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1 - 26 Auf der Flucht -

Langsam verschnürte Phyria ihr Gepäck zu einem Bündel.

Ihr verletztes Bein zwang sie immer wieder zu Pausen. Obwohl sie im Grunde nur reglos gewartet hatte, fühlte sie sich erschöpft und hungrig. Ihr Magen knurrte, als die Anspannung von ihr abfiel.

Droin lachte, als er es hörte: „Wenn Dein Magen noch lauter wird, hält Dich die nächste Kreatur für ein paarungsbereites Weibchen.“

Sie streckte ihm die Zunge raus, bevor auch sie zu lachen begann.

Erleichterung löste die Anspannung auf, die sie bis zu diesem Augenblick empfunden hatte.

Auch als Droin einige Zähne aus dem Kiefer der Bestie brach und die Knochenhaken abtrennte, änderte sich daran nichts. Als er jedoch einige Brocken Fleisch aus dem Körper schnitt, hob sie fragend die Brauen.

„Vorräte. Vielleicht schmeckt sie nicht gut, aber es wird uns vor dem Hunger bewahren, der schlimmer ist.“

Sie verzog angewidert das Gesicht: „Ich weiß nicht, ob ich das essen kann. Ich mag Fleisch ohnehin nicht besonders.“

„Sobald Du etwas anderes findest, kannst Du gerne das essen. Bis dahin nehme ich das Fleisch. Pflanzen sind ohnehin viel häufiger giftig als Fleisch.“

„Dafür schmecken sie besser. Hilf mir mal.“

Droin hob sie vorsichtig auf den Kompass. Sie stützte sich dabei auf seinen Schultern ab, um ihr verletztes Bein zu schonen. Von ihrer halbwegs bequemen Position sah sie zu, wie Droin die restliche Ausrüstung verstaute. Anschließend schob er sie auf diese Art durch die Lücke im Gemäuer.

Den Tag über kamen sie gut voran. Mit Hilfe der Karte und Straßen hielten sie einen genauen Kurs nach Norden.

Zweimal mussten sie allerdings Schutz vor einem Schwarm Libellenegel suchen, der in der Nähe vorbei zog.

Sonst blieb der Tag trüb und kalt, aber trocken.

Droin nutzte die Gelegenheit, Phyria genauer nach ihren Erlebnissen zu befragen, seit sie aus der Abtei geflohen war. Vom Überfall hatte sie ausführlich berichtet, doch die Geschehnisse der Tage danach hatte sie nur vage angedeutet.

Sie zuckte die Achseln: „Der Tunnel, durch den wir geflohen sind, war uralt und an vielen Stellen eingestürzt. Es hat drei Tage gedauert, bis wir uns ausgegraben hatten.“

Während sie erzählte, erinnerte sie sich an die Nächte zwischen Dreck, Staub und Spinnen, nebeneinander in Dunkelheit auf dem harten Tunnelboden.

Ausreichend Zeit über die Geschehnisse und den persönlichen Verlust nachzudenken. Schwanken zwischen Hoffnungslosigkeit und dem Wunsch nach Vergeltung.

„Als wir endlich wieder draußen waren, fanden wir uns zwanzig Meilen weiter in einer stark bewaldeten Klamm wieder, in die kaum Tageslicht fiel. Jemand hatte vor langer Zeit einen Weg in eine der Felswände geschlagen, der zu unserem Glück in besserem Zustand war als der Tunnel.

Trotzdem hat es ziemlich lange gedauert, bis wir alle wieder Tageslicht zu Gesicht bekamen.“

Sie hatte wenig Mühe, sich die Erleichterung ins Gedächtnis zu rufen, als sie endlich wieder ein winziges Stück Himmel über sich entdeckt hatte.

„Ziemlich riskant, einen Fluchttunnel so schmal zu bauen“, entgegnete Droin.

„Ich glaube, dafür war er ursprünglich nicht gemacht. Vermutlich war das früher nur ein Weg für Kuriere, damit sie nicht einmal um das ganze Gebirgsmassiv herum laufen mussten.“

Droin nickte: „Scheint fast so. Wie ging es weiter?“

Er wollte unbedingt so viel wie möglich erfahren. Außerdem war es ein guter Zeitvertreib in der öden Sumpflandschaft.

„Die Klamm war ein kleines Seitental eines Größeren, durch das wir schneller vorankamen. Hier haben wir uns aufgeteilt.

Eine Gruppe marschierte geradewegs nach Norden zur Küste, eine nach Westen zu den Zwillingsstädten und der Rest, zu dem auch ich gehörte, nach Nordosten.“

„Was aus den anderen Gruppen geworden ist, weiß ich nicht.“

„Welche Aufgaben hatten sie denn?“, fragte Droin, um zu verhindern, dass die Verzweiflung, die er aus ihrer Stimme heraushören konnte, weitere Nahrung fand und so ihre Geschichte vorzeitig beendete.

Zum Glück hielt der Zustand nur einen Augenblick an, dann hatte sie sich wieder gefangen.

„Hauptsächlich sollten sie die Bevölkerung vor den Dämonen und ihren Verbündeten warnen. Wir taten dasselbe.

An jeden Schäfer, Bauern, Holzfäller, in jedes Dorf oder Gehöft, auf das wir unterwegs trafen, überbrachten wir die Warnung. Hätten wir nicht so viele Verwundete bei uns gehabt, niemand hätte uns geglaubt. So verbreitete sich die Nachricht ziemlich schnell. An einem kleinen Vulkan mit Lavahütern teilten wir uns dann ebenfalls in kleinere Gruppen. Der größte Teil marschierte in Richtung Medare, meine Gruppe setzte dagegen ihren Weg in östlicher Richtung fort.“

„Zum Wolfswald?“

„Genau. Warum habe ich auch erst nicht verstanden, aber eine Insel kann man nun mal nur mit dem Schiff verlassen und die Maganer fahren nicht zur See. In diesem Punkt sind sie wie die Naurim.“

„Nicht ganz wie wir“, protestierte Droin: „Es ist nicht so, dass wir nicht zur See fahren, vielmehr ist es so, dass Steine nicht so gut schwimmen.“

Er spielte damit auf die Steinschiffe an, auf denen die wenigen Naurim die Meere bereisten, die keine Abneigung gegen Wasser hatten.

„Wenn Du das sagst. Jedenfalls ist es uns gelungen, durch den Wolfswald hindurch Askaris zu erreichen. Von dort haben wir gleich mehrere Schiffe genommen, jede Gruppe zu einem anderen Ziel.“

„Den Siegeln.“

Phyria nickte: „Genau. Der Hüter der Flammen hat einen direkten Kurs nach Orenoc gewählt. Wir wollten zu den Wolkeninseln, nach Tirnadin, zur Stadt der Söldner und von dort ein Luftschiff nach Gi’tay nehmen.“

„Die richtige Strecke. Direkt und schnell, aber vorhersehbar. Außerdem sehr riskant, weil sie so dicht an Morak vorbei führt.“

„Da wussten wir noch nicht, woher unsere Feinde kommen. Wir hielten sie für Lakaien der Dämonen, nicht für Verbündete.“

„Wann hat sich das geändert?“

„Auf See.“

Sie schluckte: „Einen Tag nach unserer Abreise trafen wir auf einen Leviathan.“

„Was? Die gibt es nicht. Das sind nur Märchen. Seemannsgarn.“

„Wie? Ach so, Du meinst ein Tier. Nein, ich meine ein Schiff. Ein riesiges, eisernes Monstrum mit vier Masten und einem langen Rammsporn.

Die Seiten waren mit Eisenplatten beschlagen, in die Fratzen von Ungeheuern graviert waren. In den Maulöffnungen lauerten Speerspitzen. Das Schiff wirkte langsam, doch es war schneller als wir dachten. Die Flagge, die es zeigte, kannte keiner, auch der Kapitän nicht. Da es zu groß für ein Piratenschiff war, ließen wir es zu dich an uns heran.“

„Morak?“

„Genau.“

„Wie sah die Flagge aus? Das könnte wichtig werden.“

„Ein blutiger Helm auf grünem Grund in rotem Feld. Das grüne Tuch hatte die Form von Moraks Grenzen. Jetzt wo ich darüber nachdenke, bin ich sogar sicher. Mit goldenem Faden waren die Umrisse abgegrenzt.“

„Gut beobachtet. Das könnte irgendwann wichtig werden.“

Droin wechselte von ziehen zu schieben: „Sie haben euch angegriffen?“

„Zuerst nicht. Sie wollten vom Kapitän nur wissen, woher er kam und wohin er wollte. Was er geladen hatte und ob er Passagiere mit an Bord hätte.“

Und bei eurer Erwähnung ging es los?“

Phyria wurde Rot: „Nein, ich fürchte, der Hüter hat angefangen. Wir hatten uns versteckt, um nicht gleich bemerkt zu werden, der Unterhaltung hatten wir jedoch gelauscht. Als die Besatzung des seltsamen Schiffes untereinander auf Imperyal zu reden begann, sprang der Hüter plötzlich wütend auf und hat ein Dutzend Männer des Leviathans mit einer einzigen Geste eingeäschert.

Er beschimpfte sie als Mörder und Verräter und verbrannte ihre Segel und Masten. Da kamen plötzlich Soldaten aus dem Bauch des Schiffes, gefolgt von Hexenmeistern und Dämonen.

Wir warfen Feuerkugeln auf sie und beschossen sie mit glühenden Pfeilen, Flammenstrahlen und brennenden Steinen. Trotzdem war es unser Kapitän, der uns rettete. Als er bemerkte, was vor sich ging, hatte er das Ruder herumgeworfen und so Abstand von dem Schiff gewonnen. Die Soldaten schossen mit Speerschleudern, Arbalesten und Bögen zurück, aber die meisten Geschosse konnten unsere Feuervorhänge nicht durchdringen.“

„Klingt so, als hättet ihr Glück gehabt.“

„Ja, bis auf den Hüter“, entgegnete sie niedergeschlagen: „Wir dachten schon, wir wären entkommen, da tauchte plötzlich ein Klauenbewehrter Dämon mitten unter uns auf, ein Gazakra, ein Hundert-Klauen-Dämon, der den Hüter zerfetzte, während dieser ihn mit Drachenfeuer verzehrte.“

„Es scheint, er ist ehrenvoll gestorben. Wie muss ich mir den Gazakra vorstellen? Hundert Klauen hat er doch hoffentlich nicht wirklich?“

„Nein. Er ist so groß wie Drakkan, hat sechs Arme mit sieben Krallen an jeder Hand. Außerdem hat er überall Dornen, die ihm aus der Haut wachsen. Sie können sich durch die Schatten bewegen, ebenso wie Drakkan.“

„Hässlich.“

„War es auch. Wir waren alle so geschockt, dass wir dem Kapitän unvorsichtigerweise erzählt haben, was los war. Er ist ein edler Mann und stand zu seinem Wort. Zuerst ging auch alles gut, doch als wir uns der Küste näherten, tauchten kleinere Schiffe auf, Cousins des schwarzen Monsters, die uns bedrängten. Der Hafen, den wir eigentlich anlaufen wollten, war blockiert, also mussten wir ein anderes Ziel wählen.“

Sie machte eine kurze Pause. Die Erzählung strengte sie hörbar an. Es kostete sie viel Überwindung.

Schließlich seufzte sie und fuhr fort: „Egal wohin wir uns wandten, überall waren die Schiffe aus Morak bereits eingelaufen oder tauchten in der Ferne auf. Hätte der Kapitän nicht einen alten Schmugglerhafen gekannt, hätten sie uns wohl auch erwischt. So legten wir dort nachts an und schlichen uns von Bord.“

„An der Küste zwischen den Wolkeninseln und Rellinn gibt es viele Möglichkeiten an Land zu gehen. Die haben wir auch schon häufiger genutzt. Hat euch das lange Schutz geboten?“

Phyria überlegte eine Weile, bevor sie antwortete: „Ich denke schon“, sagte sie schließlich: „Da wir selbst nicht so genau wussten, wo wir gelandet waren, waren unsere Bewegungen wohl nicht vorhersehbar. Wir haben die Städte gemieden und sind über Land und nachts gereist. Irgendwann haben wir uns dann in einem kleinen Nest in Orenoc getrennt. Meine Gruppe sollte zum Schattenwald reisen, und die andere hierher.“

Droin machte ein finsteres Gesicht: „Dann sind sie vermutlich genau in die Arme von Moraks Armee gelaufen, als die Blutmark überrannt wurde.“

„Ich fürchte auch. Meine Freundin Alissa war dabei. Hätten sie es geschafft, hätten wir hier Spuren finden müssen.“

Sie hielt inne, als der Naurim stehen blieb. Mitfühlend legte er ihr eine Hand auf das unverletzte Bein: „Noch ist ihr Schicksal nicht gewiss. Ich werde den Klan bitten, Nachrichten aus Denelorn zu sammeln. Es wird eine Zeit dauern, aber wir werden erfahren, was geschehen ist.“

„Danke.“

Ihre Stimme zitterte leicht, als sie ihre Hand auf seine legte.

„Tu mir noch einen Gefallen: Finde heraus, wer verantwortlich ist. Wenn ich weiß, was passiert ist, wird es einfacher, sie zu finden und ihnen alles heimzuzahlen.“

„Rache bringt Dir nichts ein, doch ich verstehe Deine Motive. Wie willst Du dafür bezahlen? Nachrichten sind teuer und Du bist nicht reich.“

Phyria grübelte eine Weile, dabei sah sie ihre spärlichen Besitztümer durch: „Was ist, wenn ich Dir und Deinem Klan die Karten überlasse, sobald ich sie nicht mehr brauche?“

Wieder blieb Droin stehen. Er legte seinen Kopf sehr bedächtig auf die Seite, als er antwortete: „Das ist ein überraschender Vorschlag. Daran hatte ich gar nicht gedacht, aber Du hast Recht. Sie sind in der Tat sehr wertvoll. Unsere Gelehrten werden Dir einen sehr guten Preis machen. Du wirst neue Ausrüstung bekommen, Nachrichten, eine eigene Unterkunft bei uns. Und meine Dienste für eine ganze Weile. Ein guter Handel.“

„Wie kommt es eigentlich, dass Dein Volk so stur auf einer Bezahlung aller Taten besteht? Warum tut ihr nichts ohne eine Gegenleistung dafür? – Abgesehen davon, dass es sehr einträglich ist?“

Nun war es an Droin, einen Moment über die Antwort nachzudenken. Er tat dies, während er den Kompass weiter voran schob. Die Frage war nicht neu, sie tauchte immer wieder auf. Für ihn war die Antwort eindeutig und einfach. Für sein Volk als Ganzes war die Antwort etwas schwieriger zu geben.

„Ehe ich Dir darauf eine Antwort gebe, lass mich zuerst Deine Geschichte zu Ende hören.“

„Also schön.“

Sie berichtete ausführlich über die Erlebnisse bei der Durchquerung von Orenoc nach Gi’tay. Die Überfälle und Hinterhalte, vergiftetes Essen, Attentäter, falsche Anschuldigungen beim Dorfschulzen, oder wer immer sonst für eine Siedlung sprach, Pferde wurden gestohlen, Gasthöfe abgebrannt, Brunnen versalzen.

„Egal was wir unternahmen, nichts gelang. Einer nach dem anderen erlag den feigen Attacken. Als sie schließlich angriffen, waren wir zu schwach, ihnen zu widerstehen.“

Wut und Verzweiflung waren in ihrem Bericht fast greifbar. Immer wieder musste sie Pausen machen, um sich zu sammeln.

Droin verstand sie nur zu gut. Auf diese Weise hatte er selbst zusammen mit den anderen manche Räuberbande zur Strecke gebracht. Doch das verschwieg er ihr vorsichtshalber.

„Eure Feinde haben eine geschickte Strategie angewendet“, sagte er stattdessen: „Trotzdem bist Du entkommen.“

Sie nickte: „Bis nach Gi’tay waren wir noch fünf, aber außer mir waren alle verwundet oder krank.“

„In der Stadt haben wir Glück gehabt. Wir konnten Pferde und Proviant erwerben und einen Führer engagieren, der uns durch den Sumpf gebracht hat.“

„Wie haben sie euch denn dann doch noch eingeholt?“

„Gar nicht. Das Schwein hat uns direkt in ihr Lager geführt.“

„Nur weil die Anderen sich geopfert haben, konnte ich entkommen.“

Tränen rannen ihr über die Wangen, doch in Droins Ohren klang sie hauptsächlich wütend.

„Ich habe ihn zu Asche verbrannt und bin geflohen. Was danach passiert ist, weißt Du.“

Sie sah ihn direkt an, als er nickte. Es hatte sie Kraft gekostet, die Geschichte zu erzählen. Dennoch fühlte sie sich erleichtert.

Ein winziges Stück von der Last, die sie mit sich trug, war von ihr abgefallen. Während der Erzählung war ihr bewusst geworden, dass sie keine Schuld am Tod ihrer Kameraden und Freunde trug. Sie hätte wenig tun können, um etwas zu ändern, und am Ende hatte sie nur dank eines Zufalls überlebt, der sie in den Weg von Drakkan Vael geführt hatte.

Das machte die Erinnerungen nicht weniger schmerzlich, es machte sie nur weniger allgegenwärtig. Heimlich fragte sie sich, was sie wohl tun würde, wenn es ihr tatsächlich gelänge, die Siegel zu erneuern.

Weil ihr darauf keine Antwort einfiel, verdrängte sie den Gedanken schließlich wieder. Stattdessen wandte sie sich Droin zu, der stoisch den Kompass weiter schob, keinen Augenblick die Umgebung aus den Augen lassend.

Er war für sie noch derjenige, den sie am leichtesten verstand. Nur die seltsame Kultur der Naurim, für alles Bezahlung zu verlangen, wollte ihr nicht so richtig in den Schädel. Sie erinnerte Droin an ihre Frage.

Wieder dauerte es, bis er antwortete, und als er es tat, wirkten seine Worte wohlüberlegt, so als hätte er die Antwort schon häufiger gegeben.

„Es ist nicht einfach, die Frage zu beantworten. Für mich, in einem gefährlichen Beruf ist es noch ziemlich simpel: Ich riskiere ständig mein Leben. Da wäre es reichlich dumm, keine Gegenleistung zu verlangen. Gleiches gilt für Kaufleute, Handwerker, sogar Künstler und Gelehrte. Keiner käme auf den Gedanken, ohne Lohn zu arbeiten.“

„Schon, aber auch für einen Gefallen? Einen Freundschaftsdienst?“

„Ja“, fuhr er fort: „Wenn man jemanden um etwas bittet, erwartet oder erhofft man sich eine Gegenleistung, ohne selbst etwas dafür zu tun. Aber die erbetene Leistung hat dennoch einen bestimmten Wert.“

„Ist es denn nicht so, dass ich um etwas bitte, gerade weil ich es nicht selbst kann?“

„Sicher. Das gilt jedoch auch für einen Stuhl, den Du von einem Tischler kaufst oder ein Bier, welches Du in einer Taverne bestellst. Eine Bitte ist eine Frage nach einer Leistung, ohne dafür zu bezahlen.“

„Und weshalb hast Du dann geholfen, mich nach Kaltarra zu bringen? Da konntest Du doch gar nicht wissen, ob ich dafür bezahlen kann.“

Droin grinste: „Stimmt. Hätte ich auch nicht getan“, erwiderte er.

Überrascht sah sie ihn an.

„Das wäre gegen die Lehren meines Volkes gewesen.“

„Aber warum dann?“

„Drakkan hat die Bezahlung übernommen. Und wie.“

„Was? Was hat er Dir gegeben?“

„Einen halben Becher roten Sand.“

Ihren Schock hatte er erwartet. Drakkan wirkte nicht so, war aber öfter großzügig und selbstlos. Zugegeben hätte er allerdings das nie.

„Wie wir jetzt wissen, war seine Entscheidung richtig. Um sie zu verstehen, musst Du die Naurim verstehen. Wir glauben, dass alles einen Wert hat. Statt dies dem Zufall, Höflichkeit oder Schuldgefühlen zu überlassen, legen wir die Werte in Münzen fest.“

„Was ist denn mit Geschenken? Schenkt ihr euch nie etwas?“

„Da sind wir wie alle anderen. Damit tust Du etwas für jemand anderen, ohne eine Gegenleistung zu erbringen. Im Grunde das Gegenteil einer Bitte.“

„Erhofft man sich von Geschenken denn nicht auch Wohlwollen?“

„Nicht, wenn sie ehrlich gemeint sind. Du hast den wichtigsten Punkt erkannt. Wenn Du eine Gegenleistung erhoffst, ist es kein ehrliches Geschenk.“

„Aber wieso hat Drakkan Dich bezahlt? Gehört ihr nicht zum selben Klan? Ich dachte untereinander bezahlt ihr nicht?“

„Doch. Und er hat mich auch nicht bezahlt, sondern Du. Er hat Dir nur das Geld geliehen. Ich bin sicher er wird es zurückhaben wollen.“

„Dann muss er warten. Ich habe ihn nicht darum gebeten.“

Sie machte ein wütendes Gesicht.

„Wärst Du lieber tot?“

„Blöde Frage. Natürlich nicht. Schließlich habe ich eine Aufgabe zu erfüllen. Aber gefallen muss es mir deshalb nicht.“

Innerlich seufzte Droin. Äußerlich blieb er ruhig und gelassen.

„Und weil wir Söldner sind, die nur gegen Bezahlung arbeiten, sind unsere Motive weniger edel? Ich würde es anders sagen: wir sind weniger dumm. Jeder von uns hat eigene Ziele, nur verfolgen wir sie nicht umsonst.“

„Drakkan zum Beispiel sucht die Wurzeln seines Volkes und mit dem Verdienst aus seiner Arbeit hat er Deine Rettung bezahlt. Sieh Dir an, worauf Du sitzt. Ich habe Dir geholfen, dafür einen halben Becher roten Sand bekommen, die Rüstung erhalten und Attravals Kompass gefunden. Du reist mit uns. Obwohl Du die gleichen Gefahren durchlebst, besitzt Du kaum mehr als Deine Kleidung. Es ist nichts falsch, daran, sein Leben gegen eine Kiste Gold zu riskieren.“

„Reichtum ist nicht alles.“

Die Antwort klang selbst in ihren Ohren schal wie abgestandenes Bier. Besonders, weil sie seine Argumente damit nicht entkräften konnte.

Anscheinend wusste Droin das auch, denn er antwortete nicht, sondern schob den Kompass weiter.

Auf getrennten Wegen

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