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1525 Albrecht Dürer Underweysung der Messung Mathematik als Grundlage der Malerei

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Mit der ersten seiner kunsttheoretischen Schriften legt Albrecht Dürer (1471–1528) ein Lehrbuch der angewandten Geometrie in deutscher Sprache vor. Es soll Werkleuten – Kunst und Handwerk liegen noch dicht beieinander – die Grundzüge der Mathematik näherbringen und ihnen bei der korrekten Ausrichtung ihrer Entwürfe und Modelle helfen. Dazu entwickelt Dürer auf Grundlage seiner geometrischen Studien Techniken, mit denen die Zentralperspektive zur Geltung gebracht werden kann – jene Perspektive aus dem »Auge des Betrachters«, die wie kaum etwas anderes der europäischen Renaissance visuellen Ausdruck verliehen hat.

»Ich, Albrecht Dürer, bin am Prudentientage, der war am Freitag, da man gezählt hat 1471 Jahr, in der freien Reichsstadt Nürnberg geboren«, notiert er in sein Erinnerungsbuch. »Ich, Albrecht Dürer« – der Auftakt ruft die Selbstbildnisse des Künstlers ins Gedächtnis und erinnert daran, dass er als einer der ersten deutschen Maler und Grafiker seine Werke mit seinem Monogramm signierte, um deren Echtheit zu beglaubigen. Dieser Albrecht Dürer repräsentiert einen neuen Künstlertypus in Deutschland. Nicht als der demütige namenlose Meister frommer Altarbilder tritt der Nürnberger uns entgegen, sondern als ein Künstler, der sich seiner selbst und seines Wertes bewusst ist. Kaiser Maximilian I. gehört zu seinen Förderern und Auftraggebern, vergeblich bot man ihm in Venedig und in Antwerpen festen Sold, um ihn in der Stadt zu halten.

Dürer sucht und findet Anschluss an Humanistenkreise, er schafft vermutlich die Illustrationen zu Sebastian Brants Narrenschiff und gehört zu den frühen Anhängern Luthers. Vor allem aber gilt sein Interesse den exakten Wissenschaften, die mit der italienischen Renaissance neuen Aufschwung genommen haben. Gleich zweimal reist er nach Italien, von 1505 bis 1507 lebt er in Venedig. Von dort bringt er eine Neuausgabe von Euklids Elementen mit: »Dieses Buch habe ich zu Venedig um einen Dukaten gekauft im 1507ten Jahr«, trägt der stolze Besitzer ein und vertieft sich in die Mathematik der Antike. In der Geometrie sieht er nichts weniger als den Schlüssel zur Schöpfung Gottes. Sie erklärt den Aufbau der Natur, die Proportionen, die Verhältnisse der Dinge und Glieder zueinander. »Ars sine scientia nihil est«, »Kunst ohne Wissenschaft ist nichts«, wird der französische Baumeister der Spätgotik, Jean Mignot, zitiert, und daran glaubt auch Dürer fest.

1525 erscheint die erste seiner kunsttheoretischen Schriften, die zugleich ein Lehrbuch der angewandten Geometrie ist: Underweysung der messung mit dem zirckel und richtscheyt. Bewusst schreibt er auf Deutsch, gilt das Werk doch nicht Mathematikern, sondern »den Jungen und denen so sonst niemanden haben, der sie treulichst unterrichtet«. Für die geometrischen Figuren schafft er eigene Begriffe, zum Beispiel »Gabellinie« (für die Hyperbel), »Brennlinie« (für die Parabel), »Schneckenlinie« (für die Spirale). »Am Ende vermochte der ›arme Maler‹ nicht nur komplizierte geometrische Konstruktionen kürzer, klarer und erschöpfender zu beschreiben als irgendein professioneller Mathematiker seiner Zeit«, schreibt der Kunsthistoriker Erwin Panofsky, »er drückte auch historische Tatbestände und philosophische Ideen in einem Prosastil aus, der nicht weniger klassisch war als Luthers Bibelübersetzung.«

Wie die im Titel genannten Zeichenwerkzeuge andeuten, ging es Dürer aber nicht allein um die Veranschaulichung abstrakter Lehren. Sein Ziel war es, die Grundzüge der Geometrie für Werkleute zu erschließen, damit diese ihre Entwürfe und Modelle mathematisch korrekt ausrichten konnten. Die Synthese aus Mathematik und praktischer Kunstfertigkeit mag nicht bei jedem verfangen haben; immerhin jedoch erlebte Dürers Underweysung in den ersten acht Jahrzehnten nach ihrem Erscheinen fünf deutsche und fünf lateinische Neuauflagen. Für Dürer selbst jedenfalls waren Geometrie und Messung »die eigentliche Grundlage der Malerei«, wie er in der Widmung an seinen Freund, den Humanisten Willibald Pirckheimer, schreibt.

Davon zeugen nicht zuletzt jene berühmten Holzschnitte, auf denen Dürer die Werkstatt des Künstlers zeigt: wie etwa mittels dreier Fäden jeder Gegenstand perspektivisch getreu abgebildet werden kann (Der Zeichner der Laute); wie ein Zeichner eine Liegende durch ein Gitterfenster auf ein kariertes Papier rastert (Der Zeichner des liegenden Weibes); wie er sein Motiv mittels eines Glastafelverfahrens realitätsgetreu abzeichnet (Der Zeichner der Kanne). Einige dieser Abbildungen bringt schon die erste Ausgabe der Underweysung, andere finden später ihren Weg in das Buch. Alle diese Verfahren dienen dazu, die Zentralperspektive zu treffen, jenes neue Verfahren der Darstellung, in dem der Bildraum den Sehraum zu imitieren versucht, um die Illusion von Tiefe zu erzeugen. Dürer brachte es aus Italien mit, wohin er, laut einem Brief an Pirckheimer im Herbst 1506, reiste »um der Kunst in geheimer Perspektive willen, die mich einer lehren will«.

Dass die Zentralperspektive ausgerechnet in der Malerei und Grafik der Renaissance den Siegeszug antritt, kommt nicht von ungefähr. Für den schon zitierten Erwin Panofsky spiegelt sich in der Art der künstlerischen Darstellung teils bewusst, teils unbewusst die Weltsicht einer Epoche. Dies gilt zumal für die Perspektive, die eine bestimmte Darstellungsweise mit einer bestimmten Anschauung der Welt, einer Weltanschauung, verknüpft. Die Zentralperspektive ordnet die Dinge so, wie sie sich dem menschlichen Auge präsentieren. Sie ist darum kaum realistischer als eine Perspektive, die etwa die Seiten eines Möbelstücks maßstabgerecht auf das Papier bannt. Mit ihrem subjektiven Standpunkt aber trifft sie den (Seh-) Nerv der Zeit. Einer Zeit, in der ein Künstler selbstbewusst schreiben kann: »Ich, Albrecht Dürer«.

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