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Wie die Natur uns zeigt, dass es auf die Größe ankommt

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Den ersten Nanotechnologen gab es lange, bevor unsere Urahnen durch afrikanische Savannen streiften: die Evolution. Sie schuf Effekte, die auf der Kleinheit der Bausteine von Organen oder Pflanzenteilen beruhen. Mithilfe ultradünner Fasern, winziger Partikel oder Schäufelchen fand die Natur Antworten auf äußerst knifflige Fragen. Nur drei Beispiele: Wie kann ein stabiles und dichtes Gewebe wie die Augenhornhaut transparent sein? Wie schafft es ein Tausendstel Millimeter dünner Spinnenfaden ein schnelles Insekt zu bremsen ohne zu reißen? Oder wie kriegen Geckos es hin, an der Decke zu laufen?

Es lohnt sich, zu betrachten wie die Natur diese harten Nüsse geknackt hat. Denn das erleichtert es, zu verstehen, was Nanotechnologie ist. Also los.

Harte Nuss Nummer eins: die Transparenz der Augenhornhaut. Das Fenster zur Welt hält seine stabile Form dank so genannter Kollagenfibrillen. Diese superdünnen Proteinfasern sind sehr zugfest und somit ein wichtiger Teil des Halte- und Stützapparates des Körpers, sie tragen wesentlich zur Festigkeit von Knochen, Sehnen, Bändern oder der Haut bei. Sie halten auch die Augenhornhaut in der Form einer Linse und ermöglichen die Abbildung der Außenwelt auf die Netzhaut.

Anders als Haut oder Knochen ist die Augenhornhaut aber nicht nur stabil, sondern auch transparent. Hier kommt nun die extreme Kleinheit ins Spiel. Der Abstand zwischen den Kollagenfasern ist sehr klein – kaum größer als 50 Nanometer (siehe Kasten 1, S. 35–39). Mit dieser winzigen Struktur überlistet die Natur ein physikalisches Phänomen namens Beugung. Man kann sich dies so vorstellen: Wenn ein anderer Mensch hinter einem dicken Baumstamm steht, kann man ihn zwar nicht sehen, aber reden hören. Das liegt daran, dass Wellen nur dann um Hindernisse herumlaufen, wenn sie länger sind als deren Abmessungen. Lichtwellen haben 400 bis 700 Nanometer Wellenlänge, können also nicht um den meterdicken Stamm herumlaufen. Schallwellen hingegen haben eine Wellenlänge von mehreren Metern, für sie ist der Baum kein Hindernis.

Die Lichtwellen sind aber deutlich länger als die Abstände der Kollagenfasern in der Augenhornhaut. Sie durchdringen die stabile Hornhaut deswegen ungehindert.

Überschreitet der Abstand eine Grenze, verliert die Augenhornhaut ihre Transparenz. Es gibt Krankheiten, bei denen die Augenhornhaut durch eindringendes Wasser aufquillt. Dadurch vergrößern sich die Abstände der Kollagenfasern voneinander und das Licht wird abgelenkt. Das äußert sich in einer Trübung der Hornhaut, da nur noch ein Teil des Lichtes durchkommt. Die Nanometer zählen also.

Harte Nuss Nummer zwei: die Spinnenseide, ein nur wenige Tausendstel Millimeter dünner Faden, der sich extrem ausdehnen kann und gleichzeitig fünfmal so fest ist wie Stahl. Zwei eigentlich gegensätzliche Materialeigenschaften verschmelzen in der Spinnenseide in einem Material. Die Kombination aus Dehnbarkeit und Reißfestigkeit erlaubt es der Naturfaser, viel Energie aufzunehmen, bevor sie reißt, also etwa den schnellen Flug eines fliegenden Insekts zu bremsen.

In Wirklichkeit liegen eine dehnbare und eine feste Komponente getrennt voneinander in der Spinnenseide vor. Der Seidenfaden ist mit einem Hefeteig vergleichbar, in dem Zuckerwürfel eingebettet sind. Die dehnbare Komponente (der Hefeteig) besteht aus einem Knäuel fadenförmiger Proteine. Fliegt ein Insekt in das Netz, strecken sich diese Proteinfäden, wodurch der gesamte Seidenfaden sich verlängert. Sind die Fäden ausgestreckt, verhindert die feste Komponente das Reißen der Spinnenseide, da sie chemisch mit der weichen Komponente verbunden ist. Der feste Anteil hat eine stärker geordnete Struktur als die dehnbare Komponente: Er besteht aus Proteinfäden, die sich mäanderförmig schlängeln, und so Plättchen bilden. Auf diese Weise begegnet sich der Faden sehr oft selbst, sodass sich die Kräfte zwischen den vielen sich nahekommenden Atomen, aus denen er besteht, zu einer hohen Festigkeit summieren. Viele der Plättchen versammeln sich in der Spinnenseide zu einem etwa 100 Nanometer großen Stapel, den »Zuckerwürfeln«. Ein einzelnes Plättchen hat nur etwa zehn Nanometer Durchmesser. Dass die Plättchen nicht größer sind, hat einen Zweck. Denken Sie an ein Brett mit einer Dicke von einem Zentimeter und einer Breite von zehn Zentimetern und zwanzig Zentimetern Länge. Das lässt sich wesentlich schwerer brechen als ein zwei Meter langes Brett der gleichen Breite und Dicke. Letzteres ist deutlich spröder. Hätten die Protein-Plättchen in der Spinnenseide einen deutlich größeren Durchmesser, sagen wir fünfzig Nanometer, würde das die harte Komponente schwächen und sie spröde werden lassen.

Auch am Beispiel der Spinnenseide sehen wir, dass es auf die Größe ankommt. Diesmal wirkt sich die Größe auf die mechanischen Eigenschaften eines Materials aus, indem es ihm die Sprödigkeit nimmt. Und ein zweiter für Nanotechnologie wichtiger Aspekt wird an der Spinnenseide sichtbar. Weil die »Zuckerwürfel«, also die Bereiche aus den festen Protein-Blättern, nur rund 100 Nanometer groß sind, sind sehr, sehr viele von ihnen sehr fein in der Seide verteilt. Obwohl sie nur etwa 30 Prozent der Masse des Spinnenfadens ausmachen, sind sie durch diese feine Verteilung überall im Faden präsent. Dies ermöglicht, dass die feste und die dehnbare Komponente zu einem Material verschmelzen, das somit auf scheinbar wundersame Weise gegensätzliche Eigenschaften in sich vereint.

Die letzte harte Nuss sind die Füße des Geckos. Manche Arten dieser Reptilienfamilie können kopfüber an der Decke laufen. Wie schaffen sie das? Was die Tiere dazu brauchen ist eine Art Kleber, der bombenfest haftet, sich aber federleicht wieder lösen lässt, da der Gecko ansonsten mit jedem seiner Beinchen nur einen Schritt machen könnte. Wie schon bei der Augenhornhaut und bei der Spinnenseide sollen also hier zwei sich scheinbar ausschließende Eigenschaften miteinander verbunden werden. Und wie schon bei den vorigen Beispielen, zeigt die Lösung, dass es auf die Größe ankommt.


Abbildung 1: Die winzigen Schäufelchen, Spatulae genannt, an den Füßen eines Geckos unter dem Elektronenmikroskop. Der eingefügte Maßstab beträgt 200 Nanometer. Quelle: Stanislav Gorb, Zoologisches Institut, Universität Kiel.

Der Gecko besitzt an seinen Füßchen rund zehn Milliarden Fasern, die sich an ihren Spitzen in extrem feine Härchen aufspalten, von denen jedes einen Durchmesser von 200 Nanometern hat. An ihrer Spitze haben die Härchen eine Verdickung, die an einen Spatel erinnert. Sie haben daher den Fachausdruck Spatulae erhalten (Abb. 1).

Die Spatulae setzen sich beim Laufen auf die Unterlage, etwa Glas. Die Atome an der Spitze jedes einzelnen Härchens und die in der Unterlage ziehen sich durch so genannte van-der-Waals-Kräfte an. Diese Kräfte sind sehr schwach, da sie aber durch die schiere Vielzahl der Spatulae milliardenfach multipliziert werden, reichen sie in der Summe locker aus, um den Geckokörper zu tragen. Der Gecko kann die Verbindung wieder lösen, indem er seine Zehen aufrollt, wodurch sich der Winkel zwischen den spatelförmigen Spitzen der Härchen und der Unterlage ändert und die van-der-Waals-Bindung sich löst.

Was haben die drei geschilderten Naturlösungen gemeinsam? Eigentlich nur die Größe von Bauteilen im Bereich von Nanometern. Und dieser kleinste gemeinsame Nenner – die Größe – zeigt sich auch noch in unterschiedlichen Gestalten: einmal als ein Abstand (von Kollagenfasern), das andere Mal als ein Durchmesser (der aus Proteinfäden gewebten Plättchen) und beim Dritten als die Größe einer winzigen Struktur (der Spatulae).

Aber es sind nicht die Nanometer allein, die zählen. Es kann auch darauf ankommen, wie die Einzelteile angeordnet sind. Die Kollagenfasern in der Augenhornhaut liegen parallel zueinander, wie ein Stapel gefällter Baumstämme. Würden sie wie Spaghetti durcheinanderliegen, wäre sie nicht transparent. In der Nanotechnologie würde man so etwas als »Nanostruktur« bezeichnen, als ein nanometer-genaues Arrangement höchst filigraner Bauteile.

Auch die feine Verteilung der »Zuckerwürfel« in der Spinnenseide, wodurch der weiche Faden zugleich Härte erhält, stellt ein in der Nanotechnologie genutztes Prinzip dar. Wenn Nanotechnologen winzig kleine Teilchen in ein Material, z.B. einen Kunststoff, mischen, dann sprechen sie von einem »Nanokomposit«.

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