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5.

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Ich hatte den Wagen in der Paulanergasse gerade eingeparkt, als mein Telefon läutete. Ich zuckte zusammen. Aber nur, weil es sich mit dem Radio verbunden hatte und das Klingeln in einer infernalischen Lautstärke kam. Ich sah, wie sich in einem nahen Schanigarten einige Köpfe in meine Richtung drehten. Es war Dragana.

„Was willst du? Ich bin gleich da. Hab ich irgendwelche Termine versäumt?“, fragte ich unfreundlich.

„Deswegen rufe ich ja an. Die Verhandlung am Arbeitsgericht wurde vertagt, der Richter oder sein Praktikant haben in der Früh angerufen und sich entschuldigt, der neue Termin kommt mit Ladung und Stanisic hat die Besprechung am Nachmittag abgesagt, er hat heute angeblich keine Zeit. Wenn du mich fragst, hat er schon wieder die Stadt verlassen.“

„Ich frag’ dich aber nicht.“

Mirko Stanisic war einer der Klienten, mit denen ich ein paar Dinger drehte, nichts Großes. Immer wenn ihm das Pflaster hier in Wien zu heiß wurde, tauchte er für ein paar Tage unter. Vor allem der eine Clan aus dem Kosovo war nicht gut auf ihn zu sprechen, seit das mit den Schüssen beim Figlmüller war. Ich schien bei seinen Transaktionen zum Glück nirgends auf, konnte aber bei Gelingen durchaus die Hand aufhalten. Schade, sagte ich zu mir, ich hatte heute mit ein paar lila Scheinchen gerechnet. Solange es sie noch gab.

„Sonst noch was?“, fuhr ich Dragana schroff an.

Sie brauchte das. Wenn ich sie zu gut behandelte, würde sie sich vielleicht eine besser und vor allem regelmäßig bezahlte Arbeit suchen, doch so traute sie sich nicht einmal über eine Kündigung nachzudenken.

„Ich wollte heute früher Schluss machen, wenn sonst nichts ansteht. Meine Tochter kommt mit der Kleinen vorbei.“

„Melanie?“

„Valerie!“

Wieder hatte ich vergessen, wie lange Dragana schon für mich arbeitete und wie lange es tatsächlich her sein musste, dass wir was miteinander laufen hatten. Das war vor ihren Töchtern gewesen. Und die Ältere der beiden hatte jetzt selbst schon ein Kind. Dragana war also eigentlich eine GRILF, eine #Granny I’d like to fuck#. Warum ihre Tochter das Kind ausgerechnet Valerie nennen musste, würde mir ewig ein Rätsel bleiben. Zu einem Nachnamen wie Pantelic hätte eine Sladjana oder von mir aus Silvija einfach besser gepasst.

„Wenn es auf deine Zeit geht, kannst du von mir aus eine halbe Stunde früher Schluss machen.“

„Bei dem, was du mir zahlst, hätte ich die letzten zehn Jahre zu Hause bleiben können.“

„Vorsicht“, warnte ich Dragana, „das kann schneller passieren, als dir lieb ist. Und was würde Ratko dann dazu sagen?“

„War ein Witz. Bis morgen.“

„Bis morgen, aber pünktlich.“

Ich hatte das letzte Wort und ich hatte die Chefkarte gezogen. Natürlich hätte ich sie auch nach Hause schicken können, zu tun gab es im Moment nicht viel, aber ein wenig Schikane entspannte mich. Dafür würde ich nicht früher gehen. Denn ich würde erst gar nicht kommen. Beschloss ich und startete den Motor. Die Fehlzündungen ließen ein paar Gastgartenbesucher blöd gaffen. Würde die Polizei bereits nach mir fahnden, würden die Bullen sicher zuerst in der Kanzlei antanzen.

Keine fünf Minuten später hatte ich mein Ziel erreicht. Ich war beim Mittersteig. Nicht bei der bekannten Strafvollzugsanstalt, sondern bei meinem Wohnhaus. Mittlerweile war ich es leid, zu betonen, dass ich nicht im Gefangenenhaus zu tun hatte, wenn ich nach Hause wollte und dem Taxler meine Adresse gab. Auch im Bekanntenkreis mache ich nur noch Scherze darüber, wenn einer sagt: „Das ist aber praktisch. Da bist du ja ganz in der Nähe von deinen Klienten.“

„Nur, wenn ich versagt habe und sie einsitzen müssen“, antworte ich dann meist. Und schiebe oft nach: „Aber das Beste ist: Die Kuchen, in die ich die Feile einbacke, sind meist noch warm, wenn ich sie rüberbringe.“

Es war weit nach Mittag und ich hatte Hunger. Also kehrte ich bei meinem Stammwirt ein. Sein Lokal am Eck betrieb er seit vielen Jahren und ebenso lang kannten wir uns. Früher hatte mich auch noch was anderes hingetrieben, doch das war jetzt vorbei. Ich betrat das Lokal und grüßte Severin, der hinter der Budel stand und gerade zwei Bier zapfte.

„Für mich kannst auch gleich eins machen“, rief ich ihm zu und suchte mir einen Platz etwas weiter hinten, nicht direkt am Fenster. Ich sitze nicht gern in der Auslage.

Die meisten Tische waren frei, lediglich ein Maler in seiner fleckigen Kluft und zwei Bauarbeiter, die ihre Mittagspause ausdehnten, saßen da. Am Tisch schräg mir gegenüber saß im Zwielicht, durch das sich dünnfadig die Rauchschwaden schlichen, ein Pensionist, der die Kronen Zeitung studierte. Ich hatte selbst auf das Blatt gespitzt, sagte mir dann aber, dass dort wohl noch nichts drinstehen würde. Dafür lief in der Ecke der Fernseher. Die Mittagsnachrichten würden gleich beginnen. Der Ton war auf leise gestellt und ich würde nicht den Fehler machen, den Wirt zu bitten, lauter zu stellen. Das waren genau die Indizien, die so manchen schon zu Fall gebracht hatten. Severin stellte das Bier vor mir ab und fragte, ob ich etwas essen wolle. Ich bejahte.

„Als Menü haben wir heut an g’selchten Schopf mit Kraut und Knödel oder sonst Augsburger mit g’röste Erdäpfel.“

„Dann will ich das Einser-Menü“, sagte ich.

„Den Schopf?“, vergewisserte sich Severin.

„Nein“, sagte ich, „ein Schnitzel.“

Severin grinste: „Geht klar, der Herr in der Panier will’s Fleisch in der Panier.“

Nachdem er die Bestellung in der Küche aufgegeben hatte, kam er mit einem Gewürzbord, auf dem sich in der Mitte tatsächlich noch eine braune Maggi-Flasche befand, und einem in eine große Papierserviette eingewickelten Besteck zurück und sagte, während er mit seinem Geschirrtuch ein paar Brösel vom Tischtuch fegte: „Warst lang nicht da. Wie läuft’s?“

„Nicht gut, ich kann nicht klagen“, sagte ich.

Severin machte einen grübelnden Gesichtsausdruck, bis der Anwaltswitz bei ihm durchgesickert war, dann lachte er.

In der Zwischenzeit war am Bildschirm der Nachrichtensprecher erschienen und ich versuchte, zumindest die Headlines zu verstehen. Nach einem Bericht über einen EU-Gipfel und den nächsten Skandal um das neu errichtete Krankenhaus im Norden Wiens kamen die Lokalnachrichten. Ich trank einen Schluck Bier und das Glas blieb an meinen Lippen hängen, als der nächste Beitrag über den Fund einer Frauenleiche in einem Wiener Hotel berichtete. Man sah sie zwar nicht, aber Schneewittchen hatte es in die Nachrichten geschafft. Keine besonders erstrebenswerte Form der Publicity. Ich würde hier nicht auftreten wollen. Und das Einzige, was das verhindern konnte, war, die Aufklärung dieses Verbrechens in die eigene Hand zu nehmen. Ich musste den Täter finden.

Severin erschien mit einem Teller aus der Küche.

„Sicher eine Nutte, die ihr Zuhälter gemacht hat“, sagte er, den Kopf leicht nach hinten in Richtung Bildschirm gedreht, als er das Schnitzel vor mir abstellte. Der Duft der Zitronenspalte und der gebackenen Brösel stiegen mir in die Nase.

„Ich habe nicht aufgepasst“, log ich und griff nach dem Besteck und wandte mich meinem Essen zu.

Während ich durch die knusprige Panier schnitt, rechnete ich nach, bei welchem Ermittlungsschritt die Kriminalisten jetzt sein mussten. Hatten sie die familiären Verhältnisse schon durchleuchtet und Eltern oder Ehemann schon ihre Aufwartung gemacht? Mit ernster Miene mitgeteilt, dass die Tochter oder Ehefrau einem Verbrechen zum Opfer gefallen war? Und dann gleich in den damit aufgerissenen Wunden weitergebohrt und nach möglichen Tätern gefragt: „Hatte Ihre Tochter Feinde?“ Oder den Partner nach möglichen Motiven ausgehorcht: „Können Sie sich erklären, warum Ihre Frau in dem Hotel war? Wo waren eigentlich Sie?“

Ein plumper Ermittler konnte mir richtig viel Zeit verschaffen, weil die meisten Hinterbliebenen auf solche Fragen zunächst verstockt reagierten und in den distanzlosen Kriminalisten die realen Feinde sahen, die sich nun in ihren Intimbereich einmischen und dort herumschnüffeln wollten. Womöglich würden sie aber zunächst den Arbeitsplatz aufsuchen. Was hatte Schneewittchen wohl gearbeitet? Ich ließ den sonderbaren Abend Revue passieren und konnte mich nicht daran erinnern, dass wir darüber gesprochen hätten, also über das, was jeder von uns machte. Sie behauptete, Maria zu heißen, und mir fiel wieder ihre hanebüchene Geschichte über Schneewittchen ein.

„Schmeckt’s dir heut’ nicht?“, fragte Severin und ich stellte fest, dass ich mehr Gedanken als mein Schnitzel gekaut hatte.

„Aber natürlich, nur wenn ich langsamer ess’, legt sich’s nicht so an, hab ich wo gelesen“, sagte ich, worauf Severin Drahdiwaberl zitierte und sagte: „Schnallt’s den Gürtel enger, dann halt es Schnitzel länger.“

Stefan Weber, der Sänger von Drahdiwaberl hatte hier in der Nähe gewohnt. Doch Weber war tot und seine Band fast in Vergessenheit geraten, selbst wenn der legendäre Falco dort in seinen Anfangszeiten einmal Mitglied gewesen war. Ich kaute wieder ein paar Bissen und überlegte, was ich als Nächstes zu tun gedachte. Ich kannte einen Journalisten, der auch Gerichtsreporter war. Sicher würde dessen Anruf bei der Polizei mehr herausbringen als meiner. Doch bevor ich ihn anrufen und um ein Treffen bitten konnte, läutete mein Telefon.

Zwei Arten von Anrufen gibt es, die jeder Anwalt fürchtet: Kategorie eins – die der Kammer. So ein Anruf bringt meist Probleme, weil denen wieder irgendetwas nicht passt. Etwa weil man sich nicht an die Standesregeln gehalten hat. Oder man sich disziplinar unkorrekt verhalten hat. Am besten man pfeift auf das, was sie wollen, weil es meist an Schwachsinn grenzt oder diese Grenze eindeutig überschritten hat. Aber man darf es auch nicht übertreiben mit dem Ignorieren. Womöglich verliert man die Zulassung und muss dann wie viele ehemalige Kollegen in der Illegalität weitermachen. Nicht, dass das, was ich praktiziere, alles legal wäre, aber es hat zumindest den Anschein. Und die zweite Kategorie sind die unzufriedenen Mandanten und davon sind die Schlimmsten jene, die auf ihr Geld warten. An der Nummer des jetzigen Anrufers erkannte ich sofort, dass es der Typ war, dessen Prozesserfolg mich gestern aus der Bredouille geholt und dessen Geld ich zwischen Dragana und mir aufgeteilt hatte.

„Was sind Sie eigentlich für ein Anwalt?“, eröffnete er das Gespräch.

„Ihrer“, gab ich zurück.

„Daran muss ich zweifeln. Ich habe vorhin mit dem gegnerischen Anwalt telefoniert und der teilte mir nicht nur mit, dass ich gewonnen habe, sondern auch, dass er den eingeklagten Betrag bereits an Sie überwiesen hätte. Wieso erfahre ich das nicht von Ihnen?“

„Ich habe heute den Brief diktiert. Und das Geld wird ihnen spätestens morgen überwiesen.“

Er machte eine Pause. Ich konnte sein nunmehr entspanntes Schnaufen in der Leitung hören. „Dann ist es ja gut“, sagte er, und bevor er auflegte fragte ich ihn noch: „Warum haben Sie eigentlich zuerst die Gegenseite und nicht mich angerufen?“

„Hab ich ja, aber ich konnte Sie nicht erreichen und Ihre Sekretärin hat mich auch nur vertröstet.“

Er legte auf und ich hatte ein weiteres Problem. Ich musste irgendwie an Geld kommen. Jetzt war es dringend, denn ich musste den Klienten bezahlen, bevor er Wirbel schlug und damit meine Absenz zum Thema machte. Entweder Geld eintreiben bei Leuten, bei denen das nicht gesund ist, oder Geld ausborgen bei solchen, bei denen das noch weniger gesund ist. Ich schob den Teller beiseite. Das Schnitzel war kalt, die Panier von der Zitrone aufgeweicht und mein Appetit vergangen.

„So legt es sich ganz sicher nicht an“, sagte Severin, als er den Teller mit dem übrig gebliebenen Stück abservierte. Ich bestellte noch einen Kaffee, und als ich dann zahlen wollte, beugte er sich zu mir hinab und flüsterte: „Komm, ich muss dir was zeigen, du warst ja wirklich lange nicht da.“ Er grinste, als würde er mir die Stelle verraten, wo der Zaun eines Nacktbads bei den Frauen ein Loch hat.

Ich erhob mich und folgte ihm. Wir kamen an den Toiletten vorbei, wo sich der brennende Geruch des Salmiaks der Duftsteine ausbreitete. Er schloss eine Tür mit der Aufschrift „Unbefugten Zutritt verboten“ auf, und kaum hatte ich den Raum betreten, befand ich mich in einem Märchen aus Blinken und mechanischem Rattern.

„Ganz neue Maschinen“, sagte Severin und ich blickte auf eine Batterie an einarmigen Banditen.

Das Leuchten der Anzeigen spiegelte sich in meinen Augen und ich spürte, wie meine Hände feucht wurden. Das war die Chance, ich wusste es. Damit würde ich meine finanziellen Sorgen lösen.

Tote Vögel singen nicht

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