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An den Grenzen der Kleinheit

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Es gibt also nicht nur einen Grund, warum die Nanogröße Materialien verändert und besondere Phänomene hervorbringt. Unterschiedliche Nano-Effekte haben unterschiedliche physikalische Ursachen. Es gibt aber ein grundlegendes Prinzip, das viele Nano-Effekte erklärt. Es hat damit zu tun, dass die Nanoskala an die Grenzen der Kleinheit stößt. Viel kleiner können Objekte nicht sein. Ein Vergleich soll das illustrieren: Eine Fliege ist riesig, verglichen mit den kleinsten Bausteinen aus denen alle Dinge – Telefone, Autos oder Steine – bestehen: den Atomen. Sie denken vielleicht, eine Million Atome seien viele Atome. Mitnichten, es sind lächerlich wenige. Eine Million Atome enthält eine einzige Fliege für jede Sekunde, die seit dem Aussterben der Dinosaurier vergangen ist7! Eine Zahl an Atomen, die sich nicht in Worte fassen lässt. Verglichen damit bestehen Nanopartikel aus sehr wenigen Atomen. Eines von Faradays Gold-Nanopartikeln ist im Vergleich zur Fliege etwa so groß wie diese Fliege verglichen mit dem Matterhorn. Es besteht aus rund 50.000 Atomen. Es gibt noch kleinere Nanopartikel, die aus wenigen hundert Atomen bestehen.

Nanotechnologie operiert also mit Objekten, die kaum größer sind als einzelne Atome oder Moleküle. Das hat eine faszinierende Konsequenz: Da Atome und Moleküle den Gesetzen der Quantenphysik gehorchen und die Nanoskala nur wenig über der Größe einzelner Atome oder Moleküle beginnt (ein Atom hat typischerweise einen Durchmesser von etwa 0,1 Nanometern), wirken sich diese oft bizarr anmutenden Gesetze auf viele Nanomaterialien aus. Nanotechnologie kann sich also die Gesetze der Quantenmechanik nutzbar machen.

Eines dieser Gesetze hat der dänische Physiker Niels Bohr vor gut 100 Jahren postuliert. Ein Atom besteht aus einem Atomkern aus Protonen und Neutronen, der von Elektronen umkreist wird. Die Elektronen können dabei aber nicht jede beliebige Energie annehmen, gerade so als könnte ein Kettenkarussell sich nur mit ein paar festgelegten Geschwindigkeiten drehen und müsste übergangslos von dem einen Tempo zum anderen springen. Der Ausdruck »Quantensprung« beschreibt dieses, sich der Vorstellungskraft entziehende, aber reale Phänomen.

Die Energiestufen bestimmen, welche Lichtwellenlängen ein Atom absorbiert oder emittiert. Denn die Energie einer Lichtwelle hängt von ihrer Wellenlänge ab, weshalb ein Atom nur Wellenlängen absorbiert bzw. emittiert, die der Energiedifferenz zwischen zwei Energiestufen entspricht. Bei Atomen unterschiedlicher Elemente unterscheiden sich die Energiestufen, die die Elektronen besetzen können und damit die absorbierten und emittierten Wellenlängen. Natrium zum Beispiel leuchtet gelb, wie sich anhand gelb leuchtender Straßenleuchten, die Natriumdampflampen enthalten, beobachten lässt.

Nanopartikel, die aus Halbleitern bestehen – Halbleiter sind jenes Mittelding aus Leiter und Isolator, das sich in jedem Computerchip findet – verhalten sich Atomen recht ähnlich: Die Elektronen in ihrem Innern können nur bestimmte Energiestufen besetzen. Der Witz ist nun, dass die Größe dieser Nanopartikel bestimmt, wie groß die Energiestufen sind. Somit lassen sich durch Vergrößern oder Verkleinern der Teilchen die Farben, die sie aussenden, steuern. Daher sieht es wie ein Regenbogen aus, wenn Forscher Halbleiter-Nanopartikel – auch »Quantenpunkte« genannt – unterschiedlicher Größe in Flüssigkeiten lösen, Gläser davon nebeneinander aufstellen und sie mit UV-Licht beleuchten: Jede einzelne Lösung gibt die Energie des UV-Lichtes in Form jener Wellenlänge wieder ab, die ihrer Größe entspricht. Quantenpunkte lassen sich wegen ihrer Kleinheit für extrem dünne Farbdisplays nutzen, die keine Hintergrundbeleuchtung mehr benötigen, wie koreanische Forscher 2011 in ihrem Labor demonstrierten8. Erste Flachbildfernseher mit Quantenpunkten zeigen reinere Farben als herkömmliche Displays, da rote Quantenpunkte wirklich nur rotes Licht emittieren, während rot leuchtende Flüssigkristalle, wie sie heute in Displays genutzt werden, auch Spuren anderer Farben aussenden.


Abbildung 3: Zeichnung eines Kohlenstoff-Nanoröhrchens. Quelle: istockphoto.com.

Die Quantenphysik ist es auch, die Kohlenstoff-Nanoröhrchen (englisch: carbon nanotubes, abgekürzt: CNT) zu einem der faszinierendsten Materialien überhaupt macht. Die CNT zeigen eine einzigartige Kombination von Eigenschaften, wie sie sonst kein Material mitbringt. Um die Gründe hierfür besser zu verstehen, soll ihr Aufbau skizziert werden (Abb. 3). Eine Bleistiftmine besteht aus Graphit. Dieses wiederum ist quasi ein Stapel von sehr, sehr dünnen Kohlenstoff-Schichten, Graphen genannt. Genau gesagt ist Graphen nur so dick wie ein Kohlenstoff-Atom: Es besteht aus einer einzelnen Schicht von Kohlenstoff-Atomen. Im Graphen bilden die Kohlenstoff-Atome ein bienenwabenförmiges Muster. Rollt man das Graphen wie ein Blatt Papier zu einer winzigen Röhre von gut einem Nanometer Durchmesser auf, entsteht ein CNT.

Die Atome halten felsenfest zusammen, denn sie sind durch so genannte kovalente Bindungen miteinander verknüpft – die stärkste Form der chemischen Bindung. Das ganze CNT bildet eine Einheit, es ist quasi ein einziges Molekül. Und als solches wird es von den Gesetzen der Quantenphysik regiert.

Da das CNT eine Einheit darstellt, gibt es keine Schwachstellen, an denen es brechen könnte, bevor die Belastungsgrenze der vielen kovalenten Bindungen erreicht ist. CNTs unterschiedlichen Durchmessers stecken oft ineinander wie die Glieder einer Teleskopstange, was diese so genannten mehrwandigen Kohlenstoff-Nanoröhrchen (engl. multiwalled carbon nanotubes, kurz: MWCNT) noch stärker macht. Würde ein Stahldraht von nur einem Quadratmillimeter Durchmesser, also ein haardünner Draht, die gleiche Zugfestigkeit wie ein MWCNT besitzen, dann könnte er eine Last von mehr als sechs Tonnen tragen, ohne zu reißen9. Die Röhrchen werden wegen ihrer Festigkeit Materialien zugemischt, um diese stabiler zu machen, zum Beispiel Surfbrettern oder Tennisschlägern.

Die festen Bindungen sorgen auch dafür, dass CNTs Wärme sehr gut leiten, mehr als doppelt so gut wie Diamant, dem besten natürlich vorkommenden Wärmeleiter. Wärme ist nichts anderes als eine ungeordnete Zitterbewegung der Atome. Da die kovalenten Bindungen sehr steif sind, übertragen sie solche Zitterbewegungen sehr schnell zwischen den Kohlenstoff-Atomen, die Wärme breitet sich somit rasant über das gesamte CNT aus.

Die Quantenphysik macht sich besonders bemerkbar bei der elektrischen Leitfähigkeit von CNT. CNTs sind sozusagen elektrische Zwitter: Je nach Durchmesser und dem Winkel, in dem das Graphen-Blatt zusammengerollt ist, sind sie Halbleiter oder Metalle, d.h. ihre Leitfähigkeit für Strom unterscheidet sich stark. Manche CNTs leiten Strom besser, also mit weniger elektrischem Widerstand, als Kupfer. Sie sind nämlich derart schmal, dass Elektronen nicht von ihrer geradlinigen Bahn abgelenkt werden können. In Metallen hingegen werden sie von Unregelmäßigkeiten im Kristallaufbau des Metalls oft abgelenkt und vollführen einen Zick-Zack-Kurs, der die Leitfähigkeit herabsetzt. Das CNT ist sozusagen eine frisch asphaltierte Straße für die Ladungsträger und nicht ein Feldweg voller Schlaglöcher.

CNT gelten wegen dieser und anderer einzigartigen elektrischen Eigenschaften als wichtige Bauteile in zukünftigen Computerchips (Kapitel 3). Wegen der guten elektrischen Leitfähigkeit der CNTs lassen sich Transistoren sehr schnell ein- und ausschalten, was im Prinzip CNTs enthaltende Computerchips viel leistungsfähiger machen könnte als heutige Chips. Auch ihre anderen Eigenschaften sollen technisch genutzt werden oder werden es bereits, wie wir noch sehen werden.

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