Читать книгу Auf getrennten Wegen - Christian Linberg - Страница 26

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1 - 24 Jäger und Gejagte -

Leider versprach der Morgen keine Besserung. Noch bevor die Sonne sich über den nebligen Horizont gequält hatte, hörten sie es beide: Das fauchende Geheul ihres Verfolgers.

„Dann wollen wir ihm mal einen würdigen Empfang bereiten“, bemerkte Droin mit einer freudigen Anspannung in der Stimme: „Bleib in Deckung der Ruine. Wenn er uns nicht sieht, wird er nicht bis zur Dämmerung warten, sondern annehmen, wir wären weiter weg und unsere Fährte würde nur hier vorbei führen. Sieht er uns, wird er sich bis zur Nacht auf die Lauer legen.“

Phyria blieb gehorsam in Deckung. Sie verstaute die Ausrüstung, während Droin begann, die Drachenrüstung anzulegen. Auch ohne Feuerkugel war sie ein wirksamer Schutz.

„Du wirst den Schild nehmen und immer dafür sorgen, dass er sich zwischen Dir und unserem „Freund“ befindet. Mit Deinem Bein bist Du nicht beweglich genug, um ihm auszuweichen. Wenn er mich angreift, ohne Dich zu bemerken, wartest Du auf eine gute Schussposition und röstest ihn dann.“

Droin verteilte Krähenfüße und Lampenöl, bevor er sich auf einem Mauerrest nieder ließ, der das Erdgeschoss überragte. Bolzenwerfer, Kriegshacke und ein langer Panzerstecher lagen griffbereit. Untern kauerte Phyria hinter dem mit Ruß geschwärzten Schild unruhig auf das Eintreffen ihres Jägers.

Sie hatte einen Schutthaufen so aufgeschichtet, dass er ihr zu einer Seite Schutz bot. Nervös spähte sie zu den Lücken und Rissen im Gemäuer. Jeden Augenblick erwartete sie, eine Bewegung zu erspähen, doch es blieb alles ruhig. Während sie wartete, wurde ihr bewusst, dass die Jagd nichts für sie war. Sie hasste es, zu warten. Je mehr sie sich darauf konzentrierte, je langsamer schien die Zeit zu vergehen. Ihr Herz, das zu Anfang noch vor Aufregung wie wild gepocht hatte, hatte sich offenbar besser damit abgefunden, jedenfalls schlug es ruhig und gleichmäßig.

Hätte es das Geheul nicht gegeben, wäre sie beinahe sogar eingeschlafen.

Die Bestie hatte andere Pläne. Immer näher kam der wütende Jagdruf.

Jedes Mal, wenn er erklang, zuckte sie zusammen. Die Wunde im Bein pulsierte passend zur gleichen Zeit.

Schweiß machte den Schildgriff schlüpfrig. Sie hatte Mühe, ruhig sitzen zu bleiben. Nur weil Droin ihr wiederholt eingeschärft hatte, sich auf keinen Fall bemerkbar zu machen, gelang es ihr, nicht aufzuspringen und nachzusehen.

Das Geheul klang ihr dabei so nah, als würde die Bestie direkt auf der anderen Seite der Mauer stehen. Sie lauschte angestrengt, doch es war nichts zu hören. Sogar der Wind schien den Atem anzuhalten. Kein Vogel, kein Blatt regte sich.

Ein kleines Steinchen fiel auf ihre Schulter, prallte davon ab. Ganz langsam hob sie den Kopf. Staub rieselte ihr aufs Gesicht. Dort, nur eine Armlänge über ihr schob sich ein Tentakel durch einen Spalt in der Mauer. Der Knochenhaken am Ende schabte dabei unheilvoll über das alte Gestein.

Vor Schreck biss sie sich fast auf die Zunge.

Um ein Haar wäre ihr der Schild entglitten. Erst im letzten Moment konnte sie es an der Schildfessel greifen. Ihr Herz pochte wilder als zu Beginn, ihr Mund war so trocken, wie Sand in der Wüste. Als sie versuchte zu schlucken, musste sie deshalb beinahe husten.

Droin hatte sie völlig vergessen. Es schien ihr, als wäre nur das Tentakel übrig. Wie eine Schlange wand es sich suchend hin und her.

Ein weiterer schob sich oben über die gezackte Krone der Mauer im einstigen ersten Stockwerk.

Ein großer Stein brach krachend heraus. Zum Glück landete er neben ihr.

Wie aufgeschreckte Tiere zuckten die Tentakel zurück, als hätte der Aufprall sie verschreckt.

Absolute Stille folgte, die sich scheinbar unendlich auszudehnen schien, bis Phyria schon beinahe glaubte, sich alles nur eingebildet zu haben.

Dann sprang die Bestie mit einem Mal plötzlich durch die gleiche Lücke, durch die sie und Droin ebenfalls die Mühle zum ersten Mal betreten hatten. Die Tentakel zuckten in alle Richtungen vor. Langsam öffneten sich die gewaltigen Kiefer. Der nackte Körper glänzte ölig in den spärlichen Strahlen der Sonne. Die Krallen hinterließen Furchen im Gestein.

Vorsichtig schwenkte der Kopf hin und her – witterte. Die Nüstern blähten sich, ein kehliges Knurren erklang, kaum hörbar und doch laut wie eine Fanfare.

‚Nicht bewegen! Nicht bewegen! Nicht bewegen!‘, feuerte sie sich selbst in Gedanken an.

Die Kreatur entsetzte sie mehr als der Überfall auf ihr Heim im Kloster. Trotzdem sah sie durch die Augen des Drachenkopfes wie gebannt zu, als sich der Kopf langsam in ihre Richtung drehte.

Die Tentakel, die sich eben noch in alle Richtungen bewegt hatten, verharrten plötzlich regungslos, dann bogen sie sich langsam nach vorne, genau auf sie zu.

Die Bestie stieß ein Triumphgeheul aus. Geifer tropfte aus ihren Lefzen. Sie hatte Phyria gewittert.

Genau in diesem Moment fiel ein goldener Blitz vom Himmel, der hart auf dem Rücken der Kreatur landete. Die Spitze von Droins Hacke drang knirschend in den Schädel, während er den Panzerstecher tief in ihren Hals stieß.

Kreischend brach die Bestie zusammen.

Die Tentakel zuckten reflexartig nach hinten. Die Knochenhaken an ihrem Ende hämmerten auf Droin ein, der zwar hin und her geschleudert wurde, sonst aber unverletzt blieb. Verglichen mit einem Drachen war die Kreatur harmlos. Die Drachenrüstung hielt den Schlägen mühelos stand.

Droin ließ sich an der Seite hinabfallen. Noch bevor er unten war, brüllte er zu Phyria: „Jetzt! Gib ihr den Rest!“

Flüssiges Feuer ergoss sich wie ein Wasserstrahl über Kopf und Flanken.

Zischend verdampfte er den Schleim, bevor das Fleisch wie Speck in der Pfanne zu knistern begann. Die Muskeln zuckten reflexartig noch ein paar Mal.

Schließlich hob Droin die Hand: „Das reicht. Sie ist tot. Und außerdem hat sie zuvor schon genug gestunken.“

Er musste es zweimal wiederholen, bevor Phyria die Flammen versiegen ließ.

„Das war ich ihr schuldig“, erwiderte sie voller Abscheu.

„Ist es immer so einfach?“, fragte sie ihn, nachdem sie sich erschöpft wieder auf den Steinen niedergelassen hatte.

Sie war völlig verblüfft. Erst waren sie geflohen, hatten zahlreiche Wunden davongetragen, ohne selbst viel auszurichten und nun hatte Droin die Kreatur mit einem einzigen Angriff zur Strecke gebracht.

„Nur wenn es richtig gemacht wird. Schätzt man den Gegner richtig ein, sieht es leicht aus. Wenn man sich irrt, bezahlt man nicht selten mit dem Leben, oder wenigstens mit Körperteilen.“

„Und woher wusstest Du, was das Viech tun würde?“

„Es gibt nicht viele Wesen, die auf unterschiedliche Arten jagen können. Dies war ein Hetzer, der seine Beute treibt, ermüdet, verwundet. Lauern liegt nicht in seiner Natur. Ein Lauerer hätte gewartet bis wir uns zeigen, um selbst aus dem Hinterhalt zuzuschlagen. Eine aggressive Bestie hätte uns so lange bedrängt, bis entweder sie oder wir unterlegen gewesen wären. Ein Rudel jagt wiederum anders, ein Fallensteller…“

„Danke. Für heute habe dich genug davon. Können wir jetzt weiter?“

„Unbedingt. Später setzen wir die Lektion fort. Wenn Du in der Wildnis überleben willst, wirst Du noch vieles lernen müssen. Gift oder Flügel, Tentakel, Sinne und Umgebung haben großen Einfluss auf die Jagdmethode. Ebenso wie die Zahl der Tiere, Einzelgänger, Paar, Familie, Rudel, Schwarm…“

„Bitte!“

Phyria hob abwehrend die Hände: „Ich ergebe mich. Ich verspreche, gut zuzuhören, nur bitte nicht jetzt. Ich will hier weg.“

„Einverstanden. Hilf mir, die Rüstung abzulegen und unsere Ausrüstung zu verstauen. Dann ziehen wir weiter. Unterwegs kannst Du ebenso gut zuhören, wie jetzt.“

Stöhnend verdrehte Phyria die Augen. Droin war ebenso stur wie ihre Lehrerinnen.

Auf getrennten Wegen

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