Читать книгу Das Kim-Protokoll - Christian Röder - Страница 12
15.09.2014
ОглавлениеIch muss mehr auf Kim zugehen. Eine Möglichkeit dazu ist, ihm Essen zu geben, das er mag und gewohnt ist, ihn rauchen zu lassen und ihm angemessene Unterhaltungsmedien zur Verfügung zu stellen.
Ich ging einkaufen. Eigentlich war es etwas empathielos von mir gewesen, Kim ausschließlich regionales Gemüse und reines Wasser anzubieten, als wäre er auf meinem Level. Kim konnte für so etwas noch nicht bereit sein, er brauchte billige Kohlenhydrate, jede Menge tierische Fette, Salz und natürlich Zucker. Kurz: Alles, was er eben so gewohnt war.
Ich lief durch den Supermarkt wie als Zombie getarnt, die anderen erkannten nicht, dass ich keiner von ihnen war. Es machte wirklich Spaß! Dabei war ich ja selber die meiste Zeit meines Lebens so gewesen: Auch ich hatte jahrelang völlig gedankenlos Lebensmittel in mich hineingestopft, die diesen Namen gar nicht verdienten. Pizza, Chicken Nuggets, Burger, Eis, Cola. Das Grauen, das Grauen!
Kim brauchte noch was zum Spielen und zum Anziehen. Ich besorgte eine alte Playstation in einem Laden, in dem sie auch gebrauchte Konsolen anboten. Ich konnte Kim ja nicht gestatten, online zu gehen, deshalb kam eine aktuelle nicht in Frage. Ich musste schmunzeln, als ich mir vorstellte, wie Kim einen Shooter spielte, ich ihm dabei zusah und im Hintergrund die nordkoreanischen Todesagenten meinen Bunker stürmten, weil Kim heimlich eine Nachricht rausgeschickt hatte.
Ich besorgte Kim noch einen Trainingsanzug und Sneakers und natürlich seine Lieblingszigaretten. Anschließend fuhr ich auf einen Hof, um mir meine eigenen Lebensmittel zu kaufen. Gemüse, Obst, Fleisch und Brot, Lebensmittel, deren Herkunft ich kenne und deren Produktion ich nachvollziehen kann: Ich weiß, welcher Dünger und welches Futter eingesetzt werden, kann beim Säen und Ernten zusehen, alles ist offen und transparent, ehrlich und echt und biologisch rein.
„Ich rauche nicht.“
„Es muss Ihnen nicht unangenehm sein! Und wenn es wegen der Lüftung sein sollte: Machen Sie sich keine Sorgen! Das habe ich alles schon getestet, bevor Sie kamen.“
„Ich habe früher mal geraucht.“
„Na, solange sind Sie jetzt auch wieder nicht hier.“
„Ach, was soll’s. Dunhill?!“
Kim zuckte mit den Achseln, griff nach der Schachtel, riss sie auf und zündete sich eine Zigarette an. Natürlich hatte er diesen Bewegungsablauf noch drauf, seine letzte Zigarette konnte höchstens ein paar Tage zurückliegen.
„Tja, nach meinen Recherchen rauchen Sie Dunhill. Früher mal Yves Saint Laurent. Ich glaube, es hat mit Ihrem Vater zu tun, der hat wohl auch Dunhill geraucht. Tut mir übrigens leid, wenn ich das jetzt einfach so anspreche. Der Verlust muss Sie hart getroffen haben.“
Kim verdrehte die Augen, schwieg und saugte an seiner Zigarette, während er auf dem Bett lag und an die Decke starrte. Jeder hatte eben seine Art, mit Verlust und Trauer umzugehen. Er war sehr tapfer.
„Wie wäre es mit einem Spielchen nachher? Ach: Und ein paar bequeme Sachen zum Anziehen habe ich auch noch für Sie. Hier!“
Ich warf alles zu ihm rüber. Er rauchte auf, drückte die Zigarette sorgsam aus und sah sich dann Trainingsanzug, Sneakers und Konsole an.
„Eine Playstation 2?“
„Ich kann Ihnen leider keine neuere gestatten, tut mir leid. Aber ein paar Games sind auch heute noch super!“
„Hm. NBA …“
„Ja! Die Version mit Michael Jordan. Sie sind doch Fan!“
„… Final Fantasy, Call of Duty …“
„Da ist doch sicher was dabei für Sie!“
„Ja. Danke.“
Kim legte sich wieder aufs Bett und sah an die Decke. Ich wusste nicht recht, was ich sagen sollte. Dann stand er auf, schlüpfte in den Trainingsanzug, verzog dabei das Gesicht, als fände er das alles lächerlich, zündete sich eine weitere Zigarette an, legte sich wieder aufs Bett und sah an die Decke.
„Also, wenn Sie spielen möchten, sagen Sie Bescheid, ja? Ist ja ganz schnell angeschlossen. Und wenn Sie mal was anderes haben wollen als Gemüseeintopf, dann kann ich Ihnen auch Pizza und Burger anbieten. Alles da!“
„Gut. Danke.“
„Sie werden sich mit der Zeit an alles gewöhnen, Kim. Und ich garantiere Ihnen: Sie werden mir noch sehr dankbar sein!“
Kim sah mich kurz nichtssagend an, drückte seine Zigarette aus und starrte dann wieder an die Decke. Ich nahm Zigaretten, Feuerzeug und Aschenbecher und stellte alles sicherheitshalber auf die Küchenzeile.
„Was ist mit den Schnürsenkeln?“
„Wie bitte?“
„Wollen Sie mir nicht noch die Schnürsenkel abnehmen, damit ich mich nicht aufhänge?“
Kim war wachsam. Er hatte recht. Andererseits empfand ich jetzt zu viel Scham, um ihm die Schnürsenkel abzunehmen. Deswegen entschied ich mich dazu, dieses Risiko einzugehen.
„Ich denke nicht“, sprach ich souverän, „dass Sie sich umbringen werden, Kim. Das liegt Ihnen nicht.“
„Wie Sie meinen“, antwortete Kim tonlos.
Ich verließ den Bunker. Im Arbeitszimmer schaltete ich hektisch mein Laptop ein: Er hatte sich anscheinend nicht gerührt. Die Kamera hatte alles im Blick.