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um 1270 Thomas von Aquin Summa Theologica Eine Kathedrale von Lehrbuch

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Die Summa Theologica des heiligen Thomas von Aquin gilt als das wichtigste theologisch-philosophische Werk des christlichen Abendlandes. Durch Versöhnung der kirchlichen Lehren mit der Philosophie Aristoteles’ führt Thomas die menschliche Vernunft als Weg zur Erkenntnis in die Theologie ein. Er verändert dadurch die Denkgewohnheiten seiner Zeitgenossen und wird zu einem Wegbereiter des Humanismus. Ob Theologie, Philosophie, Rechts- oder Politikwissenschaft: Die Summa Theologica ist für sie alle bis heute einer der wegweisenden Klassikertexte.

Was verbindet Thomas von Aquin mit dem Kölner Dom? Zunächst, dass er höchstwahrscheinlich der Grundsteinlegung am 15. August 1248 beiwohnte. Wir wissen, dass Albertus Magnus zugegen war, und Thomas war gerade als sein Assistent mit ihm an die Kölner Klosterschule gekommen. Es gibt aber auch eine tiefere Verbindung. In seinem Buch Gotische Architektur und Scholastik deutet der große Kunsthistoriker Erwin Panofsky die Kathedralen der Gotik als Ausdruck der scholastischen Theologie ihrer Zeit. Ein »Ursache-Wirkung-Zusammenhang«, der sich aus »Denkgewohnheiten« speist, die über die Schule, die Kanzel, den Besuch öffentlicher Disputationen – die damals Eventcharakter besaßen – und über vielfältige andere Kontakte vermittelt wurden.

Die Scholastiker betrieben aus heutiger Sicht die Verwissenschaftlichung der Theologie. Sie wollten Widersprüche zwischen den kanonischen Schriften aufklären, anfangs nur jener der Kirchenväter und der Bibel; später, in der Hochscholastik, ging es auch um die Harmonisierung kirchlicher und philosophischer Lehren. Dazu bediente man sich der sogenannten scholastischen Methode: Zwei auf den ersten Blick einander widersprechende Aussagen wurden gegenübergestellt, um durch logische Folgerungen schrittweise die Gegensätze zu versöhnen. Durch diese an der antiken Dialektik geschulte Methode wurden Schriften der Kirchenväter nicht selten in einem moderneren Sinne uminterpretiert.

Thomas von Aquin gilt bereits seinen Zeitgenossen als Vollender der Hochscholastik. Der um 1225 unweit von Rom geborene Thomas war als jüngster Sohn des Grafen von Aquino für den geistlichen Stand bestimmt. Gegen den Widerstand seiner Familie trat er dem Bettelorden der Dominikaner bei. Nach einem Grundstudium in Neapel studierte er Theologie in Paris, wo er sich 1245 Albertus Magnus anschloss. 1252 aus Köln nach Paris zurückgekehrt, hält er an der dortigen Universität Vorlesungen. Weitere Stationen als Dozent führen ihn nach Orvieto, Rom und Neapel. Als er 1274 auf der Reise zu einem Konzil überraschend stirbt, hinterlässt er ein gewaltiges Œuvre; die noch nicht abgeschlossene moderne Werkausgabe ist auf fünfzig voluminöse Bände angelegt.

Mit Albertus Magnus entdeckt Thomas Aristoteles neu, den er schlicht »den Philosophen« nennt. Unter aristotelischem Einfluss wird seine Theologie zur Universalwissenschaft. Eindrucksvolles Zeugnis ist das Hauptwerk des Aquinaten, die Summa Theologica, das wohl bedeutendste philosophisch-theologische Werk des christlichen Abendlandes. Das Wort Summa im Titel deutet an, dass Thomas eine umfassende und systematische Abhandlung über »Gott und die Welt« (im wörtlichen Sinne) vorlegen will. Zugleich ist der Begriff die damals gängige Bezeichnung für ein Lehrbuch. Ein solches Lehrbuch hätte es heute nicht leicht auf dem Markt. Obgleich unvollendet, umfasst es rund dreitausendfünfhundert Seiten!

Auf ihnen behandelt Thomas Fragen der Metaphysik, der Erkenntnistheorie, der Anthropologie, der Ethik, des Rechts und der Politik. Die Anlage ist zyklisch. Sie nimmt Gott zum Ausgang, dem der erste Teil gewidmet ist: von der Frage der Gotteserkenntnis bis zur göttlichen Schöpfung. Der zweite Teil gilt der »Krone der Schöpfung«, dem Menschen. Hier fragt Thomas nach dem Sinn des Lebens, entwickelt seine Ethik und Naturrechtslehre, seine politische Philosophie und die bis heute wirkmächtige Lehre vom »gerechten Krieg«. Da der Mensch aus eigener Kraft nicht vollkommen tugendhaft leben kann, bedarf es schließlich der Hilfe Christi, der Sakramente und der Kirche, denen der dritte, unvollendete Teil gewidmet ist.

Zentrales Anliegen der Summa Theologica ist die Versöhnung von Glauben und Vernunft. »Die heilige Wissenschaft«, so Thomas, »bedient sich […] nicht bloß der göttlichen Autorität, sondern auch der menschlichen Vernunft.« Glaube und Vernunft sind für ihn zwei Wege zur Erkenntnis; da nicht alles durch die Vernunft und nicht alles durch den Glauben erkannt werden könne, müssten sich beide notwendigerweise ergänzen. Zu Lebzeiten ist Thomas eine unanfechtbare Kapazität. Schon bald nach seinem Tod allerdings formiert sich die Opposition gegen seinen vernunftgeleiteten Ansatz. 1277 werden in Paris zahlreiche seiner »aristotelischen« Lehrsätze verurteilt. Dennoch wird Thomas von Aquin 1323 heiliggesprochen, 1567 zum Kirchenlehrer erhoben (mit dem Beinamen Doctor angelicus, der »Engelsgleiche«). Erst seit 1879 allerdings ist der »Thomismus« offizielle philosophische Doktrin der katholischen Kirche.

Mit der Einführung der menschlichen Vernunft in die Theologie steht Thomas von Aquin am Übergang zwischen Mittelalter und Neuzeit. Über die Wiederentdeckung Aristoteles’ hat er den Weg für den Humanismus in der Philosophie geebnet. Dafür hat Dante ihm in seiner Göttlichen Komödie ein Denkmal gesetzt (und das Gerücht gestreut, Karl von Anjou, der machtgierige König von Sizilien, habe ihn vergiften lassen). Mit dem Siegeszug des Aristotelismus im 13. Jahrhundert verbindet Erwin Panofsky übrigens auch die »lebensechten, noch nicht portraithaften, hochgotischen Statuen« mit ihrem beseelten Ausdruck. Thomas von Aquin, dem großen Umgestalter der Denkgewohnheiten seiner Zeit, verdanken wir Deutschen also nicht nur den Kölner Dom als steingewordene Summa, sondern in gewisser Weise auch die geheimnisvolle Uta im Dom von Naumburg.

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