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um 440 v. Chr. Herodot Historien Der Vater der Geschichtsschreibung und der Kampf der Kulturen

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Nichts weniger als eine umfassende Darstellung der Entwicklung der gesamten damals bekannten Welt hatte Herodot im Blick, als er seine Historien anfertigte. Er entfaltete ein Panorama aller Völker und Kulturen und kam den Bedürfnissen seiner Zeitgenossen nach, den eigenen zivilisatorischen und historischen Standort zu bestimmen. Damit markiert sein Werk nicht nur die erste Geschichte des Abendlandes, die in ihrer Konzentration auf die Perserkriege und damit auf die Frontstellung zwischen Europa und Asien teils bis heute fortwirkende kulturelle Muster und Klischees prägte, sondern setzte auch Maßstäbe im Hinblick auf die Arbeit der Geschichtsschreiber.

Ein Kalenderspruch besagt, dass nur derjenige seinen Weg findet, der weiß, wo er herkommt. In dieser Sichtweise ist die vermeintlich rückwärtsgewandte Arbeit des Historikers immer zukunftsorientiert, denn aus dem Verständnis der Vergangenheit lassen sich idealerweise Erkenntnisse für Gegenwart und Zukunft ableiten. Diese Doppelperspektive ist schon den Historien von Herodot eingeschrieben, die gemeinhin als eine Art Gründungstext der Geschichtsschreibung gelten.

Über das Leben des »Vaters der Geschichtsschreibung« (Cicero) ist nur wenig bekannt. Herodot wurde wohl um 485 v. Chr. in Halikarnassos, dem heutigen Bodrum, geboren und wuchs auf der Insel Samos auf. Nach dem gescheiterten Versuch, den herrschenden Tyrannen seiner Geburtsstadt zu stürzen, unternahm er zahlreiche Reisen (unter anderem nach Ägypten oder Mesopotamien), die er wohl für Handelsaktivitäten nutzte, und verfertigte nebenbei Reiseberichte. Er ließ sich in Athen nieder, wo er vermutlich um 425 v. Chr. starb, freundete sich mit Sophokles an und kam in Kontakt mit dem Staatsmann Perikles.

Zentrale Themen seiner Universalhistorie in neun Büchern sind die Entstehung und Abfolge der Konflikte und Kriege zwischen Griechen und Persern bis zur Schlacht bei den Thermophylen und der endgültigen Niederlage der Perser im Jahr 479 v. Chr. Bereits im ersten Satz der Vorrede entfaltet Herodot die Komplexität seines Vorhabens, wenn er schreibt: »Die Darstellung der Erkundung des Herodot aus Halikarnassos ist dies, damit weder das von Menschen Geschehene durch die Wirkung der Zeit verblasse noch die großen und staunenswerten Werke, ob sie nun von Hellenen oder Barbaren aufgewiesen wurden, ohne Kunde bliebe; unter anderem geht es insbesondere darum, aus welcher Ursache sie miteinander Krieg führten.« Mit der Aussage, sich auf das »Menschengemachte« zu konzentrieren, grenzt er sich vom götterorientierten Mythos ab. Indem er seinen Namen nennt und das Folgende als Ergebnis seiner Forschungstätigkeit (»Erkundung«) markiert, drückt er der Geschichtsschreibung seinen Stempel auf – eigene Forschung wird zur Voraussetzung des Schreibens. Darüber hinaus interessiert er sich neben Aktionen und Handlungen (»das von Menschen Geschehene«) auch für allgemeine Kulturleistungen (»staunenswerte Werke«) und betont somit den grundlegenden Anspruch seiner Ausführungen. Die kriegerischen Auseinandersetzungen zwischen Griechen und »Barbaren« stehen für ihn stellvertretend für allgemeine Prinzipien der Weltgeschichte: dass nämlich Machtversessenheit und Machtvergessenheit in den Untergang führen – diese Entwicklung zu veranschaulichen ist Kern seines Vorhabens. Dem Expansionsdrang der Perser folgend kann er weit ausholen und über die fremden Länder und Völker berichten, die sich mit deren Aggression konfrontiert sahen. Dabei versucht er, die bekannte Welt in ihrer ganzen Größe und Vielgestaltigkeit in den Blick zu bekommen.

Herodot bemüht sich darum, die vermeintlichen Besonderheiten der Völker zu erklären – weshalb er bisweilen auch als der Begründer der Anthropologie betrachtet wird –, und beruft sich dabei unter anderem auf klimatische Besonderheiten: Der karge und fordernde Lebensraum der Griechen habe sie hart gemacht, während »die Barbaren« aufgrund der Fruchtbarkeit ihres Landes verweichlicht seien. Daneben stellt er mit Blick auf die Organisationsform des Soziallebens fest, dass die Unterordnung unter einen Alleinherrscher zur Feigheit erziehe, während die Griechen in Freiheit aufwüchsen. Auch wenn Herodot bisweilen differenziert und ja im ersten Satz anerkennt, dass »die Barbaren« ebenfalls Großes hervorgebracht haben, werden hier doch Stereotype gesetzt, die dem Widerstand der Griechen die Dimension eines Kulturkampfes einschreiben: Mit einer Niederlage gegen »die Barbaren« würden freiheitliche Lebensart und eine ganze Zivilisation verschwinden. Das impliziert allerdings nicht nur eine Kampfansage der Griechen an den äußeren Feind, sondern richtet sich viel eher noch als Mahnung nach innen, die freiheitliche Selbstorganisation nicht unter dem Vorwand der Bedrohung zu opfern oder sie sich im Zuge innergriechischer Kämpfe beschneiden zu lassen.

In seinem multiperspektivischen Werk setzt Herodot alle Kniffe des Erzählens ein, um zu unterhalten, wie etwa Einblicke in die Innenwelten der historischen Akteure. Mit zahlreichen Verweisen auf mythische Zeiten, in denen noch die Götter auf Erden walteten, schreitet er nicht nur geografisch den Raum der bekannten Welt aus, sondern schlägt auch historisch den größtmöglichen Bogen und hat den Blick fest in die Zukunft gerichtet. Denn der Sieg über die Perser ist für ihn nicht der Schlusspunkt einer griechischen Erfolgsgeschichte, sondern mahnendes Exempel.

Die Historien haben nicht nur die Sichtweise von Herodots Zeitgenossen auf die Welt geprägt und viele Regionen, Kulturen, Sitten und Phänomene erstmals überhaupt beschrieben; sie gelten ungeachtet aller kritischen Diskussionen um ihre Zuverlässigkeit auch heute noch als zentrale Quelle zum Verständnis des griechisch-persischen Konfliktes.

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