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1486 Heinrich Kramer Der Hexenhammer Das Handbuch der Hexenjäger

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In ganz Mitteleuropa grassiert vom 15. bis zum 18. Jahrhundert der Hexenwahn. Bloße Verdächtigungen reichen aus, um eine Frau vor Gericht zu bringen; die Mittel zur Erprobung sind grausam. Als Handreichung dient der Hexenhammer, mit dem der Inquisitor Heinrich Kramer (Henricus Institoris) seine sexuellen Obsessionen in Verfolgungspolitik ummünzt. Das Buch trägt entscheidend zur Ausweitung der Hexenjagd bei und legitimiert sie theologisch und pseudowissenschaftlich. Zwar verhält sich die Amtskirche ambivalent; vor weltlichen Gerichten aber werden über die Jahrhunderte zigtausend Frauen der Hexerei für schuldig befunden und getötet.

Am 13. Juni 1782 fällt im schweizerischen Glarus die letzte Frau dem Hexenwahn zum Opfer, der über dreihundert Jahre lang in Mitteleuropa wütete. Auslöser war vermutlich eine mit der Kleinen Eiszeit einhergehende Agrarkrise, die zu Missernten führte; hierfür Hexen verantwortlich zu machen war bequem und bediente den verbreiteten Aberglauben. Auch die Angst vor dem Schwarzen Tod, Misogynie und persönliche Vorteile der Denunzianten heizten die Pogromstimmung an. Einen wesentlichen Beitrag dafür, dass der Hexenwahn sich epidemieartig ausbreiten konnte, leistete ein Buch, das erstmals 1486 in Speyer erschien und bis 1669 insgesamt neunundzwanzig Auflagen erlebte: Der Malleus Maleficarum, der Hexenhammer, fand dank des Buchdrucks schnelle Verbreitung in Gelehrtenkreisen und über die Kanzeln der Kirchen und wurde auch international zu einem Bestseller. In England etwa wurde im 16. und 17. Jahrhundert nur die Bibel häufiger verkauft.

Im ersten der drei Teile dieses Handbuchs für Hexenverfolger geht es um den Beweis, dass es Hexen gibt. Der Autor tritt nicht nur gegen die damals herrschende Lehrmeinung der Kirche an, die das verneint, sondern versteigt sich sogar zu der Aussage, die größte Ketzerei sei, die Existenz von Hexen zu bezweifeln. Der zweite Teil handelt vom Wesen und Wirken der Hexen, der dritte ist ein Leitfaden zur Führung von Hexenprozessen. Hier verschärft der Autor die etablierten Regeln. So sollen bereits Gerüchte ausreichen, um von Amts wegen eine Untersuchung einzuleiten; die Regel, wonach ein unter Folter gegebenes Geständnis anschließend ohne Folter bestätigt werden muss, wird ausgehöhlt, indem die verbotene Wiederholung der Folter zu deren Fortsetzung umgedeutet wird. Hauptanliegen des Hexenhammers ist es, Hexerei als Form der Ketzerei zu etablieren. Ketzerei unterlag nämlich damals neben der geistlichen auch der weltlichen Gerichtsbarkeit. Während die Inquisitionsgerichte nicht selten der Rettung des Seelenheils durch Buße den Vorzug gaben, erwartete Ketzer nach weltlichem Recht der Tod.

Autor des Hexenhammers ist Heinrich Kramer (Henricus Institoris, um 1430–1505), Dominikanermönch und Inquisitor für Süddeutschland. Schon Zeitgenossen erscheint er allzu fanatisch. Ein Prozess in Innsbruck platzt 1485 wegen diverser Verfahrensverstöße, vor allem aber, weil sich der bischöfliche Prozessbeobachter von Kramers sexuellen Obsessionen abgestoßen fühlt, die während der Befragung immer deutlicher werden. Solche Obsessionen und ein tief sitzender Frauenhass prägen auch den Hexenhammer: Frauen seien schwach im Glauben und von Natur aus wollüstig. Das mache sie anfällig für Unzucht mit Dämonen, die sie zum Teufelspakt verleiteten. Vor allem Sexuelles fasziniert Kramer, der auf die Liste der »Hexenwerke« neben dem Krankmachen von Mensch und Vieh, Töten und Verspeisen von Kindern und Verderben der Ernte auch Liebeszauber setzt sowie die Zufügung von Impotenz und das Weghexen des Penis.

Mit seinem Malleus Maleficarum scheint Kramer auf die in Innsbruck erlittene Demütigung zu reagieren. Zahlreiche Fehler in den ersten Auflagen deuten an, dass die Schrift in großer Eile verfasst wurde. Wichtig ist Kramer, mit größtmöglicher Autorität aufzuwarten. Dabei scheut er auch vor Fälschung nicht zurück. Das zustimmende Gutachten der Kölner theologischen Fakultät, das er einleitend abdruckt, wollen jedenfalls zwei der namentlich genannten Theologen nie unterzeichnet haben. Auch bestehen ernstliche Zweifel, ob der in späteren Auflagen als Co-Autor genannte Jacob Sprenger, ein angesehener Theologe und Inquisitor, am Werk beteiligt war. Authentisch ist zwar die päpstliche Bulle von 1484, die den Kampf Kramers und Sprengers gegen die Hexerei unterstützt; allerdings dürfte Kramer den Text vorformuliert haben.

Die Reaktionen der Kirche auf den Hexenhammer sind ambivalent. Die Inquisitoren in Spanien und Rom lehnen ihn als Prozessgrundlage ab; Kramer selbst aber wird innerhalb der Kirchenhierarchie befördert. Um die Reformatoren steht es kaum besser – im Gegenteil: Luther sieht in Hexenwerken die schlimmste Form der Ketzerei. Hexenprozesse finden in der Folge sowohl in katholischen als auch in protestantischen Gebieten statt, nicht nur in Deutschland. Folter und abergläubische »Beweisregeln« wie die berüchtigten »Hexenproben« waren dabei an der Tagesordnung.

Einspruch kam von Humanisten und frühen Aufklärern. Wohl am berühmtesten wurde die Cautio criminalis, die der Jesuit Friedrich Spee 1631 anonym veröffentlicht. Um nicht als Freund von Hexen verdächtigt zu werden, stellt Spee nicht die Existenz von Hexerei in Frage, sondern bezweifelt, dass sich mittels Folter die Wahrheit ermitteln lasse. Bis heute gilt seine geschickt argumentierende Schrift als Zeugnis aufgeklärter Humanität. Anfang des 18. Jahrhunderts konnte es der Hallenser Jurist und Philosoph Christian Thomasius dann endlich wagen, den Hexenwahn als solchen zu entlarven. Den Malleus Maleficarum verwirft er als eine »höchst verworrene Abhandlung«. Es sollte allerdings noch mehrere Jahrzehnte dauern, bis seine Ansicht sich allgemein durchsetzte. Bis dahin würden nach heutigen Schätzungen fünfunddreißig- bis vierzigtausend Frauen einen qualvollen Tod gefunden haben.

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