Читать книгу Achtung Steinschlag! - Christian Köberl - Страница 11

Ein brillanter Denker widerspricht Isaac Newton

Оглавление

Ernst Florens Friedrich Chladni, geboren 1756 in Wittenberg, war ein deutscher Physiker, der bereits bahnbrechende Arbeiten auf dem Gebiet der Akustik veröffentlicht hatte, als er sich für Meteoriten zu interessieren begann. Den Anstoß gab vermutlich eine Debatte mit seinem Fachkollegen Georg Lichtenberg, der die damals gängigen Erklärungsmodelle anzweifelte. So vertiefte sich Chladni ins Studium der merkwürdigen Steine, die aus dem Nichts auf die Erde zu fallen schienen.

Wie viele seiner Vorgänger, die Pionierleistungen auf dem Gebiet der Meteoritenkunde erbracht hatten, untersuchte auch Chladni zunächst eine Reihe von hinlänglich dokumentierten Ereignissen. Er schloss historische Darstellungen wie jene von Plinius ebenso wie zeitgenössische in seine Betrachtungen ein, darunter Tabor in Tschechien, Hraschina in Kroatien und einen Vorfall im britischen Sussex Mitte Juli 1771: Tausende von Menschen hatten dort gegen halb elf Uhr abends das Erscheinen eines gigantischen Feuerballs beobachtet, der später seine Bahn von Sussex bis nach Frankreich zog, vorbei an Paris, wo er weitere 50 Kilometer südwestlich in einer heftigen Explosion verschwand. Einige Augenzeugen behaupteten, der Feuerball sei mindestens so hell gewesen wie der Vollmond.

Chladni überlegte unter Berücksichtigung der damals geltenden Gesetze der Physik, wie die Phänomene erklärbar sein könnten. Riefen Nordlichter solche Leuchterscheinungen hervor? War Elektrizität im Spiel? Chladni ging die verschiedensten Ideen durch und schloss eine nach der anderen aus. Er hielt sie alle nicht für überzeugend. Der deutsche Physiker befasste sich insbesondere auch mit dem von Peter Simon Pallas geborgenen Ungetüm aus Eisen, und dieses Fundstück war letztlich titelgebend für sein im April 1794 publiziertes Buch: „Über den Ursprung der von Pallas gefundenen und anderer ihr ähnlicher Eisenmassen und über einige damit in Verbindungen stehende Naturerscheinungen.“

So sperrig die Überschrift am Buchdeckel klang, der Inhalt des Textes war aufsehenerregend und stellte eine Provokation für die zeitgenössische Fachwelt dar. Denn Chladni behauptete: Es gebe nur eine einzige plausible Erklärung für auf die Erde fallende Steine. Sie kämen aus den Weiten des Weltalls und würden als Meteoriten auf unserem Planeten einschlagen.

Im Wesentlichen formulierte Chladni drei Postulate. Erstens: Massen aus Stein oder Eisen stürzen tatsächlich vom Himmel herab. Zweitens: Feuerbälle entstehen, wenn solide Körper in der Erdatmosphäre abgebremst werden. Drittens: Die erwähnten soliden Massen haben ihren Ursprung weit draußen im Kosmos, entweder als kleine Objekte oder als Bruchstücke von Planeten, die zum Beispiel bei Kollisionen im All abgesprengt werden. Wörtlich schrieb er: „Das gesamte Beweismaterial macht es erforderlich, die Ansicht aufzugeben, dass im Weltenraum (Sonnensystem) nur die großen Weltkörper (Planeten, Monde) existieren.“

Diese Ausführungen waren hochgradig visionär, und Chladni befand sich fraglos auf der richtigen Fährte. Dennoch: Die Kollegenschaft war gar nicht begeistert. Sie kritisierte, Chladni stütze sich bei seinen Schlussfolgerungen auf Anekdoten und Ammenmärchen. Schon früher waren die Augenzeugenberichte häufig einfacher Menschen vom Land mit größter Skepsis ins Reich des Aberglaubens verwiesen worden. Man verspottete deren Schilderungen als Hirngespinste und irrationale Folklore, die der Aufmerksamkeit ernsthafter Gelehrter nicht würdig seien. Vor allem jedoch monierten viele Wissenschaftler: Chladnis Thesen widersprächen schlicht den Naturgesetzen. Und an denen sei ja wohl nicht zu rütteln.

Denn trotz aller Errungenschaften der Aufklärung, trotz der zunehmend rationalen Sicht auf die Welt hingen manche Dogmen der Antike mächtig nach, und vermeintlich unumstößliche Gebäude der Physik waren fest in den Köpfen verankert. Zum einen durchdrang die Philosophie des Aristoteles immer noch das Denken: Die Welt sei eine durch und durch göttliche und daher in jeder Hinsicht perfekt. In diesem Modell gab es keinen Platz für hässlich verbeulte, missgestaltete Steine, die durchs All schlingern und unvorhersehbar auf die Erde treffen. Zum anderen vertrug sich die Theorie der Gesteinsbrocken aus dem Kosmos nicht mit der Gravitationslehre von Isaac Newton: Sollten seine Gesetze der Schwerkraft Gültigkeit behalten, musste der Weltraum zwischen den Planeten leer sein. Umherdriftende Felsen hatten darin definitiv nichts verloren. Newton hatte festgeschrieben: Damit die Bewegung der Himmelskörper langfristig stabil bleibe, müsse der Himmel frei sein von sonstiger Materie, ausgenommen vielleicht ein paar Dämpfe oder Gase. Heute wissen wir, dass die Theorie des einstigen Säulenheiligen der Physik nur eingeschränkt richtig ist. Doch damals war eine widersprüchliche Ansicht fast Ketzerei.

Es half alles nichts: So sehr sich viele Zeitgenossen wehrten, Chladni hatte Recht, auch wenn er selbst eine Reihe von Fehlern beging. Der Kern seiner Theorie traf zu: Meteoriten stammen nicht aus Vulkanen und werden auch nicht in der Atmosphäre geboren, sondern aus den Weiten des Alls auf die Erde geschleudert. Aus diesem Grund gilt Chladni heute als Begründer der modernen Meteoritenwissenschaft.

Trotz aller Vorbehalte der Fachwelt hatte Chladni in gewisser Weise aber auch Glück: Hätte ein Verlag gezielt einen Bestseller planen wollen, er hätte keinen besseren Zeitpunkt wählen können als den Erscheinungstermin von Chladnis Werk. Denn kaum war sein Buch veröffentlicht, fielen an zahlreichen Orten weitere Meteoriten auf die Erde. Zwischen 1794 und 1796 landete kosmisches Gestein in Italien, England, Portugal, Indien, Sri Lanka und der Ukraine. Es war, als hätte Chladni seine Schrift punktgenau auf aktuelle Anlässe zugeschnitten.

Achtung Steinschlag!

Подняться наверх