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1595 Gerardus Mercator Atlas oder Kosmographische Meditationen Die Welt, von Duisburg aus beschrieben

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1595 posthum veröffentlich, ist Mercators Atlas weit mehr als nur ein Kartenwerk. Zusammen mit einer 1569 erschienenen Chronologie der Weltgeschichte und den 1578 publizierten Tafeln des antiken Kartografen Ptolemäus stellt er nichts weniger als den Versuch einer umfassenden Beschreibung der Welt dar. Den Zeitgenossen galt Mercator gar als der »neue Ptolemäus«. Der Kosmograf Mercator ist heute vergessen. Die Zeiten überdauert haben dagegen eine geniale kartografische Erfindung (»Mercator-Projektion«) – und der Titel seines Hauptwerks.

Als Gerhard Mercator 1594 in Duisburg stirbt, hinterlässt er sein Hauptwerk unvollendet. Sein Sohn Rumold wird ein Jahr später die unveröffentlichten Teile unter dem Titel Atlas sive Cosmographicae meditationes de fabrica mundi et fabricati figura (Atlas oder Kosmographische Meditationen über die Erschaffung der Welt mit Darstellung des Erschaffenen) herausgeben. Den Titel hatte Mercator selbst gewählt, nach dem ersten Geografen und Astronomen der antiken Legende, König Atlas von Mauretanien – Sohn jenes Titanen Atlas, der das Himmelsgewölbe zu stützen hatte.

Zu seinen Lebzeiten war Mercator der berühmteste Kartograf. Kaiser Karl V. gehörte zu seinen Kunden, Seefahrer überquerten nach seinen Karten den Atlantischen Ozean. Dabei hatte er bescheiden angefangen. Als Geert de Kremer 1512 im flandrischen Rupelmonde als Sohn eines Schusters geboren, ermöglichte ihm ein wohlhabender Onkel den Besuch der Lateinschule. Anschließend studierte Kremer (nun latinisiert als Mercator) an der Universität Löwen. Der frischgebackene Magister schloss sich 1532 dem Mathematiker und Geografen Gemma Frisius an, mit dem er gemeinsam seine ersten Globen fertigte. Seit der Erfindung durch Martin Behaim rund vierzig Jahre zuvor gehörte ein Globus zur Ausstattung gebildeter wohlhabender Haushalte. Ihre Fertigung war aufwendig, der Preis hoch. Umgerechnet zehntausend Euro mussten für einen guten Globus gezahlt werden. Die Herstellung von Globen sollte die wichtigste Einnahmequelle für Mercator bleiben. Längst als Kartograf selbstständig, verkaufte er ab 1551 seinen Globus im Paar mit einem Himmelsglobus, der für astronomische und astrologische Studien benötigt wurde.

1552 übersiedelte Mercator von Löwen nach Duisburg im Herzogtum Kleve-Jülich-Berg. Zwei Gründe dürften dafür ausschlaggebend gewesen sein. 1543 war Mercator der »Lutherei« verdächtigt und von der Inquisition sieben Monate eingekerkert worden, bevor er durch Fürsprache einflussreicher Gönner freikam. Zum Luthertum hat er sich nie öffentlich bekannt; allerdings hatte er reformatorische Neigungen und stand mit Philipp Melanchthon in Briefkontakt. Im Herzogtum Kleve herrschte religiöse Toleranz. Ein zweiter Grund dürften die Pläne Herzog Wilhelms des Reichen gewesen sein, in Duisburg eine Universität zu gründen, an der sich Mercator Anstellung erhoffte. Tatsächlich ließ die Gründung noch hundert Jahre auf sich warten. Daher erhielt Mercator nur einen Lehrauftrag am Akademischen Gymnasium und wurde Hofkosmograf.

Zunehmend unterstützt durch seine Söhne schuf Mercator von Duisburg aus bedeutende Kartenwerke, vor allem die große Weltkarte von 1569, die für die Schifffahrt immense Bedeutung erlangte. Ein zentrales Problem war, dass das bisherige Kartenmaterial der Krümmung der Erdoberfläche wegen die Schifffahrtswege verzerrte. Durch eine zylindrische Projektion gelang es Mercator, diese gerade und doch ihrem Verlauf gerecht darzustellen. Die sogenannte Mercator-Projektion findet bis heute Verwendung und liegt, trotz optischer Verzerrung zu den Polen hin, noch immer Weltkarten zugrunde. Der beste Kartograf seiner Zeit reiste übrigens kaum. Seine Karten erstellte er auf Grundlage von Büchern (seine Bibliothek zählte tausend Bände) und mithilfe einer umfangreichen Korrespondenz, die er in sechs Sprachen unterhielt.

Sich selbst verstand Mercator nicht als Kartenzeichner, sondern als Kosmograf. In der Frühen Neuzeit war die Kosmografie eine Art Universalwissenschaft, die Geografie, Astronomie, Astrologie und Geschichte vereinte. Dies prägte auch den Plan seines Atlas, der fünf Teile umfassen sollte: eine Schöpfungsgeschichte; eine Beschreibung des Himmels; eine Beschreibung der Welt, bestehend aus modernen Karten, den Karten des Ptolemäus und Karten der vorptolemäischen Zeit; eine Genealogie und politische Geschichte; eine Chronologie aller Ereignisse seit Erschaffung der Welt. Die Chronologie erschien bereits 1569 auf mehr als vierhundert Seiten. Gespeist wurde sie aus Bibellektüre und Arbeiten anderer Autoren. Besonders bemerkenswert an ihr ist, dass Mercator anhand astronomischer Beobachtungen die Zeiten der Sonnen- und Mondfinsternisse errechnete und hiervon ausgehend biblische und andere Ereignisse datierte. 1578 veröffentlichte er als Verbeugung gegenüber dem Altmeister die von ihm korrigierten Karten des Ptolemäus, des großen Kartografen des 2. Jahrhunderts. Nie gezeichnet bzw. verfasst wurden die Karten der Antike sowie die Himmelsbeschreibung. Die Schöpfungsgeschichte und die modernen Karten erschienen schließlich 1595 im Atlas. Auch dessen Kartenwerk blieb unvollendet. Auf seinen detaillierten Tafeln dokumentierte er nur Europa; und selbst hier fehlten Spanien und Portugal.

Der Unvollständigkeit wegen, aber auch weil das Konkurrenzwerk des Abraham Ortelius reicher ausgestattet war, erwies sich Mercators Atlas zunächst als Misserfolg. Erst mit der durch Jodokus Hondius vervollständigten Neuausgabe von 1606, die parallel als eine Art Taschenbuchausgabe erschien, etablierte er sich als Standardwerk. Gemessen am Selbstverständnis Mercators ist es tragisch, dass seine kosmografischen und theologischen Arbeiten heute vergessen sind. Dafür hat er uns mit seinem Hauptwerk einen Begriff geschenkt, den heute jeder kennt: In allen europäischen Sprachen nennt man seit Mercator eine Kartensammlung »Atlas«.

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