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Wien – internationales Zentrum der Meteoritenforschung

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Im Lauf des 19. Jahrhunderts gelang es, immer mehr Typen von Meteoriten zu erfassen, zu beschreiben und je nach ihrer chemischen und mineralogischen Zusammensetzung zu unterscheiden. Die Wissenschaftler studierten unter dem Mikroskop zum Beispiel die „Chondren“, Erkennungsmerkmale der häufigsten Kategorie von Meteoriten. Der Name leitet sich vom griechischen Wort „chondros“ ab, das „Korn“ bedeutet. In dieser Sorte von Meteoriten sind winzige Kügelchen aus Silikat eingeschlossen, 0,2 bis einige Millimeter groß, deren Form an Körner erinnert. Deshalb tragen diese Meteoriten die Bezeichnung „Chondriten“. Mehr als 80 Prozent der Steine, die auf die Erde fallen, zählen zu dieser Klasse. Sie repräsentieren die ursprünglichste, seit viereinhalb Milliarden Jahren praktisch unveränderte Materie unseres Sonnensystems. Älter als die Himmelskörper selbst sind sie, bildlich gesprochen, Zeitzeugen der Planetenentstehung.

Zugleich stellen die Chondriten den überwiegenden Anteil einer Oberfamilie, nämlich der Steinmeteoriten. Zu diesen zählen auch die „Achondriten“, die keine Silikatkugeln enthalten. Außerdem kennt man sogenannte kohlige Chondriten, bestehend unter anderem aus Tonmineralien mit hohem Kohlenstoffanteil sowie Wasser. Insgesamt gehören rund 95 Prozent aller kosmischen Brocken zur Klasse der Steinmeteoriten, nur knapp fünf Prozent entfallen auf Eisenmeteoriten, die beinahe zur Gänze aus Nickeleisen geformt sind. Schließlich gibt es noch eine Mischform, die Stein-Eisenmeteoriten, die jedoch eine echte Rarität darstellen (zur genauen Klassifikation von Meteoriten siehe (siehe Kasten S. 37).

Stück um Stück entschlüsselten die Forscher auch alle Bestandteile von Meteoriten. Rund 300 Minerale sind heute bekannt, die diese Felsfragmente beinhalten können. Je nach charakteristischer Materialkomposition unterscheiden Experten heute Exemplare mit teils exotischen Namen wie Ureilit, Angrit oder Aubrit. Die Naturforscher und Archivare des 19. Jahrhunderts nahmen sogar Stücke in ihre Sammlungen auf, die, allerdings von anderen Himmelskörpern stammten, beispielsweise vom Mars, wie sich erst viel später nachweisen ließ. Sie beschrieben außerdem auffällige, signifikante Muster auf diesen Objekten, etwa die „Widmanstättenschen Figuren“: regelmäßige, einander kreuzende Lamellen, die ein unverwechselbares Merkmal von Eisenmeteoriten darstellen. Deren Namensgeber war ein Naturforscher aus Österreich: Alois von Beckh-Widmanstätten, geboren 1754 in Graz, wurde in der Mineraliensammlung der Wiener Hofburg auf Meteoritenfundstücke aufmerksam. Er stellte eine Reihe von Experimenten mit den Objekten an, schliff sie glatt und ätzte deren Oberfläche mit Salpetersäure. Dabei traten die typischen Lamellen zutage, die Widmanstätten 1808 entdeckte.

Wien gilt als überragendes Zentrum der internationalen Meteoritenforschung, in der Geschichte wie auch in der Gegenwart. Bei der Beschreibung der extraterrestrischen Körper spielten Fachleute des k.k. Naturalien-Cabinets – des Vorläufers des heutigen Wiener Naturhistorischen Museums – oft eine wichtige Rolle. Im Jahr 1748 begründet, war das erste Objekt der ältesten und mit fast 8.000 Stücken größten Sammlung der Welt jener Meteorit, der 1751 bei Hraschina in der Nähe von Zagreb niederging. Viele Gelehrte aus Wien machten sich im Lauf der Jahrzehnte sowohl um die detaillierte Dokumentation als auch um die wissenschaftliche Einschätzung der kosmischen Brocken verdient.

Der Familienstammbaum

Eine Klassifikation der Meteoriten und ihre wichtigsten Kategorien.

Undifferenzierte Meteoriten

Diese Klasse ist identisch mit den Chondriten, jenen Steinmeteoriten, welche die typischen Silikateinschlüsse (die körnchenförmigen Chondren) enthalten. Sie machen mehr als 80 Prozent aller Meteoriten aus, beinhalten die frühesten Elemente des Sonnensystems und waren kaum Änderungen unterworfen. Kein Gestein spiegelt den Urzustand des Sonnensystems so unverfälscht wider und öffnet ein Fenster so weit in die Vergangenheit. Die Bezeichnung „undifferenziert“ rührt daher, dass diese Gesteine niemals so heiß wurden, dass sie schmolzen. In ihrem Inneren hat keine Trennung von Elementen, eine sogenannte „Fraktionierung“, stattgefunden. Genau deshalb blieb jene Zusammensetzung erhalten, die vor rund 4,5 Milliarden Jahren entstand.

Die häufigste Kategorie innerhalb dieser Familie bilden die gewöhnlichen Chondriten, weiters gibt es Enstatit-, Rumuruti- und kohlige Chondriten. Der Name der letzteren bezieht sich auf deren schwarze Farbe. Sie stellen die ursprünglichsten unter allen Vertretern dieser Gruppe dar.

Differenzierte Meteoriten

Diese zweite große Klasse besteht aus drei Gruppen. Zum einen aus den Achondriten – aus Steinmeteoriten, die aber keine körnigen Einschlüsse aufweisen. Zu den Achondriten zählen auch jene sehr seltenen Exemplare, die nicht von Asteroiden stammen, sondern von anderen Himmelskörpern – etwa die auf der Erde aufgefundenen Bruchstücke vom Mond und vom Mars.

Bei den beiden anderen Untergruppen handelt es sich um die Eisenmeteoriten sowie um die Eisensteinmeteoriten, die gemeinsam kaum mehr als fünf Prozent aller Meteoriten ausmachen.

„Differenziert“ heißt diese zweite Großfamilie, weil ihre Materialien komplett oder teilweise schmolzen und es zu erheblichen chemischen Veränderungen oder zu stofflichen Trennungen kam, wodurch sich schwere Metalle im Zentrum sammelten.

Häufigkeit der einzelnen Meteoritentypen

Chondriten: 86,2 %

Achondriten: 7,8 %

Eisenmeteoriten: 4,7 %

Stein-Eisen-Meteoriten: 1,3 %

Andreas Xaver Stütz erstellte als Direktor der Naturaliensammlung den ersten Meteoritenkatalog des Hauses und verfasste 1790 eine Schrift, für die er mehrere Meteoriten miteinander verglich – darunter den aus Kroatien, jenen aus Tabor in Böhmen sowie ein Fundstück, das am 19. Februar 1785 im bayrischen Eichstädt in den Schnee gefallen war. Von Chladnis Theorie konnte Stütz natürlich noch nichts wissen, weshalb er streng den in seiner Ära geltenden Gesetzen der Physik folgte und daher die Idee verwarf, dass Steine von Himmel kämen. Ähnlich argumentierte auch fünf Jahre zuvor der Wiener Mathematiker und Naturforscher Franz Güssmann. Er bezog sich ebenfalls auf den Vorfall in Hraschina sowie auf das berühmte Pallas-Eisen und postulierte, die Objekte müssten irdischen Ursprungs sein. Einige Jahrzehnte später, mit dem inzwischen deutlich erweiterten Wissen zur Verfügung, schufen auch Wiener Experten Werke von bleibender Gültigkeit. Wilhelm Haidinger, Kurator der Hofmineraliensammlung, publizierte 1859 die erste umfassende Abhandlung über den Meteoriten von Hraschina, und Gustav Tschermak, ab 1868 Direktor des Mineralien-Cabinets, veröffentlichte 1885 ein Standardwerk über die Meteoritenkunde.

Zusätzlich befeuert wurde die Forschung des 19. Jahrhunderts durch zahlreiche weitere Meteoritenfälle, die angesichts des nunmehrigen Kenntnisstandes wohl noch mehr das Augenmerk der Fachwelt auf sich zogen als in den Epochen davor. Man mag erstaunt die Frage stellen: Wenn schon damals so häufig Meteoriten beobachtet oder entdeckt wurden – müssten solche Ereignisse dann nicht heute, wo wir über hochmoderne Überwachungssysteme verfügen, noch viel öfter registriert werden?

Die Antwort lautet: Genau so ist es. Tatsächlich wächst der Bestand an eindeutig identifizierten Steinen aus dem Weltall kontinuierlich. Im langjährigen Mittel werden pro Jahr fünf bis sechs zu Boden fallende Meteoriten oder Fragmente beobachtet. Dabei handelt es sich aber nur um jene Fälle, bei denen sich mehr oder minder zufällig gerade jemand vor Ort aufhielt und zusah – womit naturgemäß all jene Objekte nicht erfasst sind, die über den Meeren oder in Wüsten herabstürzen. Und selbst Ereignisse, die sich über bewohnten Gebieten zutragen, entgehen manchmal schlicht unserer Aufmerksamkeit. Die systematische Auswertung der Bahnen solcher Himmelskörper lässt die wahre Zahl der auf die Erde treffenden Meteoriten rapide emporschnellen: Pro Jahr gibt es aktuellen Daten zufolge rund 19.000 Fälle. Berücksichtigt man nur die Landfläche, kommt man immer noch auf jährlich knapp 6.000 Meteoriteneinschläge – zum Glück fast immer kleine Objekte zwischen zirka 100 Gramm und ein paar Kilo. Streifschüsse aus dem All sind also keineswegs selten, sondern sogar sehr häufig.

Eigentlich fast verblüffend, dass angesichts dieses dichten Hagels nicht regelmäßig größere Zerstörungen oder Verletzungen zu beklagen sind. Entsprechende Anekdoten kursieren zwar sonder Zahl, wobei es sich fast immer um Sachschäden oder getötete Tiere handelt – ob ein angeblich erschlagener Hund in Ägypten, eine niedergestreckte Kuh in Venezuela oder ein zerschmettertes Auto, Marke Chevrolet, in Malibu. Sehr viele glaubwürdige Geschichten über solche Zwischenfälle existieren allerdings nicht, und bis heute ist ein einziger Fall verbrieft, in dem nachweislich ein Mensch verletzt wurde: Am 30. November 1954 lag die Hausfrau Elizabeth Hodges aus Sylacauga, Alabama, gerade auf der Couch, als ein gut fünf Kilo schwerer Felsbrocken das Dach ihres Hauses durchschlug. Der Stein knallte auf Hodges’ Radioapparat, prallte davon ab und traf die Dame an Arm und Hüfte. Ob und wie Hodges die daraus resultierenden Blutergüsse ihrem Arzt erklärte, ist nicht überliefert.

Jedenfalls bestanden schon im 19. Jahrhundert kaum mehr Zweifel daran, dass Steine aus dem Weltraum die Schuld an solchen Missgeschicken tragen können. Doch damit waren längst nicht alle Fragen geklärt. Denn: Woher genau kommen Meteoriten eigentlich? Ist es denkbar, dass in einer fernen Vergangenheit nicht nur kleine Steinchen, sondern wirklich mächtige, gefährliche Objekte die Erde trafen? Und könnten noch heute Spuren von diesen Katastrophen auf dem Planeten zeugen? Darüber stritten Wissenschaftler in aller Welt erstaunlich lange – bis in die jüngere Vergangenheit.

Achtung Steinschlag!

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