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Steinkind 1083 - Narkassia, beginnender Winter

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Es gab eine Zeit vor den Steinen.

Eine Zeit, in der er eine Familie gehabt hatte, eine Heimat, ein Zuhause.

Eine Zeit vor den weißgesichtigen Ungeheuern.

Freundlich waren sie gewesen, oh ja. Hatten sich zu den Ältesten gesetzt, Brot und Wasser mit ihnen geteilt und dann über die Frostgeister geredet. Darüber, dass Meelas Schutz brauchte, mehr Schutz, als Mauern und Feuer und Schwert ihnen bieten konnten. Die Ältesten hatten zugestimmt.

Wie konnte jemand ehrlich sein und gleichzeitig lügen? Damals hatte er es nicht begriffen, heute schon. Heute beherrschte er selbst diese Kunst.

Helfen wollten sie Meelas, hatten die Weißgesichtigen gesagt. Schutz vor den Frostgeistern sollte das Land finden. Natürlich, dieser Schutz würde Opfer fordern, am meisten von denen, die weit außen, am Rand des Landes, ihre Dörfer hatten, aber die waren es ja auch, die ohnehin schon die Hauptlast der Abwehr gegen die Frostgeister trugen.

Die Ältesten hatten genickt. Und die Laren hatten gelächelt.

Noch heute packte ihn Schrecken, wenn er an dieses Lächeln dachte. Noch heute sah er es in seinen Alpträumen. Nicht mehr so häufig wie früher, aber häufig genug.

Damals … damals war er geflohen. Dieses Lächeln war ihm zu unheimlich gewesen. Seine Mutter hatte noch hinter ihm hergerufen. „Bleib, du dummer Junge!“, hatte sie ihn gescholten, aber sie war ihm nicht nachgekommen, und auch kein anderer, denn es war Sommer, die Frostgeister waren weit fort in den Eisbergen, die Hornziegen sorgten dafür, dass die Raubtiere dem Dorf fernblieben und so wusste sie, dass für ihn keine Gefahr bestand.

Genau zu diesen Ziegen war er gelaufen, hatte sich in der Herde versteckt, war mit ihnen am Abend zum Grat aufgestiegen, weit hinauf, wie die Hornziegen es liebten.

Die Hirten hatten den umgekehrten Weg gewählt, waren hinab ins Dorf gegangen, die unerwarteten Gäste zu feiern.

Sie waren in den Tod gegangen.

Nein, in etwas, das schlimmer war als der Tod. Er erinnerte sich. Gelächter war dort unten im Tal zu hören gewesen, er hatte die Menschen, klein wie Spielzeug in der Entfernung, zwischen den Hütten gehen sehen, einige der jungen Männer und Frauen hatten sich zum Tanz um das Festfeuer eingefunden. Lieder hatte er gehört und er war kurz davor gewesen, seinem knurrenden Magen mehr Glauben zu schenken als seinem Instinkt.

Und dann waren die Lieder verstummt.

Er hatte niemanden mehr gesehen.

Das Feuer war langsam heruntergebrannt, ohne dass jemand kam, Holz nachzulegen.

Sein Herz hatte sich angefühlt wie ein Klumpen Eis, als nach und nach auch die Rauchfahnen aus den Schornsteinen der Häuser vor dem sternhellen Nachthimmel erloschen. Die Kochfeuer gingen niemals aus. Nie!

Dann ging die Sonne auf. Die zwei Weißgesichtigen kamen aus dem Haus des Dorfvorstehers und gingen bedächtig auf ihren kurzen, dicken Beinen Richtung Hochtal, Richtung Hauptstadt.

Es gab noch anderes Leben im Dorf. Er konnte das gefleckte Fell von dem großen Hütehund des Dorfvorstehers ausmachen. Der Hund umkreiste das Haus, wagte sich aber nicht hinein.

Er war hinuntergeklettert, langsam, um seiner Welt Zeit zu geben, wieder normal zu werden.

Aber das wurde sie nicht.

Da war niemand in dem Dorf. Stattdessen … Steine. Vierkantige, graue Steine, halb so groß wie er selbst. Um die kalte Feuerstelle, in den Häusern.

Er war zurückgewichen, langsam erst, dann fast rennend. Der gefleckte Hund war ihm gefolgt.

Auf halbem Weg zwischen den Ziegen und dem Dorf hatte er den Rest des Tages gewartet. Mit knurrendem Magen und brennendem Durst und soviel Angst, dass er den Hund krampfhaft festhielt und nicht von seiner Seite ließ.

Dann war die Sonne untergegangen. Etwas hatte sich bewegt im Dorf. Einen Moment hatte er gedacht, sie sind zurück, alles ist wieder gut. Dann sah er, dass es nur die Steine waren. Sie glitten durch Geröll und Gras wie Schnecken über Gemüseblätter. Der erste kam unweit von ihm zum Stehen. Die anderen verteilten sich nach links und rechts, in ungefähr gleichen Abständen.

Da war es ihm eingefallen. Die Weißgesichtigen hatten davon gesprochen, eine Art Schutzzaun gegen die Frostgeister zu errichten. Und davon, dass das Dorf einen Preis zahlen würde. Zum Wohl des ganzen Landes.

Steine. Sie waren alle zu Steinen geworden. Seine Eltern. Seine Geschwister. Seine Nachbarn. Deren Kinder. Die Ältesten. Alle.

Er hatte sich übergeben. Es war nichts in seinem Magen gewesen, aber er hatte gewürgt, bis die bittere Galle herauskam.

Dann war er davongestolpert. In der Nacht, nur mit dem Hund an seiner Seite. Fort, weg von dem Dorf, weg von dem Hochtal, aus dem die Teiggesichter gekommen waren.

Der alte Mann starrte blicklos in die Nacht.

Die Schneeflocken tanzten um ihn herum. Er rührte sich nicht. Hier in Narkassia war der Schnee harmlos. Hier gab es keine Frostgeister.

Steinfaust

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