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„Fickst du immer noch so gut?“

Sie stand ganz nah vor mir. Ich bildete mir ein, den Hauch ihrer Frage wie eine Liebkosung auf meiner Haut zu spüren. Meine Härchen am ganzen Körper richteten sich auf und ich blickte Schneewittchen in die dunklen Augen. Die Haut aus weißem Alabaster, die Haare pechschwarz, die Lippen rot.

Ich zögerte … und hatte verloren. So eine Frage musst du sofort beantworten, innerhalb von Bruchteilen einer Sekunde. Das Ja muss schnell und selbstsicher kommen wie eine abgefeuerte Pistolenkugel. Doch meine Lippen blieben verschlossen. Weder wollte ich mich besonderer Fähigkeiten im Bett rühmen, noch konnte ich mich daran erinnern, dass es einer meiner bisherigen Partnerinnen getan hätte. Mich rettete beim Sex meist meine „Cosinus-Welle“. Mit einer gutturalen Stimmtechnik, die ich von einem Mongolen, den ich zu verteidigen hatte, erlernte, bringe ich mithilfe der Stimmbänder meine gesamte Mundhöhle zum Schwingen und versetze damit meine Zunge in Vibration, sodass sie heftig zu flattern beginnt wie eine Fahne im Orkan. An der richtigen Stelle zum Einsatz gebracht, hat diese Technik noch immer zu einem befriedigenden Erfolg geführt. Warum ich Idiot immer nachdenken musste?

Ja!

Meine Körpermitte schrie es. Mein Mund aber schwieg. Ich versuchte ihrem Blick standzuhalten, der fordernd und zugleich überlegen war, doch brachte ich nicht mehr als ein verzweifeltes, blödes Grinsen zustande. Gut, dass man sich in solchen Momenten nicht selbst sieht. Es war noch keine Sekunde vergangen, eine Sekunde, die sich im Universum ausdehnte wie ein neues Sonnensystem, da sagte sie: „Entschuldigung, ich muss dich wohl verwechselt haben.“

Sie verzog den Mundwinkel. Enttäuscht und angewidert zugleich. Als hätte sie statt in eine Handcreme aus Paris in einen steirischen Kuhfladen gegriffen. Ihr Blick ein Griff in meine Eier. Es kribbelte da unten, es erregte mich, aber es bereitete mir auch Unbehagen. Natürlich hat sie mich verwechselt, sagte ich mir, wie hätte ich sie vergessen können?

Das war unsere erste Begegnung gewesen.

Jetzt lag sie neben mir. Schneewittchen war noch bleicher als gestern. Ihre Haare umspielten ihre Schultern wie tanzendes Seegras, das eine Nixe umhüllt, und das Rot ihrer Lippen war überall verteilt: auf ihrem Busen, dem Bauch, den Schenkeln. Es klebte am Leintuch und auf dem Bett, nur leuchtete es nicht mehr so wie gestern. Rostbraun hatte es sich in den Stoff gesaugt und auf ihrer Haut eine Kruste gebildet. Ein tiefer Schnitt hatte die Kehle durchtrennt und zwischen den Beinen hatte jemand sein krankes Werk verrichtet: Die Schamlippen waren mit großen Büroklammern zusammengeheftet.

Ich sah mich um und fragte mich, was ich in diesem Hotelzimmer machte. In einem Raum mit einer Wandtäfelung aus honigfarbenem Holz, gemasert und mit einzelnen Wurzelzeichnungen, und einem blaugrauen Teppich. Aber das war unwichtig. Was zählte, war das tote Mädchen darin. Und ich daneben. Ich selbst lag neben dem Bett, halb am Boden, der Oberkörper auf der Matratze. Ein paar Blutspritzer hatten mein Gesicht getroffen.

Ich rappelte mich auf und ging ins Bad, wo ich mein Gesicht mit kaltem Wasser wusch und hoffte, damit meiner Erinnerung auf die Sprünge zu helfen. Langsam kehrten erste Bilder zurück. Und ich zu Schneewittchen auf ihrem Lager. Sie hatte das Gesicht einer Puppe. Ihre dunklen Augen starrten auf einen fernen Punkt an der Decke. Ich brachte es nicht fertig, sie zu berühren, um ihre Lider zu schließen. Doch ihre Nähe half meinem Gedächtnis. Bruchstückhaft fügten sich Bilder, Eindrücke und Geräusche zu dem zusammen, was man Erinnerung nennt. Das Gestern winkte mir durch einen verzerrten Spiegel zu. Ich versuchte, den Vortag zu rekonstruieren:

Es war Montag und ich kam spät in mein Büro. Am Eingang passte mich Dragana ab.

„Jetzt haben wir schon den zehnten und ich hab mein Gehalt vom letzten Monat noch immer nicht am Konto.“

Sie baute sich vor mir auf, wobei sie ihren üppigen Busen als Barriere einsetzte.

Wie die Woche zuvor, versuchte ich ihr zu erklären, dass ihr Gehalt schon überwiesen sei und es halt ein paar Tage dauern würde, bis gebucht wäre.

„Das sagst du jetzt schon seit einer Woche und schön langsam glaub ich es dir nicht mehr. Also klemm dich hinter den Computer und mach endlich die Überweisung, sonst lass ich dich hier nicht mehr raus!“

Ich fasste sie an der Schulter und schob sie sanft weg. „Zuerst musst du mich einmal vorbeilassen, sonst kann ich nicht an den Computer in meinem Zimmer, um das E-Banking zu checken. Vielleicht braucht das ein Update“, sagte ich, wohl wissend, dass das hier kein technisches Problem war.

Mein Büro war so eng, dass der Durchgang zu meinem Zimmer zwischen Draganas Schreibtisch und der Wand eigentlich nur Platz für einen ausgemergelten Fakir ließ. Regelmäßig streifte ich mit meinem Bauch über ihre Tischplatte. Umgekehrt hatte das den Vorteil, dass auch aufgebrachte Klienten nicht unangemeldet in mein Büro platzen konnten. Sie mussten vorbei am Zerberus, den Dragana perfekt zu verkörpern wusste.

Dragana wich einen Schritt zurück und ich roch ihre Haut und ihr süßes Parfum. Eine Spur zu lieblich für eine Frau nach dem Wechsel, dachte ich. Mein Oberarm streifte ihren Busen. Er war füllig und weich. Es war Jahre her, dass wir regelmäßig miteinander geschlafen hatten. Damals waren ihre Brüste voll und fest wie ein aufgepumpter WM-Fußball. Sie war jetzt, trotz der vielen Falten um Mund und Augen, immer noch rassig. Sie hatte den Charme des Balkans. Schön und heruntergekommen, mit der Hoffnung auf bessere Zeiten und der standhaften Ignoranz des Umstands, dass ihre besten Jahre vorbei waren. Die in die Haare gesteckte Brille, die sie zum Arbeiten am Computer benötigte, verlieh ihr einen reifen Sex-Appeal.

Als ich mich durch den Durchschlupf gezwängt hatte, ärgerte ich mich über sie. In solchen Momenten wollte ich sie am liebsten rauswerfen. Doch den Ärger überwog die Erkenntnis, dass ich kaum jemanden finden würde, der für so wenig Kohle mit so viel Engagement für mich arbeiten würde.

Außerdem brachte sie einige Mandanten aus ihrem serbischen Umfeld. Alles Gauner, Schieber und Bankrotteure. Wahrscheinlich hätten diese Gestalten meiner Dienste gar nicht bedurft, weil man ihnen von offizieller Seite ohnehin selten beikam. Oder auch gar nicht beikommen wollte. Mein Beitrag, die Durchsetzung der ordentlichen Strafrechtspflege abzuwehren, war im Vergleich zur Unfähigkeit und Laschheit der Behörden gering. Denn wenn man es richtig anlegte, war fast alles möglich.

Brauchen Sie ein Auto? Jaguar, Audi, BMW? Kein Problem, kann ich Ihnen alles billig besorgen. Die Sache läuft easy. Ich suche einen, der das Fahrzeug least, am besten über seine marode Firma. Sie kaufen es von der Firma und melden es im Ausland auf sich an. Ein Wohnsitz im Ausland ist aus steuerlichen Gründen und auch aus Gründen der Strafverfolgung immer von Vorteil. Sie erwerben gutgläubig das Eigentum und die Leasinggesellschaft verliert es. Sollte diese die Karosse wiederfinden, dann ist ihr Recht daran schon lange untergegangen. Wir machen den Kaufvertrag. Ganz wasserfest. Sie zahlen natürlich nur einen Bruchteil der aufscheinenden Summe. So haben wir alle was davon. Zwischenzeitig ist der Firmenchef, der dieses Kunststück ein paar Mal durchgezogen hat, längst in irgendeinem montenegrinischen Tal verschwunden. Offiziell habe ich natürlich nichts damit zu tun. Wer will schon mit solchen Betrügereien in Zusammenhang gebracht werden?

Drogen kann ich Ihnen über meine afghanischen Klienten besorgen oder unangenehme Nachbarn von meinen tschetschenischen Freunden in Sachen „Nachbarschaftshilfe“ beraten lassen. Warum ich mich mit all diesem Abschaum abgebe? Ganz einfach: Ich bin Anwalt.

Ich ließ mich in meinen Bürosessel fallen, schaltete den Computer auf meinem Schreibtisch an und überlegte, wo ich das Geld für Draganas Gehalt oder wenigstens einen Vorschuss abzweigen konnte. Ein Kollege hatte mir vorgestern eine Überweisung von knapp fünftausend Eiern avisiert. Wider Erwarten hatte ich einen Rechtsstreit gewonnen und der gegnerische Anwalt hatte mitgeteilt, dass er keine Berufung einlegen werde. Der eingeklagte Betrag sollte also schon auf meinem Konto eingelangt sein. Ich würde ihn zur Zahlung an Dragana verwenden und meinem Mandanten erklären, dass die Berufungsfrist noch offen wäre und man diese abwarten müsse. Das verschaffte mir bis zu zwei Wochen Zeit.

Nachdem ich zweitausend Euro auf Draganas Konto und den Rest auf meines überwiesen hatte, rief ich nach ihr. Sofort tauchte ihr Oberkörper hinter meinem Bildschirm auf. „Du musst endlich die restlichen Honorarnoten schreiben und verschicken“, sagte ich. Es war an der Zeit, die Früchte meiner Arbeit einzubringen.

„Sind alle längst erledigt.“ Sie verzog dabei keine Miene. Mit diesem starren Gesichtsausdruck sah sie aus wie die Galionsfigur an einem Schiffsrumpf.

„Und wieso seh’ ich dann keinen Zahlungseingang am Kanzleikonto?“

Sie zuckte mit den Schultern und sagte beiläufig: „Weil deine Klienten nie zahlen.“

Das war das Problem mit meiner Kundschaft. Die zahlten gar nichts, nicht einmal ihren Anwalt. Und leider, so musste ich mir eingestehen, war auch das Geschäftsmodell mit den Autos noch kein durchschlagender Erfolg. Die meisten Firmenchefs setzten sich damit selbst ins Ausland ab, um sie dort zu verkaufen. Nicht einmal diese Provision gönnten sie mir. So gesehen war ich über die Einladung für diesen Abend sehr froh, denn bei so einem Event lernt man immer neue Leute kennen. Und neue Leute sind neue Klienten, sage ich immer.

Tote Vögel singen nicht

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