Читать книгу Das Kim-Protokoll - Christian Röder - Страница 8

12.09.2014

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„Na gut, Sie haben recht. Ich bin kein Verkäufer. Erwischt! Zufrieden?“

Diesen Satz musste ich erst mal verarbeiten. Ich sagte gar nichts, drehte mich nur auf meinem Stuhl um 180 Grad und rollte zur Küchenzeile, wo ich damit zu kämpfen hatte, mein Zittern zu verbergen, als ich mir einen Kaffee einschenkte. Diese enorme Erleichterung! Was hatte ich für Fantasien durchlitten, der reine Horror. Dass Kim niemals zugeben würde, er selbst zu sein. Dass wir ewig hier sitzen und herumdiskutieren würden. Dass ich mich eines Tages der Frage stellen musste, was ich mit Kim tun sollte, wenn er niemals zugeben würde, Kim Jong-un zu sein. Dass mein Projekt dann nicht nur gescheitert wäre, sondern das konkrete Gegenteil bewirken würde: Denn eventuell würde ich folglich einen Menschen töten müssen!

Und jetzt das. Ich schloss die Augen für einen Moment, immer noch Kim den Rücken zugewandt. Ich atmete tief durch, nahm einen großen Schluck Kaffee, ließ den Becher aber auf der Küchenzeile und rollte dann zu meiner angestammten Position zurück. Ich beugte mich vor, womit ich Offenheit und Gesprächsbereitschaft signalisierte.

„Ich bin stolz auf Sie, Kim! Das haben Sie gut gemacht, jetzt geht es vorwärts!“

Kim sah mich mit geröteten Augen an, trüb blickte er drein.

„Ich arbeite nur für einen Sicherheitsdienst. Ich bewache den Ausgang.“

Mir wurde schwindlig, ungefähr so, wie vor einem Jahr in Hongkong. Ich konnte jetzt aber vor Kim Jong-un keine Panikattacke bekommen. Er war so raffiniert und glaubwürdig, ich durfte mich davon nicht einlullen lassen, ich musste die Oberhand behalten. Ich machte abermals Gebrauch vom japanischen Elektroschocker.

Ich weiß, ich weiß! Sie werden sagen: Wie können Sie nur? Gewalt gegen einen Wehrlosen einsetzen und so weiter. Und Sie haben recht. Sie haben recht! Okay? Aber Sie haben ja keine Ahnung, welcher Anspannung man in so einer Situation ausgesetzt ist, wobei man von „so einer Situation“ ja gar nicht sprechen kann, weil sie absolut einmalig und ohne Beispiel ist. Der Elektroschocker war für mich wie eine Art Reset-Knopf. Er verschaffte mir einfach etwas Zeit, um zu mir zu kommen und mich zu fangen. Kim durfte mich nicht schwach sehen. Außerdem darf ich Sie daran erinnern, dass ich einen Revolver, Kaliber .357, trage. Andere wären vielleicht nicht so zimperlich gewesen und hätten Kim ins Bein geschossen, statt ihn nur zu schocken (was er ja auch vertrug, wie wir mittlerweile wissen!). Sie hätten ihn gequält und bedroht und gefoltert und ihn angebrüllt: „Gib es endlich zu, verdammtes Schwein! Gesteh’ endlich!“ usw.

All das habe ich nicht getan! Kim ist für mich auch kein „Schwein“. Sein Verhalten zeigt im Gegenteil, wie sehr er Opfer ist. Aus ihm spricht die westliche Dekadenz, die man ihm eingepflanzt hat. Es ist auf traurige Weise zu sehen, wie hervorragend er darauf programmiert wurde, seine klägliche Existenz unter allen Umständen zu schützen! Diese bizarre Diktatoren-Existenz, die so offensichtlich künstlich war, dass es weltweit sicher mehr Menschen gab, die über ihn lachten, als Menschen, die sich vor ihm fürchteten. Zufall? Im Gegenteil! Die kleine verlogene, despotische Herrscher-Clique des Westens hatte hervorragende Arbeit geleistet. Sie hatte die Geschichte und Entwicklung Koreas so geschickt gelenkt und beeinflusst, dass sie schließlich von dieser Witzfigur gekrönt wurde. Ist es nicht seltsam, dass die Führer Nordkoreas, vom Großvater über den Sohn bis zum Enkel, immer lächerlicher wurden? Denken Sie mal drüber nach! Dann kommt Ihnen das gar nicht mehr so seltsam vor.

Aber damit wird bald Schluss sein! Hier, in diesem Bunker, wird Kim Jong-un sein falsches Leben hinter sich lassen. Er wird es abstreifen wie eine Schlange ihre Haut und ein neuer Mensch, ein freier Mensch, ein wahrhaftiger Mensch werden! Ein Mensch, der ein Vorbild werden kann. Andere Diktatorendarsteller werden es ihm nachmachen und die wahren Herrscher, die hinter allem stehen, werden gestürzt, die Menschheit wird befreit!

Kim stöhnte und seufzte. Er tat mir leid. Es war nicht schön zu sehen, wie ein Mensch, der ohnehin schon so gestraft war, dermaßen leiden musste. Er schüttelte den Kopf.

„Ah … Arschloch.“

Es klang wie eine Feststellung, nicht wie eine Beleidigung. Ich versuchte, auf ihn zuzugehen.

„Es tut mir wirklich leid! Ich wusste mir nicht anders zu helfen.“

Ich Idiot! Völlig falscher Text.

„Ich meine: Sie haben mir keine andere Wahl gelassen.“

Kim saß vor dem Bett, er stöhnte. Es klang resignierend, er sah nicht zu mir. Ich versuchte es auf der sachlichen Ebene.

„Was machen Sie eigentlich, wenn Sie einen Dieb fassen?“

Jetzt sah er zu mir, als hätte ich die denkbar dämlichste Frage überhaupt gestellt. Vielleicht war er auch überrascht, weil er dachte, ich würde ihm seine Legende nun doch abkaufen.

„Ich rufe die Polizei.“

„Sie rufen die Polizei? Das ist alles?“

„Das ist alles. Passt zu meinem Leben. Ich würde jetzt gerne schlafen, wenn Sie nichts dagegen haben. Oder steht für heute noch irgendwas Wichtiges auf dem Programm?“

Ich verneinte. Wahrscheinlich war es wirklich vernünftig, wenn er etwas schlief.

„Gute Idee. Schlafen Sie ruhig. Ich geh dann mal.“

Ich habe viel über Kim nachgedacht und verstehe ihn immer besser. Was er mir zeigt, ist so eine Art Negativbild von sich selbst. Es kann ja kein Zufall sein, dass ein so mächtiger Mann vorgibt, ein Loser zu sein. Vielleicht zeigt er in dieser extremen Situation unwillkürlich, wie er sich selbst wahrnimmt. Ein verdeckter Hilfeschrei. Das würde abermals bestätigen, wie richtig es war, ihn zu befreien.

Zwei Uhr nachts durch. Ich sehe ins Dunkel hinaus und nehme mein Spiegelbild gar nicht mehr wahr. Keine Angst. Es tut sich was.

Das Kim-Protokoll

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