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Der sagenhafte Tisch des Eisens
ОглавлениеZiemlich exakt 100 Jahre später beschäftigten sich Menschen auf der anderen Seite unseres Planeten ebenfalls mit Steinen, die angeblich vom Himmel fielen. Der Gouverneur der Provinz Tucumán im nördlichen Argentinien hatte die Geschichte schon oft gehört: Immer wieder erzählten Indianer von geradezu fantastischen Eisenvorkommen in einer Gegend, die sie „Campo del Cielo“ nannten, das Himmelsfeld. Die Ureinwohner gewannen das Metall und bauten Waffen daraus. Und sie behaupteten, die gewaltigen Eisenmassen seien einfach vom Himmel gefallen. Sie gaben jenem Landstrich, in dem das Metall zum Liegen gekommen war, den Namen „El Mesón de Fierro“: Tisch des Eisens.
Im Jahr 1576 beauftragte der Gouverneur den Capitán Hernán Mexia de Miraval, der Sache auf den Grund zu gehen. Mit acht Mann brach Miraval auf. Indianer führten den Trupp durch unwegsames Gelände, vorbei an gefürchteten Volksstämmen, die man des Kannibalismus verdächtigte. Nach einem beschwerlichen Marsch erreichten die Männer tatsächlich den Mesón de Fierro. Miraval verfasste einen ausführlichen Bericht, in dem er, gestützt auf das Urteil eines Schmieds, die ungewöhnliche Reinheit des Materials lobte. Außerdem verlieh er seiner Vermutung Ausdruck, man sei womöglich auf eine sagenhafte Eisenmine gestoßen. Dann schickte er einen detaillierten Bericht seiner Expedition ab. Das Schreiben landete in einem Archiv in Sevilla. Dort packte es jemand in eine Lade, und darin blieb es liegen – ungelesen und vergessen für die folgenden 340 Jahre.
Im Lauf der nächsten beiden Jahrhunderte wurden weitere Expeditionen in die Region entsandt. Denn die Erzählungen der Indianer kursierten nach wie vor, und die Spanier hofften nicht zuletzt, einer reichhaltigen Mine auf der Spur zu sein. Mitunter war sogar von Silbervorkommen die Rede, was sich jedoch als Irrtum entpuppte. 1783 zum Beispiel brach ein Leutnant der Königlichen Armada namens Rubin de Celis mit 200 Mann in die Region auf. Don Rubin war ein gebildeter, rational denkender Mensch des 18. Jahrhunderts. Er glaubte nicht an außerirdische Steine, fand aber auch keine überzeugenden Hinweise auf eine Mine. Die Masse von El Mesón de Fierro schätzte er auf etwa 15 Tonnen. Sein Bericht unterschied sich teils erheblich von den Schilderungen anderer Entdecker, und heute wissen wir auch, warum: Nicht ein einzelner Brocken ging vor ungefähr 4.000 Jahren über dem Campo del Cielo nieder, sondern ein ganzer Meteoritenschauer. Allein im Zentrum des Areals fanden Forscher inzwischen fast zwei Dutzend Einschlagskrater, jeweils 20 bis 100 Meter im Durchmesser. Damit zählt Campo del Cielo zu den größten Meteoritenstreufeldern unseres Planeten. Die historischen Berichte bezogen sich auf unterschiedliche Teile des Eisenmeteoriten an verschiedenen Fundorten.
In späterer Zeit gestaltete es sich außerordentlich schwierig, die Trümmer wieder aufzuspüren. Viele Suchen verliefen erfolglos, und zwar selbst mit Methoden der Bodenprospektion. Die Ursache dafür war vermutlich, dass die Gegend auch reich an natürlichen irdischen Eisenvorkommen ist und das extraterrestrische Metall deshalb in den Analysen nicht deutlich genug hervorstach. Auf das erste Bruchstück, nach jüngsten Vermessungen 29 Tonnen schwer, stießen Forscher 1969. Es trägt heute die Bezeichnung „El Chaco“. Über die Jahre legten Wissenschaftler immer mehr Teile frei. Erst im September 2016 wurde neuerlich ein gewaltiger Eisenmeteorit am Himmelsfeld entdeckt, gut 30 Tonnen schwer.