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1534 Martin Luther Biblia, das ist die gantze Heilige Schrifft Deudsch Spaltung der Kirche, Einheit der Sprache

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Mit seiner Bibelübersetzung wollte Martin Luther eine volkstümliche Fassung der Heiligen Schrift vorlegen, die von jedermann verstanden würde. Dank seiner am Vortragsstil orientierten, kraftvollen und poetischen Sprache und dank der noch jungen Buchdruckkunst fand das Werk schnell und nachhaltig weite Verbreitung. Hierdurch gelang Luther ein wichtiger Beitrag zur Vereinheitlichung der deutschen Sprache. Zugleich schuf er ein Modell für Erbauungstexte generell. Ein Bestseller damals wie heute, ist die Lutherbibel vielleicht eines der Bücher der Deutschen schlechthin.

1534 erstmals erschienen, ist Biblia, das ist die gantze Heilige Schrifft Deudsch ein Meilenstein in der Entwicklung der deutschen Sprache. Dass Martin Luther Schöpfer der deutschen Hochsprache wäre, wie der Geniekult des 19. Jahrhunderts propagierte, davon kann zwar keine Rede sein; doch hat er mit seiner Bibelübersetzung die deutsche Sprache wie kein Zweiter geprägt. Er hat Begriffe (»friedfertig«, »Denkzettel«) und Redewendungen (»im Dunkeln tappen«, »Stein des Anstoßes«) erfunden, zur Vereinheitlichung der deutschen Sprache in Begriffen, Grammatik und Schreibweisen beigetragen – und jenes ästhetische Maß geschaffen, das wir bis heute an Predigten und Erbauungstexte legen. Jede Modernisierung der lutherschen Sprache scheint das Bibelwort zu profanieren. Wem wird schon weihnachtlich ums Herz, wenn es mit der Einheitsübersetzung von 2016 heißt: »Es geschah aber in jenen Tagen, dass Kaiser Augustus den Befehl erließ, den ganzen Erdkreis in Steuerlisten einzutragen«? Auch wenn das Wörtchen »aber« und der »ganze Erdkreis« der Poesie des Vorbilds nacheifern – »richtig« muss es schließlich lauten: »Es begab sich aber zu der Zeit, dass ein Gebot von dem Kaiser Augustus ausging, dass alle Welt geschätzet würde.«

»Gottes Wort bleibt ewig« steht über der Titelseite der ersten Lutherbibel. Diese Aussage verweist auf einen zentralen Lehrsatz der Reformation: Sola scriptura – nur durch die Schrift – wird die Heilsbotschaft vermittelt, sie bedarf keiner kirchlich verordneten Glaubenslehren. Dass die Kirche und ihre Amtsträger nur dienende Funktion haben, ist Grundlage für die religiöse Mündigkeit der Laien. Diese sollen Gottes Wort selbst lesen, hören und verstehen können. Den Gläubigen die Heilige Schrift in deutscher Sprache in die Hand zu geben – das war somit ein zentraler Auftrag für den Reformator Martin Luther (1483 – 1546).

Für den damaligen Augustinermönch und Professor für Bibelauslegung an der Universität Wittenberg wurde eine Reise nach Rom zum Schlüsselerlebnis. Von dem ausschweifenden Leben am Hof Papst Julius’ II. fühlte er sich abgestoßen. Vor allem aber begehrte er gegen den schwunghaften Ablasshandel auf. »Wenn das Geld im Kasten klingt, die Seele aus dem Feuer springt«, hieß es auf dem sogenannten Tetzel-Kasten, mit dem der Dominikaner Johann Tetzel durch deutsche Lande zog. Nicht durch Geld, sondern nur durch Buße, so Luther, sei Erlösung zu erlangen. Seinen Protest fasst er in fünfundneunzig Thesen. Ob er diese tatsächlich am 31. Oktober 1517 an die Tür der Schlosskirche zu Wittenberg nagelt, ist historisch nicht gesichert. Jedenfalls verbreitet sich seine Lehre so schnell, dass Rom Widerruf fordert und ihm mit dem Kirchenbann droht. Stattdessen provoziert Luther weiter. Auf die Verbrennung seiner Schriften reagiert er mit Verbrennung der Bannandrohungsbulle. Kaiser Karl V. zitiert ihn vor den Reichstag in Worms. Doch erneut weigert sich Luther zu widerrufen. Die Worte »Hier stehe ich, ich kann nicht anders« hat er so zwar nicht gesprochen, sie stimmen aber sinngemäß. Am 26. Mai 1521 wird über Luther die Reichsacht verhängt. Zwar ist ihm für die Rückreise aus Worms freies Geleit zugesichert, doch hält sein Landesherr, der sächsische Kurfürst Friedrich der Weise, es für ratsam, eine Entführung zu fingieren und Luther auf der Wartburg in Eisenach in Schutzhaft zu nehmen. Hier lebt er knapp ein Jahr lang inkognito als »Junker Jörg«.

Im Dezember 1521 beginnt Luther mit seiner Arbeit an der Übersetzung der Bibel, zunächst des Neuen Testaments. Wichtig ist ihm, nicht nur auf die Vulgata, die übliche lateinische Übersetzung, zurückzugreifen, sondern in erster Linie auf die originalen Sprachfassungen. Denn: »Die Ebräer trinken aus der Bornquelle; die Griechen aber aus den Wässerlin, die aus der Quelle fließen; die Lateinischen aber aus den Pfützen.« Da Luthers Griechisch nicht das Beste ist, hilft ihm eine zweisprachige Ausgabe des Neuen Testaments aus der Feder Erasmus’ von Rotterdam. Seine eigene Übersetzung geht rasant vonstatten; schon Anfang März 1522 kann er den Text Philipp Melanchthon zur Durchsicht geben. Mühseliger gestaltet sich die Übertragung des Alten Testaments. Im Hebräischen ist Luther Autodidakt; auch hat er keinen Kontakt zu Rabbinern, denen er misstraut. Die Übersetzung geriet ihm daher insgesamt recht christlich, da ihn seine »Wünschelrute« nur dort zur Texttreue führte, »wo das Alte Testament […] für ihn, den Christen, lebendiges Gotteswort war« (Franz Rosenzweig). Durch Wiederaufnahme seiner Lehrtätigkeit und durch Reisen, durch den Aufbau der reformierten Kirche, durch die Bauernkriege und durch Krankheit verzögert sich der Abschluss des Projekts. Die letzten Übersetzungen fertigen Melanchthon und Justus Jonas. Melanchthon ist auch Mitglied des Redaktionsteams, dem die Schlussrevision obliegt. Alle Formulierungen werden überprüft; über Änderungsvorschläge entscheidet Luther selbst.

Von Münzen und Schafböcken

Um den Bibeltext möglichst präzise einzudeutschen, holten Luther und sein Übersetzungsteam sich Expertenrat. Der Numismatiker Wilhelm Reiffenstein beriet bei den antiken Münzen und ihrem Wert, und für die fachmännische Übersetzung der Passage zum Dankopfer in Leviticus (3. Buch Mose) ließ Luther den örtlichen Schlachter »etliche Schöpse [Schafböcke] abstechen«, um die genaue Bezeichnung der Innereien zu lernen.

Luthers Bibel war nicht die erste Übersetzung der Heiligen Schrift ins Deutsche. Allein im Druck waren zuvor nicht weniger als achtzehn deutsche Bibelausgaben erschienen, die zumeist als Wort-für-Wort-Übersetzungen am Text der Vulgata klebten. Luther indes strebte nach sinngemäßer Übertragung. Er wollte dabei »dem Volk aufs Maul schauen«, das heißt im Unterschied zum gedrechselten Kanzleistil der Zeit einen bewusst volkstümlichen Stil finden – schließlich sollte seine Bibel auch von Laien verstanden werden. Luthers Satzbau orientiert sich an der gesprochenen Sprache und verzichtet meist auf die Verschachtelung von Haupt- und Nebensatz, denn die meisten Gläubigen konnten nicht lesen und würden das Gotteswort nur zu hören bekommen. Mittels einer poetischen Gestaltung durch sakraltypische Formeln (»siehe«), Sprachmalerei und Stab- und Binnenreime (»Stecken und Stab«, »Rat und Tat«) sollten sich die Wendungen besser einprägen.

Der Erfolg von Lutherbibel wie Reformation verdankt sich vor allem auch der Erfindung des Buchdrucks durch Johann Gutenberg. Schon zwischen 1452 und 1454 hatte dieser rund hundertachtzig aufwendige Ausgaben der Vulgata gedruckt. Nun fanden reformatorische Flugblätter, Streitschriften, Katechismen und Gesangbücher Verbreitung – und eben auch die Lutherbibel. »Die hohen Wohltaten der Buchdruckerei sind mit Worten nicht auszusprechen«, schwärmte Luther in einer seiner Tischreden. Seine 1534 veröffentlichte Bibel umfasst über neunhundert Blätter in Folio (Großformat). Dem Text sind ausführliche Vorreden und Randglossen beigegeben, die nicht selten Bezug auf Luthers Gegenwart nehmen oder seine theologischen Positionen spiegeln. In ihrem reichen Bilderschmuck (aus der Werkstatt Cranachs) knüpft die Lutherbibel an die Tradition der Buchmalerei an: Abbildungen im Text, durch Bilder und Ornamente eingefasste Seitenspiegel, Majuskeln und regelrecht erzählende Holzschnitte illustrieren und kommentieren die Texte. Auch hier wird deutlich Position bezogen, etwa wenn die Hure Babylon in der Apokalypse mit päpstlicher Tiara daherreitet – mit dem Zusatz: »Hie zeiget er die Römische kirche, inn irer gestalt unn wesen, die verdampt sol werden.«

Luthers Bibelübersetzung war ein Bestseller. Schon das im September 1522 auf der Leipziger Buchmesse vorgelegte Neue Testament (»Septembertestament«) war in dreitausend Exemplaren gedruckt worden. Es war so schnell vergriffen, dass bereits im Dezember eine zweite, verbesserte Auflage (»Dezembertestament«) erschien. Auch die Gesamtausgabe der Bibel verkaufte sich gut – obwohl ihr Preis zehn Monatslöhnen eines Schulmeisters entsprach (oder dem Preis von fünf Kälbern). 1534 wurden auch von ihr zunächst dreitausend Exemplare aufgelegt; 1535, 1536 und 1539 waren Nachdrucke fällig. Seinen Bibelausgaben fügte Luther ein Wappenschild mit dem Lamm Gottes mit Kreuzesfahne und Lutherrose bei, als »zeuge, das solche bucher durch meine hand gangen sind«. Das zielte gegen Raubdrucke. Ironischerweise trugen diese allerdings ihrerseits zur Verbreitung der Lutherbibel bei. Bis zum Tode Luthers im Februar 1546 erschienen mehr als dreihundert hochdeutsche Bibelausgaben mit einer Gesamtauflage von über einer halben Million Exemplaren – bei dreizehn Millionen Einwohnern, von denen der größte Teil nicht lesekundig war, eine immense Zahl. In der ersten Hälfte des 16. Jahrhunderts machten die Schriften Luthers ein Drittel der gesamten deutschsprachigen Buchproduktion aus.

Luther selbst hat bis zu seinem Tode an einer Verbesserung seines Textes gearbeitet. Die letzte von ihm überarbeitete Fassung erschien 1545. Als vermeintlich letztes Wort des Reformators wurde sie noch einige Zeit unverändert neu aufgelegt. Mit der Zeit jedoch wurde die »Lutherbibel« als Zeugnis einer lebendigen Sprache orthografisch wie sprachlich modernisiert. Wo dies zu radikal geschah (etwa in der als »Eimertestament« verspotteten Bearbeitung von 1975, die den von Luther geprägten sprichwörtlichen Scheffel, unter den man sein Licht nicht stellen solle, in einen moderneren Eimer verwandelte), haben spätere Ausgaben die Revisionen wieder revidiert. Ansonsten ist Luthers Vermächtnis eben auch, dem Volk »aufs Maul zu schauen«, um Gottes Wort so volkstümlich zu gestalten, dass es tatsächlich verstanden wird. Selbst wenn das heißen sollte, dass Kaiser Augustus seinen Statthalter Quirinius Steuerlisten anlegen lässt.

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