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Anfang des Jahres 1995 wurde die Region um die japanischen Millionenstädte Kobe und Osaka von einem gewaltigen Erdbeben der Stärke 7,2 auf der Richterskala erschüttert. Mehr als 5.000 Menschen kamen dabei ums Leben und fast 27.000 wurden verletzt. Die Zerstörungen hatten nahezu apokalyptische Ausmaße und alle Welt zeigte sich darüber erschüttert, obwohl manche Kommentatoren darauf hinwiesen, dass solche Katastrophen die offensichtlich fragilen japanischen Inseln seit Jahrhunderten mit unschöner Regelmäßigkeit heimsuchten.

In Europa war es seit über tausend Jahren zu solch fürchterlichen Ausbrüchen der nur wenige Kilometer unter der Erdkruste liegenden Magmaschicht nicht mehr gekommen. Dennoch sorgten die gelegentlichen Ausbrüche des Ätna oder eines der zahlreichen Isländischen Vulkane auch hier oft genug für Angst und Schrecken unter den Europäern. In den 90er Jahren des zu Ende gehenden Jahrtausends widmeten sich die Regierenden daher eher dem Aufbau einer Europäischen Union, ob die Massen das wollten oder nicht. Mit Jahresbeginn waren auch Österreich, Finnland und Schweden der EU beigetreten, so dass der Bund jetzt aus fünfzehn Mitglieder bestand. Norwegen hatte höflich abgelehnt!

Am 3. Februar war auf einem Truppenübungsplatz bei Potsdam die feierliche Eingliederung verschiedener Truppenteile der ehemaligen Nationalen Volksarmee der DDR in die Bundeswehr erfolgt. Als Mitglied des Verteidigungsausschusses der letzten Volkskammer und des gesamtdeutschen Übergangsparlamentes hatte Wauer im Evaluierungsausschuss zur personellen Eignungsprüfung dieser DDR-Soldaten für ihren Dienst in der Bundeswehr mitgearbeitet und selber etwa zweihundertfünfzig NVA-Angehörige verschiedener Ränge und Waffengattungen interviewt. Er erinnerte sich an manche kuriose Begegnung und einige denkwürdige Gespräche.

Natürlich hatte er zu diesem Ereignis eine Einladung erhalten. Darum war er nach Potsdam gereist, um bei dieser Gelegenheit neben der aktuellen „Politelite“ noch einmal einige Ausschussmitglieder und frühere NVA-Soldaten zu treffen. Es folgten in jenem Jahr zahlreiche Gedenkfeiern aus Anlass des 50. Jahrestages des Endes des Zweiten Weltkrieges. Wauer hatte am 13. Februar auch an der Gedenkfeier der Totalzerstörung seiner Landeshauptstadt Dresden teilgenommen, an der auch Regierungsvertreter und Veteranen der Siegermächte teilnahmen. Der Streit um die Toten war erneut hochgeflammt. Manche nannten immer noch die Zahl von 225.000. Angaben über die Verwundeten gab es dagegen überhaupt keine und eine Differenzierung nach Alter, Geschlecht, Einheimischen und Flüchtlingen war nach den Feuerstürmen der Nächte vom 13. auf den 14. und noch einmal vom 14. auf den 15. Februar 1945 nicht möglich gewesen. Niemand konnte oder wollte die Menge der bei diesen Angriffen getöteten Kinder beziffern.

Später, im Jahre 2004, wurde schließlich eine „Historikerkonferenz“ beauftragt, die den Streit um die Opfer des „Dresdener Holocaust“ mit wissenschaftlichen Methoden beenden sollte. Man einigte sich auf 25.000 Tote, doch Wauer glaubte nicht daran. Die Bilder und Filmdokumente, die man unter anderem im Dresdener Verkehrsmuseum betrachten und sogar erwerben konnte, sprachen seiner Meinung nach eine andere Sprache. Wahrscheinlich lag die Wahrheit ungefähr in der Mitte, wie so oft in dieser Welt, wenn Machteliten an einer Verschleierung ihrer Verbrechen interessiert sind.

Deshalb war Wauer auch ein Gegner des Wiederaufbaus der Frauenkirche gewesen. Aus kirchgemeindlicher Sicht war eine weitere Kirche im Zentrum der Stadt überhaupt nicht erforderlich, weil direkt gegenüber am Altmarkt bereits die evangelische Kreuzgemeinde der ehrwürdigen Kreuzkirche mit dem weltberühmten Kruzianerchor residierte. Und die Dresdener Katholiken hatten ihre wunderbare Hofkirche, in der einst der konvertierte Polenkönig August der Starke das Hochamt genommen hatte.

Was Wauer als wesentliches Argument gegen einen Neubau erschien, war die Tatsache, dass damit das letzte, im wahrsten Sinne des Wortes „hervorragende“, Mahnmal des Kriegswahnsinns aus seiner Landeshauptstadt verschwand. Doch bereits 1991 war die „Stiftung für den Wiederaufbau Frauenkirche“ gegründet worden, die den gesamten Prozess leitete. Im selben Jahr hatte die sächsische evangelische Landessynode den Neuerrichtung der Frauenkirche rechtskräftig beschlossen. Willige Künstler, wie der Startrompeter Ludwig Güttler, spannten sich vor den Karren der Spendenkampagne, denn man behauptete, dass dieses Vorhaben allein mit Spendenmitteln finanziert werden würde. Dass auch staatlich anerkannte Spenden Steuermittel waren, ließ man dabei außer Acht. Im Rahmen seiner bescheidenen Möglichkeiten als Zittauer Kreistagsabgeordneter hatte Wauer damals dennoch versucht, gegen den vorgesehenen, historisierenden Wiederaufbau dieses einst unter der Leitung von George Bähr im Jahre 1743 vollendeten spätbarocken sakralen Monumentalbaus zu Felde zu ziehen.

Zu den weltweiten Gedenkfeiern zum Ende des Zweiten Weltkrieges waren erstmalig in der Nachkriegsgeschichte auch der deutsche Kanzler Kohl und Bundespräsident Herzog von den alliierten Siegermächten – USA, England, Frankreich und Russland – nach Paris eingeladen worden. Roman Herzog beschwor in seiner Ansprache besonders die Notwendigkeit von Völkerfreundschaft und Aussöhnung. Er brachte zum Ausdruck, dass das deutsche Volk die Masse der Gedenktage seiner Meinung nach würdig, aber unsentimental begehe. Die Schmerzen und das Elend von Flucht und Vertreibung von Millionen seien nun weitgehend ausgestanden. Und Deutschlands Aufteilung auf der Potsdamer Konferenz seien vor fünf Jahren endgültig korrigiert worden.

Alle Redner der deutschen und internationalen Politelite wiederholten immer wieder das gleiche Gelöbnis, dass von deutschem Boden nie wieder Krieg ausgehen sollte. Wieso eigentlich nur von deutschem Boden?, fragte sich Wauer. Denn ungeachtet dessen hatte es seit 1945 dutzende Kriege gegeben und der aktuelle der Krieg in Jugoslawien ging mit unverminderter Härte und mit deutscher Beteiligung weiter.

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