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4.

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Vor dem Hotel reflektierten Glasscheiben die Blaulichter der Feuerwehrfahrzeuge. Ein paar Männer in Montur stampften mit schweren Schritten in die Lobby, aus der noch vereinzelte Menschen hetzten, Erstaunen und Verwunderung und vielleicht auch Angst um das in den Zimmern zurückgelassene Hab und Gut in den Gesichtern. Die Vorsichtigen hatten wohl das Wichtigste in die Bauchtaschen gestopft. Und die Raucher hatten ihre Zigaretten gerettet.

Ich empfand ein wenig Häme, als ich zwei Pärchen in sehr leichter Montur auf dem Gehsteig ausmachte. Die blonden Damen trugen Negligés und zeigten ihre Beine und sonstigen Reize, während deren Begleiter in Schlapfen unterwegs waren. Der eine hatte eine Jogginghose an, der andere Boxershorts und ein ärmelloses Shirt, aus dem vorne wie hinten schwarz gekräuselte Haare quollen. Ich betrachtete deren Visagen und war mir sicher, dass es sich um Russen handeln musste. Eine schiefe Nase wie Putin und ein aufgedunsenes Gesicht, Zeichen für zu viele Kartoffeln. Gekocht und auch in flüssiger Form. Und so einen Pelz auf Brust und Rücken braucht man nur in Sibirien.

Zwei Feuerwehrmänner mit Atemschutzmasken liefen an mir vorbei in die Garage. Ich drehte ab und überlegte nun, wie viel Zeit mir blieb. In gut zehn bis fünfzehn Minuten würden sie das Hotel soweit gecheckt haben, um zu wissen, dass kein Feuer ausgebrochen war. Dann würden sie den Melder prüfen, von dem der Alarm gekommen war, und die dortige Etage unter die Lupe nehmen. Das würde vielleicht zehn Minuten dauern und dann etwa weitere zehn, bis das Blaulicht der Polizei mit jenem der Feuerwehr Hochzeit feiern konnte. Eine halbe Stunde, in der ich so viel Distanz wie möglich zwischen Schneewittchen und mich bringen sollte. Es durfte keine Flucht sein, sondern es sollte wie das Bemühen, einen knappen Termin einzuhalten, erscheinen.

Ein Polizeifahrzeug näherte sich im Einsatz. Ich zwang mich, ihm nicht nachzusehen, drehte den Kopf aber doch leicht zurück. Als sich die Tonfolge immer weiter entfernte und die Töne tiefer wurden, eilte ich etwas entspannter weiter. Der Einsatz hatte nicht dem Hotel gegolten, zumindest noch nicht.

Am Ring, ich ging gerade am Café Schwarzenberg vorbei, in dessen Schanigarten sich die Touristen um einen Platz rauften, fiel mir ein, dass ich ja gestern mit dem Auto gekommen war. Ich hatte es noch vor dem Volksgarten geparkt. Ich ging also vor bis zur Oper, und weil ich das Gefühl hatte, ein wenig wackelig auf den Beinen zu stehen, wollte ich dort in einen Ringwagen einsteigen, um mich die zwei Stationen bis zum Volksgarten bringen zu lassen. Ein Kaffee wäre ganz gut. Ich überlegte, die Ankerfiliale in der Passage aufzusuchen, um mir einen Cappuccino im Pappbecher zu besorgen. Ich betrat die Rolltreppe und plötzlich drehten sich nicht nur deren Antriebsräder.

Als ich die Augen aufschlug, sah ich in zwei besorgte Gesichter. Eine dunkelhäutige Frau, die ein Kopftuch über ihre Haare gebunden hatte, und ein Typ ungefähr in meinem Alter, wie ich an den silbern schimmernden Bartstoppeln auf seinen Wangen sehen konnte.

„Haben Sie sich wehgetan? Ist Ihnen nicht gut?“

Er reichte mir die Hand und ich sah ein Schlangentattoo auf seinem rechten Unterarm. Mit einem Ruck hatte er mir hochgeholfen. Ich musste gestürzt sein.

„Danke“, sagte ich und putzte den Staub von meinem Jackett. Die Bewegung verursachte leichten Schmerz, aber es schien nichts gebrochen zu sein, als ich loshumpelte. Der Mann gab meine Hand frei und die Frau legte mir ihre auf die Schulter.

„Wollen nicht besser setzen?“, fragte sie mit Akzent.

Ich schüttelte meinen Kopf. „Es geht schon“, sagte ich. „Ich brauche nur einen Kaffee.“

„Des glaub’ ich a“, sagte der Mann sardonisch. Offenbar sah man mir die schwere Nacht an. Seine Schlange war wieder in den Hemdsärmel gekrochen, dafür sah ich jetzt die Goldkettchen um Handgelenk und Hals.

Wenig später saß ich in einem Zug der Linie 1. Die Hände hatte ich um den warmen Becher geschlungen. Nach einigen Schlucken fühlte ich mich wieder der Welt um mich zugehörig. Offenbar hatten mir Stress und Aufregung weit mehr zugesetzt als gedacht.

Endlich hatte ich meinen Wagen erreicht. Ein alter 3er BMW, der nur mehr durch die liebevolle Wartung meines Mechanikers zusammengehalten wurde. Hinter dem Scheibenwischer begrüßte mich ein Liebesbrief der MA 67, der Magistratsabteilung für Parkraumbewirtschaftung.

Mein Auto war aber nicht das einzige, das am Vorabend vor dem Club stehen geblieben war. Links und rechts von meiner Karre prangten weitere Erlagscheine an den Windschutzscheiben. Mit Ausnahme des Wagens direkt rechts neben meinem. Ich konnte mich an den grauen SUV erinnern, weil er gestern schon dagestanden hatte und ich mich darüber ärgerte, dass er anderthalb Parkplätze für sich beanspruchte. Natürlich hatte so ein Bonzenfahrzeug keinen Strafzettel bekommen. Und ich hatte mich gestern so in die verbleibende Lücke hineingequetscht, dass der Fahrer des SUV seinen vermutlich fetten Bauch würde einziehen müssen, um einsteigen zu können.

„Fahren Sie weg?“

Ich drehte mich um und sah einen beleibten Mittvierziger mit Doppelkinn neben meinem Fenster stehen. Ich war zwischenzeitig ins Auto gestiegen und hatte die Seitenscheibe heruntergelassen. Ich nickte und ließ den Motor an. Als ich weiter vorne beim Burgtheater in den Ring einbog, fiel mir ein, dass es sich bei dem Typen um einen Politiker gehandelt hatte. Irgendein Bezirkspolitiker, der es mit seinen markigen Sprüchen immer wieder auf die Titelseiten schaffte. Wieso konnte der ohne Zeitlimit parken? Vielleicht mit Handyparken. Oder der Wagen war auf das Rathaus zugelassen. Ein fescher Dienstwagen. Politiker müsste man sein, dachte ich. Und dann fiel mir ein, dass er gestern an dem Tisch gesessen war, den Schneewittchen noch aufgesucht hatte, bevor sie mit mir abgezogen war. Und ihre Hand war die, die ich zuvor im Halbdunkel gesehen hatte. Die sich das Geld geholt hatte.

Tote Vögel singen nicht

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