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»Vom rothen Republikaner zum Reactionair«

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Die aufgeheizte politische Stimmung der Vierzigerjahre, die 1848 in der Revolution kulminierte, erfasste Fontane 1842 in Leipzig, wo er dem linksradikalen Herwegh-Club beitrat. Seine »ganze Lyrik« war nun »auf Freiheit gestimmt« (Von Zwanzig bis Dreißig). An der Berliner Märzrevolution 1848 beteiligte er sich begeistert: Er nahm »mit einem Karabiner in der Hand«, wie er Jahrzehnte später an Georg Friedlaender schrieb, an den Barrikadenkämpfen teil. Als die preußische Regierung die Revolution blutig niederschlug, veröffentlichte Fontane über dreißig radikale Korrespondenzen und beklagte, dass in Preußen »an die Stelle eines militärisch organisierten Rechtsstaates das Schreckgespenst polizeilicher Willkür« getreten sei. Aber noch im selben Jahr »verkaufte« Fontane sich nach seinem eigenen Eingeständnis an Bernhard von Lepel »der Reaction für monatlich 30 Silberlinge« und wurde gewissermaßen im Handumdrehen zum Konservativen.

Zwanzig Jahre lang exponierte sich der so genannte ›mittlere Fontane‹ nun publizistisch als so extremer Konservativer, dass von Lepel ihn vor »Reaction und Katholizismus« warnte (so Fontane in seinem Tagebuch) und sogar seine Frau, zu Besuch bei ihrer Freundin in Schlesien, ihm zu bedenken gab: »namentlich stimme ich so oft mehr mit [von Lepels] liberalen Gesinnungen als mit Deinen Conservativen, mir ist oft, als sähest Du die Dinge verschleiert an. Hier ist alles Fortschritt.«

Von 1851 bis 1860 arbeitete Fontane in verschiedenen subalternen Positionen für die konservative preußische Regierung. Trotz der gelegentlichen Versuche, diese konservativen Jahrzehnte als Konzession ans ›Brotverdienen‹ oder gar verheimlichte Fortschrittlichkeit herunterzuspielen, besteht kein Zweifel, dass Fontane als »aufrichtiger Constitutioneller« hier seine politische Heimat sah: Briefe aus diesen Jahren an verschiedene Adressaten bestätigen die Echtheit seiner konservativen Überzeugungen. Paul Heyse erklärte er, »man wird mit den Jahren ehrlich und aufrichtig konservativer«, Bernhard von Lepel, »ich darf aufrichtig sagen, daß ich Preußen und die Hohenzollern so aufrichtig und so immer wachsend liebe«, und Wilhelm Hertz, »auch ist das ächte, ideale Kreuzzeitungsthum eine Sache, die bei Freund und Feind respektirt werden muß, denn sie ist gleichbedeutend mit allem Guten, Hohen und Wahren«. Seine früheren Überzeugungen verunglimpfte er 1854 als »Schwindel«, und die Liberalen 1861 als »den reinen Treibsand, der durch die Strömung, wie sie gerade geht, mal hierhin mal dorthin geworfen wird«. Die progressive politische Lyrik der Vierzigerjahre, zu der er doch selbst beigetragen hatte, erschien ihm spät im Leben als »Freiheitsphrasendichtung« (Von Zwanzig bis Dreißig).

Es passt nicht zu dieser gegensätzlichen parteilichen Zugehörigkeit innerhalb weniger Jahre, dass Fontane als gut Sechzigjähriger erklärte: »Ich bin absolut einsam durchs Leben gegangen, ohne Klüngel, Partei, Clique, Coterie, Club, Weinkneipe, Kegelbahn, Skat und Freimaurerschaft, ohne rechts und ohne links, ohne Sitzungen und Vereine.« In Wirklichkeit war er ein ausgesprochener ›Vereinsmeier‹. Nicht nur politisch, sondern auch literarisch suchte er über Jahrzehnte Halt und Freundschaft in Vereinigungen. Seine späte Selbstcharakterisierung als »ein Singleton, ein Einsiedler von Jugend auf« ist eine der nicht wenigen Mystifikationen und Stilisierungen des Alters. Fontane trat seinem ersten Verein 1840 bei und war dann im Laufe seines Lebens Mitglied in sechs literarischen Vereinen. Sie prägten seine literarische Entwicklung und machten einen erheblichen Teil seines freundschaftlichen Umgangs aus. In zwei von ihnen blieb er Jahrzehnte lang aktiv. Besonders der Berliner ›Tunnel über der Spree‹ war für ihn ab 1843 literarisch und psychologisch wichtig: »Dort machte man einen kleinen Gott aus mir«, wie er sich 1893 erinnerte. Im ›Tunnel‹ trug Fontane bis 1865 über hundert Gedichte vor und wurde vor allem für seine Balladen gefeiert.

Theodor Fontane. 100 Seiten

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