Читать книгу Weil Bücher unsere Welt verändern - Christian Klein - Страница 25

1543 Nikolaus Kopernikus Von den Umlaufbahnen der Himmelskörper Die große Wende am Himmel

Оглавление

Kurz vor seinem Tod veröffentlicht Nikolaus Kopernikus, Domherr im ermländischen Frauenburg, die Summe seiner astronomischen Forschungen. Darin tritt er erstmals auf Grundlage präziser Berechnungen den Beweis an, dass die Erde um die Sonne kreist – und nicht die Sonne um die Erde, wie bis dahin angenommen. Damit wurde Kopernikus zum Wegbereiter der modernen Astronomie. Johannes Kepler würde seine Theorie verfeinern, Galileo Galilei beweisen. Erst mit diesem Beweis begann der Konflikt mit der Kirche, deren Widerstand dazu beigetragen haben mag, unsere Vorstellung einer »kopernikanischen Wende« zu prägen.

Unter einer »kopernikanischen Wende« verstehen wir heute – modern gesprochen – einen Paradigmenwechsel, einen neuen Blick auf die Welt und die Dinge, der bis dahin sicher geglaubte Grundannahmen herausfordert. Verschiedene solcher Wenden wurden in den letzten gut zweihundert Jahren ausgerufen: Ob Immanuel Kant, Friedrich Schleiermacher, Friedrich Nietzsche oder Martin Heidegger – allen wurde attestiert, in der Philosophie eine solche kopernikanische Wende bewirkt zu haben, ähnlich wie in den Naturwissenschaften Charles Darwin mit der Evolutionstheorie, Albert Einstein mit der Relativitätstheorie oder Alfred Wegener mit seiner Theorie der Kontinentalverschiebung.

Das Original, gewissermaßen die Mutter aller kopernikanischen Wenden, verbindet sich mit einem Buch, das 1543 in Nürnberg veröffentlicht wird: De Revolutionibus Orbium Coelestium Libris VI, Sechs Bücher von den Umlaufbahnen der Himmelskörper. Auf rund vierhundert Druckseiten mit über einhundertvierzig Holzschnittdiagrammen legt sein Verfasser Berechnungen über die Bewegungen der Planeten vor und erklärt den Abschied von dem bis dahin vorherrschenden geozentrischen Weltbild, das die Erde im Mittelpunkt des Universums sieht: Im Zentrum stehe die Sonne. Um sie kreise die Erde genauso wie die anderen Planeten. Sonnenauf- und -untergang seien dadurch zu erklären, dass sich die Erde um ihre eigene Achse drehe. »Kaum war die Welt als rund anerkannt und in sich selbst abgeschlossen«, beschreibt Goethe in seiner Farbenlehre das Unerhörte dieser These, »so sollte sie auf das ungeheure Vorrecht Verzicht tun, der Mittelpunkt des Weltalls zu sein.«

Der Autor erlebt die Veröffentlichung seines Hauptwerks nur knapp. Am 24.Mai 1543 stirbt Nikolaus Kopernikus in Frauenburg, wo er den größten Teil seines Lebens verbracht hat. 1473 wurde er als Niklas Koppernigk in der Hansestadt Thorn (heute das polnische Torún) geboren. Früh verlor er den Vater und geriet unter die Obhut seines Onkels Lukas Watzenrode, des Fürstbischofs von Ermland. Dieser ermöglichte ihm das Studium der freien Künste an der Universität Krakau und vermittelte ihm den einträglichen Posten eines Domherrn von Frauenburg, dem Sitz des Bistums. Finanziell war Kopernikus damit abgesichert; den nötigen akademischen Grad sollte ihm ein Studium in Italien verschaffen. Ab 1496 studierte er zunächst in Bologna die Rechte, nahm später in Padua parallel dazu ein Studium der Medizin auf und wurde 1503 in Ferrara im Kirchenrecht promoviert. In Frauenburg, »jenem hintersten Winkel der Welt«, wie er ihn selbst im Vorwort nennt, war er von seiner Rückkehr bis ans Lebensende als Arzt tätig und wirkte in leitender Funktion an der Verwaltung des Bistums mit.

In Italien war Kopernikus auch in Kontakt mit der Astronomie gekommen. Diese stützte sich noch immer auf das Himmelsmodell des antiken Kosmografen Ptolemäus, der ein komplexes System aus Kreisen und Hilfskreisen (sogenannten Epizyklen) erdacht hatte, in dem sich die Planeten zeitweise rückwärts bewegten. Nur so schien deren Lauf erklärlich, der sich am Himmel beobachten ließ. Wie aber, wenn man statt der Erde die Sonne ins Zentrum setzte? Ein solches heliozentrisches Modell fand sich schon bei dem antiken Astronomen Aristarch von Samos. Auch auf Vorarbeiten von Nikolaus von Kues und der Wiener astronomischen Schule um Georg von Peuerbach und seinen Schüler Johann Müller, genannt Regiomontanus, konnte Kopernikus aufbauen. Sein Verdienst aber lag vor allem darin, die Beobachtungen der Planetenbewegungen zusammenhängend neu zu deuten und auf neue und präzisere Berechnungen zu stützen.

Schon vor De Revolutionibus war Kopernikus’ These bekannt. Wesentliche Überlegungen und Daten hatte er bereits 1509 in seinem Commentariolus, dem Kleinen Kommentar, niedergeschrieben, der handschriftlich unter Eingeweihten zirkulierte. Von verschiedenen Seiten war er gedrängt worden, diesen zu einer großen Studie auszubauen und zu veröffentlichen. Kopernikus aber scheute noch davor zurück – vor allem, weil seine aus der aristotelischen Physik übernommene Annahme, die Planeten bewegten sich in Kreisbahnen, nicht so recht zu passen schien. Erst spät lässt er sich von seinem Schüler, dem Wittenberger Professor Georg Joachim Rheticus, zur Niederschrift überreden. Dieser übergibt schließlich das Manuskript einem Verleger in der freien Reichsstadt Nürnberg. De Revolutionibus wird zwar kein Bestseller; das Werk verbreitet sich aber in Fachkreisen und wird dort schnell zum neuen Goldstandard.

Einer Legende nach soll Kopernikus vor Entsetzen über das anonyme Vorwort gestorben sein, das seinem Werk vorangestellt wurde. Es stammt aus der Feder des Reformators Andreas Osiander, dem Rheticus die Veröffentlichung anvertraut hatte. Der stellte das heliozentrische Modell als eine bloße Hilfskonstruktion zur besseren Berechnung des Laufs der Planeten dar, aus dem nicht auf die wirkliche Beschaffenheit des Kosmos zu schließen sei. Protestanten wie Osiander taten sich besonders schwer mit der kopernikanischen Wende. Für sie stand schließlich der Bibeltext im Mittelpunkt, und schenkte nicht Gott Josua den Sieg über die Amoriter, indem er die Sonne stillstehen ließ? Und sagt nicht der Psalmist, »Du hast die Erde auf Pfeiler gegründet, in alle Ewigkeit wird sie nicht wanken«? Luther soll in einer seiner Tischreden Kopernikus einen Narren gescholten haben, Philipp Melanchthon hielt das heliozentrische Modell gar für gefährlich.

Im Gegensatz dazu zeigte sich die katholische Kirche zunächst aufgeschlossen – als Domherr war Kopernikus ja einer der Ihren. Als ab 1512 die Reform des gregorianischen Kalenders anstand, holte man sich in Rom bei ihm Expertenrat, Papst Clemens VII. ließ sich 1533 persönlich über die neue Theorie aufklären. Dessen Nachfolger, dem »Heiligsten Vater« Paul III., widmete Kopernikus sein Hauptwerk. Doch auch in Rom galt das Interesse eher einer zuverlässigeren Berechnung astronomischer Ereignisse als einem neuen Modell des Kosmos. Denn auch für die Kirchenväter kreiste die Sonne um die Erde. Und ihre Schriften gehörten schließlich spätestens seit dem Konzil von Trient zum Bollwerk der kirchlichen Überlieferung gegen die Reformation in Europa.

In Astronomenkreisen hingegen machte Kopernikus Schule. Vor allem Johannes Kepler stützte sich auf ihn. Als Mathematiker am kaiserlichen Hof in Prag wertete er die Beobachtungen aus, die der dänische Astronom Tycho Brahe zusammengetragen hatte, und versuchte, diese mit Kopernikus’ These zu vereinbaren. Probleme bereitete Kepler dabei die unregelmäßige Flugbahn des Mars. In seiner Astronomia Nova verabschiedete er sich 1609 schließlich von der Idee einer kreisförmigen Umlaufbahn und stellte aufgrund eigener Berechnungen die Hypothese auf, dass die Bahn des Mars eine Ellipse beschreibe, in deren einem Brennpunkt sich der Mittelpunkt der Sonne befinde. Dass die Umlaufbahn aller Planeten unseres Sonnensystems elliptisch verläuft, diese Erkenntnis ist als erstes der sogenannten Kepler’schen Gesetze bis heute gültige Grundlage der Astronomie.

Beweisen konnte auch Kepler seine Theorie nicht. Das alte Weltbild geriet erst ins Wanken, als ihm ein Mann zu Leibe rückte, der als der erste Experimentalphysiker der Frühen Neuzeit gelten kann: Galileo Galilei. Mithilfe des neu erfundenen Fernrohrs gelangen ihm Beobachtungen, die das heliozentrische Weltbild stützten. Neben der Entdeckung der Jupitermonde und den Phasen der Venus war es vor allem der Wechsel von Ebbe und Flut, der für ihn belegte, dass Kopernikus und Kepler recht hatten. Dass deren Lehren nun nicht mehr bloß als Rechenexempel abgetan werden konnten, rief die Amtskirche auf den Plan, die Galileo zum Widerruf zwingen wollte. 1633 wurde er von einem Inquisitionsgericht wegen Ketzerei zu lebenslangem Hausarrest verurteilt. Dass Galileo, als dieses Urteil erging, trotzig »Und sie bewegt sich doch« gemurmelt habe, gehört wohl ins Reich der Legende.

Im Zuge der Verfahren gegen Galileo kommt auch De Revolutionibus auf den Prüfstand. Formell verboten wird es nicht; seine weitere Verbreitung aber wird 1616 an die Voraussetzung geknüpft, eine Reihe von Änderungen am Text vorzunehmen, die den spekulativen Charakter des Werks betonen sollen. Die päpstliche Zensur blieb wirkungslos, 1758 hob Papst Benedikt XIV. sie wieder auf. Zu sehr stand die kirchliche Lehrmeinung da schon einer neuen Auffassung der Ordnung des Weltalls entgegen, die unter allen Fachleuten Anerkennung gefunden hatte.

Ärger mit der Kirche

hatte Kopernikus zu Lebzeiten schon – allerdings nicht wegen seiner astronomischen Forschungen. Im Herbst 1538 ermahnte der neue Bischof von Ermland seinen Domherrn, den Zölibat zu achten und sich von Anna Schilling zu trennen, einer entfernten Verwandten, die ihm den Haushalt führte. Im Domkapitel galten beide als Liebespaar. Als Kopernikus nicht pariert, spricht der Bischof 1540 ein Machtwort und verbannt Schilling aus Frauenburg. Eine Rückkehr gestattet er selbst nach Kopernikus’ Tod nicht – aus Angst, sie könnte auch anderen Geistlichen den Kopf verdrehen.

Inzwischen ist die Astronomie einige kopernikanische Wenden weiter: 1923 bewies Edwin Hubble, dass es Galaxien jenseits unseres Sonnensystems gibt, 1927 stellte Georges Lemaître die Urknalltheorie über Ursprung und Expansion des Weltalls auf. Den ersten Beweis für die Existenz von sogenannten Exoplaneten, Planeten, die außerhalb unseres Sonnensystems kreisen, traten 1995 Michel Mayor und Didier Queloz an. Seit der Benennung durch die Internationale Astronomische Union im Dezember 2015 umkreisen in einem dieser Planetensysteme die Exoplaneten »Galileo« und »Brahe« den Doppelstern »Copernicus«.

Weil Bücher unsere Welt verändern

Подняться наверх