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2.

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Nachdem ich zwei Stunden der Vernehmung eines rumänischen Taschendiebs im Halbgesperre des Straflandesgerichts beigewohnt hatte, war ich nach Hause gegangen, um mich frisch zu machen. Gegen 20.00 Uhr brach ich zum Volksgarten auf. Ich hatte zwar keine Ahnung, welches hohe Tier hier zu einem Fest geladen hatte, aber wichtig war, dass sich viele andere hohe Tiere dort ein Stelldichein gaben. Ich griff in die Innentasche meines Jacketts und prüfte nach, ob ich genug Visitenkarten eingesteckt hatte. „Legal advice“ und „Offshore investments“ prangte in großen Lettern darauf. Klotzen statt kleckern war hier angebracht. Diese Schlüsselworte lockten im Normalfall betuchte Klienten an wie Zuckerwasser die Wespen. Ich hoffte, dass ein paar Krösusse an diesen Begriffen picken blieben. Reichtum ist eine Sucht. Wie bei Drogen ist man trotz gesteigerter Dosis nie zufrieden und glücklich. Das kann man ausnutzen. Das Problem bei der Geldwäsche ist nur, dass die Kunden meist noch gerissener und skrupelloser sind als man selbst.

Dennoch war ich guter Dinge. An diesem Abend wurden die Karten neu gemischt. Irgendwann würde ich auf den richtigen Idioten treffen, den ich ausnehmen konnte wie eine Weihnachtsgans. Ich ging die letzten Schritte vom Bundeskanzleramt Richtung Ringstraße, die Konturen der mächtigen Gebäude lagen in einem blauen Schleier, der die Nacht ankündigte. Es musste sich etwas nachhaltig ändern in meinem Leben und ich spürte, dass dies an diesem Abend geschehen würde.

Eine kleine Traube von Menschen hatte sich um den Eingang gebildet. Ein Schrank von einem Türsteher prüfte die Einladungen. Er diskutierte mit ein paar Jugendlichen. Die Youngsters konnten keine vorweisen, wollten aber dennoch tanzen. Als ich von hinten kam und mit meiner Einladung in der Luft wedelte, teilte der Pitbull am Einlass für mich die Menge. Ich dachte an die Geschichte aus der Bibel: das Rote Meer und Moses und der Typ mit dem Stiernacken war Gott. Der Gott des Einlasses. Ich merkte, wie die Kids ihre Augen auf mich richteten und wie ihr Neid am 160er-Faden aus feinster Alpakawolle klebte. Ich liebte diesen Anzug, auch wenn es kaum eine Textilie gab, die mehr Tierleid schuf. Der Türsteher, dessen Oberkörper verstörende Ähnlichkeit mit HULK aufwies, öffnete mir mit einer devoten Geste die Tür. Sofort ließen hämmernde Bässe die Luft zittern. Ich drehte mich zu den Jugendlichen hin und klopfte mit der Linken in die Armbeuge meines ausgestreckten Arms. Vafanculo!

Diese Kinder mussten noch lernen, viel lernen. Du brauchst dich nicht an die Spielregeln zu halten, aber du musst sie kennen. Meine Einladung war ja auch nicht an mich gegangen. Ich gehe seit Kurzem in ein Fitness-Studio. Es liegt am Schillerplatz und ist exklusiv. Bei einem der wenigen Anwaltstreffen, die ich besuche – leidige gesellschaftliche Ereignisse mit lauter Schnöseln –, traf ich einen Kollegen, der mir von seinem Leid berichtete: Seine Frau zwinge ihn, mehr für seinen Körper zu tun. Gesund zu essen, nicht zu rauchen und nicht zu trinken und Sport zu treiben. Daher bleibe er so lange wie möglich im Büro. Nicht um zu arbeiten, sondern um zu essen, Alkohol zu trinken und zu rauchen. Als seine Frau Lunte gerochen habe, sei er gezwungen gewesen, sich in ihrem Beisein in einem Fitness-Club einzuschreiben. In besagtem am Schillerplatz. Er zahle seinen Mitgliedsbeitrag regelmäßig und sei sich sicher, seine Frau spioniere sein Konto aus und würde das nachprüfen.

„Jetzt schmeiß ich mich in die Panier von Adidas und komm spät heim und die Alte glaubt, ich war trainieren“, hatte er mir nach drei Seideln Bier erzählt. „Ich habe nach meiner Anmeldung nie wieder einen Fuß in dieses Studio gesetzt.“

Er hatte gelacht und sein Doppelkinn hatte dazu gewabbelt. Erklär mal deiner Alten warum du immer fetter wirst, hab ich mir gedacht. Aber am nächsten Tag war ich Herr Doktor Alois Ebert und das Mädchen am Empfang war richtig glücklich, dass ich nach so langer Zeit wieder trainieren kam. Sie glaubte auch sofort, dass ich meine Magnetkarte in der Zwischenzeit verlegt hatte. Jetzt könnte ich dort alles machen, mich aufführen wie der letzte Hunne und alles würde Doktor Ebert auf den Kopf fallen. Würde ich eine Affäre mit einer der Trainerinnen beginnen, womöglich würde der Kollege bald vor einer sehr teuren Scheidung stehen und sich wundern, wie sich das Schicksal an ihm rächte für das bisschen Lottern aus Rauchen, Saufen und Völlern.

Und nicht anders kam ich zu der heutigen Einladung. Ich hörte in der Sauna jemanden über den Event sprechen und wie er zu seinem Gesprächspartner sagte: „Ich deponiere eine Karte am Empfang für Sie.“ Ich spitzte die Ohren. Ein exklusives Fitness-Center, exklusive Mitglieder, ein exklusiver Event, das schien klar. Ich machte also schnell und wartete, nachdem ich wieder in ziviler Kleidung steckte, vor dem Empfang, bis der Typ diese Einladung hinterlassen hatte. Ich fragte das Mädchen am Empfang nach den Allergenen eines Shakes, der hinter ihr im Regal stand, und sobald sie sich umgedreht hatte, um mir den Warnhinweis von der Packung herunterzubeten, hatte ich die Eintrittskarte schon in meiner Sporttasche verschwinden lassen.

Und jetzt war ich da.

Ein Meer aus Beats und Stimmen wogte durch den Saal. Kellner zwängten sich mit Tabletts durch die Reihen der Gäste. Sie nutzten jede sich auftuende Lücke wie diejenigen, die noch in einen abfahrenden U-Bahnzug springen. Geschickt balancierten sie langstielige Gläser und dicke Bierflaschen darauf. Die Tabletts wanderten über unsere Köpfe wie die fliegenden Teller beim chinesischen Wanderzirkus. Ich griff mir eine Flasche Bier. Langsam schlenderte ich an der Bar vorbei, wo einzelne Barkeeper den Gästen auch ausgefallene Wünsche zusammenmixten, und überlegte, ob ich später auf einen Longdrink oder Cocktail umsteigen sollte. Aber der Abend hatte eben erst begonnen und es galt, sein Potenzial abzuwarten.

Das Licht war gedämpft und lediglich bunte Lichtblitze holten einzelne Gesichtszüge der Gäste aus dem Dunkel. Ich erkannte einen Sportler, der jetzt um einiges weniger sicher auf seinen Beinen stand als sonst auf seinen Skiern. Ich sah einige Starletts, die sich gern abwechselnd an erfolgreiche Typen hängten, und irgendwo ganz hinten war auch der umtriebige Baumeister zu erkennen. Der Mann wähnte sich im zwanzigsten Frühling und war sich nicht bewusst, dass aus einem vertrockneten Ast keine grünen Triebe mehr ausschlagen. Und da waren auch nicht wenige Politiker, wie ich jetzt erkennen konnte. An den Bänken vor den großen Glasscheiben in Richtung Ringstraße, die durch schwere Vorhänge abgedunkelt waren, entdeckte ich den Herausgeber einer Illustrierten, der gerade eine weiße Linie am Tisch zog und den Spiegel zu einem Stadtrat hindrehte.

Die Musik wurde lauter, und trotz des vom DJ zugeschalteten Filters, ließen die Bässe den Boden zittern. Ich wurde angerempelt, ein Bezirksrat der Grünen drängte sich in einer Cannabiswolke an mir vorbei Richtung Tanzfläche. Ein Security fing den Mann ab und deutete zu einem Nebenraum, wo offenbar kein Rauchverbot herrschte. Ich stellte meine Bierflasche ab und wollte kurz in den Garten, um Luft zu schnappen, als ich zwei Stadtpolitiker der roten Stadtregierung sah, die nach silbernen Aufklebern griffen und dafür Geld zu einem Dritten am Tisch hinschoben. Ich erkannte eine exklusive Uhr am Handgelenk dessen, der das Geld nahm. Eine Jaeger-LeCoultre Reverso Tourbillon. Und eine zweite, zarte Hand, unverkennbar die einer Frau, zweigte für sich einige Scheine vom Geldbündel ab.

Dann war da noch der TV-Moderator, der sich eben von seiner langjährigen Partnerin getrennt hatte und dafür umso ungehemmter in einer der Eckbänke einen geblasen bekam. Bei den Lichtverhältnissen konnte ich nur sein entspanntes Gesicht sehen. Er hatte die Augen geschlossen und die Falten um seinen Mund zuckten im Takt der Kopfbewegungen seiner Partnerin. Von der war nur wenig zu erkennen. Sie kniete auf der Bank neben ihm und hatte ihren Hintern in die Luft gereckt. Ihr Kopf war nur von hinten zu sehen. Er bewegte sich jetzt schneller auf und ab, das Fernsehgesicht setzte ein seliges Grinsen auf. Frisur und Rock der Gespielin kamen mir bekannt vor. Ich hätte keine hohe Summe gesetzt, aber beides hatte ich im TV gesehen. Besagter Moderator hatte am Vorabend eine Politdiskussion geleitet und die einzige Frau in dieser Runde war die Kandidatin der Konservativen gewesen. Offenbar war man sich nicht nur politisch nähergekommen. Sie verrichtete den Liebesdienst mindestens genauso uninspiriert wie es ihre Politik war, aber er schien es zu genießen, wie auch ein Großteil der Bevölkerung die von ihr vertretenen Standpunkte schätzte. Ich schlenderte weiter und traf nur auf breite Gesichter. Ausdruck des Glücks, weil sie voll von Drogen oder Alkohol waren oder weil sie bestochen worden waren.

Man fühlte sich unter sich, man fühlte sich wohl, man fühlte sich sicher. Das typische „Meet and Greet“ von Politik, Medien und Wirtschaft. Man plauderte, man puderte sich die Nase oder man puderte, was man vor die Lenden bekam.

Die Musik hatte den Beat gewechselt und die Bässe kamen nun sanfter. Ich musste auf die Toilette, wo ich neben einer dunkelhäutigen Schönheit mit großen Titten und großem Schwanz urinierte. Während ich ausschüttelte und die Transe mein Gemächt mit laszivem Blick verschlang, fragte ich mich, ob ich an diesem Abend auf einen Bekannten treffen würde. Denn wo der Glanz von Geld oder Macht war, da tauchten meine Aasgeier auf. Ich wehrte den Annäherungsversuch meines Pinkelpartners mit freundlichem Lächeln und ebensolchen Worten ab: „Hau ab, du Tunte!“, sagte ich und schob ihn zur Seite.

Später lehnte ich an der Bar im Garten, wo ein weiterer Disc Jockey alten 70er-Soul und Funk auflegte: WAR, Mothers Finest, James Brown und so. Mein Blick scannte die anderen Gäste, die am Tresen lehnten. Fast nur Männer. Die wenigsten trugen Anzug. Hier dominierte der College-Look, weil sich die Mittfünfziger heute alle der Realität verweigern und meinen, mit einem bunten Polo mit großem Logo und großer Brieftasche, die man für das Logo braucht, die Jugend zu kaufen. Ich war auf der Suche nach einem Opfer. Ich suchte jemanden, dem die Gier aus den Augen leuchtete und den ich leicht für eines meiner Finanzierungsmodelle gewinnen konnte. Ich bestellte einen Gin Tonic und legte meine Angelrute aus, indem ich meinen Blick auf einen Typen mit Krokodil an der Brust und Fett auf den Rippen heftete. Mein Opfer hatte den Blick einer Kuh, die nach der Besamung auf die Sommerweide gelassen wurde. Ich nahm mein Glas und steuerte auf mein Ziel zu.

Plötzlich legte sich eine Hand auf meine Schulter und jemand zog mich zurück.

Tote Vögel singen nicht

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