Читать книгу Auf getrennten Wegen - Christian Linberg - Страница 22
Оглавление1 - 20 Gespräche am Lagerfeuer -
Ohne Droin hätte Phyria es niemals geschafft. Nur seiner eisernen Konstitution hatte sie es zu verdanken, dass sie überhaupt vom Fleck kam. Er hatte ihre Wunde am Bein mehrfach versorgt und sie dann auf den Kompass gesetzt.
Sie wunderte sich über seinen Umgang mit dem kostbaren Artefakt und fragte ihn danach.
„Natürlich gefällt es mir nicht, so mit ihm umzugehen, doch mein Volk ist Jahrhunderte ohne ihn ausgekommen. Lieber bringe ich ihn beschädigt zurück als überhaupt nicht. Du kannst kaum laufen und ich kann Dich nicht tragen und den Kompass schieben. Also müsste ich Dich zurücklassen. Und Dein Leben ist das Ding nicht wert.“
Sie war für seine Antwort äußerst dankbar. Also saß sie auf einem kleinen Berg Ausrüstung, während Droin trotz seiner Wunden sie samt dem Artefakt stetig weiter gen Norden schob.
Von ihrem Aussichtspunkt konnte sie beobachten, wie der Winter nach und nach Einzug hielt. Am Morgen war das Wasser in den kleinen Pfützen bereits gefroren. Selten hielt sich das Eis gegen die Sonne.
Mittags zogen Wolken auf, aus denen am Abend der erste Schnee fiel.
Mit jedem Schritt, so schien es ihr, wurde es kälter. Zwar kannte sie Winter auch aus ihrer gebirgigen Heimat, aber das Tal, in dem das Kloster stand, war durchzogen von heißen Quellen aus denen unaufhörlich Dampf strömte, gegen den nur der strengste Frost bestehen konnte.
Die feuchte Kälte des Sumpflandes hier war etwas, dem man auf Dauer nicht entkommen konnte. Sie wickelte sich nacheinander in alle Decken, die sie hatten, fühlte sich dennoch bald verfroren.
Da sie der Straße weiter folgten, machten sie guten Weg, auch wenn der Schnee es immer schwieriger machte, sie nicht zu verlieren.
Dreimal nur wich Droin davon ab. Jedes Mal mit Absicht.
Beim ersten Mal bildete sich vor ihnen plötzlich eine Senke, in die sie um ein Haar gestürzt wären. Nur ihr entsetzter Aufschrei rettete sie, als sie die Mäuler voller scharfer Zähne entdeckte, die rings um das Loch darauf lauerten, sie zu zermalmen.
Unsanft daran erinnert, dass hier in Narfahel alles darauf aus war, sie zu töten, verbrachte Phyria die nächsten Kerzenlängen damit, nervös auf den Weg vor ihnen zu starren, obwohl nichts weiter passierte.
Erst am darauffolgenden Tag gelang es ihr, rechtzeitig eine Warnung zu rufen, als sich in der Ferne eine große Bodenwelle formte, die das Pflaster der Straße anhob, als sie sich auf sie zu bewegte.
Ruhig schob Droin den Kompass zwanzig Schritte zur Seite und wartete mit gezogener Waffe ab, bis die Welle sie passiert hatte.
Das Gelände wurde zunehmend hügeliger, so dass es nur auf den Kuppen möglich war, in die weitere Entfernung zu spähen. Dort entdeckte dieses Mal Droin als Erster das Hindernis. Es war keine weitere Begegnung mit einer der verfluchten Kreaturen, sondern ein großes Dorf.
In jedem anderen Land hätte Droin den Bewohnern zur Wahl ihres Siedlungsplatzes gratuliert. Hier erwies er sich leider als Problem.
Die Straße führte eine Art Rampe hinauf auf einen platt gedrückten Hügel, dessen Hänge steil und zerklüftet vor ihnen aufragten. Ein Blick zwischen ihnen genügte, um zu entscheiden den Ort in weitem Bogen zu umgehen.
Abseits der Straße war das Gelände alles andere als einfach. Unter dem Schnee verborgene Sumpflöcher oder knietiefer Morast machten den Weg zu einer Tortur für Droins angeschlagenen Körper.
Einen halben Tag dauerte der Umweg. Immer wieder unterbrochen von Schlangenfröschen oder Blutbäumen.
Zum Glück erschienen ihnen die Kreaturen träge und langsam.
Eine Folge der Kälte, wie Droin vermutete. Ihr größter Feind war und blieb dennoch das Land selbst.
Als sie schließlich wieder auf der Straße standen, deutete Droin grimmig auf einen nicht weit entfernten Hügel, auf dem die Rester einer Windmühle in den wolkenverhangenen Abendhimmel ragten: „Das wird unser Lagerplatz.“
„Aber was ist, wenn die ehemaligen Bewohner dort spuken?“
„Dann haben sie Pech und sterben ein zweites Mal.“
Die Art, wie Droin das sagte, hatte etwas sehr Endgültiges.
Trotzdem näherten sie sich, begleitet von der untergehenden Sonne, äußerst vorsichtig.
Es war ein alter Bau, die Steine bewachsen von einem dichten Geflecht aus Moosen und zähen Ranken, die entfernt Efeu ähnelten. Nur der untere Stock war übriggeblieben, ein schwerer Mühlstein und zwei der einstmals drei Segel des Windrades. Ihre vermoderten Reste ragten wie die gebrochenen Flügel einer riesigen Fee aus dem Boden.
Der Ort hatte etwas Trauriges an sich, der Phyrias Stimmung trübte.
Viel Zeit zum Nachdenken blieb nicht.
Unter Droins Anweisung spannten sie eine Ölplane als Dach zwischen die alten Steine. Die Ranken boten dabei hilfreichen Halt, bis sie sich einen kleinen Kratzer zufügte, der fürchterlich juckte und brannte.
Zusammen mit der Verletzung am Bein, der Kälte und der Trostlosigkeit wurde es ihr schlagartig zu viel: „Ich hasse dieses Land!“, schimpfte sie mit Tränen in den Augen.
„Wie kann man seinem Land nur so etwas antun?“
Ihr Blick brannte Löcher in das wettergegerbte Gesicht von Droin.
„Wenn Du Antworten suchst, kannst Du lange warten. Ich habe keine. Auch wenn ich älter bin als Du,“ fuhr er ruhiger fort, als er begonnen hatte: „so verstehe ich Grausamkeit noch immer nicht besser als als kleiner Junge. Es liegt einfach in der Natur Mancher, Andere zu quälen und sich daran zu erfreuen. Frag die Götter, vielleicht können sie Dir eine bessere Erklärung liefern.“
„Wie erträgst Du Dein Leben, wo Du darum weißt?“
„Eine harte Frage.“
Droin zerhackte ein paar Ranken in kleine Stücke, die er aufschichtete, so dass sie gut brennen würden. „Das Alter hilft dabei. Man gewöhnt sich an alles, wenn es nur lange genug andauert.“
Er schlug Funken in die Feuerkugel, um das Kohlepulver darin zu entzünden: „Halt Dich an die guten Dinge. Familie, Freunde, Gutes Bier, Huren, Abenteuer.“
„Hast Du denn Familie?“
„Ja. Meine Frau Roona, drei Söhne und zwei Töchter mit ihren Familien, sowie meine Enkel und Urenkel. Du wirst sie vielleicht kennenlernen, wenn wir meine Heimat erreichen.“
Phyria war so erstaunt, dass sie ihre Wut vergaß: „Warum reist Du dann umher? Willst Du nicht bei ihnen sein?“
Droin schüttelte den Kopf: „Wozu? Meine Kinder passen auf sich selbst auf. Sie sind alle weit älter als Du und haben ein eigenes Leben. Kaya ist froh, wenn ich nicht so oft da bin. Im Winter freuen wir uns darauf, uns zu sehen und im Frühjahr darüber, wieder getrennte Wege zu gehen. Nur die Menschen halten es für eine gute Idee, ihr ganzes Leben miteinander zu verbringen. Liebe ist ein flüchtiges Gut, dass sich oftmals zu schnell verbraucht, wenn man es ständig benutzt. In einem sehr langen Leben hat alles mehr Zeit.“
Droin sah, dass Phyria darüber eine Weile nachdenken würde, so dass er sich dazu entschloss, dieses Mal das Kochen zu übernehmen.
Es gab eine einfache, würzige Suppe mit wildem Reis und Akaria-Wurzeln.
„Sag, was weißt Du noch über die arkanen Kräfte der Dämonen“, fragte Droin beim Essen.
„Dass sie von der Art des Dämons abhängig sind. Jede Art hat eigene Fähigkeiten. Und manche erlernen auch die Disziplinen eines Arkanisten dazu.“
„Und alle rauben Seelen, um ihre Kräfte zu erneuern?“
Phyria schüttelte den Kopf: „Nicht alle, aber die Meisten.“
Droin ließ sich nichts anmerken, innerlich atmete er jedoch erleichtert auf.
„Und wenn Du einen Dämon siehst, kannst Du dann sagen, welche Kräfte er hat?“
„Solange er kein Arkanist ist, ja.“
„Wir haben bis jetzt einen Draanyr, Bakura, Lodon, Anjii und die Vulshara getroffen.“
„Außer, dass sie im Dunkeln sehen können und ihnen Kälte wenig ausmacht, sind dies keine, die über außerordentliche Fähigkeiten verfügen – sieht man von Draanyr ab. Und was der kann, wisst ihr selbst. Alles sind niedere Fußtruppen. Die Vulshara ist da schon eher ein Offizier, wenn man es mit den Rängen des Militärs vergleichen würde. Sie kann besser Gestaltwandeln als der Draanyr, ihr Blut beißt und zerfrisst sogar Gestein und sie heilt unnatürlich schnell. Ihre mächtigste Gabe ist aber die der Verführung. Sie vermag es, den Geist vieler zu verwirren oder zu beherrschen.“
Schaudernd erinnerte sich Droin an den Kampf in den Höhlen unter Kaltarra.
„Was ist mit einem Dämon, so groß wie Kmarr, breites Gesicht, schwarze Haut, rote Augen, Klauenfüßen, vier Armen…“
Phyria unterbrach ihn: „mit einem dreifach teilbaren Maul und drei Augen?“
Droin nickte.
„Das ist ein Utarr, ein Schattenmeister. Doch die gibt es nicht mehr.“
„Und wenn doch?“
„Du hast einen gesehen? Wann und wo?“
Phyria schien ehrlich überrascht: „In Freiheit?“
„Meine Sache. Ist schon lange her. Was können sie?“
Obwohl er sehen konnte, wie es ihr unter den Nägeln brannte, zu fragen, wann die Begegnung stattgefunden hatte, besann sie sich anders: „Sie beherrschen Licht und Schatten. Man sagt, sie bestünden aus der Essenz der Dunkelheit. Sie haben viele Augen und doch keines. Sie hungern nach dem Licht, können an mehreren Orten zugleich sein, haben wie Schatten auch jede Form und doch keine. Sie bewohnen die Zwischenwelt. Ihre Waffe ist der Blitz und…oh…“
„Ja. Behalte es für Dich.“
„Drakkan…“
„Ja. Wie ich gesagt habe: behalte es für Dich.“
„A-aber Utarr sind große Dämonen. Wie…“
„Blut lässt sich nicht leugnen.“
Schaudernd erinnerte sich Droin an den Kampf mit Drakkans Vater. Selten nur rief er sich die Ereignisse von damals ins Gedächtnis. Nur knapp hatten sie überlebt. Und nur, weil sie weit besser vorbereitet gewesen waren, als Assarth erwartet hatte.
„Und es war wirklich ein Utarr?“
Noch immer war Phyria fassungslos.
„Genauso, wie Du ihn beschrieben hast.“
Das war natürlich gelogen. Assarth hatte Flügel besessen, eine Anzahl Hörner und Hufe statt Klauen.
„Wenn wir das früher gewusst hätten, hätte der Orden eine Kongregation Dämonenjäger entsandt, um ihn zu vernichten. Dann wären wir nicht so überrascht worden“, fügte sie bitter hinzu.
Ihre Stimme gewann einen verlorenen Unterton, als ihr der Verlust wieder bewusst wurde, den sie erlitten hatte.
Droin, der selbst im Laufe der Jahrhunderte manche Freunde und Geliebte verloren hatte, wusste, dass nur die Zeit Linderung bringen würde.
„Bewahre die Erinnerungen, aber lebe Dein Leben weiter. Sie sind tot, Du nicht. Wenn Du das nicht erträgst, ist es ganz einfach: Wenn unser Verfolger zurückkehrt, lass Dich töten. Sonst ehre die Toten, indem Du lebst und ihre Mörder der gerechten Strafe zuführst.“
„Ist es das, was Du tust?“
„Wenn ich es kann. Manchmal sterben Freunde einfach.“
„Aber alle auf einmal?“
„Hast Du nicht gesagt, einige sind mit Dir geflohen? Dann gibt es Hoffnung, sie wiederzusehen.“
Grimmig dachte er an die Zeit mit Drakkan.
Im Krieg waren beinahe alle seine Freunde gefallen. Er war als versoffener Penner in der Gosse der Stadt der Türme gelandet, wo Drakkan buchstäblich über ihn gestolpert war.
Nach einer wüsten Prügelei waren sie am nächsten Tag gemeinsam ausgeraubt und beinahe nackt in einer Zelle aufgewacht.
Während er darüber nachsann, war auch Phyria in einem grüblerischen Schweigen versunken.
Trotz Feuer und Dach über dem Kopf war die Suppe nicht geeignet, die düstere Stimmung zu heben, die sich mit der Nacht über ein kleines Lager gesenkt hatte.