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um 530 Corpus Iuris Civilis Vom späten Siegeszug des Römischen Rechts

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Mit der Wiederentdeckung einer antiken Abschrift des Corpus Iuris Civilis begann im 11. Jahrhundert die Rezeption des Römischen Rechts. Ausgehend von der Universität Bologna breitete es sich als »Gemeines Recht« mithilfe neu gegründeter Rechtsfakultäten und einer Professionalisierung des Rechtswesens in ganz Europa aus. Obwohl es in Deutschland nie formal als Rechtsquelle eingesetzt wurde, prägte es die Rechtspraxis über Jahrhunderte. Bis heute folgt das zivilrechtliche Studium jener Systematik, die der Jurist Tribonian im Auftrag Kaiser Justinians um 530 entwarf.

Mitte des 11. Jahrhunderts wurde in Pisa ein Pergament von mehr als neunhundert Blättern wiederentdeckt, das später nach Florenz gelangte (Littera Florentina). Es enthielt eine zeitgenössische Abschrift der Gesetzessammlung, die der oströmische Kaiser Justinian 528 in Auftrag gegeben hatte. Mit aller Macht stemmte dieser sich gegen den drohenden Zerfall des Reiches. Der Codex Justiniani sollte die Rechts- und Verwaltungseinheit stärken und an die frühere Größe des Imperium Romanum erinnern. Die Ära Justinians erwies sich als letzte Blütezeit Roms. Seine Siege über die Goten und Vandalen waren nicht von Dauer; schon bald würde Westrom wieder an die Germanen fallen, Nordafrika an die Araber. In den eroberten Gebieten konnte sich der Codex nicht lange halten, und in Ostrom geriet er in Vergessenheit, als dort im 7. Jahrhundert Griechisch Amtssprache wurde.

Der Codex Justiniani wurde in kürzester Zeit unter Leitung des kaiserlichen Quaestors Tribonian erstellt und zwischen 529 und 534 veröffentlicht. Er bestand aus drei Teilen: den Institutionen, einer Art Lehrbuch zur Einführung; den Digesten oder Pandekten (lateinisch: geordnete bzw. griechisch: umfassende Darstellung), welche das geltende Zivilrecht in Auszügen aus Schriften klassischer Juristen präsentierten; dem Codex, einer Sammlung der noch gültigen kaiserlichen Gesetze seit Hadrian. Später wurde ein vierter Teil angefügt, die Novellen, der die Gesetze Justinians nach 534 versammelte. Mit der Wiederentdeckung jenes Corpus Iuris Civilis – die Bezeichnung stammt aus der Frühen Neuzeit – im 11. Jahrhundert begann das geradezu spektakuläre Phänomen der Rezeption des Römischen Rechts in Europa.

Der Überlieferung zufolge war es Irnerius von Bologna (um 1050 – 1130), der den Codex Justiniani wegen der Schönheit seiner Sprache und der Klarheit seiner Gedanken für den Rhetorikunterricht heranzog. Hieraus entwickelte sich die berühmte Rechtsschule von Bologna, an der das Römische Recht als wissenschaftliches System untersucht wurde. In exegetischen Übungen wurden die altrömischen Texte mit Kommentaren (Glossen, daher: Glossatoren) versehen und mit Problemen der Gegenwart verknüpft. Aus allen Ländern kamen Studenten nach Bologna, um dort das Römische Recht zu studieren. Nach und nach wurden überall in Europa Universitäten gegründet, an denen das Corpus Iuris Civilis gelehrt wurde, im Heiligen Römischen Reich zuerst in Prag (1347), Wien (1365), Erfurt (1379) und Heidelberg (1385).

Die Absolventen der mittelalterlichen Rechtsfakultäten sorgten für die weitere Verbreitung; eine zunehmende Professionalisierung des Rechtswesens führte dazu, dass mehr und mehr nach Römischem Recht entschieden wurde. Die fortschreitende Rechtsangleichung kam auch den Bedürfnissen des sich ausdehnenden Handels entgegen. Dieser profitierte von der größeren Berechenbarkeit, die das sogenannte Gemeine Recht bot. Dabei behielt das Römische Recht im Heiligen Römischen Reich den Status einer informellen Rechtsquelle. Formal gingen ihm Reichsrecht, Landesrecht und das lokale Gewohnheitsrecht vor. Es war aber eben im doppelten Sinne »gelehrtes Recht«, nämlich das Recht, das die Beamten und Richter studiert hatten und dem sie wegen seiner schriftlichen Fixierung oft den Vorzug gaben. Volksausgaben in deutscher Sprache, wie der Klagspiegel des Conrad Heyden (um 1436) oder Ulrich Tenglers Laienspiegel (1509), förderten die Verbreitung auch in der Bevölkerung und bei Laienrichtern.

Nach der ersten Phase der Rezeption des Römischen Rechts im Mittelalter gab es zwei weitere Phasen der vertieften Befassung mit dem Corpus Iuris Civilis in Deutschland. Im 17. Jahrhundert hatte das Nebeneinander verschiedener Rechtsquellen zu Unübersichtlichkeit geführt, was die Harmonisierung des Römischen Rechts mit lokalem Recht und Rechtspraxis nötig machte. Hieraus erwuchs eine wissenschaftliche Schule, die als usus modernus (moderner Gebrauch) in die Rechtsgeschichte eingegangen ist. Bei den Aufklärern des 18. Jahrhunderts sollte das Römische Recht allerdings schon bald in Misskredit geraten. Auch sie wollten eine systematische Ordnung des Rechts, aber auf Grundlage der Menschenrechte. Einer solchen Reform stand die römisch-rechtliche Traditionspflege entgegen.

Um 1800 stand die Pflege dieser Tradition wieder hoch im Kurs. Vor dem Hintergrund der aufziehenden Romantik begründete Friedrich Carl von Savigny die sogenannte Historische Rechtsschule, die nicht »aufgeklärte« Gesetzgebung, sondern das historisch (»organisch«) gewachsene Recht ins Zentrum rückte. Welche Rechtsquellen dem »Volksgeist« entsprächen – das deutsche Recht der Vor-Rezeptionszeit oder das rezipierte Römische Recht –, darum stritten sich innerhalb dieser Schule Germanisten (wie Jacob Grimm) und Romanisten. Letztere läuteten durch intensive Studien zum Corpus Iuris Civilis die dritte Phase der Rezeption ein. Die hieraus erwachsene Pandektenwissenschaft sollte nachhaltigen Einfluss auf die Gestaltung des Bürgerlichen Gesetzbuchs haben, das am 1. Januar 1900 in Kraft trat und in seiner Einteilung den Büchern der Digesten folgt (Schuldrecht, Sachenrecht, Familien- und Erbrecht). Auf diese Weise prägt das System, das Tribonian im Konstantinopel des 6. Jahrhunderts entwarf, das zivilrechtliche Studium in Deutschland bis in die Gegenwart.

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