Читать книгу Auf getrennten Wegen - Christian Linberg - Страница 24

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1 - 22 Bergungsarbeiten -

Es dauerte gut einen Tag, das Flussufer abzusuchen, ohne dabei gesehen zu werden.

Zunächst hatten sie keinen Erfolg. Alles, was auch nur entfernt wie ein Boot wirkte, war so vermodert, dass keine Hoffnung darauf bestand, es nutzen zu können.

Erst als sie zum zweiten Mal die Hafenanlagen untersuchten, entdeckte Anaya in einem schmalen Hafenbecken, knapp unter der Wasseroberfläche zwischen verrotteten Anlegern, halb unter einem steinernen Kai verborgen, einen kleinen Nachen. Ein flaches, rechteckiges Ding, kaum länger als fünf Schritte und höchstens einen und einen halben Schritt breit.

Skeptisch betrachtete Kmarr das Gefährt: „Na ich weiß nicht. Irgendwie hatte ich etwas im Sinn, dass besser schwimmt.“

Anaya, die bereits dabei war, sich zu entkleiden, um in das eisige Wasser zu springen, schüttelte den Kopf: „Sei froh, dass es unter Wasser liegt. Da vermodert es nicht so schnell.“

Ihre Haut nahm einen schuppigen Glanz an, während sich Schwimmhäute zwischen den Fingern bildeten, die dabei zugleich länger wurden.

Ihre Hufe schrumpften unterdessen zunächst, bevor sie sich zu breiten tellerförmigen Flossen umbildeten.

Nur mit einem Seil und einem Knochenmesser in der Hand sprang sie elegant in die schlammige Brühe des Hafenbeckens, die trotz der Jahrhunderte noch immer typisch nach fauligem Fisch und brackigem Wasser stank.

Kmarr behielt die Umgebung im Auge, während er das andere Tauende fest um seine linke Hand geschlungen hielt.

Die Wunde an der Seite pochte unangenehm und die Verbände spannten, besonders nach der Anstrengung des Tages.

Er hatte sich die Krücke unter den Arm geklemmt, damit er den Bolzenwerfer mit der freien Hand bedienen konnte.

Anaya hatte das Wrack schnell umrundet. Lautlos tauchte sie wieder auf: „Es liegt ein großer Felsbrocken darin. Er hat ein Loch in den Rumpf geschlagen und den Kahn dann nach unten gedrückt. Wenn wir den Stein entfernen, müsste sich das Leck schließen lassen.“

„Dann los, bevor uns noch jemand aufstöbert.“

Kaum hatte er zu Ende gesprochen, war Anaya bereits wieder unter Wasser. Sie schlang das Seil um den Rumpf des Bootes, bevor sie tiefer hinab tauchte. Er konnte nicht mehr verfolgen, was sie tat, doch das Wasser brodelte und zischte plötzlich zuerst an der Stelle, an der er den Felsen vermutete, bevor es sich über das gesamte Wrack ausbreitete.

Es gab einen Ruck am Seil, der ihm signalisierte, dass er ziehen sollte.

Für einen Menschen, Naurim oder Alian wäre das Unterfangen aussichtslos gewesen, zu versuchen, den Nachen von Hand zu bewegen, doch er war ein Leonide. Größer und stärker als ein Pferd, mit Muskeln, die von Kampf und Reise gestählt waren. Er stemmte Seine Füße in den Boden, schlang das Seil um den Arm und die Schultern und zog.

Zunächst spannte sich nur das Tau, bis es unter der Belastung zu knirschen begann. Wasser spritzte heraus, als die Stricke, aus denen es bestand, ausgepresst wurden.

Knurrend lehnte er sich vom Hafenbecken weg, um sein beträchtliches Gewicht zum Einsatz zu bringen.

Seine Verletzung meldete sich protestierend, Schmerzen breiteten sich von dort in seinen Körper aus, die ihm keuchend die Luft aus den Lungen trieben. Verbissen kämpfte er darum, nicht nachzugeben.

Schließlich musste er doch eine Pause machen, als er die Pein nicht länger ertragen konnte.

Anaya war noch nicht wieder aufgetaucht und das Wasser brodelte auch noch immer, deshalb beschloss er, zunächst abzuwarten.

Gerade rechtzeitig, denn als er den Kopf hob, entdeckte er zwei Gestalten, die soeben um die Ecke eines Hauses am anderen Ende des Hafenbeckens gebogen waren. Für einen Herzschlag bleiben sie ebenso überrascht stehen, wie er.

Es waren keine Bewohner der Stadt, sondern Soldaten aus Morak. Sie schlenderten auch nicht über die Straße, sondern schlichen im Schatten der Hauswände voran.

Die Männer reagierten eine Winzigkeit schneller. Einer bog rasch in eine Seitengasse ab, der Andere duckte sich in einen Hauseingang, um Kmarr im Auge zu behalten.

Fluchend zog dieser wieder am Seil, ohne auf die Soldaten zu achten. Dieses Mal packte er mit beiden Pranken zu.

Es passierte überhaupt nichts. Mit erneuter Anstrengung legte er zusätzlich zu seiner Muskelkraft auch sein Gewicht hinein, bis das Seil so straff gespannt war, dass er fürchtete, es würde jeden Augenblick reißen.

Gerade als er zum zweiten Mal aufgeben wollte, weil bereits bunte Flecken vor seinen Augen tanzten, spürte er wie sich das kleine Boot aus dem Schlamm des Beckengrundes löste.

Knirschend polterte ein riesiger Stein durch ein Loch mitten im Rumpf.

Anaya tauchte aus dem Wasser auf: „Was machst Du denn da? Ich war noch nicht fertig.“

„Wir müssen hier weg. Besuch aus Morak“, ächzte er gepresst, während er sich die schmerzende Seite hielt: „Zwei Soldaten bislang.“

„Wo?“

Kmarr machte eine Kopfbewegung zur Seite.

Mit zwei kräftigen Schwimmzügen katapultierte sie sich aus dem Wasser. Ihr nackter, geschuppter Körper glänzte im matten Sonnenlicht. Sie landete geschmeidig auf ihren Hufen. Die Verwandlung zurück zu ihrer normalen Gestalt vollzog sich innerhalb weniger Herzschläge.

Hastig kleidete sie sich an: „Sind es nur die zwei?“

„Mehr habe ich nicht gesehen, doch das wird nicht mehr lange so bleiben. Einer ist bereits losgelaufen, um Verstärkung zu holen. Der andere versteckt sich da hinten in einem der Häuser. Was nun?“

„Ich erledige den im Haus, Du bringst den Kahn weg. Zieh ihn näher zum Fluss. Wir müssen erst das Loch flicken, sonst kommen wir nicht weit.“

„Was Du nicht sagst.“

Kmarr blickte auf den traurigen Rest des Bootes, das nun einen Fuß aus dem Wasser ragte.

„Vorhin habe ich eine Rampe gesehen, über die man wohl früher Boote zu Wasser gelassen hat. Da werde ich auf Dich warten.“

„Einverstanden. Bis gleich.“ Sie berührte ihn kurz am Arm, dann huschte sie mit dem Bogen in der Hand davon.

Der Soldat, der wohl offensichtlich beobachtet hatte, dass nur Anaya auf ihn zu kam, entschied sich dazu, besonders tapfer zu sein. Er trat mit Axt und Schild bewaffnet aus seinem Versteck, um sich ihr zu stellen.

Das glockenhelle Lachen der Alian drang deutlich hörbar zu ihm hinüber. In einer fließenden Bewegung spannte sie ihren Bogen und schoss dem Mann durch Schild, Arm und Rüstung mitten ins Herz.

Kopfschüttelnd kehrte sie zu Kmarr zurück: „Lass uns verschwinden.“

Zu zweit zogen sie den schwer angeschlagenen Kahn durch das Hafenbecken. Ein paar Mal blieb er im Wasser an verborgenen Hindernissen hängen, doch sie erreichten die Rampe ohne weitere Zwischenfälle.

„Wie haben uns die Soldaten aus Morak nur so schnell gefunden?“

„Ich glaube, der war nicht aus Kalteon“, entgegnete Anaya: „Er hatte andere Abzeichen an seiner Rüstung. Außerdem war er viel zu unvorsichtig. Wäre er aus Morak hinter uns hergekommen, hätte er gewusst, dass er vorsichtiger sein muss.“

„Also aus Denelorn? Aus der Blutmark?“

„Deine Vermutung ist so gut, wie jede andere, aber ich glaube schon.“

„Gut, dass wir in die andere Richtung unterwegs sind.“

Gemeinsam hievten sie das kleine Boot ein Stück die verfallene Rampe hinauf. Ein paar Steinbrocken brachen dabei vom Rand ab und stürzten in das trübe Wasser, während der Kahn langsam leer lief. Kmarr war überrascht, als er sah, dass das Boot höhere Seitenwände hatte, als erwartet.

Mit drei Fuß hatte er nicht gerechnet. Ohne Loch wäre es tatsächlich brauchbar gewesen.

„Ich besorge ein paar Bretter, mit denen wir das Loch abdichten können“, verkündete Anaya.

„Pass auf, dass Du nicht noch mehr Freunde aus Morak mitbringst.“

Als Anaya zwischen den Lagerhäusern verschwunden war, die hier den Stadtteil prägten, ließ er sich langsam zu Boden sinken. Der Stein war kalt und schlammig und in den Ecken fand sich auch matschiger Schnee, den die Sonne nicht erreichte. Doch das war ihm im Augenblick egal. Seine Muskeln meldeten ihm, dass er entweder freiwillig zu Boden ging oder fallen würde, wenn sie ihm den Dienst verweigerten.

Mit dem Bolzenwerfer schussbereit auf den Knien, wartete er auf die Rückkehr seiner Gefährtin.

Lange musste er zum Glück nicht ausharren, dann erschien sie mit einem kleinen Stapel Bretter auf den Armen aus der Richtung, in der sie verschwunden war.

Beim Abladen flüsterte sie leise: „Es wimmelt nur so vor Soldaten. Ich bin sicher sie suchen nicht uns, denn sie arbeiten sich durch die Stadt zum Fluss vor.

Die Bewohner sind nicht auf ihrer Seite. Einer der Würmer hat an der Straßenecke gerade zwei von ihnen verschluckt, bevor sie auch nur schreien konnten.“

„Dann haben sie keine Ahnung, wo sie hier gelandet sind.“

„Das ist unsere Chance, hier zu verschwinden. Sorg dafür, dass sie mich nicht stören, ich muss mich konzentrieren. Das Holz ist schon ziemlich alt. Der Nachen wird schwimmen, allerdings nicht besonders lange.“

Kmarr zuckte mit den Mundwinkeln, wobei er seine Reißzähne entblößte: „Besser, als es mit einem der Kolosse zu versuchen.“

Er wartete auf eine Antwort, doch Anaya war bereits in ihre Arbeit vertieft. Er legte den Bolzenwerfer an, um beim geringsten Anzeichen von Bewegung sofort reagieren zu können.

Neben ihm knisterte und knackte das alte Holz, dem Anaya neues Leben einhauchte. Kurz verspürte er einen Anflug von Bedauern, dass ihm solche Kräfte nicht gegeben waren, doch dann erinnerte er sich an seine eigenen Erfolge bei den Erfindungen, wie dem Bolzenwerfer.

Seine Version war etwas größer und massiver als die, die er für die Anderen hatte anfertigen lassen.

Seine Bolzen waren so dick wie ein Männerdaumen und fast zwei Fuß lang.

Zu Hause, so nahm er sich vor, würde er verschieden große Varianten bauen. Und außerdem freute er sich darauf, die Geräte aus dem Gnomenbuch zu studieren.

Ein mechanischer Pflug, künstliche Federn für Vogelflügel, Ein Gerät das wirkte, wie eine Mischung aus Arm und Kran und ein Pferd aus Eisen.

Es gab noch viele weitere davon, doch bei den Übrigen war er sich über ihren Zweck noch nicht im Klaren. Außerdem musste er sich an die Zeichnungen halten, da er die Sprache, in der die Beschreibungen verfasst waren, nicht lesen konnte.

Während er darüber nachdachte, wären ihm beinahe die zwei Kundschafter entgangen, die kurz in einer der Ruinen aufgetaucht waren. Sie hatten ihn nicht bemerkt, aber aus der Richtung, die sie eingeschlagen hatten, schloss er, dass sie den Fluss ansteuerten. Das führte sie zwar zunächst wieder von ihnen weg, dafür genau dorthin, wo sie mit ihrem Kahn vorbei mussten, wenn sie ans andere Ufer wollten.

Nach kurzem Zögern entschied er sich dafür, bei Anaya zu bleiben, auch wenn die beiden Männer seinen Jagdinstinkt geweckt hatten.

Es gefiel ihm nicht, sie ziehen zu lassen.

Obwohl es keine weiteren Zwischenfälle gab, konnte er förmlich spüren, dass überall um sie herum weitere Feinde durch die Ruinen schlichen.

Prüfend sog er Witterung ein. Die Stadt war voller Gerüche, die er erwartet hatte: morsches Holz, staubige Ziegel, Schnee, Schlamm, Verwesung. Über allem lag eine schwer zu beschreibende Note von Alter und Gewalt.

Blut war in der Stadt geflossen, sehr viel sogar. Für ihn war es allgegenwärtig, es war schwer den Geruch zu ignorieren. Fast war es, als könne er die süßliche Essenz des Lebens schmecken.

„Kmarr? Hör auf zu knurren. Ich bin fertig.“

Anaya beobachtete ihn misstrauisch, die Hände in die Hüften gestemmt, den Kopf zur Seite geneigt. Normalerweise war Kmarr ruhig und ausgeglichen, es sei denn sein Blut geriet in Wallung. Dann wurde er unberechenbar. Leoniden im Blutrausch wurden zu Recht gefürchtet.

Auch Kmarr war aufbrausend und unbeherrscht gewesen, als sie ihn das erste Mal getroffen hatte, allerdings hatte er bereits damals begonnen, seine Selbstbeherrschung zu trainieren.

Sie musste schmunzeln, als sie sich daran erinnerte, wie sie ihn erst in der Taverne beim Armdrücken und dann in den folgenden Tagen beim Steinestoßen bezwungen hatte.

Bei den Wettkämpfen der östlichen Reiternomaden wurden Stammesführer bestimmt und Zwistigkeiten unter den Stämmen auf diese Weise geschlichtet. Fremde durften ihre Kräfte messen, konnten aber keinen Rang bei den Stämmen erringen.

Sein verblüfftes Gesicht, als sie sich als stärker erwiesen hatte, amüsierte sie bis heute.

„Wir können verschwinden. Es wird noch andere geben.“

Einen Augenblick schien es so, als hätte er sich nicht gehört, und sie fragte sich, wie sie sonst zu ihm durchdringen sollte, doch dann sackte er etwas zusammen und die Anspannung in seinen Muskeln erlosch.

„Entschuldige, hier riecht alles nach Gewalt, Blut und Tod. Und wir sind umgeben von Feinden. Die Verletzung schwächt meine Disziplin.“

„Ein Grund mehr, hier zu verschwinden.“

Das war ein bemerkenswertes Eingeständnis für den stolzen Leoniden. Es geschah nicht zum ersten Mal, dennoch war es selten genug, um sie zu überraschen.

Sie half ihm auf die Beine und gemeinsam schoben sie das klapprige Boot in das brackige Wasser zurück.

Auf getrennten Wegen

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