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um 330 v. Chr. Aristoteles Politik Von natürlicher Geselligkeit und guter Herrschaft

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In seiner Politik untersucht Aristoteles Entstehung und Formen politischer Gemeinschaften, ausgehend von der Idee des Menschen als sozialem Wesen (zoon politikon) und auf der Grundlage seiner Lehre vom »guten Leben« (Eudämonismus). Seit ihrer Wiederentdeckung im 13. Jahrhundert hat die Schrift Generationen von Denkern inspiriert, auch in Deutschland. Während man noch bis ins 19. Jahrhundert hinein in der politischen Philosophie von regelrechten aristotelischen Schulen sprechen kann, sind es seither eher einzelne Elemente, die diesem Klassikertext entlehnt werden.

»Nach seinem Tode dauerte es zweitausend Jahre, bis die Welt wieder einen ihm auch nur annähernd ebenbürtigen Philosophen hervorbrachte«, schrieb der englische Philosoph Bertrand Russell über Aristoteles. Aristoteles (384–322 v. Chr.), der Schüler Platons und Lehrer Alexanders des Großen, gilt heute als einer der Überväter der Philosophie. Im europäischen Mittelalter stand er zunächst im Schatten Platons – im Gegensatz zur islamischen Welt, wo die meisten seiner Werke schon im 9. Jahrhundert in arabischer Sprache vorlagen. Gelehrte wie Avicenna (ibn Sīnā) oder Averroës (ibn Rušd) ließen sich von Aristoteles inspirieren. In Europa wurden seine Schriften erst im 13. Jahrhundert wiederentdeckt. Eine Schlüsselrolle spielten dabei der in Paris und Köln lehrende Albertus Magnus und sein Schüler Thomas von Aquin. Die Verbreitung der aristotelischen Lehren – von der Logik bis zur Naturphilosophie – muss sich danach rasant vollzogen haben. Schon Ende des Jahrhunderts beklagte der Franziskaner Petrus Johannes Olivi: »Man glaubt ihm ohne Grund – wie einem Gott dieser Zeit.«

Wiederentdeckt wurde damals auch Aristoteles’ Politik. Über die Entstehung der Schrift wissen wir wenig. Wahrscheinlich wurden posthum verschiedene Arbeiten zusammengefügt. Den roten Faden bildet der Gegenstand: Entstehung und Aufbau der Polis sowie ihre Regierungsformen. Für Aristoteles ist die Polis – der Stadtstaat der griechischen Antike – eine natürliche Erscheinung; natürlich deshalb, weil der Mensch von Natur aus ein soziales Wesen ist, ein zoon politikon. Um in der Verfolgung des Endziels jeder menschlichen Gemeinschaft – des »guten Lebens« – von anderen unabhängig zu sein, schließen sich kleinere Gruppen (Familie, Hausgemeinschaft, Dorf) zur Polis zusammen. Zur Herrschaft in der Polis kommen für Aristoteles allerdings nur freie Männer in Betracht. Frauen und Kinder werden durch die Trennung zwischen Polis und Hausgemeinschaft (Oikos) von den politischen Geschäften ausgenommen. Der Oikos als der Ort des Wirtschaftens (daher auch: Ökonomie) steht unter der Leitung des Hausherrn, dem die rechtlosen Sklaven ebenso »natürlich« untergeordnet sind.

Im zweiten Teil der Schrift unterscheidet Aristoteles die Regierungsformen nach der Anzahl der Herrschenden: Monarchie (Einzelherrschaft), Aristokratie (Herrschaft der Besten, d.h. der Weisesten) und Politie (Herrschaft aller Bürger, wobei Ämter nur Wohlhabenden offenstehen und die Armen die Reichen nicht überstimmen können). Alle drei sind auf Verwirklichung des Gemeinwohls angelegt; weil aber der Ausschluss großer Teile der Einwohnerschaft zu Unmut führen kann, verspricht die Politie im Allgemeinen am ehesten Stabilität. Den drei »guten« Regierungsformen stellt Aristoteles ihre Verfallsformen gegenüber, in denen Eigennutz regiert: Tyrannis, Oligarchie und Demokratie. Die Demokratie verurteilt er nicht pauschal; ihre radikale Form aber, in der alle freien Einwohner gleichberechtigt mitbestimmen, begünstige Demagogie und führe zur Herrschaft der Willkür. Anders als sein Lehrmeister Platon, der in der Politeia die Utopie einer Philosophenherrschaft entwirft, schreibt Aristoteles nicht über die ideale Verfassung. Seine Systematisierung versteht er als Theorie auf empirischer Grundlage.

Vor allem die Staatsbegründung, aber auch die Lehre von den Regierungsformen hat durch die Jahrhunderte Denker inspiriert, um Antworten auf Fragen ihrer Zeit zu finden. Zum Beispiel Thomas von Aquin, der aus der Idee »natürlicher« Gemeinschaft folgerte, dass es neben der göttlichen Ordnung auch eine menschlich geschaffene gebe. Dies verhalf der Lehre vom Dualismus geistlicher und weltlicher Macht zum Durchbruch, die im Investiturstreit noch unterlegen war (sinnbildlich der Gang Heinrichs IV. nach Canossa im Jahre 1077). Philipp Melanchthon verfasste 1530 einen Kommentar zur Politik, in dem er Luthers theologisch begründete Ablehnung der Bauernkriege philosophisch flankierte: Weil die Ordnung natürlichen Ursprungs sei, liege auch der Gehorsam gegenüber der Obrigkeit in der Natur des Menschen. Er begründete eine protestantische Schule des politischen Aristotelismus, deren Zentrum die Universität Helmstedt wurde. Ihr einflussreichster Repräsentant, Hermann Conring, baute auch auf Aristoteles, um den Zynismus der Macht in Machiavellis Lehre von der Staatsräson durch Sittlichkeit zu bändigen. Im 19. Jahrhundert ist es vor allem Georg Wilhelm Friedrich Hegel, der von Aristoteles wichtige Impulse empfängt. Auf der Unterscheidung von Oikos und Polis beruht seine Trennung zwischen bürgerlicher Gesellschaft und staatlicher Herrschaft; auch dass Hegels Staat die sittliche Vervollkommnung seiner Bürger zum Ziel hat, ist Aristoteles verpflichtet.

Bis ins 19. Jahrhundert hinein denken politische Philosophen im aristotelischen System. Seitdem sind es eher einzelne Elemente der Politik, die etwa Hannah Arendt, Joachim Ritter oder Vertreter des Kommunitarismus entlehnt haben. Die Klassifikation der Regierungsformen wiederum steht am Anfang der modernen Lehre von den politischen Systemen. Ein Klassiker also, der bis heute inspiriert – trotz des harschen Urteils, das Bertrand Russell über Aristoteles’ Schrift fällt: »Ich glaube, sie enthält nicht viel, was für einen heutigen Politiker noch von praktischem Wert wäre.«

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