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»Kreuzzeitungsthum«

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»Ich habe jetzt den Poeten aus- und den Zeitungsmenschen angezogen«, so charakterisierte Fontane seine literarische Neuorientierung an seine Frau, und tatsächlich veröffentlichte er nach 1851, mit Ausnahme des Bandes Balladen (1861), 25 Jahre lang kein im engeren Sinn literarisches Werk. Dagegen erschienen Sachbücher und eine Unzahl von Korrespondenzen, Zeitungs- und Zeitschriftenartikeln und Rezensionen, viele davon anonym. Einen erheblichen Teil davon fasste Fontane in England ab, denn er hatte – anglophil wie er war – das Glück, 1852 halboffiziell und dann 1855 bis 1859 offiziell für die preußische Regierung in London zu arbeiten. Einen Teil der Zeit verbrachte seine Familie mit ihm dort.

Im bürgerlichen Sinn war Fontanes Karriere nicht erfolgreich; sie förderte weder sein Ansehen noch sein Einkommen, denn er wurde immer nur in untergeordneten Funktionen beschäftigt und auch in diesen gelegentlich von seinen Vorgesetzten kritisiert. Der Leiter der preußischen ›Zentralstelle für Preßangelegenheiten‹, Immanuel Hegel, fällte Ende November 1858 ein vernichtendes Urteil über den damals Vierzigjährigen:

Es scheint, daß Ihnen […] die praktische Anlage, gleichsam die Industrie – im anständigsten Sinn – fehlt. Sie sind zu kontemplativ und zu kritisch. Sie betrachten die Personen und Zustände, wissen sie aber nicht zu behandeln und für sich nützlich zu machen.

Kein Wunder, dass Fontane einen Monat später seine Stellung bei der preußischen Regierung aufgab. Er wechselte 1860 zur erzkonservativen Kreuzzeitung. In welches politische Fahrwasser er sich damit begab, wird in der Schilderung seiner Vorstellung beim Chefredakteur der Zeitung in Von Zwanzig bis Dreißig deutlich:

Er war aus seinem Nachmittagsschlafe kaum heraus und rang sichtlich nach einer der Situation entsprechenden Haltung. Ich hatte jedoch verhältnismäßig wenig Auge dafür, weil ich […] nur sein unmittelbares Milieu sah, das links neben ihm aus einem mittelgroßen Sofakissen, rechts über ihm aus einem schwarz eingerahmten Bilde bestand. In das Sofakissen war das eiserne Kreuz eingestickt, während aus dem schwarzen Bilderrahmen ein mit der Dornenkrone geschmückter Christus auf mich niederblickte.

Seine Beziehung zu England blieb bestehen, denn er übernahm bei der Zeitung die Position des englischen Redakteurs, als der er aus verschiedenen Quellen Informationen über Großbritannien zu den anonymen ›unechten Korrespondenzen‹ zusammenstellen musste. Die Texte erweckten oft den Eindruck, als habe Fontane die Fakten selbst vor Ort recherchiert. Seine tatsächlichen angelsächsischen Erfahrungen und Erlebnisse verarbeitete er dann in drei Reisebüchern: Ein Sommer in London (1854), Jenseits des Tweed. Bilder und Briefe aus Schottland (1860) und Aus England. Studien und Briefe über Londoner Theater, Kunst und Presse (1860).

Die Jahre in England und die schottische Reise 1858 wirkten sich entscheidend auf Fontanes literarische Karriere aus, denn hier entstand der Plan für die Wanderungen durch die Mark Brandenburg, die Fontane bis Ende seines Lebens beschäftigten: ein Projekt des konservativ-preußischen Fontane. Diesem märkischen Unternehmen sollte bald ein zweites, noch ›preußischeres‹ folgen: Zwischen 1864 und 1876 veröffentlichte Fontane drei voluminöse Bücher über die Kriege Preußens gegen Dänemark (1864), Österreich (1866) und Frankreich (1870/71), die durch Otto von Bismarcks politisches Geschick zur Einigung des Deutschen Reiches unter preußischer Dominanz führten.

Das erste Projekt erforderte viele Ausflüge in die nähere und weitere Umgebung Berlins, das zweite führte Fontane nach Dänemark, Österreich und Frankreich. Da seine Anstellung bei der Kreuzzeitung nur »täglich 3 Stunden von 9 ½ bis 12 ½« beanspruchte, meinte er 1894 verklärend: »Meine schönsten Urlaubszeiten habe ich bei der Kreuz-Zeitung gehabt«. Auch über seine Abenteuer im ›Feindesland‹ Frankreich – er wurde Anfang Oktober 1870 als angeblicher Spion verhaftet und am 22. November nach Bismarcks Eingreifen freigelassen – veröffentlichte Fontane zwei Bücher: Kriegsgefangen. Erlebtes 1870 und Aus den Tagen der Occupation (zwei Bände, 1871). Um Italien kennenzulernen – ein seit den Vierzigerjahren gehegter Wunsch –, reiste er 1874 und 1875 endlich auch dorthin; das Tagebuch, das er dort führte, mutet allerdings an vielen Stellen naiv an.

Seine manchmal langen Abwesenheiten, die berufliche Notwendigkeit mit dem freien Leben einer »Junggesellenschaft« verbanden, belasteten allerdings Fontanes Ehe stark. Einen ausgeprägten Familiensinn kann man Fontane nicht nachsagen. Während er auf diese Weise ein arbeitsreiches, anstrengendes, finanziell eingeschränktes, aber doch erlebnisreiches Reiseleben führte, musste seine frustrierte Frau zu Hause manchmal bei Freunden unterkriechen und sich kümmerlich durchschlagen. Sogar bei der Geburt zweier Kinder und an mehreren Weihnachten war Fontane abwesend.

Theodor Fontane. 100 Seiten

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