stand jetzt vor dem zweiten seiner Männer. „In Rumarus Gruppe ist einer, der dir deutlich überlegen ist. Wenn ich dich schicke, riskieren wir von vornherein eine Niederlage.“

Auch Ukele trat schweigend zurück.

Dann stand Zakari vor Tiko.

„Deine Abstammung ist zweifelhaft. Auf einem Feldzug mag das keine Rolle spielen, bei einem Schaukampf dagegen sehr wohl. Du bist draußen.“

Tiko fühlte seine Welt zersplittern. „Aber … Ich bin der Beste des ganzen Jahrgangs mit dem Bogen!“

„Und vermutlich ein Bastard. Noch dazu aus einer Familie ohne Magie.“

Tiko schluckte, versuchte es dann noch einmal. „Aber ich habe königliches Blut!“

Zakari schnaubte verächtlich. „Willst du unseren König beleidigen? Du und königliches Blut?“

Trotzig starrte Tiko zurück. „Nicht von den Nahne. Aber unter meinen Vorfahren war der Dreiertotschläger!“

„Na und? Wen kümmert schon so ein unbedeutender Flachland-König aus grauer Vorzeit? Der hat nicht mal irgendwo ein Denkmal gekriegt. Kriegerische Großtaten kennen wir von den Mehme auch keine, und in deiner Familie gibt es nicht einen Funken Magie. Also vergiss deine Bewerbung!“

„Das ist ungerecht!“, begehrte Tiko auf.

Zakaris Augen wurden schmal. „Das ist logisch und vernünftig. Das solltest du besser einsehen.“

Tiko hörte, wie links von ihm unterdrücktes Kichern laut wurde, als Zakari ihm den Rücken zuwandte. Betroffen wurde ihm klar, dass er als Rangniedrigerer gerade Zakari widersprochen und ihm Unehre unterstellt hatte. Damit war Zakari als Verbündeter verloren.

*

Vorher war es schlimm gewesen. Jetzt erlebte Tiko die Hölle. Alle außer Schenomat schnitten ihn. Und der konnte sich nicht dauernd von den anderen der Gruppe absondern, wenn er nicht riskieren wollte, ebenfalls ein Ausgestoßener zu werden. Tiko saß alleine, lernte alleine, verbrachte brütend seine Freizeit alleine, machte seine Strafdienste alleine, nur begleitet von gehässigen Kommentaren und unterdrückten Gelächter. Abends war er meist so geschafft, dass er nur noch erschöpft auf sein Bett fiel. Keine Kraft mehr, sich noch einmal in die Lehrbücher zu vertiefen, wie er es sonst getan hatte, um seinen Wissensrückstand aufzuholen.

Heute war auch wieder so ein Tag. Bogenschießen zu Pferd. Der Teil war leicht gewesen, das hatte Tiko zu Hause fast jeden Tag getan. Aber danach hatte er in der Box seines Pferdes jede Menge dreckigen Mist vorgefunden. Mist, der ganz sicher am Morgen noch nicht dagewesen war. Und zu allem Überfluss war Hauptmann Bodoke dazugekommen, als Tiko gerade verbissen den Mist aus der Box wieder heraus schaufelte, und hatte ihm für den ganzen Dreck drei Stunden Strafwache aufgebrummt. Die Sonne war längst untergegangen, Tiko hatte die Abendmahlzeit verpasst, seine Schultermuskeln schmerzten und ihm brummte der Schädel. Er hatte nur noch einen Wunsch: sich endlich hinlegen und schlafen zu können.

Das Bad war nur noch lauwarm und dreckig von den vielen Körpern, die vorher darin gewaschen worden waren. Tiko säuberte sich, so gut es ging, und schlich dann auf Zehenspitzen in den Schlafraum. Fehlte nur noch, dass er die anderen aufweckte. In dem fahlen Mondlicht, dass durch das Fenster drang, sah selbst die kratzige graue Armeedecke weich und einladend aus. Tiko streckte mit einem erleichterten Seufzer die Hand danach aus.

„Nicht!“

Tiko erstarrte.

„Sei vorsichtig!“ Schenomat war aus dem Bett geglitten und stand jetzt neben Tiko. „Die Decke bewegt sich!“

Tiko ging in die Hocke, musterte das Bett genauer. Da! Etwas oberhalb der Mitte war eine kleine, unscheinbare Falte in der Decke. Er runzelte die Stirn. Diese Falte war ganz sicher heute Morgen noch nicht da gewesen, sonst hätte Zakari ihn mit Sicherheit schon vor dem Frühstück zusammengefaltet. Was immer sie verursachte …

Schenomat hatte recht. Die Falte bewegte sich. Kaum sichtbar, aber sie tat es. Das Ding da drunter war lebendig. Lebendig bedeutete Ärger. Großen Ärger.

„Ich nehm die Decke hoch“, flüsterte Schenomat.

Tiko nickte und griff nach dem dicksten und schwersten Lehrbuch, das er auf dem Hocker neben seinem Bett liegen hatte.

Schenomat fingerte vorsichtig die eingeschlagenen Stoffränder unter der Matratze hervor. Dann hob er mit einer raschen Bewegung die Decke an.

Einen Moment lang erstarrten sie beide. Sahen auf das, was dort vielbeinig saß und im Mondlicht gefährlich schwarz glänzte.

Ein Skorpion. Nur fingerlang, aber was ihnen an Größe fehlte, machten die schwarzen Skorpione an Gift wett.

Der Skorpion hob drohend seinen Stachel.

Das Lehrbuch sauste herab.

„Was zum …“

In den anderen Betten regten sich die Kameraden, sahen schlaftrunken und nicht sehr freundlich zu Tiko herüber. Der lief auf den Flur und holte eine Laterne. Er drehte gerade den Docht hoch, um mehr Licht zu bekommen, als Zakari losfauchte. „Haben die Windgeister deinen Verstand endgültig leergepustet? Was soll das? Musstest du uns alle wecken? Und überhaupt, seit wann wirfst du mit Büchern auf dein Bett?“

Tiko antwortete nicht. Unendlich vorsichtig hob er mit einem zweiten Buch die vordere Kante des ersten an und drehte es um. Direkt unter dem Titel klebten die zerquetschten Überreste des schwarzen Skorpions.

Tiko hörte Zakari scharf ausatmen.

Ein Mordversuch. Nichts anderes war der schwarze Skorpion, soviel war jedem hier klar. Die Betten hatten nicht umsonst hohe, runde Metallrohre, auf denen sie standen, und ansonsten keinerlei Verbindung zum Boden. Kein Skorpion kletterte ein solches Metallrohr hoch.

„Das werde ich dem Hauptmann melden müssen.“ Zakari sah Tiko nicht an, als er an sein Bett trat und das Buch mit dem zerquetschten Skorpion hochnahm. Ein gequältes Lächeln spielte kurz um seinen Mund. „Immerhin hat Xaschantos Handbuch der gängigsten Festungsanlagen und passender Belagerungsstrategien damit endlich einmal seinen praktischen Wert bewiesen.“

Hauptmann Bodoke besah sich Bett, Buch, Skorpion und Tiko. „Da scheint sich ja wohl jemand unbeliebt gemacht zu haben.“ Sein Kopf fuhr herum, „Gruppenführer Zakari!“

Zakari trat vor und salutierte.

„Das hier ist intolerabel!“ Bodokes Stimme grollte, leise, aber nicht weniger drohend als das Knurren eines Berglöwen. „Ein Gruppenführer ist verantwortlich für alle Mitglieder seiner Gruppe. Ohne Ausnahme. Es ist deine verdammte Pflicht und Schuldigkeit, dafür zu sorgen, dass sie ihre Aufgaben erfüllen. Du kannst und sollst sie auch disziplinieren. Aber es ist ebenfalls deine verdammte Pflicht und Schuldigkeit, dafür zu sorgen, dass möglichst alle deine Männer heil und lebendig aus der Schlacht zurückkehren. Erst recht dafür zu sorgen, dass sie nicht hier, in der Sicherheit der am besten bewachten Kaserne des ganzen Königreiches, irgendwelchen Skorpionen zum Opfer fallen. Vermutlich hast du so wenig Ahnung wie ich, wer das hier zu verantworten hat –“

Rumaru natürlich, dachte Tiko. Und wenn nicht der, dann wahrscheinlich Zakari selbst.

„– aber du haftest mir persönlich dafür, dass so etwas nie wieder vorkommt.“ Grimmig musterte er die ganze Gruppe, einen nach dem anderen. „Und was den Rest von euch Hohlköpfen angeht, gewöhnt euch besser daran, dass ihr nicht gegeneinander, sondern miteinander zu kämpfen habt. Eine Schlachtreihe ist nur so stark wie ihr schwächstes Glied. Wenn ihr euch nicht unterstützt, euch nicht gegenseitig helft, wird die Reihe zerreißen, und der Feind euch alle niedermähen. Ja, ihr sollt nach Möglichkeit überleben. Aber wenn für einen von euch dieses Überleben bedeutet, dass dafür mehr als einer eurer Kameraden sterben muss, dann, ich schwöre es euch bei den Titten der Flussgöttin, dann werde ich diesen ehrlosen Feigling persönlich einen Kopf kürzer machen. Und glaubt nicht, dass euer Name und eure Familie euch davor schützen würden!“

Einen Moment war es so still, dass man eine Maus hätte trippeln hören können. Dann fuhr Bodoke fort, in einem fast schon jovialen, gemütlichen Tonfall: „Da ihr jetzt ohnehin alle wach seid, könnt ihr genauso gut ein wenig exerzieren. Eine Nachtübung wäre zur Abwechslung nicht schlecht. Am besten auf freiem Feld, vor der Stadtmauer.“

Betroffene Blicke wurden ausgetauscht. Einer ganz hinten quetschte ein unverständliches Wort hervor.

Bodoke grinste. „Habe nichts verstanden. Lauter!“

„Niemand kämpft nachts. Die Geister …“

„… haben Besseres zu tun, als ein paar halbgare Möchtegern-Krieger zu piesacken. Habt ihr etwa Angst?“

Der eine oder andere Kopf senkte sich bejahend.

„Nun, die Geister mögen weder Licht noch Feuer, richtig? Also packt euch Fackeln. Ab marsch!“

Es wurde das gespenstischste Strafexerzieren, das Tiko je gemacht hatte. Abseits der vertrauten Mauern der Stadt sah die Welt nachts unheimlich aus. Die Fackeln verzerrten die Schatten, ließen sie umher tanzen, wachsen und schrumpfen. Tiko ertappte sich bei dem Gedanken, dass die ganze Übung ohne die Fackeln vermutlich viel weniger bedrohlich gewirkt hätte. Bodoke ließ sie in zwei Parteien gegeneinander antreten. Man brauchte nicht viel Fantasie, um in einer bedrohlich aus dem Boden wachsenden dunklen Gestalt nicht mehr den Kameraden, sondern einen unheimlichen, gefährlichen Feind zu sehen. Tiko war entsetzt, wie nahe die anderen kamen, bevor er überhaupt jemanden erkennen konnte. Wenn das auf einem Kriegszug genauso war, würden sie hohe Verluste haben.

Vorausgesetzt, der Feind traute sich, nachts anzugreifen.

Es gab Wesen in den Bergen, die tatsächlich nachts kämpften. Eisleute hatte die Amme sie genannt und den Kindern am flackernden Kaminfeuer Schauermärchen erzählt. Zumindest hatte Tiko immer gedacht, dass es nur Märchen waren. Jetzt war er sich gar nicht mehr so sicher.

In dem Busch vor ihm klirrte leise Metall. Tiko hob Schwert und Schild und schlug zu.

Drei Tage blieb Hauptmann Bodoke danach verschwunden. Ein griesgrämiger alter Soldat mit einer hässlichen Narbe auf der Wange vertrat ihn. Die Gerüchteküche unter den Kadetten brodelte. War der Hauptmann wegen dieser gefährlichen Extratour suspendiert worden?

Dann war Bodoke zurück und bellte seine Befehle, als ob nichts gewesen wäre. Die Nachtübung wurde von niemandem mehr erwähnt. Es gab auch keine zweite.

*

Schade, das mit dem Skorpion hatte nicht geklappt. Rumaru hätte diesen Tiko zu gerne zu Asche werden sehen.

Ein zweiter Versuch war keine Option mehr. Zum einen war die Bergratte gewarnt, zum anderen hatte Hauptmann Bodoke auch den anderen Kadettengruppen lautstark erklärt, was Kameradschaft wirklich bedeutete.

„Nicht mehr lange“, hatte seine Stimme gedröhnt, „und ihr werdet zur Grenze geschickt, um praktische Kampferfahrung zu sammeln. Wenn ihr dort gegen- und nicht miteinander arbeitet, seid ihr sehr schnell tot und eure Schädel schmücken die Zeltstangen der Wüstenkrieger!“

Bislang hatte Rumaru den Hauptmann für eine Art notwendiges Übel gehalten. Nach dem, was er jetzt über ihn wusste, revidierte er seine Ansicht. Dieser Hauptmann, der während der Ausbildung sein Vorgesetzter war, war keine lästige Figur, die er vorübergehend hinnehmen musste. Hinter dem steckte mehr. Ein Mann, der eine ganze Gruppe Kadetten nachts auf das freie Feld führte? Schon bei dem Gedanken fühlte Rumaru einen Schauder über seinen Rücken laufen. Nachts, wenn die Geister in den Winden wanderten ging niemand freiwillig raus. Kein Mensch, der seinen Verstand beisammen hatte, verließ nachts den Schutz der erleuchteten Stadtmauern. Der Hauptmann war anders. Wie Rumarus Gewährsleute ihm zugetragen hatten, verschwand er öfters in der Nacht nach draußen. Niemand wusste, wohin er ging oder was er machte, aber er war mit der Nacht vertraut.

Warum hatte der Hauptmann keine Angst?

Warum ging er überhaupt hinaus?

Bodoke hatte Geheimnisse, soviel war sicher. Geheimnisse waren gefährlich.

Rumaru versuchte eine Andeutung bei seinem Vater. König Nikoru starrte seien Ältesten ein paar Atemzüge an und sagte dann schroff: „Bodoke hat euren Jahrgang auf meine ausdrückliche Bitte hin übernommen. Er ist der beste Ausbilder, den ihr kriegen könnt. Komm nicht auf die Idee, etwas gegen ihn auszuhecken. Du wirst mit ihm leben, solange er es für nötig hält. Keinen Augenblick weniger.“

Sein Vater hatte den Hauptmann gebeten? Ein König musste nicht bitten. Er befahl. Normalerweise.

Rumaru verneigte sich stumm und verließ den Raum. Manchmal war ein taktischer Rückzug die bessere Lösung.

*

Noch zwei Monde bis zur nächsten Regenzeit. Das erste Jahr hatte er wider Erwarten geschafft. Tiko bezweifelte stark, dass ihn das freuen sollte. Nach dem Vorfall mit dem Skorpion wusste er mit Sicherheit, dass seine Anwesenheit bei den Kadetten unerwünscht war, um es gelinde auszudrücken. Aber er brauchte immer noch eine weitere Namenssilbe. Und dafür standen die Chancen im zweiten Jahr bedeutend besser als im ersten. Endlich ging es hinaus aus der Kaserne, hinaus aus der Stadt, dorthin, wo ein Krieger und Soldat sich wirklich beweisen konnte. Das kommende Jahr würden sie an der Südgrenze verbringen. Dort, wo die Wüstenräuber wieder und wieder ihre Überfälle auf karapakische Siedlungen und Karawanen starteten.

Natürlich war das Leben niemals perfekt. Der König hob das Verbot für Rumaru, Magie zu benutzen, auf. Es war ihm wohl zu gefährlich, seinen ältesten Sohn nur unter dem unzureichenden Schutz ungeübter junger Schwertträger zu wissen. Es mochte Vorteile haben, wenn man einen Zauberer in der Truppe hatte. Tiko war sich allerdings auch sehr sicher, dass es dafür auch hinreichend Nachteile geben würde. Zumindest für ihn.

Falkenblut

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