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7. Gefühlswelten

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Die Anklageschrift des Zittauer Staatsanwaltes Sebastian Matthieu vom 20. November 2000 führt zur Beurteilung des damaligen Ehelebens des Oberlausitzer Paares im Jahre 1992/92 folgendes aus:

...Am 21.04.1982 kauften die Eheleute I. das Grundstück Hutungswiese in Jonsdorf vom Vorbesitzer Herbert T., der seinerseits in die damalige BRD übersiedelte...

Mit dem ihm eigenen Geschick führte der Angeklagte umfangreiche Baumaßnahmen an dem genannten Grundstück durch, wobei seine Ehefrau jeweils tatkräftig zur Hand gehen mußte. Zeugen beschreiben, dass Sonnhild I. mitgearbeitet habe ´wie ein ´Vieh´, und dass sie durch ihren Ehemann während des Baugeschehens regelmäßig angeschrieen und traktiert worden sei [...] Das Verhältnis der Eheleute I. untereinander darf als ´unterkühlt´ charakterisiert werden. Für den Angeklagten war es offensichtlich wichtig, dass eine Frau im Hause ist, die den Haushalt bewältigt und für die Betreuung der Kinder da ist. Somit hatte der Angeklagte dann die Freiheiten, seinen Interessen, nämlich Bau- und Handwerkerarbeiten, nachzugehen. Auf familiäre Belange nahm er dabei wenig Rücksicht. Als der Angeklagte 1991 auf Montage nach Spanien ging, war seine Ehefrau nur spärlich darüber informiert, wo er sich aufhält. Auch war ihr weder bekannt, wie sie persönliche Kontakte zum Angeklagten in Spanien unterhalten konnte, noch wusste sie, zu welchen Zeiten der Angeklagte von Montage nach Hause zurückkehrt. Eine Verständigung der Eheleute zu diesen Zeiten war lediglich dadurch möglich, dass sich Sonnhild I. regelmäßig an den Wochenenden bei ihren Schwiegereltern, Elfriede und Joachim I., in Bertsdorf einfand, die wussten, wie Peter I. zu erreichen war. Die dann geführten Telefonate waren von wenig Herzlichkeit geprägt. Der Zeuge J. berichtet dazu, das Sonnhild ihm gegenüber zum Ausdruck gebracht habe, dass die telefonischen Kontakte mit dem Ehemann nur eine Art ´Befehlsempfang´ seien.

Während der Zeit der Abwesenheit des Angeklagten mietete der Zeuge Rudolf J., der als Unternehmensberater den Aufbau verschiedener Firmen in Ostsachsen fördern wollte, eine Ferienwohnung im Hause I. an. In der weiteren Folge kam es zu vertrauensvollen Gesprächen, wobei Sonnhild I. über Probleme in der Ehe berichtete. Sonnhilds Unzufriedenheit und die Zuwendungen des Zeugen J. führten dazu, dass sich ein intensives Verhältnis einschließlich sexueller Kontakte zwischen den beiden entwickelte...“

Der damals noch junge Görlitzer Staatsanwalt war einer von den etwa 45 Prozent vormals im Staatsdienst der DDR tätigen Justizangestellten, die in den neuen sächsischen Justizapparat übernommen wurden. In seiner Anklageschrift hat er die Gefühlswelten im Hause I. in nüchternen, allerdings deutlich gegen den Angeklagten voreingenommenen Worten, geschildert. Ob diese Ehe tatsächlich so zerrüttet war, erschließt sich besser aus den Niederschriften der Ermittler aus dem Jahre 1992.

Bevor dies alles geschah, hatte ich Rudolf J. während meiner kurzen Zeit als Abgeordneter im 16. Deutschen Bundestag in Bonn für eine Weile in unsere Wohnung in Berlin, die nahe am ehemaligen Stasigefängnisses von Hohenschönhausen lag, einquartiert. J. war ein ruhiger, großer, drahtiger Typ und ehemaliger Boxer, mit dunklen, grauen Augen, hoher Stirn und schütterem Haar. Er stand in seinem fünfzigsten Lebensjahr, was arbeitslos, gab sich aber als typischer, weltgewandter, westdeutscher Großstädter. Während er arbeitete, rauchte er ununterbrochen starke Zigaretten und trank literweise Kaffee. Um ihn herum, besonders in seinem kleinen roten Peugeot, sah es stets liederlich bis chaotisch und verdreckt aus. Alsbald natürlich auch unsere Berliner Wohnung, was zu einigen Auseinandersetzungen zwischen uns führte. Wenn Rudolf irgendwo residierte, vereinnahmte er ohne jede Zurückhaltung seine Umgebung und errichtete um sich herum umgehend seine spezielle „Ordnung“. Schließlich zog er auf meine Vermittlung erst in das ehemalige Haus unserer Großmutter zu Lydia W. auf der „Hutchwiese“ und wegen baldiger Auseinandersetzungen mit dieser etwas schwierigen Vermieterin in das Haus I.

Wann er mir gestand, dass er sich unsterblich in Sonnhild verliebt habe, weiß ich nicht mehr genau. Es kann in der Vorweihnachtszeit im Jahre 1991 gewesen sein. Schließlich ist die dunkle Adventszeit bei den meisten Menschen eine gefühlsanfällige Periode. Mord- und Selbstmordstatistiken steigen in diesen Wochen in allen christlichen Ländern dieser Welt drastisch an. Beiden stand nicht nur das Weihnachtsfest bevor, sondern außerdem ihre Geburtstage. Und beide waren im Grunde einsame Menschen.

J. erzählte mir, dass Sonnhild in unglaublicher Weise seiner ersten, an Krebs verstorbenen, Frau ähnele und er große Gefühle zu dieser Oberlausitzerin hege. Er wolle die innig Geliebte aus ihrer Eheknechtschaft und provinziellen Abgeschiedenheit und Verkümmertheit unbedingt herausholen. Ein großes Problem seien allerdings die Kinder, die sich vehement gegen eine Trennung ihrer Eltern stellen würden.

Meine Gefühle waren ebenfalls durcheinander. Rudi war siebzehn Jahre älter als Sonnhild. Was bedeutete das für sie? Ich mochte die Nachbarn, wusste, dass Peter ein typischer Oberlausitzer Granitschädel, ein „Workoholic“ und manchmal nicht einfach war. Ich fühlte mich irgendwie schuldig an dem sich anbahnenden Drama, in das wir vier Erwachsenen und die beiden Jungs unmittelbar verwickelt wurden. Allerdings war ich mir ziemlich sicher, dass Sonnhild, die am 30. Dezember 33 Jahre alt werden sollte, Rudolf J. nicht über alle Maßen liebte oder gar mit dem Gedanken konform ging, zu ihm nach Hamburg zu ziehen. Aber in der Folgezeit konnte ich bei meinen gelegentlichen Besuchen in Jonsdorf feststellen, dass Sonnhild die Zuwendung J.s, ihre gemeinsamen Ausflüge nach Dresden oder nach Prag und einmal sogar nach Hamburg, durchaus gefielen. Hatte sie früher vielleicht gar nicht wahrgenommen, dass es noch etwas anderes als Arbeit, Häuslebauen, Kinder und Garten auf der „Hutchwiese“ gab, zeigte ihr der Hamburger nun die neue „weite Welt“ und füllte offenbar auch noch die sexuelle Lücke ihres ziemlich kühlen Ehelebens aus. Allerdings haben das die beiden mir gegenüber niemals zugegeben. Aber mit der Zeit begann Sonnhild wohl zu ahnen, was ihr zukünftig alles fehlen könnte.

Von all dem wusste der ferne, ein wenig desinteressierte aber vertrauensselige Ehemann zunächst nichts. Ihm war vor allem wichtig, dass er genügend Geld nach Hause brachte.

Im Oktober des Jahres 2012 fand ich beim Studium der mir vorliegenden Zweitakte, welche Peter I. nach seinem Freispruch übergeben wurde, einen Brief Rudolf J.s vom 1. Februar 1992:

Liebe Sonnhild,

Da ich diesen PC bedienen und alle Dateien lesen kann, habe ich eben die Datei ´Peter´ gelesen. Es ist sicherlich ein Einbruch in Deine Intimsphäre und ich bereue es. Du bist innerlich gespalten, aufgrund Deiner Erziehung auch an Verhaltensweisen gebunden, die es in einer Wolfsgesellschaft nicht gibt. In dem Buch über menschliches Verhalten las ich, daß die Frau aus dem Besitz des Vaters in den Besitz des Mannes übergeht und ihre eigentliche Aufgabe mit dem Gebären von Söhnen erledigt sei. Sie bleibt im Besitz des Mannes und kommt selbst im Alten Testament ganz am Ende der Skala dieses Besitzes (nach Söhnen, Haus, Acker, und Ziegen).

Frauen sind Mangelware. Der Mann ist von Natur aus promisk aber im Gegensatz zu den Frauen nur beschränkt orgasmusfähig. Bei Frauen steigt mit der Menge der Orgasmen deren Intensität. Bei den Männern nicht. Daher neigen sie zu einem Wechsel der Partnerschaft (es geht ja auch mehrgleisig) und sind dann mit dem anderen Partner wieder zu intensiverem Erlebnis fähig. Schlicht gesagt, wenn die Beziehung länger dauert, ist sie eingefahren und ´Mann´ sucht sich was Neues. Wenn er nicht andere Partnerinnen sucht, sucht er sich Ersatzbefriedigung (Saufen, Spielen und als schlimmste Form Arbeitswut und Streben nach Besitz und Reichtum). Egal, in welcher Form diese Ersatzbefriedigung gesucht wird, ist es doch fast immer eine Flucht aus der realen Wirklichkeit und der Unlösbarkeit der klar daliegenden Probleme. Beieinanderbleiben bedeutet eigentlich nichts mehr. Auseinandergehen bedeutet für beide Teile Angst vor der eigenen Unfähigkeit, die Zukunft allein zu gestalten. (Allein mit den Kindern oder allein mit einem anderen Partner, also das Eingeständnis des nicht ´an sich selbst Glaubens´.)

´ Und setzt Ihr nicht das Leben ein, nie soll Euch das Leben gewonnen sein!´Schiller

Liebste Sonnhild, es ehrt Dich, daß Du kämpfst.

Diesen Kampf gewinnst Du nicht allein!

Eine Beziehung besteht aus zwei Menschen.

Es ist nicht wichtig, daß man einander ansieht, sondern nebeneinander steht und in die gleiche Richtung schaut. Wenn Du aber um die Beziehung mit Peter kämpfst, mußt Du selbst daran glauben, daß es eine gemeinsame Zukunft gibt. Nicht nur das Familienleben mit den Kindern ist wichtig, sondern wie Deine ganz persönliche Beziehung zu ihm ist.

Liebst Du ihn? Begehrst Du ihn? Bist Du gern mit ihm zusammen? Tut er etwas für Dich auch ohne vorherige Ansage von Dir?

Hast Du ihm die Narben auf Deiner Seele verziehen, die von Wunden stammen, die er Dir zufügte?

Gibt es ein vertrautes Gespräch, die liebevolle Hinwendung zu den Problemen, die Dich beschäftigen? Gibt es geistige Auseinandersetzung, Streben nach Kultur und Bildung?

Erhältst Du durch Deine Beziehung Selbstbewußtsein und Selbstwertgefühl? Auch gemeinsamen Glauben?

Sind das überhaupt Fragen, die Du Dir gestellt hast?

Solltest Du sie Dir nicht stellen? Z.B.: Wer bin ich? Woher komme ich, Wohin will ich? Was will ich?

Nachdenken über Vergangenes ist oft hart, die richtigen Entschlüsse zu fassen für eine Zukunft noch schwerer. Aber es sollte damit beginnen, daß Du die Phantasie aufbringst, mögliche Entwicklungen zu Ende zu denken. Du bist viel klüger, als Du selber weißt: Du hast von Deinem Elternhaus sehr viel Herzensbildung und Zusammengehörigkeitsgefühl mitbekommen. Nur ist die Welt anders und andere Menschen haben dafür eventuell kein Gefühl. Also ist Erkenntnis dessen, was ist, die erste Stufe einer Analyse des künftig Möglichen (Realität). Bedenke dies und komme vom Nachdenken zum Denken und von da zum Handeln. Peter wird es nie tun (meine ich nicht böse).

Grüße Rudi

Keine lieben Grüße und keine guten Wünsche! Einfach nur Grüße! Und ein eklatanter Vertrauensbruch nach einem reichlichen Jahr der Beziehung zwischen den beiden. Dabei wird deutlich, dass die „Geliebte“ darüber nachdachte, Rudolf J. den Laufpass zu geben und zu ihrem Mann zurückzukehren.

Anfang März 1992 rückte Sonnhild in das Spezialkrankenhaus Rothenburg zur Operation ihres linken Schultergelenkes ein. Wie der Gemütszustand der Patientin und ihres besorgten Liebhabers Rudolf J. in jener Zeit war, mag ein weiterer Brief des Hamburgers verdeutlichen, der sich ebenfalls bei der ersten Ermittlungsakte befindet:

Ebersbach, den 7. März 1992

Liebe Sonnhild,

nun liegst Du in Deinem Krankenbett und bist ganz groggy und ich laufe mit schweren Gedanken herum.

Einerseits möchte ich nichts tun, was Dich in dieser Zeit belasten könnte. Es soll alles so sein, daß Du Dich auf Deine Gesundung und ein Leben mit zwei benutzbaren Armen konzentrieren kannst.

Alle meinen guten Wünsche begleiten Dich dabei. Ich werde, wenn Du magst, Dich auch jeden Tag in Rothenburg besuchen.

Aber eine Voraussetzung für eine ganzheitliche Gesundheit ist nicht nur die Gesundheit des Körpers, sondern auch die Heilung des Geistes und der Seele. Da sehe ich für den Moment ein Problem.

Gedankenschwer hast Du mir mitgeteilt, daß Du mit mir reden wolltest. Das hast Du getan und mir gesagt, daß Du so nicht leben kannst und es daher gut sei, wenn ich bei Dir ausziehen würde. Diese Entscheidung habe ich ja schon mehrere Male von Dir erfragt, denn auch für mich ist so ein Zustand recht arg. Nun hast Du mir auf meine Nachfrage gesagt, daß Peter das wolle und Du es mir nun gesagt hast.

Unabhängig davon, daß es richtig so ist und eigentlich egal ist, vom wem diese Entscheidung kommt, erhält diese ganze Angelegenheit so einen ganz anderen Touch. Wieder einmal (wie sicher oft in Deinem Leben) entscheidet Peter I. und Sonnhild tut was er will. Es wird so geschehen, wie wir (nun aber nur Du und ich) entschieden haben und wir werden hoffentlich in Zukunft so miteinander umgehen, daß die Wahrhaftigkeit nicht leidet.

Es wäre gut und richtig für Dich, wenn Du durch Nachdenken zu den Entscheidungen kommen würdest, die die Richtung Deines Lebens bestimmen. Ich und auch kein anderer Mensch kann wissen, was Du denkst und fühlst. Es ist nicht Deine Aufgabe, so zu handeln wie ich oder jemand anders es will, sondern wie Du es willst. Du bist nicht allein und mußt daher auch immer mit einbeziehen, was nötig ist für die Kinder. Das beginnt an jedem Morgen und endet am Abend. Es ist schwer dabei Zeit zu finden für Dinge, die Dir wichtig sind. Peter beherrscht das perfekt, er schiebt alles weg, was ihm und seinen Plänen hinderlich ist. (Und lieb ist er solange zu Dir, wie es nötig ist, Dich zu besänftigen).

Fasse meinen Brief bitte positiv auf, wenn ich nicht so großes Interesse an Dir haben würde, so nähme ich mir nicht so viel Zeit, um mich mit Dir zu beschäftigen.

Erinnere Dich beizeiten an diese Zeilen und gehe mit mir wahrhaftig um.

Mit vielen Grüßen

Rudolf“

Arbeitete sich da einer bereits an einer in Wahrheit unerwiderten Liebe ab? Bieten diese Zeilen etwa eine Verdachtsgrundlage für die Ermittlungsbeamten, die später zur zeitweiligen Observation des „Zeugen“ Rudolf J. führte?

Die Anklageschrift sagt hierüber nichts aus. Staatsanwalt Matthieu unterließ es auch wohlweislich, darüber Spekulationen anzustellen. Lakonisch heißt es unter:

a) Vorgeschichte

Am 09.04.1992 kehrte der Angeklagte von seiner Montagetätigkeit unangekündigt nach Hause zurück. Zu diesem Zeitpunkt öffnete ihm der Zeuge J. die Tür, während seine Ehefrau Sonnhild I. unbekleidet in der Badewanne saß. Für den Angeklagten wurde hierbei offenkundig, dass zwischen Rudolf J. und seiner Ehefrau mehr als nur eine einfache Bekanntschaft bestand. Er verlangte vom Zeugen J., dass dieser sofort aus der Ehewohnung ausziehen solle. Diesem Wunsch kam Rudolf J. ein oder zwei Tage später nach.“

Daran stimmen drei Dinge allerdings nicht: Rudolf J. bewohnte nicht die Ehewohnung der I.s, sondern eine der drei Ferienwohnungen gegen Entgelt. Er hatte auf Wunsch der „Geliebten“ auch bereits ein Pensionszimmer in Walddorf am Kottmar, an dessen Hängen die Spree entspringt, bezogen. Sonnhild hatte den Hamburger bereits über einen Monat vorher gebeten, von der Hutungswiese wegzuziehen. Zudem fehlt in der Anklageschrift der Hinweis, dass der linke Arm der frisch operierten Frau in einem von Körper abstehenden Streckgips steckte, welcher von einem am Oberkörper angebrachten Stützkorsett in einer äußerst unbequemen Lage gehalten wurde. Am 15. April sollte sie wieder in das Rothenburger Krankenhaus einziehen, um sich einer Spezialtherapie mit schmerzhaften physiotherapeutischen Übungsstunden zu unterziehen. Davor graute ihr.

Im Rahmen der Auseinandersetzungen wegen des Rudolf J. mit ihrem Ehemann Peter konfrontierte Sonnhild diesen schließlich mit ihrer Absicht, sich von ihm zu trennen. Die Situation eskalierte:

...Anfangs habe der Angeklagte herumgebrüllt und dann habe man sich nur noch angeschwiegen. Zu einer tätlichen Auseinandersetzung sei es dann am 13.04.1992 gekommen. Sonnhild I. sei gerade dabei gewesen, ihre Sachen für einen (den d.A.) Krankenhausaufenthalt zusammenzupacken, als der Angeklagte von hinten an sie herantrat und sie mit beiden Händen zu würgen begann. Durch einen Tritt auf die Zehen konnte sie sich zwischenzeitlich befreien. Der Angeklagte ist ihr jedoch hinterher gekommen, hat sie am Oberkörper gepackt und auf das Bett geworfen. Dabei ist der Gipsverband im Bereich der operierten Schulter, der extra angelegt worden war, am Arm zerbrochen. Die Würgeversuche des Angeschuldigten sind auch beendet worden, weil die Kinder der Eheleute I. zum Geschehen hinzutraten. Unmittelbar danach hat der Angeklagte seine Ehefrau in die Nase gebissen, die daraufhin zu bluten begann. In der weiteren Folge ist man dann an jenem Abend noch nach Rothenburg gefahren, wo der zerbrochene Gips repariert wurde. (Vergl. ZV Sonnhild I., Bl. 365 ff., 98 f.d.R. d.A.)“

Diese Darstellungen stehen, wie alle diesbezüglichen Behauptungen einiger Nachbarn und späterer Zeugen über angebliche dauernde Gewalttätigkeit Peter I.s, im krassen Gegensatz zu unserer langjährigen Erfahrung beim Umgang mit dem Ehepaar I. Wir hatten natürlich eine gewisse Gefühlskälte und ein stets berechnendes Wesen des Oberlausitzer Granitschädels festgestellt. Sein Auftreten gegenüber den Kindern war zwar von einer gewissen Strenge und Härte gekennzeichnet, aber stets ruhig, gerecht und niemals unfreundlich gewesen. Auch dass Peter ein Trinker gewesen sein solle, ist pure Erfindung. Er trank schon mal eine Flasche Radeberger mit, aber er wollte immer bereit sein zum Autofahren, denn vor der Wende wurde selbst der geringste Alkoholgehalt im Blut drastisch geahndet.

Ich hatte sogar ein gewisses Verständnis dafür, dass er an jenem Abend so ausgerastet war. Denn wenn ich von einer längeren Dienstreise nach Hause zurückgekehrt wäre und mein Freund Rudi J. hätte im Bad bei meiner nackt in der Wanne badenden Ehefrau gesessen, wäre ich wohl auch gehörig ausgeflippt. Nur - uns hat weder 1992 noch 1993 oder1994 irgendeiner von den zahlreichen Ermittlern je dazu befragt!

Sonnhilds Behandlung im Krankenhaus war langwierig und schmerzvoll und dauerte bis zum 8. Mai 1992. Rudolf J. hat sie in dieser Zeit fast täglich besucht. Als er einen Job in Großschönebeck bei Berlin angenommen hatte, teilte er in einem weiteren Brief an Sonnhild unter anderem mit, dass er für acht Tagewerke 11.280 DM erhielte. Das waren die Wochensätze, die die westlichen Unternehmensberater allgemein für Ihre Tätigkeiten in den neuen DDR-GmbHs kassierten. Was mag die Oberlausitzer Textilarbeiterin und Beiköchin darüber gedacht haben? Am 9. Mai wurde sie entlassen, kehrte jedoch nicht in ihr Haus an der „Hutchwiese“ zurück, sondern wohnte mit dem kleinen Sohn vorübergehend bei ihren Eltern in Dittelsdorf.

Noch während ihres Krankenhausaufenthaltes war sie mit Rudolf J. zu einer Löbauer Rechtsanwältin gefahren, um die Ehescheidung einzuleiten. Die Trennungsanzeige wurde Peter I. am 13. Mai zugestellt. Unter anderem forderte Sonnhild fürs Erste 550 DM Kindesunterhalt und 500 DM Trennungsunterhalt.

Am Vortag hatte sie, ebenfalls unter Anleitung Rudolf J.s, Strafanzeige bei der Polizei in Zittau wegen Körperverletzung gegen ihren Ehemann gestellt. Wie sehr sie in ihrer seelischen Not auf den Beistand ihrer Eltern hoffte, mag ein Brief vom 29. und 30. April 1992 aus dem Krankenhaus Rothenburg belegen.

Meine lieben Eltern!

Heut ist es schon wieder Mittwoch. Im Moment sitze ich sehr kaputt im Bett. Jeden Morgen 7:00 Uhr muß ich zur Therapie. Die Bewegungsübungen sind mächtig anstrengend und gehen oft über die Schmerzgrenze. Morgen ist Chefvisite und dann werde ich erfahren, wann ich nach Hause kann. Jetzt reden sie jedenfalls von Sonnabend. Wenn ich daran denke, bekomme ich ganz schön Herzklopfen. Noch nie bin ich so ungern nach Hause gegangen wie diesmal.

Am Sonntag waren meine beiden Kinder bei mir. Ich habe sie sehr lieb. Hoffentlich mute ich ihnen nicht zuviel zu, mit dem, was ich vor habe.

Ich will dann mal in die Telefonzentrale gehen. Ich möchte auch mal die Rechtsanwältin in Löbau sprechen. Ich habe Angst vor dem, was mich erwartet. Ich hoffe nur, daß ich stark bleibe und meinen Weg zu Ende gehen kann.

Gestern war F. nur allein mitgekommen. Andreas war in Zittau zum Crosslauf. Peter hatte mir wieder nichts zu sagen, außer, daß er mir Vorwürfe machte. Da denke ich, lieber Vati, an Dich und lasse mich auf kein Gespräch ein. Das macht ihn richtig wütend. Da kann ich von Liebe nichts mehr spüren, die er mir vor ein paar Tagen noch geschworen hat. Diese Erkenntnis macht aber auch meinen Entschluß leichter.“

Am nächsten Tag fährt Sonnhild fort:

30.4.92

Nun ist schon wieder Donnerstag und wir haben gerade erfahren, daß in unserer Mittagspause die große Visite sein soll. Die zwei Patienten aus unserem Zimmer haben schon ihre Taschen bekommen. Sie haben genau wie ich gesagt bekommen: ´eventuell Sonnabend´. Bei mir sind sich die Schwestern noch nicht sicher. Na ja, ich lasse mich überraschen.

Gestern war Peter wieder mit den Kindern da. Er machte natürlich gleich wieder Stunk. Da habe ich ihn gefragt, ob er mich nicht mit den Kindern allein lassen könnte. Das wollte er natürlich nicht, sondern (er ist) gleich wieder mit den Kindern nach Hause gefahren.

Bei den Entlassungen bin ich diesmal immer noch nicht mit dabei. Der Chefarzt hat gesagt, daß ich noch 1 Woche Bewegungsübungen brauche. Ich habe jetzt auch schon Übungen machen müssen, die noch gar nicht gemacht werden sollten. Deshalb habe ich auch solche Schmerzen. Es war eben doch eine andere OP , als bei dem ersten Arm.

So nun will ich aber aufhören von mir zu schreiben. Ich hoffe bei Euch ist alles gut gelaufen. Ich habe oft an Euch gedacht und hoffe, Ihr seid wieder heil zu Hause angekommen und habt eine schöne erholsame Woche erlebt. Ich würde mich freuen, wenn Ihr mich noch einmal hier in Rothenburg besuchen würdet. Ihr habt bestimmt viel zu erzählen.

Nun will ich hoffen, daß der Brief noch bis Sonnabend in Dittelsdorf ankommt. Heut ist Donnerstag und morgen 6:45 Uhr wird der Krankenhausbriefkasten wieder geleert.

Seid alle beide ganz lieb gegrüßt

von Eurem Sorgenkind

Sonnhild“

Erst am 18. Mai kehrte Sonnhild mit dem kleinen Sohn in das Grundstück an der Hutungswiese zurück. An Vormittag hatte sie auch den Trabant zum Autohaus Olbrich nach Großschönau gebracht, um ihn dort zu verkaufen. Sie glaubte und gab das auch zu Protokoll, dass ihr Mann das Fahrzeug manipuliert hatte, um sie in einen - möglichst tödlichen - Unfall zu verwickeln. Dieser Verdacht war, wie die technischen Gutachten belegen, vollkommen unbegründet.

Doch die Frau hatte offenbar wirklich Angst vor ihrem Ehemann. Oder ist das auch nur ein Mythos, der von ihr und ihrem Liebhaber aufgebauscht wurde und den Staatsanwalt Matthieu nur zu gern übernommen hat?

Weißer Stein

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