Читать книгу Auf getrennten Wegen - Christian Linberg - Страница 29
Оглавление1 - 27 Spurensuche -
Als sie schließlich das andere Ufer erreicht hatten, stand der Nachen zur Hälfte unter Wasser. Sie zogen ihn mit einiger Mühe in ein dortiges Schilfgestrüpp, bevor sie sich langsam auf den Fußmarsch machten. Kmarr kam mit der Krücke nur langsam voran, was nur unwesentlich besser war als gar nicht. Schweigend und dabei so leise wie möglich, entfernten sie sich von der Stadt, aus der sie nun Schreie und das Klirren von Waffen hören konnten.
Misstrauisch beobachteten sie die Stadtmauern, immer in Erwartung von auftauchenden Verfolgern.
Ohne darüber gesprochen zu haben, steuerten sie zielstrebig in die Richtung in der sie einige Nächte zuvor den Feuerschein gesehen hatten. Kmarr hatte Anaya erzählt, dass Shadarr sich von ihnen entfernte. Auch jetzt konnte er ihn fühlen, er war ziemlich weit weg, auf dem Weg zur Küste. Dass er nicht anhielt oder umkehrte, war ein sicheres Zeichen, dass er jemanden begleitete. Also muss außer Shadarr, ihm, Anaya und vermutlich auch Phyria mindestens noch einer ihrer Gefährten überlebt haben.
Er sorgte sich um die anderen beiden, wer immer sie sein mochten. Leider verhinderte seine Verwundung, dass sie sich auf die Suche machten. Anaya hatte sich strikt geweigert, ihn alleine zurückzulassen.
„Was nutzt es, wenn ich die Anderen suche, während Du an Wundbrand stirbst? Von Dir weiß ich, wo Du bist und das Du lebst. Also schluck Deinen Stolz runter und bleib vernünftig.“
Sie hatte natürlich Recht. Trotzdem nagte das Schicksal der Anderen an ihm. An Anayas Gesichtsausdruck konnte er sehen, dass es ihr ebenso erging.
Sie war sich Kmarrs Blick am Rande bewusst, wollte die Diskussion aber nicht nochmals führen. Vielmehr suchte sie unablässig in der Umgebung nach Spuren. Der schlammige Untergrund bereitete dabei keine Schwierigkeiten. Problematisch war nur, dass sie ebenfalls welche hinterließen.
Im Bemühen, es Verfolgern nicht zu einfach zu machen, hatte sie ihre Hufe breit und flach gemacht, so dass sie nur seichte Mulden hinterließ, die zudem noch die Form von Bärentatzen hatten. Einen geübten Spurenleser konnte sie so nicht täuschen, dennoch war es einen Versuch wert.
Sie lief zusätzlich in unregelmäßigen Kreisen und Schleifen um ihn herum.
Schnell kamen sie so nicht voran. Einen Grund zur Eile gab es aber auch nicht. Wer überlebt hatte, war jetzt auch noch lebendig, wer gestorben war, war schon längst Wurmfutter.
Mit ihren Fähigkeiten war es für Anaya kein Problem, sie zu den Resten des Feuers zu führen.
Der geborstene Stamm des Blutbaums zeigte deutlich die Spuren von Phyrias Flammen.
„Droin war bei ihr.“
Kmarr humpelte zu ihr hinüber: „Er ist aus dem Fluss gekommen und dann sind beide zusammen nach Norden gegangen.“
„Entweder einer oder beide sind verletzt.“
Sie hob den Rest des Furar-Mooses auf, dass sie in Wundverbänden benutzte.
„Schwere Verletzungen können es nicht sein. Die Schritte sind regelmäßig, die Abstände gleich und sie sind auch überall gleich tief.“
„Warum haben sie dann nicht gewartet oder sich auf die Suche nach uns gemacht?“
Kmarr witterte knurrend: „Kann ich nicht sagen. Ihr Geruch ist schon lange verflogen.“
„Weiß ich. Was dann?“
„Raubtiere?“
Anaya wedelte ablehnend mit der Hand: „Daran hab ich auch gedacht. Wenn, sind Droin und Phyria geflohen, bevor sie hier waren. Sonst gäbe es Spuren.“
„Geh sie suchen. Ich mache mich auf den Weg hinter Droin und Phyria her. Du wirst mich schon einholen.“
Kmarr war froh, dass Droin ebenfalls zu den Überlebenden gehörte. Damit war nur das Schicksal von Drakkan und Jiang ungewiss.
Langsam humpelte er auf den gut zu sehenden Spuren voran, während Anaya in der Nacht verschwand.
Sie trafen ungefähr zur gleichen Zeit an der Stelle ein, an der große Krallenspuren auf die Fährte ihrer Kameraden trafen. Der Boden war aufgewühlt und zertrampelt, bevor die wesentlich größeren Abdrücke den Kleineren folgten.
Viel war in der Dunkelheit nicht auszumachen nur, dass die Kreatur wenigstens drei Schritte in der Länge messen musste.
„Die Spuren sind mir fremd. Also ein hier heimisches Wesen, das außerhalb von Narfahel nicht vorkommt.“
„Sie ist groß, schnell und ziemlich breitschultrig.“
Anaya maß die Abdrücke mit Seil und Fingern ab: „Sie hatte keine Eile, denn die Spuren sind hinten nicht ausgebrochen und Vorne finde ich keine Krallenabdrücke im Boden, nur die der Fußballen.“
„Einholen werden wir sie trotzdem nicht.“
„Droin wird sie sich schon vom Leib schaffen. Phyria mag zwar unerfahren sein, aber sie ist sehr stark. Unter seiner Anleitung werden sie schon damit fertig.“
„Wenden wir uns zur Küste, oder folgen wir ihnen weiter?“
„Wir folgen ihnen. So wissen wir wenigstens sicher, dass wir hier wieder rausfinden, noch dazu auf der richtigen Seite. Was immer sonst sein mag, dort ist unser Heim.“
Für den Rest der Nacht marschierten sie in den Spuren ihrer Gefährten und deren Verfolger. Schnee bedeckte bereits weite Teile der Landschaft, doch es blieben genügend Stellen frei, um die Straße und die Fährten nicht zu verlieren.
Ihre Geschwindigkeit war niedrig, denn Kmarrs Verletzung machte sich im Laufe der Zeit immer stärker bemerkbar, so dass sie zahlreiche Pausen einlegen mussten.
Seine Laune sank mit jedem Halt weiter, bis Anaya schließlich kopfschüttelnd anhielt.
„Wir müssen eine Rast machen.“
„Ich werde schon durchhalten“, knurrte Kmarr ungehalten.
„Du schon, ich aber nicht. Wenn Du weiter so miese Laune hast, könnte in mir der Wunsch erwachen, Dich auf der Stelle zu erschlagen.“
Sie starrte ihn unnachgiebig an, bis er den Blick schließlich senkte. Langsam wich die Anspannung aus seinem Körper: „Entschuldige.“
„Kein Problem. Wenn wir uns jetzt ein Lager suchen und wenigstens einen halben Tag rasten. Wir sind ohnehin langsamer als sie. Da schadet eine zusätzliche Rast auch nicht mehr.“
Niedergeschlagen blickte Kmarr auf den Boden: „Dann suchen wir aber wenigstens einen brauchbaren Platz, der uns halbwegs trocken hält. Von Wasser hab ich fürs Erste genug.“
„Einverstanden.“
Viel mehr als eine Gruppe dorniger Büsche, über die sie eine Ölplane zogen, kam dabei nicht heraus. Wenigstens gab es darunter keinen schlammigen Matsch oder Schnee.
„Nicht gerade eine Herberge.“
„Dafür ist die Unterkunft günstig. Und jetzt lass mich die Wunden untersuchen.“
Anaya erneuerte die Verbände, war ansonsten aber mit dem Heilprozess zufrieden.
„Wenn uns nicht irgendwelche Raubtiere begegnen, sollten wir morgen gut vorankommen. Wir müssen ein Feuer machen. Es ist zu kalt, um ohne zu übernachten.“
„Mir recht.“
Sie hatte nichts anderes erwartet. Kmarr hasste Schnee und Kälte. Obwohl es um sie herum von Kreaturen wimmelte, die sich gut verborgen hielten, blieb die Rast ereignislos. Anscheinend passten sie nicht in das übliche Beuteschema der Räuber.
Nachdem Anaya ein halbes Dutzend Schlangenfrösche erlegt und zubereitet hatte, setzten sie ihren Verfolgungskurs fort.
Weit kamen sie allerdings nicht, denn schon aus der Ferne konnten sie die schlammigen Fluten eines über die Ufer getretenen Flusses erkennen, der ihnen den Weg versperrte.
„Droin und Phyria müssen den Fluss überquert haben, bevor er Hochwasser geführt hat“, mutmaßte Kmarr.
„So wie die Spuren verlaufen, ist das naheliegend.“
„Was machen wir?“
„Erst mal näher heran.“
Als das Wasser nur noch eine Bogenschussweite entfernt war, hielt Anaya, die voraus ging, an: „Ihr Verfolger ist wieder zurückgekommen und nach Osten, flussaufwärts gezogen.“
„Dann hat er es nicht über den Fluss geschafft und aufgegeben?“
„Nein, ich glaube nicht, dass er aufgegeben hat. Er war sehr schnell unterwegs.“
„Du meinst, er hatte ein bestimmtes Ziel?“
„Ja. So sieht es zumindest aus. Sieh mal, da ist ein schlammiger Pfad, dem die Kreatur gefolgt ist.“
Anaya deutete den Verlauf der Spuren entlang.
„Ein anderer Überweg?“
Sie überlegte kurz: „Das würde bedeuten, das Wesen wäre intelligent und würde sich gut auskennen.“
„Ungewöhnlich, aber nicht unmöglich.“
„Seit wir Phyria aufgegabelt haben, wundert mich gar nichts mehr.“
„Machen wir uns das zu Nutze. Wenn wir den Spuren folgen, sollten wir ebenfalls über den Fluss gelangen.“
Der Pfad war schmal und bestand aus wenig mehr als einer Spur klebrigen Morasts, der zum größten Teil von Schnee bedeckt war. Dennoch war es nicht besonders schwer, ihm zu folgen, denn der Fluss gab die Richtung ohnehin vor.
Der Weg erklomm langsam einen Hügel, während der Fluss im Tal zurück blieb. Daher entdeckten sie den Übergang, als sie von der Kuppe herab blickten.
Ein Gestrüpp aus verkrüppelten Bäumen und abgestorbenen Büschen bot ihnen dabei Deckung.
„Was hältst Du davon?“
„Es sieht genauso aus, wie Du vermutest“, erwiderte Kmarr leise.
Über das Tal spannte sich eine schmale Brücke mit nur einem Bogen, auf der einzelner, rechteckiger Turm den Weg versperrte. Von ihrer Position aus konnten sie das geöffnete Tor sehen und dahinter die Zacken eines zur Hälfte herunter gelassenen Fallgitters. Schießscharten auf zwei Ebenen darüber boten ausreichend Gelegenheit, unerwünschten Besuchern die Überquerung zu verweigern.
Kmarr setzte sein Auge von Szad zusammen, um einen genaueren Blick darauf zu werfen.
„Es rührt sich nichts, aber die Räume hinter den Schießscharten sind auch nicht beleuchtet. Ich kann nicht sagen, ob darin jemand lauert.“
„Wenigstens ist das Tor geöffnet. Wir sollten es riskieren. Wer weiß, wo wir die nächste Chance bekommen und ob sie besser ist als diese.“
„Vermutlich. Warten wir, bis es dunkel ist. Dann sehen sie uns wenigstens nicht kommen. Irgendwas gefällt mir daran nicht, aber ich weiß nicht was.“
„Dann sind wir schon zwei.“
Kmarr ließ sich im Gebüsch nieder, nachdem er die Plane auf dem Schnee ausgebreitet hatte. Wärmer wurde es dadurch nicht. Dafür fror nicht noch mehr Eis in seinem Fell fest. Kälte und Verletzung machten ihn missmutig und träge. Daher hatte er auch keine Schwierigkeiten damit, Anaya die erste Erkundungstour zu überlassen. Er beobachtete sie dabei, wie sie lautlos den Hügel hinab glitt. Kaum sichtbar näherte sie sich dem Wachturm. Sie hielt einen Abstand von hundert Schritten, da bei Tageslicht die Gefahr einer Entdeckung sonst zu hoch gewesen wäre.
Über zwei Kerzenlängen hinweg untersuchte Anaya die Umgebung, die Straße und den Hügel auf der anderen Seite auf Spuren. Als sie schließlich zu Kmarr zurückkam, fand sie ihn dösend vor, eine Hand auf dem Bolzenwerfer.
„Hast Du etwas entdeckt?“, fragte er sie, ohne die Augen zu öffnen.
Anaya musste grinsen, weil er sie ertappt hatte, obwohl sie sich lautlos und gegen den Wind angepirscht hatte.
„Ich bin nicht sicher. Dazu waren die Spuren zu schwach. Jemand gibt sich viel Mühe, seine Anwesenheit zu verbergen.“
„Du glaubst, es ist jemand hier?“
„Ja.“
Sie deutete auf den Wachturm: „Dort werden sie sein.“
„Sie sind organisiert, diszipliniert und gut verborgen.“
„Grenzpatrouillen?“, äußerte Kmarr verschlafen eine Vermutung.
„Sieht fast so aus, denn wen sollten Raubritter hier schon überfallen wollen?“
Träge setzte Kmarr sich auf: „Dann wäre Narfahel doch nicht gänzlich untergegangen. Und die übrig gebliebenen Bewohner wollen das wohl geheim halten. Wir müssen also noch vorsichtiger sein.“
Kurz nach Einbruch der Nacht schlichen sie lautlos den Hügel hinunter. Sie wählten einen annähernd direkten Weg, weil sie den Turm so schnell wie möglich passieren wollten.
Anaya lief ein paar Seillängen voraus, da sie bei Gefahr schneller flüchten konnte und eine unauffälligere Erscheinung war. Wie Geister glitten sie bis zum Rand des Gebäudes. Das Tor war tatsächlich geöffnet. Dahinter lag ein finsterer Durchgang mit dem teilweise gesenkten Fallgitter.
Einen langen Augenblick untersuchten sie alles auf die kleinste Bewegung oder einen Lichtschein, doch sie konnten nichts entdecken.
Schließlich huschte Anaya geduckt direkt durch das Tor in den Turm.
Kmarr spürte seine Anspannung steigen. Er hielt den Bolzenwerfer im Anschlag, bereit beim geringsten Anzeichen von Gefahr zu schießen.
Die Zeit verstrich, in der er sich fragte, warum jemand in einem solch lebensfeindlichen Landstrich leben wollen sollte, und warum sie sich versteckten – oder besser vor wem.
Anayas Auftauchen riss ihn aus den Gedanken. Sie winkte einmal kurz, dann verschwand sie wieder im Durchgang.
Als er schließlich neben ihr stand, konnte er gerade so ihre Hände im schwachen Licht einer Flechte erkennen, die sie zum Leuchten gebracht hatte. Sie deutete auf eine kleine Tür, die über drei Treppenstufen den Zutritt zum Turm ermöglichte.
Sie war nur angelehnt, sonst wirkte sie intakt.
„Ich will mir die Bewohner ansehen, aber die Tür geht nicht weiter auf“, signalisierte sie in Zeichensprache: „Kannst Du helfen?“
Kmarr besah sich die Angeln so gut er konnte und warf einen Blick durch den offenen Spalt, konnte jedoch nichts erkennen.
Vorsichtig drückte er an verschiedenen Stellen gegen die Tür. Unten spürte er den größten Widerstand. Dort wurde die Tür von etwas blockiert.
Probehalber zog er an ihr. Sie rührte sich nicht. Verblüfft hielt er inne: „Sie ist abgeschlossen“, gestikulierte er zu Anaya.
„Aber sie steht doch offen.“
Er zuckte mit den Achseln und machte sich daran, die Tür, den Rahmen und die Stufen zu untersuchen. Dazu öffnete er eine schlichte lederne Mappe, aus der er ein paar seltsam wirkende Ringe und Fingerhüte zog, von denen unterschiedlich geformte Drähte über die Fingernägel hinaus ragten. Damit fuhr er behutsam durch die Fugen zwischen den Steinen, aus denen die Stufen zusammengesetzt waren.
Ein leises Klicken ertönte, dann klappte ein kleiner Stein genau in der Mitte nach oben. Darunter lag ein Schloss.
Zufrieden begann Kmarr damit, die Mechanik zu untersuchen. Es war gut verborgen, dafür nicht sonderlich schwer zu knacken.
Schon nach kurzer Zeit ertönte das typische Geräusch eines zurückspringen Riegels. Langsam drückte er gegen die Tür. Lautlos schwang sie nach innen. Ehe er etwas sagen konnte, war Anaya schon um ihn herum und in dem dunklen Inneren verschwunden. Er warf einen Blick auf die niedrige Decke der Räume, bevor er beschloss, draußen zu warten. Gerade hatte er sein Werkzeug verstaut, als Anaya bereits wieder auftauchte.
„Weg hier! Schnell und leise!“, gestikulierte sie aufgeregt.
„Viele?“, fragte er, während sie sich unter dem Fallgitter hindurch duckten.
„Drei Dutzend. Mindestens.“
Obwohl sie nicht mehr sagte, konnte Kmarr spüren, dass die Anzahl alleine nicht für ihre Anspannung sorgte.
Als er sie fragen wollte, winkte sie ab: „Später.“
Schweigend eilte sie davon. Ihm blieb nichts anderes übrig, als ihr zu folgen.