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1532 Niccolò Machiavelli Der Fürst Aus dem Maschinenraum der Macht

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Obwohl er ein eher überschaubares Gesamtwerk vorlegte, hat es Niccolò Machiavelli in jedes Wörterbuch geschafft, denn mit dem Schlagwort vom »Machiavellismus« wird heute ganz allgemein eine bedenkenlose Machtpolitik bezeichnet. Das schmale Bändchen Il Principe, auf das diese Begriffsprägung zurückgeht, gilt auch fast fünfhundert Jahre nach der Erstveröffentlichung als einer der wichtigsten Texte der politischen Theorie. Erstmals wurde hier ein modernes Politikverständnis entfaltet, das (einseitig rezipiert) die Wahrnehmung des politischen Lebens noch immer weitgehend prägt.

Als 2013 die erste Staffel der TV-Serie House of Cards ausgestrahlt wurde, in der sich der fiktive Politiker Frank Underwood mittels strategischer Schachzüge, schmutziger Absprachen und skrupelloser Intrigen immer mehr Macht verschafft, überschlugen sich die Kritiker vor Begeisterung. Neben den spannenden Handlungsverwicklungen und der dichten Atmosphäre wurde allseits hervorgehoben, dass die Serie eine Umsetzung von Ideen und Konzepten sei, die zu Beginn des 16. Jahrhunderts von dem italienischen Philosophen und Politiker Niccolò Machiavelli zu Papier gebracht wurden: Frank Underwood sei »ein Machiavelli in Washington, der mit mathematischer Präzision seine Schachzüge plant«, meinte etwa Fritz Göttler in der Süddeutschen Zeitung. Die Erwähnung Machiavellis diente dabei zumeist als Kurzform einer bestimmten Lesart des politischen Geschäfts, derzufolge Politiker nur zwei Interessen hätten: erst an die Macht zu kommen und dann an der Macht zu bleiben.

Machiavellis Ideen, auf die sich die Kritiker beriefen, stammen vor allem aus seiner kurzen Abhandlung Il Principe (Der Fürst), in der er sich tatsächlich vor allem mit dem Erwerb, der Verteidigung und dem Ausbau von Macht beschäftigt – allerdings nicht (was oft unterschlagen wird) um ihrer selbst willen. Denn der eigentliche Erfolg des Fürsten erweise sich erst in der Blüte des Gemeinwesens. Dass das Bändchen trotzdem oft als Ratgeber für machthungrige Herrscher verstanden wurde, liegt wohl vor allem an der strukturellen Entkopplung von Politik und Moral, die Machiavellis Ausführungen prägt. Denn er beabsichtigte nicht, die Tradition der antiken oder humanistischen Fürstenspiegel fortzuschreiben, in denen das Verhältnis vom guten Herrscher und den treuen Beherrschten meist einer idealistischen Wunschvorstellung folgte. Machiavelli wollte stattdessen eine Schrift vorlegen, die seinem eher pessimistischen Menschenbild entsprach und in diesem Sinne realitätsnah sein sollte – es schien ihm, wie er selbst es ausdrückte, »gerathener, der thatsächlichen Wahrheit der Dinge nachzugehen als der Einbildung von ihnen«. Vor diesem Hintergrund, so der Historiker Volker Reinhardt, »formulierte Machiavelli als Erster überhaupt die Grundsätze der Staatsräson: Der Herrscher, der dem Staat dient, muss die Gesetze der traditionellen Moral verletzen. Schreckt er davor zurück, geht er zusammen mit seinem Staat unter«. Damit profilierte Machiavelli erstmals ein modernes Verständnis von Politik als eigenständigem Handlungsfeld, das eigenen Werten und Regeln folgt, was nicht nur im Widerspruch zu herrschenden Moralvorstellungen stand, sondern womit er auch die Bedeutung der christlichen Tugendlehre als gesellschaftliches Fundament infrage stellte. So heißt es im Text etwa, »daß ein Fürst, zumal ein neuer Fürst, nicht alle die Dinge befolgen kann, derentwegen man die Menschen für gut hält« und »daß eben die Fürsten Großes vollbracht, die auf die Treue wenig gegeben, und die Gehirne der Menschen mit List zu bethören gewußt«. Die Fähigkeit zur Verstellung ist für Machiavelli eine Voraussetzung für den erfolgreichen Politiker, denn in der Politik gehe es mehr um Schein als um Sein. In diesem Verständnis ist Politik immer auch eine Frage der Inszenierung. Machiavellis Credo, das seine Idee der Staatsräson, sein Menschenbild und die Bedeutung der Inszenierung vereint, lautet: »Es sorge demnach ein Fürst, die Oberhand und den Staat zu behaupten, so werden die Mittel immer ehrenvoll, und von jedermann löblich befunden werden: weil der Pöbel immer von dem, was scheint, und der Dinge Erfolg befangen wird; und in der Welt ist nichts als Pöbel.« Der Herrscher müsse sich zwar das Image eines guten Fürsten erwerben, wenn es aber die Situation erfordere, auch zu Gewalt greifen, um Interessen durchzusetzen. Dass Machiavelli die Gewalt, die er auch die Kampfart der Tiere nennt, nur dann empfiehlt, wenn die Gesetze nicht ausreichen, wurde in der Rezeption oft übersehen. So plädiert er nicht für die grundsätzliche Amoralität des Herrschers, sehr wohl aber für eine gewisse Flexibilität, denn im Notfall und im Sinne des Gemeinwohls habe sich der Herrscher über die Zwänge der personalen Moral hinwegzusetzen.

Die Macht des Wassers

Auf einer diplomatischen Mission lernte Machiavelli 1502 Leonardo da Vinci kennen, der als Militärarchitekt und -ingenieur am Hof Cesare de Borgias arbeitete. Während des mehrmonatigen Aufenthalts scheinen sich die beiden Männer schnell schätzen gelernt zu haben. Gemeinsam entwickelten sie ein komplexes Projekt: Um das immer wieder aufsässige Pisa in die Knie zu zwingen, planten sie, den Fluss Arno über einen Kanal teilweise um bis zu zwanzig Kilometer weit umzuleiten und so der Stadt wortwörtlich das Wasser abzugraben. Das (über-) ambitionierte Projekt wurde nie verwirklicht.

Machiavellis negatives Weltbild ist biografisch als Resignation des gescheiterten Republikaners zu verstehen. Er wurde 1469 in ärmlichen Verhältnissen in der Republik Florenz geboren. In politisch unruhigen Zeiten – die bis dahin tonangebenden Medici waren 1494 vertrieben worden, und das kurze Zwischenspiel einer Art theokratischen Republik unter dem Dominikanermönch Savonarola endete 1498 mit dessen Hinrichtung – wurde er 1498 Staatsminister und verantwortete die Außen- und Verteidigungspolitik. In dieser Funktion setzte er verschiedene Reformen durch und wurde ein Experte auf dem politischen Parkett: So traf er auf zahlreichen diplomatischen Missionen den französischen König und den Papst. Entsprechend tief fiel er, als 1512 die Medici wieder die Macht in Florenz übernahmen: Machiavelli wurde seines Amtes enthoben. Als vermeintlicher Verschwörer gegen die neuen Machthaber wurde er 1513 mehrfach gefoltert und anschließend verbannt. Außerhalb von Florenz brachte er dann in wenigen Monaten desselben Jahres Il Principe zu Papier, das erst posthum 1532 veröffentlicht wurde. Doch der Versuch, sich dadurch das Wohlwollen der neuen alten Machthaber zu erarbeiten, scheiterte: Bis zu seinem Tod 1527 bemühte sich Machiavelli vergeblich darum, in Florenz zu neuem Ansehen zu gelangen.

Bald nach seinem Tod stieg er dann allerdings aufgrund seiner Schriften (ergänzend zu Il Principe ist vor allem das ebenfalls erst posthum 1531 veröffentlichte Werk Discorsi zu nennen) zur bestimmenden Größe in den Debatten zur politischen Theorie auf. Manche (Francis Bacon, Baruch de Spinoza, Jean-Jacques Rousseau) lasen ihn quasi gegen den Strich und entdeckten in ihm den Republikaner, der keine Handlungsanleitung vorgelegt, sondern die brutale Praxis der Herrscher demaskiert und damit dem Volk die Augen zu öffnen versucht habe. Doch insgesamt dominierte bis ins 18. Jahrhundert eine kritische Lesart. Machiavelli galt als Theoretiker brutaler Machtpolitik, der den Herrschenden effektive Ratschläge gab, an denen sie ihr bisweilen grausames Handeln ausrichteten. Großen Anteil an der Verbreitung dieser Deutung hatte die katholische Kirche, die sich im Zuge der Gegenreformation um die Wiederherstellung ihrer Autorität bemühte und an Machiavelli ein Exempel statuieren wollte. 1557 wurde Il Principe vom Vatikan auf den Index verbotener Bücher gesetzt – dabei war die Erstausgabe noch in den vatikanischen Druckereien produziert worden. Die Diskussionen um Machiavellis Schriften beförderten aber nur seine Bekanntheit und führten zu einer breiten Rezeption. Schnell zirkulierten zahlreiche Drucke, Übersetzungen und Abschriften. Doch auch die Protestanten sahen in Machiavelli die Verkörperung des Bösen: Als 1572 in Frankreich Tausende Hugenotten abgeschlachtet wurden, führten das viele auf den Einfluss der Königinmutter Katherina von Medici zurück (Tochter desjenigen Medici, dem Il Principe gewidmet war), womit man den eigentlichen Urheber der Bartholomäusnacht schnell ausmachen zu können meinte: Machiavelli. Insgesamt lässt sich schon früh beobachten, was die Auseinandersetzung mit Il Principe bis heute prägt: ein Widerspruch zwischen Ablehnung der Theorie und ihrer Befolgung in der Praxis. Eindrucksvoll stellte das Friedrich der Große unter Beweis, dessen von Voltaire herausgegebener Anti-Machiavel 1740 zeigen sollte, dass Machiavelli auf ganzer Linie geirrt habe. Dass der Aufklärer Friedrich als Kronprinz die notwendige Trennung von Moral und Politik nicht gelten lassen wollte, liegt auf der Hand, auch wenn er als König dann oft im Sinne Machiavellis handelte.

Gegen Ende des 18. Jahrhunderts kommt es zu einer Neubewertung. Herder bemüht sich um eine Rehabilitierung Machiavellis, indem er betont, dass dessen »rein politisches Meisterwerk« ein Kind seiner Zeit sei, für italienische Fürsten nach deren Grundsätzen geschrieben. Im Gegensatz dazu bemühen sich Hegel und Fichte darum, seine Lehren für ihre Gegenwart zu akzentuieren. Sie ebnen den Weg zu jener Deutung, die die Machiavelli-Rezeption in Deutschland im 19. und 20. Jahrhundert prägen wird und ihn vor allem als Ratgeber auf dem Weg zu staatlicher Einheit versteht: Nur ein großer Politiker könne die Kleinstaaterei beseitigen, und vor diesem Hintergrund wurde etwa Bismarcks Vorgehen als machiavellistisch im positiven Sinne verstanden. Dass sich später dann Hitler in selbstlegitimierender Absicht auf Machiavelli berufen haben soll, zeigt einmal mehr: Jede Zeit konstruiert sich ihren eigenen Machiavelli.

Klar wird aber auch: Ungeachtet ihrer Entstehung in ganz spezifischen Zeitumständen kommt Machiavellis Überlegungen eine Allgemeingültigkeit zu. Indem er die Eigengesetzlichkeiten der Politik beschreibt und sie damit (in den Worten des Systemtheoretikers Niklas Luhmann) als autonomes System etabliert, verfolgt er einen Ansatz, der in seiner Neuartigkeit weit über seine Zeit hinausweist. In diesem Sinne wird Machiavelli von Otfried Höffe zu Recht als »Pionier der Moderne« bezeichnet.

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