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»Mein ratlos widerspruchsvolles Wesen«

Als Henri Théodore Fontane am 30. Dezember 1819 in Neuruppin geboren wurde, lebte die hugenottische Familie schon seit mehreren Generationen in der Mark Brandenburg, hielt aber das Bewusstsein ihrer Herkunft aus Südfrankreich wach. Fontane nannte sich einen »Märker, aber noch mehr Gascogner« und gestand 1888 seiner Frau: »Wie stolz und glücklich bin ich, dass ›meiner Ahnen Wiege‹ in Languedoc, ja sogar in der Gascogne gestanden hat.« Noch als alter Mann sprach er von seiner »eigensten südfranzösischen Natur« und von der »Wonne, einem höhren Culturvolk […] anzugehören«. Sein Vater, »ein großer, stattlicher Gascogner« (Meine Kinderjahre), wuchs noch in einer französischsprachigen Familie auf, Theodor selbst aber beherrschte die Sprache nur noch unvollkommen. Sein jüngster Sohn berichtete nach dem Tod des Vaters, man pflegte den Familiennamen »nach wie vor mit französischem Anklang, das heißt mit Nasallaut und stummem e auszusprechen – jedoch mit Betonung auf der ersten Silbe und nur ›an Sonn- und Feiertagen‹«. In Schach von Wuthenow hat Fontane den halb-assimilierten Hugenotten mit Tante Marguerite, »einer echten Koloniefranzösin«, ein karikierendes Denkmal gesetzt: Sie war

eine alte Dame, die das damalige, sich fast ausschließlich im Dativ bewegende Berlinisch mit geprüntem Munde sprach, das ü dem i vorzog, entweder »Kürschen« aß, oder in die »Kürche« ging, und ihre Rede […] mit französischen Einschiebseln und Anredefloskeln garnierte.

Aber das Französische in Fontane bezog sich nicht auf seine nationale Identität, sondern nur auf seine Persönlichkeit, auf seine »angeborne Artigkeit« und auf »Leichtigkeit, Grazie, Humor«, die er in der deutschen Literatur vermisste: »Das romantisch Phantastische […] bildet meine eigenste südfranzösische Natur.« Seiner nationalen Identität nach empfand Fontane sich als Preuße. Mit Ausnahme weniger Jahre verbrachte er sein Leben in der Mark Brandenburg, ja er entwickelte sich zu einem der ›preußischsten‹ Autoren – auch wenn er dabei im Lauf seines Lebens zwischen demonstrativer Anpassung und kritischer Distanz schwankte.


Über 65 Jahre lebte Fontane in Berlin. Seine Kindheit aber verbrachte er in dem »spießbürgerlichen« Neuruppin und in dem »poetischen« Swinemünde. Sein Vater betrieb dort jeweils die Apotheke. Doch mit der Familie ging es langsam finanziell bergab, denn »die Spielpassion« des leichtsinnigen Vaters und »die Schenk- und Gebepassion« der strengeren Mutter (Meine Kinderjahre) untergruben die familiären Finanzen, und so landete man schließlich in der Apotheke des Oderbruch-Dorfes Letschin. Fontanes charakterlich sehr unterschiedliche Eltern trennten sich 1850. Ihr ältester Sohn Theodor – später wurden noch vier Geschwister geboren – nannte sich in einem Brief an Theodor Storm rückblickend einen »mittelmäßigen Schüler«. »Ohne Vermögen«, schrieb er spät im Leben, »ohne Familienanhang, ohne Schulung und Wissen, ohne robuste Gesundheit, bin ich ins Leben getreten, mit nichts ausgerüstet als einem poetischen Talent und einer schlecht sitzenden Hose. (Auf dem Knie immer Beutel.)« In Meine Kinderjahre beklagte er seinen Mangel an höherer Bildung: »alles blieb zufällig und ungeordnet, und das berühmte Wort vom ›Stückwerk‹ traf, auf Lebenszeit, buchstäblich und in besonderer Hochgradigkeit bei mir zu.« Aber im Laufe seines Lebens eignete er sich eine umfangreiche Bildung an, wie sich an den vielen Zitaten aus klassischen Autoren in seinen Werken und Briefen leicht erkennen lässt.

Theodor Fontane. 100 Seiten

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