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Vorwort:
Charakter? Kein Thema

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Noch nie ist es so sehr auf jeden Einzelnen angekommen wie heute. Noch nie hing so viel davon ab, dass möglichst viele Einzelne nicht nur über Bildung, sondern auch über Herzensbildung, Haltung, Anstand und Charakter verfügen, denn noch nie waren die vielen Einzelnen dieser Welt – Arme wie Reiche, Mächtige wie Ohnmächtige – so eng miteinander verflochten und aufeinander angewiesen wie heute.

Man kann das Jahr, seit dem das so ist, sehr genau angeben: 1989. Seit 1989 leben wir in einer anderen Welt. Ohne die Mauer, ohne den Kommunismus, ohne nationale Grenzen zumindest für Kapital, Waren und Dienstleistungen, mit dem Internet, mit einer Milliarde Chinesen, plus eine Milliarde Inder, plus Lateinamerikaner, Russen, Osteuropäer – das macht knapp drei Milliarden neue Konkurrenten für die alten Industriegesellschaften der westlichen Demokratien.

Aber erst jetzt, zwei Jahrzehnte später, merken wir: Zu dieser neuen Welt, die da entstanden ist, wollen unsere alten Demokratien nicht mehr so richtig passen, und das ist kein Wunder, denn dafür wurden sie nicht gemacht. Demokratien sind vor Jahrhunderten für souveräne Nationalstaaten entworfen worden, nicht für die komplexen, global vernetzten Hightechökonomien, in denen wir heute leben.

Diese sind für den Einzelnen schwer durchschaubar und für nationale Regierungen nur noch schwer steuer- und kontrollierbar. Darum sind die weltweit miteinander verflochtenen Volkswirtschaften ausgerechnet auf jene Ressource besonders angewiesen, die gerade stark im Schwinden begriffen ist: Vertrauen.

Der Vertrauensschwund hat zwei Ursachen. Die erste liegt im Wandel der Gesellschaft. Die ehemals klarstrukturierten, überschaubaren Gesellschaften mit den intakten sozialen Milieus der Arbeiterschaft, des Bürgertums, des Katholizismus, des Protestantismus und der regionalen Landsmannschaften samt der jeweiligen sozialen Kontrolle existieren nicht mehr. An ihre Stelle sind multi-ethnische und multikulturelle Individualisten-Gesellschaften getreten, die keine starke gemeinsame Idee mehr zusammenhält.

Die Beziehungen der Einzelnen in solch vielfältig zerstreuten Teilgruppen und -grüppchen sind weitgehend anonymisiert und verrechtlicht. Das erzeugt Fremdheitsgefühle und nährt Misstrauen.

Die zweite Ursache des Vertrauensschwunds steckt in der soeben kollektiv gemachten Erfahrung, dass der Markt den Markttest nicht bestanden hat. Über zwei Jahrzehnte lang wurde in geradezu ideologischer Manier den Menschen eingehämmert: Der Markt, der Markt, der hat immer recht. Irgendwann glaubte man an dieses Dogma – trotz gegenteiliger Erfahrungen. Schon die Blamage um jene berühmte Portokasse, aus der Bundeskanzler Helmut Kohl und Finanzminister Theo Waigel die Kosten der deutschen Einheit zu bestreiten gedachten, hätte für alle eine Warnung sein und Zweifel wecken müssen an den vielfach beschworenen «Selbstheilungskräften des Marktes», der ganz von selbst «blühende Landschaften» hervorbringen sollte.

Doch die Markt-Ideologen zeigten sich davon unbeeindruckt und stürzten die Welt ins nächste Desaster: die New Economy, die Milliarden und Abermilliarden Dollar und Euro verbrannte für den infantilen Glauben, man könne über Nacht und ohne wirkliche Leistung ganz schnell an der Börse reich werden.

Aus Schaden wird man klug – nicht aber, wenn man zur Kaste der Macher und großen Wirtschaftsexperten gehört. Dann setzt man weiterhin unverdrossen auf sein Dogma und beschwört schließlich die Finanzkrise herauf, der die Griechenland- und die Eurokrise folgten.

Was daraus zu lernen ist, hat der Nobelpreisträger für Wirtschaftswissenschaft, Joseph E. Stiglitz, beschrieben: «Im Jahr 2009 wird uns wieder einmal klar, warum Adam Smiths unsichtbare Hand oft unsichtbar bleibt: weil es sie gar nicht gibt. Das eigennützige Streben der Banker führte eben nicht zum Wohl der Gemeinschaft, es war nicht einmal für Aktionäre von Nutzen. Ganz sicher nichts davon hatten die Hausbesitzer, die ihr Heim verloren; Arbeitnehmer, die ihre Jobs einbüßten; Rentner, die zusehen mussten, wie sich ihre Altersvorsorge in Luft auflöste, oder die Steuerzahler, die Hunderte Milliarden Dollar zur Rettung der Banken zahlen mussten.»1

Die «Mittel der Armen und Durchschnittsverdiener» seien «zu den Reichen dirigiert» worden. Arme und Durchschnittsverdiener «mussten genau jenen Institutionen Geld zukommen lassen, von denen sie vorher jahrelang abgezockt wurden – durch räuberische Kreditvergabe, Wucherzinsen bei Kreditkarten und undurchsichtige Gebühren. Und dann mussten die Steuerzahler auch noch zusehen, wie ihr Geld benutzt wurde, exorbitante Boni und Dividenden auszuzahlen».2

Fazit: Auch ein auf das Eigeninteresse des Einzelnen gegründetes System ist darauf angewiesen, dass jeder an seinem Platz so etwas wie ein Berufsethos zu verwirklichen bestrebt ist, die Folgen seines Tuns bedenkt und das eine oder andere Geschäft einfach einmal nicht macht. Wenn das nicht mehr geschieht, wird jene eigentliche Währung zerstört, die jeder monetären Währung erst ihren Wert verleiht: Vertrauen.

Das ist nun weg. Und das ist eine richtige Tragödie, denn gerade in einer Welt, die immer komplizierter und unübersichtlicher wird, muss der Einzelne darauf vertrauen können, dass der andere nichts Böses im Schilde führt, es gut mit ihm meint. Mehr als jede frühere Gesellschaft ist die unsrige darauf angewiesen, dass diese komplizierte Welt überwiegend von Menschen mit anständigem Charakter bevölkert wird.

Charakter sollte daher also eigentlich ein großes Thema unserer Gegenwart sein. Aber bei unseren Recherchen für dieses Buch stießen wir auf ein erstaunliches Faktum. Wir wollten wissen, was andere zu unserem Thema schon geschrieben hatten, und suchten daher im Katalog der Deutschen Nationalbibliothek nach Veröffentlichungen zur «Charakterbildung». Das Ergebnis: Charakterbildung war in Deutschland zwischen 1970 und heute so gut wie überhaupt kein Thema – und in der Zeit davor war es zumindest kein gewichtiges.

Nur sechsundneunzig Titel lieferte der Katalog der zentralen deutschen Archivbibliothek, die seit 1913 alles sammelt, was in deutscher Sprache veröffentlicht wurde und die Ende 2008 über einen Bestand aus 24,7 Millionen Titeln verfügte. Zum Vergleich: Wer nach «Bildung» sucht, erhält mehr als 46 000 Treffer, und zum Stichwort «Erziehung» liefert der Katalog rund 44 000 Titel.

Scheinbar etwas besser ist man bedient, wenn man nur nach «Charakter» sucht. Da listet der Katalog immerhin 3140 Treffer auf. Jedoch: Titel wie «Teddybären mit Charakter», «Der sprachhafte Charakter der Musik», «Was uns Pferde sagen» oder «Charakter- und Gesundheitsastrologie» machen einem schnell klar, dass die Suche zu unspezifisch ist und zahlreiche Blindgänger liefert.

Aber auch bei den sechsundneunzig Nennungen zum genaueren Stichwort «Charakterbildung» findet man unter den zehn jüngsten kaum etwas von Belang: eine Ankündigung über die Schule in Salem, mehrere Liederbücher, einige Titel asiatischer Autoren esoterischer oder buddhistischer Provenienz.

Die Reihe der nächsten zehn Titel wurde zu unserer Überraschung mit einem unserer eigenen Bücher eröffnet, «Stark für das Leben» von 2003. An dreizehnter Stelle folgte ein amerikanisches Buch aus dem Jahr 2002. Platz vierzehn verzeichnete wieder ein esoterisches Werk von 2000, Platz fünfzehn etwas über den Islam (1999), Platz sechzehn etwas Ungarisches (1991), Platz siebzehn etwas Medizinisch-Esoterisches (1990), und davor erschien zwanzig Jahre lang gar nichts. Hinter Platz zwanzig – eine Veröffentlichung der österreichischen Turn- und Sportunion über «Sport und Charakter» von 1960 – sind alle weiteren Titel älter als fünfzig Jahre.

Charakterbildung ist also in unserem Land kein Thema, offenbar kaum je eines gewesen, und das ist erstaunlich, denn Charakter ist schließlich nicht nur ein individuelles, sondern ein öffentliches Gut. Ein sehr knapp gewordenes öffentliches Gut, dessen Mangel menschliches Leid, aber auch große volkswirtschaftliche Schäden verursacht. Über die Folgen von inneren Haltungsschäden und Charaktermangel lesen wir täglich in der Zeitung. Aber nur selten erfährt man, wo eigentlich der vielbeschworene «mündige Bürger» steckt, jener demokratische Typus, der Wissen, Bildung und Verantwortungsbewusstsein mit Haltung und Charakter verbindet.

Er scheint nur in den Sonntagsreden unserer Politiker zu existieren. Werktags lassen diese sich unausgesprochen von der Ansicht leiten, der Mensch sei sowieso unverbesserlich, unerziehbar, unbelehrbar, unreif, infantil und mit einem kurzen Gedächtnis gesegnet. Die Erfahrung scheint diesen Pessimisten recht zu geben. Daher vertrauen Politiker wie Manager und eigentlich so gut wie alle, die etwas zu entscheiden haben, lieber auf den Markt, auf Gesetze, Kontrollen, Polizei und Gerichte. Die Eliten unseres Landes und der meisten anderen Länder bemühen sich, Gesellschaften so zu konstruieren, dass sie unabhängig vom Charakter ihrer Mitglieder funktionieren.

Das ist in der Vergangenheit auch einigermaßen gut gelungen, jedoch um den Preis ausufernder Bürokratien. Sie verursachen hohe Kosten und rauben dem Einzelnen durch Kontrollen Zeit und Nerven. In letzter Zeit funktionieren Gesellschaften, die unabhängig vom Verantwortungsbewusstsein des Einzelnen auszukommen versuchen, jedoch nur noch unzureichend. Sollten sie weiterhin auf Charakterbildung keinen besonderen Wert legen, sind sie bald nicht mehr lebensfähig, denn staatliche Kontrollmechanismen sind der Komplexität globalisierter Hightechökonomien nicht mehr gewachsen. Es geht nicht mehr ohne Charakter – diese These erläutern wir im ersten Kapitel.

Dass es natürlich auch ohne Bildung und Erziehung nicht geht, gehört in unserer ressourcenarmen, exportorientierten, einem gnadenlosen Wettbewerb ausgesetzten Wirtschaftsnation inzwischen zum Allgemeingut. Das Problem aber ist das ungebildete Verständnis von Bildung, das zahlreiche Angehörige unserer Eliten propagieren. Damit setzen wir uns in Kapitel zwei auseinander.

Bildung allein garantiert noch nicht Herzensbildung, Gutsein, Charakter. Was geschehen kann, wenn all das, wovon unsere Eliten heute träumen – Wissen, Wettbewerbsfähigkeit, Kompetenz, Exzellenz, Brain, Nobelpreise –, vorhanden ist, es aber kollektiv an Charakter mangelt, beschreiben wir im dritten Kapitel.

Es leuchtet ein, dass die Bildung eines Menschen großen Einfluss auf dessen Lebensweg hat und dass der Charakter das individuelle Schicksal mitbestimmt. Man darf aber nicht vergessen, dass aus der Summe der individuellen Charaktere auch zeittypische, kollektive Charaktertypen erwachsen, die das Schicksal von Nationen bestimmen können. Der autoritäre Charakter, der Untertan, der Nationalist, der Rassist und der Militarist waren während des wilhelminischen Kaiserreichs jene typischen deutschen Charaktere, die im Nationalsozialisten kulminierten und zu den katastrophalen Folgen führten, die wir alle kennen. Daher weiten wir in den Kapiteln vier und fünf den Blick auf den Zusammenhang zwischen Bildung, Schicksal und Charakter ganzer Nationen.

In Diktaturen werden Charakter und Gewissen pervertiert. Da braucht es Menschen, die sich dem mit aller Kraft und ihrer ganzen Existenz entgegenstellen und dadurch zu Helden und Märtyrern werden. Das große Rätsel ist, wie von drei Menschen, die ungefähr zur gleichen Zeit unter annähernd gleichen Bedingungen aufwachsen, der eine ein perverser Ideologe werden kann, ein Zweiter ein opportunistischer Mitläufer und ein Dritter ein Märtyrer. Darüber reflektiert das Kapitel sechs. Darin erzählen wir von der Literatur-Nobelpreisträgerin Herta Müller, die in Rumänien ihr Leben riskierte, weil sie sich weigerte, mit dem rumänischen Geheimdienst zusammenzuarbeiten. Wir fragten sie: Woher nahm sie diesen Mut? Wie konnte die junge Frau, die sie damals war, schon so viel Charakterstärke zeigen? Wie muss man Kinder erziehen, damit sie so aufrecht durchs Leben gehen wie sie?

Diese Fragen werden uns aber auch – unter anderen Aspekten – in etlichen weiteren Kapiteln (zehn, elf, dreizehn und siebzehn) noch beschäftigen. Um die charakterprägende Kraft sozialer Milieus geht es in Kapitel zehn. Vor allem am Beispiel der Person Willy Brandts wollen wir zeigen, dass bestimmte soziale Milieus – Arbeiter, Katholiken, Protestanten – ihren Mitgliedern zwar oft enge Grenzen setzen, dabei aber für Kinder und Jugendliche Biotope darstellen, in denen sie gedeihen, einen Halt finden, eine Identität ausbilden und erleben, was Heimat ist.

Konrad Adenauer, Willy Brandt oder Theodor Heuss zählen zu den «großen Toten» der Bundesrepublik Deutschland. Helmut Schmidt oder Richard von Weizsäcker werden als die «letzten großen alten Männer» unserer Gegenwart verehrt. Danach scheint es nur noch Mittelmaß zu geben, und die Ursache soll angeblich in dem Umstand zu finden sein, dass die «großen Alten» den Krieg erlebt haben, der abenteuerliche Biographien und starke Charaktere hervorbringe. Warum das nicht stimmt, sagen wir in Kapitel elf. Und in Kapitel zwölf zeigen wir am Beispiel Fußball, dass es auch unter der Nachkriegsgeneration starke Figuren geben kann. Zwei davon porträtieren wir: Uli Hoeneß und Louis van Gaal.

Wenn man sieht, welche Macht bestimmte geistige Strömungen auf Einzelne ausüben und wie sich daraus gefährliche kollektive Typen entwickeln können, muss man auch heute die Gegenwart kritisch betrachten und sich fragen, welche zeitgeistgeprägten Charaktertypen unsere Gesellschaft hervorbringt. Es sind der ökonomistische Ideologe, der Profi, der infantile Konsument und der Geiz-Charakter. In den Kapiteln dreizehn und vierzehn widmen wir uns diesen heutigen Problemtypen.

Eingeschoben haben wir dazwischen aber die notwendige Klärung des Begriffs Charakter. Sie kommt nicht ohne einen historischen Rückblick auf die Charakterologie, deren Entwicklung und Aufgehen in der Persönlichkeitspsychologie aus. Dieser historische Teil erstreckt sich über die Kapitel sieben, acht und neun.

In Kapitel fünfzehn versuchen wir eine Antwort auf die Frage: Was ist Bildung? Die wir in Kapitel sechzehn auf die Frage zuspitzen, wie sich ein Charakter bildet. Ist er angeboren oder anerzogen? Oder beides? Wir sind optimistisch und sagen: Ein guter Charakter ist nicht das Ergebnis guter Gene, sondern einer guten Erziehung. Die Ursache eines freundlichen Wesens ist nicht ein Freundlichkeitsgen, sondern eine freundliche Umwelt. Daher können wir vieles tun, um über die Charakterbildung jedes Einzelnen unser kollektives Schicksal günstig zu beeinflussen.

Aber was? Und wie? Was muss in Familien, Schulen und in der Gesellschaft passieren, dass sich Kinder und Jugendliche zu Menschen mit gutem Charakter entwickeln, und auf welche Charaktereigenschaften kommt es dabei an? Wir versuchen eine Antwort in den Kapiteln siebzehn bis zwanzig.

In Kapitel achtzehn wagen wir uns an eine Ehrenrettung des Begriffs «pädagogischer Eros». Dieser ist nicht zuletzt wegen des sexuellen Missbrauchs an der reformpädagogisch orientierten Odenwaldschule in Verruf geraten. Zu Unrecht. Für eine gute Erziehung können wir auf das, was mit dem Begriff eigentlich gemeint ist, nicht verzichten.

Wie Kinder durch Mangel an Liebe, Gedankenlosigkeit, Unfähigkeit bis hin zur Böswilligkeit fürs Leben gezeichnet und stigmatisiert werden können, haben Karl Philipp Moritz und Hermann Hesse auf zwei verschiedene Weisen mit zwei sehr verschiedenen Helden in den Romanen «Anton Reiser» und «Unterm Rad» erzählt. Anhand dieser Beispiele machen wir im Kapitel neunzehn auf die Macht aufmerksam, die Erzieher und Lehrer über Kinder haben. Es ist eine Macht, die jedem Kind das Leben verpfuschen – oder zu einem gelingenden Leben verhelfen kann. Diese andere, positive Seite der Macht und Verantwortung des Lehrers kommt in Kapitel zwanzig zur Sprache, wo wir mit Hilfe einer Filmfigur zeigen, was ein Lehrer vermag: John Keating, der Held im Film «Der Club der toten Dichter», begeistert seine Schüler, indem er sie mit unkonventionellen Methoden an die Literatur heranführt und sie lehrt, die Werte, die an ihrem Internat seit Jahrhunderten hochgehalten werden, mit Leben zu füllen. Und wir erzählen von einem modernen Keating in der Realität.

Der künftig am dringendsten benötigte Charakter scheint uns jener mündige, demokratische Weltbürger zu sein, der in Sonntagsreden massenhaft vorkommt, werktags aber kaum zu sehen ist. Weil es ihn nicht gibt? Nein, weil er meist unspektakulär im Stillen wirkt und die Medien ihm wenig Beachtung schenken. Häufig findet man ihn im Verein, im Ehrenamt, in der Kirche, in Parteien und Gewerkschaften, im sozialen Engagement, selten jedoch handelt es sich dabei um einen Menschen im sogenannten besten Alter. Diese Gruppe ist von ihren Berufs- und Familienpflichten so absorbiert, dass sie für anderes einfach keine Zeit mehr hat. Am Arbeitsplatz aber ist es den meisten nicht erlaubt – oder es ist nicht vorgesehen –, mündig zu sein. Und ebendas ist das Fatale. Auch und gerade am Arbeitsplatz brauchen wir künftig Menschen, die dort aktiv werden und Verantwortung übernehmen, wo der Arm des Staates nicht mehr hinreicht. Davon handelt das Kapitel einundzwanzig.

Wir betrachten es nicht als unsere Aufgabe, ein politisches Programm zur Charakterbildung vorzulegen. Vielmehr wären wir schon zufrieden, wenn es uns mit diesem Buch gelänge, ein neues Thema zu setzen: Charakter. Das halten wir für notwendig, denn nicht nur Bildung ist unser Schicksal, sondern auch, und eher noch mehr, Charakter.

Statt mit einem Programm lassen wir das Buch ausklingen mit drei Geschichten aus der Literatur, von denen jede auf ihre Weise dieselben Fragen stellt: Wie wollen wir leben, worauf kommt es uns an, wofür stehen wir, woran glauben wir? Die vier Fragen stellen jeden Einzelnen vor die Entscheidung: Was wollen wir sein, eine Wertegemeinschaft oder eine Wertpapiergesellschaft?

Mainz, im Juni 2010

Charakter

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