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um 400 Augustinus Bekenntnisse Das Individuum betritt die Weltbühne

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Augustinus ist gerade seit zwei Jahren Bischof, als er mit seinen Bekenntnissen eine Art Selbsterklärungsschrift mit Vorbildcharakter vorlegt: Er grenzt sich von jenen Irrlehren ab, denen er in seinem früheren Leben anhing, und präsentiert (s)eine Bekehrungsgeschichte. Damit schuf Augustinus, einer der wichtigsten Kirchenlehrer der Geschichte, die wohl wirkmächtigste Autobiografie der Weltliteratur, die heute als einer der zentralen Texte des christlichen Abendlandes gilt.

Im Zentrum des Papstwappens von Benedikt XVI. steht eine Muschel, die an eine Legende aus dem Lebens seines Lieblingstheologen Augustinus erinnert: Dieser habe einen Jungen am Strand bei dem Versuch beobachtet, mit einer Muschel das Meer leer zu schöpfen, was ihm die Unmöglichkeit seines eigenen Bemühens vor Augen führte, die Mysterien Gottes mit seinem beschränkten Verstand zu erfassen. Dass Augustinus sich überhaupt einmal mit solcherart theologischen Fragen befassen würde, war bis zu seinem zweiunddreißigsten Lebensjahr alles andere als wahrscheinlich.

Aurelius Augustinus wurde 354 in Thagaste im heutigen Nordost-Algerien als Sohn eines heidnischen Vaters und einer christlichen Mutter geboren. Nach einem Rhetorikstudium in Karthago wirkte er lange als Rhetoriklehrer in seiner Heimatstadt und lebte ein sehr weltliches Leben. Erst 386 hatte er jenes Bekehrungserlebnis, das er an der Schlüsselstelle seiner Autobiografie beschreibt: Verzweifelt angesichts seines verpfuschten Lebens weinte er unter einem Baum, bis ihn eine Kinderstimme zu lesen aufforderte. »Da drängte ich meine Tränen zurück, stand auf und legte die gehörten Worte nicht anders, als daß ein göttlicher Befehl mir die heilige Schrift zu öffnen heiße und daß ich das erste Kapitel, auf welches mein Auge fallen würde, lesen sollte.« Nicht ohne Folgen, denn »alsbald am Ende dieser Worte kam das Licht des Friedens über mein Herz und die Nacht des Zweifels entfloh«. Fortan widmete er sein Leben Gott, ließ sich taufen und im Jahr 391 in Mailand zum Priester weihen. Vier Jahre später wurde er zum Bischof von Hippo Regius (heute Annaba im Nordosten Algeriens) ernannt, was er bis zu seinem Tod 430 blieb. In dieser Funktion schuf er ein beeindruckendes theologisches und philosophisches Werk, das die Summe der spätantiken Kirche und Grundlage der abendländischen Theologie bildet. Seinen Bekenntnissen, in der Weltsprache Latein verfasst, kommt in diesem Kontext eine herausgehobene Bedeutung zu, da sie aufgrund ihrer Anlage als Autobiografie besonders breite Rezeption fanden.

Augustinus selbst hat den Bekenntnissen eine doppelte Funktion zugesprochen: In Auseinandersetzung mit dem Schlechten und dem Guten, das man in sich selbst finde, solle Gott als gut und gerecht gelobt werden. Schuldbekenntnis und Lobpreisung Gottes gehen hier Hand in Hand, die Lektüre solle die Leser zu Gott führen. Sein autobiografischer Ansatz erlaubt eine weitgehend chronologische Darstellung des ganzen bisherigen Lebens in allen Einzelheiten des äußeren Geschehens und der inneren Entwicklung. Dabei legt Augustinus sein Augenmerk vor allem auf die Wendepunkte in seinem Leben und die Momente, in denen er Gottes Führung besonders gut veranschaulichen zu können meint. Der Text wird als Zwiegespräch mit Gott inszeniert: Durch die dauernde Ansprache Gottes wird der Rahmen der Vorsehung stets präsent gehalten, was dem Text ungeachtet aller Irrwege und Verfehlungen des Protagonisten eine besondere Geschlossenheit verleiht.

Mit den Bekenntnissen tritt die selbstreflexive Funktion der Autobiografie erstmals nachhaltig in den Vordergrund: Die individuelle Geschichte einer Bekehrung zum Christentum wird als exemplarisches Erfolgsmodell inszeniert. Die Bekenntnisse werden zum Gründungstext der Gattung Autobiografie, an dem man sich noch viele Jahrhunderte später orientiert – so auch der paradigmatische Text der modernen Autobiografie: Rousseaus Confessions (posthum 1782 veröffentlicht). Bei Rousseau wird das Ich dann zur alleinigen Richtgröße des autobiografischen Unternehmens (er verzichtet auf jegliche religiöse Rechtfertigung). Schonungslose Aufrichtigkeit ist sein Versprechen, womit die Subjektivität der Darstellung besonderes Gewicht bekommt, die nach einer der eigenen Wahrheit angemessenen sprachlichen Repräsentation verlangt – ein Anspruch, den Goethes Autobiografie dann bekanntlich offensiv im Titel trägt: Dichtung und Wahrheit (1811–1814, 1833). Und auch Goethe charakterisiert in Anspielung auf Augustinus seine Autobiografie als »Bruchstücke einer großen Konfession«.

Ab dem 14. Jahrhundert finden Augustinus’ Gedanken in Deutschland weite Verbreitung. Für Luther sind dessen Lehren von kaum zu überschätzender Bedeutung – schließlich erwarb er seine theologische Bildung als Augustinermönch. Im 17. Jahrhundert erscheinen dann erste Übersetzungen ins Deutsche. Neben der theologischen Relevanz war es die philosophische Dimension von Augustinus’ Bekenntnissen, waren es besonders seine Überlegungen zum Konzept der Zeit und zur Erinnerung, die großen Widerhall in der deutschsprachigen Rezeption fanden: bei Leibniz, Schopenhauer, Husserl, Wittgenstein oder Heidegger – Hannah Arendt promovierte bei Karl Jaspers über Augustinus. Vor diesem Hintergrund ist dem deutschen Augustinus-Kenner Benedikt XVI. zuzustimmen, wenn er sagt: »Einige Schriften des Augustinus sind von grundlegender Bedeutung, und dies nicht nur für die Geschichte des Christentums, sondern für die Entwicklung der gesamten abendländischen Kultur: das deutlichste Beispiel sind die Confessiones.« Denn Augustinus’ Bekenntnisse rückten das über sich selbst reflektierende Ich erstmals ins Zentrum der Aufmerksamkeit, von wo es heute nicht mehr wegzudenken ist.

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