Читать книгу Falkenblut - Chris Svartbeck - Страница 7
Gegner
Оглавление„Tiko aus dem Haus Mehme!“
Die Blicke, die ihn von allen Seiten trafen, schienen auf seiner Haut zu brennen. Oh, wie er seinen Namen mittlerweile hasste! Und seinen Vater dazu. Hätte der ihm nicht einen ganz normalen, dreisilbigen Namen geben können, wie alle anderen seiner Brüder? Nur zwei Silben, ganz, als ob er nicht besser als ein Kaufmann wäre. Er sah nur zu deutlich in den Mienen der anderen Kadetten, was sie davon hielten.
Aber er musste da durch, egal, was die anderen von ihm hielten. Es gab nur eine einzige Möglichkeit, diesen Namensmakel loszuwerden. Einen offiziellen Namenszusatz. Und den konnte nur der König selbst vergeben. Nur damit würden die Priester bereit sein, seinen Namen in den Tempellisten zu ändern. So reihte er sich wortlos ein in der Gruppe Halbwüchsiger, die allesamt begierig auf eine Offizierslaufbahn in der königlichen Garde waren, wild entschlossen, sich einen Namen zu verdienen, den sie mit Stolz nennen konnten.
„Seit wann erlauben wir Niederen, in die Garde einzutreten?” Das Tuscheln war so laut, dass Tiko es auf jeden Fall hören musste.
„Sein Vater soll ja tatsächlich ein Adeliger sein.”
„Wenn er einer ist, dann hat er den Verstand eines Schlammflohs. Seinem Sohn einen zweisilbigen Namen zu geben! Ist der überhaupt legitim, oder hat dieser Mehme-Baron einen Bastard in seine Erblinie holen müssen?”
Tiko konnte fühlen, wie seine Ohren glühten. Seine Kiefer mahlten. Zuhause … zuhause hatte sich niemand an diesem Namen gestört. Wenn er gewusst hätte, wie viel das hier bedeutete … Aber sein Vater hatte ja auch wohl nie vorgehabt, ihn in den königlichen Dienst treten zu lassen. Dafür waren seine älteren Brüder bestimmt gewesen. Die alle die Seuche im letzten Frühjahr nicht überlebt hatten. Und jetzt war er der Älteste. Tiko ballte die Fäuste so stark, dass seine Nägel sich schmerzhaft in die Innenfläche seiner Hände pressten. Seine Familie hatte ihm das hier eingebrockt, sie alle zusammen. Er hasste sie. Er hasste sie mit Inbrunst. Der Vater, der ihn nur zur Kenntnis nahm, weil er der letzte seiner Söhne war. Seine Brüder, die einfach so gestorben waren. Und das mit seiner ältesten Schwester war fast noch schlimmer. Wenn jemand hier wüsste, dass die tatsächlich einen Bastard von diesem fliegenden Ungeheuer ausgetragen hatte ... Nach den ersten Bemerkungen über seinen Namen hatte Tiko beschlossen, die Sache mit Selea auf keinen Fall hier zu erwähnen. Die Kommentare der anderen Kadetten waren auch so schon beißend genug. Vielleicht hätte er ja zu Hause bleiben, dieser Demütigung entgehen können, wenn seine Schwester nicht so pflichtvergessen gehandelt hätte. Das Bündnis mit den Rarkat, dass sie eigentlich durch Heirat hätte besiegeln sollen, hätte seinen Vater vielleicht ausgereicht fürs Familienprestige.
Zu viele vielleicht. Eine Heirat kam nach dieser Schande für seine Schwester nicht mehr infrage und die Rarkat waren nicht an einer anderen Braut aus dem Hause seines Vaters interessiert gewesen. Also blieb Tiko nichts anderes übrig, er musste ein Mitglied der Garde werden. Erfolglos nach Hause zurückzukehren war keine Option. Sein Vater würde ihn umbringen.
Die tuschelnden Stimmen in seinem Rücken verstummten immer noch nicht. Tiko straffte seine Schultern und versuchte, nicht länger hinzuhören.
Der Diener, der ihm den Packen mit seiner Kadettenuniform reichte, musterte ihn halb mitleidig, halb belustigt, und auch um seine Mundwinkel zuckte es. Tiko zwang sich, keine Miene zu verziehen, nahm den Packen und trat zurück in die Reihe.
*
Fünf Gruppen würde es in diesem Jahr bei den Kadetten geben, weil sie so zahlreich waren. Das verkündete der Ausbilder, ein bulliger, älterer Hauptmann mit einer Narbe am rechten Arm und über dem rechten Ohr. „Bodoke!“, dröhnte seine Stimme. „Merkt euch meinen Namen! Ich heiße nicht umsonst wie die Ochsenpeitsche. Ich werde euch treiben, bis euch das Blut in den Schuhen steht und ihr nicht mehr wisst, ob ihr noch lebt oder schon in den Winden wandert. Ihr werdet auf mich hören wie auf euren Vater! Und mehr noch, bei mir werdet ihr auch parieren! Es ist mir egal, aus welcher Familie ihr kommt und mit wem ihr verwandt seid oder nicht, ich bin hier, um jeden von euch zu prüfen und zu schleifen, bis er entweder ein glänzender Gardist ist oder als Abfall rausfliegt, egal, ob lebend oder tot.“
Leere Versprechungen, zumindest das mit der Gleichbehandlung. Oder vielleicht wäre es das auch nicht gewesen, aber dann kam, gerade als der Hauptmann mit seiner gebrüllten Ansprache fertig war, noch ein neuer Kadett. Rumaru, der Sohn des Königs. Allseits bereits bekannt als fähiger Zauberer.
Selbstredend hatte Rumaru von seinem königlichen Vater die strickte Anweisung bekommen, eben diese Zauberer-Fähigkeiten nicht zu benutzen, da er eine solide soldatische Ausbildung bekommen sollte. Schließlich hatte das Haus Nahne noch einige Eroberungen vor. Man munkelte, der König wolle das ganze Gebiet der Ebene am Fluss unter seine Herrschaft bringen. Tiko hielt das für ausgemachten Quatsch. Wer sollte das alles regieren? Er wusste, wie viel Arbeit bereits die eine Burg mit den zugehörigen Ländereien seinem Vater machte und wie schwierig es in manchen Jahren gewesen war, sie ausreichend vor den räuberischen Banden aus den tolorischen Bergen zu schützen. Und Karapak war um ein Vielfaches größer. Er hatte sich die Karte genau angesehen. Das Lehen seines Vaters passte mindestens fünfzigmal hinein. Aber Könige eroberten nun mal. Anscheinend waren sie dafür gemacht. Und für nichts Gescheites sonst.
Alle Nahne-Könige bislang waren Eroberer gewesen. Und alle waren sie sowohl als Feldherren als auch als Zauberer ausgebildet worden. Rumaru folgte also nur der Familientradition.
Was nicht hieß, dass er mit seiner augenblicklichen Position glücklich war, auch wenn die anderen Rekruten ihn teils mit offenem Mund bewundernd anstarrten. Tiko konnte sehen, wie geringschätzig Rumarus Mundwinkel sich nach unten verzogen, während er seine zukünftigen Kameraden musterte.
Das würde nicht leicht werden.
Zunächst aber ließ Hauptmann Bodoke jetzt die Gruppen zusammenstellen. Nicht durch ihn selbst, wie Tiko gehofft hatte. Er rief lediglich fünf Namen auf und bestimmte diese Jungen als zukünftige Leiter und Verantwortliche der Gruppen. Natürlich war Rumaru unter ihnen.
Dann bekamen die frisch ernannten Gruppenleiter die Namenslisten und konnten sich ihre Leute wählen. Immer einen pro Durchgang.
Diejenigen, die aus den bedeutenderen Adelshäusern stammten, wurden zuerst gewählt. Danach kamen die weniger wichtigen Namen an die Reihe. Zuerst die Barone. Tiko wartete, aber niemand rief seinen Namen. Die letzten Ränge wurden aufgerufen, diejenigen, deren Väter bloße Wappenträger waren. Tiko stand immer noch auf dem Platz, mit inzwischen vor Scham glühenden Gesicht. Schließlich war nur noch ein einziger Junge neben ihm. Der Gruppenleiter, der gerade dran war, ein Grafensohn namens Zakari, schaute etwas verunsichert. Jedem war klar, dass er Tiko ganz bestimmt nicht wollte, so wenig, wie einer der anderen. Das Problem war nur, dass als letzter Rumaru noch einmal dran war. Und dem Sohn des Königs jemanden in die Gruppe zu geben, der nur einen zweisilbigen Namen hatte …
Zakari schien es für geratener zu halten, sich mit einem wie Tiko einzulassen, als den Zorn des zukünftigen Königs zu erregen. Er rief Tiko auf. Mit einer Miene, die nur zu klar verriet, dass er es als persönliches Opfer betrachtete, dass er nur dem Kronprinzen zuliebe über sich brachte.
Rumaru brachte ein verkniffenes Lächeln zustande und rief den letzten Namen.
Unverschämtheit! Dass sie es überhaupt wagten! Rumaru schäumte inwendig vor Wut. Eigentlich hätte dieser Tiko bereits viel früher von einem der anderen Gruppenleiter gewählt werden müssen. Mal ganz abgesehen davon, dass es eine Zumutung war für den Erbprinzen des Hauses Nahne, mit einem Niedriggeborenen zusammen ausgebildet zu werden. Der und ein legitimer Sohn? Im Leben nicht! Legitime Adelssöhne wuchsen niemals mit einem nur zweisilbigen Namen auf. Wahrscheinlich ein Bastard, den dieser Baron Mehme ins Rennen schickte, weil ihm kein besserer Sohn geglückt war.
Der würde es nie in die Königsgarde schaffe, dafür würde er sorgen. Das fehlte gerade noch, dass ein Niedriggeborener in die persönliche Leibgarde des Königs kam.
Natürlich war das immer noch sein Vater. Rumaru ballte erbittert die Fäuste. Warum bestand der überhaupt auf dieser albernen Tradition, dass der zukünftige König mit primitiven, nichtmagischen Kadetten ausgebildet werden musste? Was immer sein Vater an diesen Kreaturen so bemerkenswert fand, Rumaru sah nichts. Aber wenn dieser Tiko verschwinden sollte, dann musste er es geschickt anfangen. Sein Vater predigte immer, ein König müsse unvoreingenommen sein. Der würde es bestimmt nicht mögen, wenn er erfuhr, dass Rumaru den Baronsbastard absichtlich aus dem Kadettenkorps herausbugsierte.
Es durfte also nicht allzu offensichtlich vorgehen. Abwarten. das war immer die beste Taktik, wenn man noch keine hatte.
Und in der Zwischenzeit … kleine Nadelstiche. Bemerkungen, geschickt gesetzt. Bei manchen Leuten reichte das schon, dass sie von selbst abzogen. Vielleicht auch bei diesem Provinzler. Der sprach wie einer, der auf dem Dorf groß geworden war. Intrigen kannte der wohl überhaupt nicht. Da sollte ein versierter Mann leichtes Spiel haben.
Rumaru lächelte böse.
Sein Tag würde kommen, oh ja!
Tiko hatte fast ein wenig Angst bekommen. Der Kronprinz hatte ihn zum Abschied mit einem Blick bedacht, der ihn schaudern ließ. Aber der würde ihn doch sicher nicht verzaubern, oder? Während der Ausbildung war ihm das ja verboten. Komisch, einen Zauberer unter den Kadetten zu haben. Tiko hatte irgendwie immer gedacht, die würden an Tischen sitzen, dicke, alte Bücher wälzen und Zaubersprüche ausprobieren.
Jetzt trottete er mit seiner Gruppe hinter Hauptmann Bodoke her, der sie weiter einweisen wollte.
Jede Gruppe bezog einen gemeinsamen Raum in der größten Kaserne. Tiko wartete, bis alle anderen ihre Pritsche ausgesucht hatten, bevor er das letzte verbliebene Gestell nahm. Es stand hinten in der Raumecke, am weitesten entfernt von den Fenstern, und war somit der wärmste und damit schlechteste Schlafplatz während der langen Sommermonde. Aber wer in der Hackordnung ganz unten stand, durfte keine Ansprüche stellen.
So ließ Tiko sich auch widerspruchslos zu den Diensten einteilen, die die Hochgeborenen nicht verrichten mochten: Stube putzen und Kübel leeren. Letzteres teilte er sich mit Schenomat, dem Sohn eines Fürsten aus dem Süden. Ein merkwürdiger Name. Er klang überhaupt nicht karapakisch. Schenomat grinste seinen Leidensgenossen an. „Sieht wohl so aus, als ob wir die Fußabtreter hier werden. Ich wette, du wunderst dich auch über meinen Namen, stimmt‘s?“
„Ein wenig schon ...“
„Ist ganz einfach.“ Schenomat grinste noch immer. Er schien einer von diesen Naturen zu sein, die das ganze Leben spaßig fanden. „Uns hat Karapak erst kurz vor meiner Geburt erobert. Und mein Vater dachte nicht im Traum daran, mir einen Namen in der Sprache der Eroberer zu geben. Er hat extra einen Namen ausgesucht, der so unkarapakisch wie möglich war. Noch dazu einen, den schon mein Urgroßvater getragen hat, und der hat seinerzeit den ersten Versuch Karapaks, uns zu erobern, erfolgreich abgewehrt.“
„Und da willst du ein Mitglied der Königsgarde werden?“
„Will ich überhaupt nicht, das kannst du mir glauben. Ich bin als so eine Art Geisel hier. Bei den letzten Steuerzahlungen hat mein Vater wohl etwas zu deutlich seinen Unwillen gezeigt. Jedenfalls kam kurz darauf eine königliche Botschaft, dass er seinen ältesten Sohn zur Ausbildung in die Hauptstadt zu schicken hätte. Was dann ich bin. Und du? Was ist mit dir?“
Tiko zuckte mit den Schultern. „Ich hatte das Pech, dass alle meine älteren Brüder im Frühjahr an der Halsröte gestorben sind. Damit war ich plötzlich der Erbe. Und mein Vater war dumm genug, mir nicht gleich einen ausreichend langen Namen zu geben. Jetzt muss ich zusehen, dass ich irgendwie weit genug komme und gut genug bin, dass der König mir einen längeren Namen gewährt.“
„Oh je! Da hast du wirklich Pech gehabt. Hoffentlich schaffst du das!“ Schenomat klopfte Tiko voller Mitgefühl auf die Schulter.
Wenigstens einer, der ihn verstand. Plötzlich sah die Zukunft nicht mehr ganz so trostlos aus.
*
Schenomat blieb allerdings auch der einzige. Alle anderen behandelten Tiko von oben herab und beschränkten ihre Kontakte auf das Minimum. Lediglich der Hauptmann machte eine Ausnahme. Er sah bei den Rekruten tatsächlich mehr auf die Leistung als auf den Namen. Vorerst. Und mit einer Ausnahme: Rumaru.
Sechs der Anwärter wurden bereits nach dem ersten Mond wieder nach Hause geschickt. Wie Hauptmann Bodoke ihnen fast leutselig mitteilte, waren sie wohl eher für den Schreibtisch und die Feder geschaffen als für Schwert und Exerzierplatz. Auch bei den Hochgeborenen in Rumarus Gruppe war einer dabei, der keinen Deut besser war als die nach Hause Geschickten. Allerdings war dieser Taskete inzwischen allem Anschein nach ein enger Freund des Kronprinzen. Bodoke drückte also beide Augen zu.
Enger Freund traf es nicht ganz, dachte Tiko. Eher ein Schleimer. Aber Rumaru schien diese Lobhudeleien zu genießen.
Taskete schleimte nicht nur. Er spionierte und tratschte auch. Tiko war mehr als froh, nicht in Rumarus Gruppe gelandet zu sein. Taskete trug dem Kronprinzen jedes Wort zu, das über ihn geredet wurde, und schien zudem systematisch die Schwächen aller Mitglieder seiner Gruppe auszuloten. Schwächen, die er Rumaru ebenfalls mitteilte und die dieser gnadenlos benutzte, um seine Gruppe zu manipulieren. Keiner beklagte sich darüber, im Gegenteil, jeder schien überdies noch gegen jeden zu kämpfen in dem blinden Eifer, möglichst hoch in der Gunst des künftigen Königs zu steigen.
Und Taskete stichelte. Kleine Seitenhiebe auf alles und jeden, besonders aber auf Tiko.
Tiko hatte noch nie mit einem Großschwert gekämpft? „Der Kleine war vermutlich zu zart, um so ein Schwert überhaupt heben zu können!“
Tiko ging unter seinem Schild zu Boden, als ein doppelt so schwerer und einen Kopf größerer Kadett auf ihn eindrosch? „Der hat nicht mal Verstand genug, um rechtzeitig wegzulaufen. Seht bloß zu, dass der in einem echten Kampf nicht neben euch steht. Der bringt sich selbst um und euch noch dazu!“
Tiko kannte die korrekte Handhabung des Morgensterns nicht? „Vermutlich haben sie bei ihm zu Hause nur Korn dreschen geübt.“
Am schlimmsten aber waren die immer wieder aufflammenden Bemerkungen zu seinem Namen, die süffisant geflüsterten Worte: „Aber er ist bestimmt nur ein Bastard.“ Etwas, was anscheinend alle glaubten.
Tiko fühlte sich in seinem gleich anfangs gefassten Entschluss bestärkt. Sobald er seinen Namen hatte, würde er vom Königshof verschwinden. Das war nicht die Sorte Leben, die ihm gefiel. Lieber eine Burg in den Bergen vor Räubern schützen, als in diesem höfischen Schlangennest sein Leben zu fristen und immer auf seinen Rücken achten zu müssen. Es waren ja nicht nur Worte, die hier als Waffen eingesetzt wurden. Auch der eine oder andere Dolch verirrte sich schon mal, auch in den Übungskämpfen, und Todesfälle im Dunstkreis des Thrones waren nicht ungewöhnlich.