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ONKEL OSCAR

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»Der Oscar® ist die wertvollste und zugleich billigste Reklame, die jemals erfunden wurde.«

Frank Capra, dreifacher Oscar®-Preisträger

Am 16. Mai 1929 geboren, 34,4 Zentimeter groß, 4,25 Kilo schwer. Materialwert: circa 300 Dollar. Gesetzlich geschützter Verkaufspreis: präzise ein (1) Dollar. Ideeller Wert: unbezahlbar.

Die mit 24 Karat Gold überzogene Nickel-Kupfer-Silber-Legierung begann ihre Karriere als Academy Award of Merit. Geburtshelfer war die damals gerade zwei Jahre junge Academy of Motion Picture Arts and Sciences®, kurz A.M.P.A.S.® Von 36 Filmschaffenden (Produzenten, Regisseuren, Schauspielern, Autoren und Kinobesitzern) gegründet, bemühte sich die Filmakademie von Los Angeles um ein wenig Imagepflege und stiftete deshalb einen Preis. Der Legende nach soll Cedric Gibbons, Artdirector bei MGM, ihn während eines Banketts auf ein Tischtuch skizziert und einem Kunststudenten namens George Stanley den Auftrag erteilt haben, daraus eine Skulptur zu machen. Margaret Herrick, Sekretärin bei der Akademie (deren Bibliothek heute ihren Namen trägt), rief beim Anblick der Statuette aus: »Der sieht ja aus wie mein Onkel Oscar!«

Wahrscheinlich verlief die Entstehungsgeschichte des berühmten Schwertträgers mit der stoischen Miene, der auf einer stilisierten Filmrolle thront, ganz anders. Doch wen kümmert’s? In Hollywood hat man auf eine gute Geschichte seit jeher mehr gegeben als auf die Wahrheit.

Als am besagten 16. Mai 1929 im Blossom Room des Roosevelt-Hotel in Los Angeles die ersten Oscars® (die damals aber noch nicht so genannt wurden) vergeben wurden, hielt sich das öffentliche Interesse in Grenzen. Die ganze Zeremonie dauerte keine fünf Minuten, die zwölf Gewinner standen lange im Voraus fest und kamen zum Teil nicht einmal persönlich vorbei, um ihre Trophäen entgegenzunehmen. Emil Jannings beispielsweise, der als bester Darsteller (gleich für zwei Filme) ausgezeichnet wurde. Ein vorsichtiger Deutscher, der Hollywood misstraute. Zwar ließ er sich von der Paramount für 10.000 Dollar die Woche engagieren, wollte sein Geld aber in Gold ausbezahlt haben. Noch vor der offiziellen Überreichung war Jannings aufgrund mangelnder Englischkenntnisse in panischer Angst vor dem Tonfilm zurück nach Berlin geeilt, wo er gemeinsam mit Marlene Dietrich für »Der blaue Engel« vor der Kamera stand, just einem der ersten Filme, der nicht nur mit Ton, sondern gleich zweisprachig – deutsch und englisch – gedreht wurde. Seinen Oscar® bekam Jannings jedenfalls als Stummfilmdarsteller, und er gewann in dieser Kategorie sogar gegen einen gewissen Charles Chaplin. »The Jazz Singer«, der erste Tonfilm der Kinogeschichte, bekam immerhin einen Anerkennungspreis. Erst 83 Jahre danach wurde mit »The Artist« zum zweiten und wohl auch letzten Mal ein Stummfilm zum besten Film des Jahres gekürt.

Im Dritten Reich spielte Emil Jannings später eine höchst unrühmliche Rolle und wurde dafür 1945 mit einem lebenslangen Auftrittsverbot belegt. Als die Alliierten 1945 in sein Haus kamen, um ihn festzunehmen, hielt er ihnen als Zeichen seiner amerikafreundlichen Gesinnung den goldenen Oscar® entgegen. Genützt hat es ihm nichts, geächtet und vergessen starb Jannings fünf Jahre später im Salzkammergut, wo er auch begraben liegt.

Janet Gaynor, die Erste, die als beste Darstellerin geehrt wurde, bedauerte später, dass sie ihren Preis gleich im ersten Jahr gewonnen hatte: »Es war eher eine Party als ein Fest. Natürlich hat es mich gefreut, aber weil es das erste Mal war, bedeutete der Academy Award® natürlich nicht dasselbe wie heute. Hätte ich damals gewusst, was er bedeutet, wäre ich wahrscheinlich überwältigt gewesen.« Einige Zeitungen brachten kurze Artikel, die Radiosender ignorierten diese erste Verleihung völlig.

Von Anfang an gab es Gerüchte, dass es bei der Preisvergabe nicht ganz mit rechten Dingen zuging. Genährt wurden diese Spekulationen durch die Tatsache, dass die frühen Zusammenkünfte der Academy von MGM-Boss Louis B. Mayer finanziert wurden und er sich – so wurde gemunkelt – dafür auch ein Vetorecht erkauft hatte. Das würde erklären, warum besonders in den ersten Jahren Geschäftsinteressen (und hier vor allem die von Mr. Mayer) über künstlerische Qualität gestellt und aus heutiger Sicht so manche Fehlentscheidung getroffen wurde. Zum Beispiel wurde »Metropolis« von Fritz Lang (der in Wien geboren wurde) bei der ersten Oscar®-Verleihung nicht einmal nominiert. Heute gilt der Streifen als einer der bedeutendsten Klassiker der expressionistischen Filmkunst und wurde 2001 zum Weltdokumentenerbe der UNESCO ernannt.

Erst 1935 sollte sich das Prozedere der Wahl grundlegend ändern, als die Notare von Price-Waterhouse (heute PricewaterhouseCoopers) erstmals das Auszählen der Stimmzettel übernahmen. Dennoch sickerten mitunter noch vorschnell Informationen durch. In der Anfangszeit wurde nachträglich auch noch bekannt gegeben, wer wie viele Stimmen bekommen hatte und somit Zweiter, Dritter, Vierter wurde, und 1940 wurde die Liste der Gewinner bereits vor der Verleihung in der »L. A. Times« abgedruckt, was verständlicherweise einen Skandal auslöste. Seit damals werden die Namen der Gewinner unmittelbar nach der Auszählung der abgegebenen Stimmen in Kuverts versiegelt und bis zur Zeremonie sicher verwahrt. Zwei idente Kuvert-Sets werden unmittelbar vor Beginn der Gala von zwei Notaren in zwei Aktentaschen auf zwei unterschiedlichen Wegen zur Zeremonie gebracht, bei der dann einer links und der andere rechts hinter der Bühne steht. Erst knapp vor ihrem Auftritt wird den Präsentatoren der jeweilige Umschlag ausgehändigt. Alles ist top secret.

Am geheimen Wahlvorgang hat sich seit 1941 bis zum heutigen Tag nichts geändert, außer, dass die Stimmabgabe für die mittlerweile rund 6000 Akademiemitglieder seit ein paar Jahren auch via Internet möglich ist.

Auch Österreicher waren bereits bei der allerersten Verleihung im Oscar®-Rennen am Start, mit nominierten Filmen von Alexander Korda und Josef von Sternberg.

Alexander Korda, 1893 im k. u. k. Österreich-Ungarn geboren, begann seine Karriere in Budapest, ehe er zu Alexander Kolowrat-Krakowskys Sascha-Film nach Wien kam, wo er Großprojekte wie das zwölf Millionen Kronen teure Bibel-Spektakel »Samson und Delila« (1922) realisierte. Sein Film »Das Liebesleben der schönen Helena« wurde 1929 für die besten Zwischentitel nominiert, eine Oscar®-Kategorie, die mit Ankunft des Tonfilms im Jahr darauf auch schon wieder Geschichte war.

Alexander Korda verhalf Charles Laughton 1933 mit »Das Privatleben Heinrichs VIII.« zu seinem einzigen Oscar®, sein Streifen »Der Dieb von Bagdad« (1940) wurde mit drei Oscars® prämiert. Die heute wohl bekanntesten Filme, die Alexander Korda produzierte, sind die 1942 von Ernst Lubitsch inszenierte Hitler-Parodie »Sein oder Nichtsein«, die mit einer Oscar®-Nominierung für die beste Musik abgespeist wurde, für die Korda selbst aber als erster Filmschaffender der Geschichte vom englischen König zum Ritter geschlagen wurde, und – natürlich – »Der dritte Mann« (1949), mit dem er dem Nachkriegs-Wien ein filmisches und musikalisches Denkmal setzte. Anton Karas wurde mit seinem Zitherspiel zum Weltstar, für preiswürdig empfand man sein »Harry-Lime-Theme«, das sich zum Millionenerfolg entwickelte, damals aber nicht. Zwar konnte sich Karas mit dem erzitherten Geld einen Heurigen in Sievering kaufen, doch diese »Weinschenke zum Dritten Mann« musste ihre Pforten bald darauf wieder schließen: »30 Mal pro Abend hab ich immer dieselbe Melodie gezupft – die Leute sind aber nur zum Zuhören gekommen, nicht zum Essen«, stellte Karas resignierend fest. Einen Oscar® gab’s aber doch für den »Dritten Mann«: für die Kameraarbeit von Robert Krasker, der trotz deutsch klingendem Namen aus Australien stammt.

Der 1894 in Wien geborene Josef von Sternberg gilt nicht nur als Entdecker von Marlene Dietrich, sondern auch als einer der großen Visionäre des Films. Heute sind vor allem jene Werke in Erinnerung, mit denen er die Dietrich zur Ikone stilisierte: »Der blaue Engel«, »Marokko«, »Blonde Venus« oder »Shanghai-Express«. Mit seinen subtilen Schöpfungen aus Licht und Schatten zielte der Exzentriker vordergründig nicht auf ein großes Publikum ab, sondern wollte, wie er sagte, damit jeden Einzelnen berühren. Die Akademie dankte es von Sternberg mit zwei Oscar®-Nominierungen für die beste Regiearbeit, 1931 und 1932.

Viele der Schwierigkeiten mit Produzenten, die sich durch sein ganzes Berufsleben zogen, basierten unter anderem auf seiner Eigenschaft, in Bildern zu denken und zu argumentieren: »Es ist sehr wohl möglich, dass Max Reinhardt mich beeinflusst hat, aber nicht direkt, sondern indem er mir zeigte, dass es in der Technik der Regie keine Grenzen gibt«, schrieb Josef von Sternberg, gegen Minderwertigkeitskomplexe stets resistent, in seiner Autobiografie.

Marlene Dietrich blieb ihrem »Meister« zeit seines Lebens verbunden: Als sie in den 1940er-Jahren einmal von einem anderen Regisseur inszeniert wurde, der nicht gleich wusste, wie man sie richtig ausleuchtet, hauchte das ewige Glamourgirl ungeduldig: »Wo bist du, Jo…?« Und als sie einem berühmten Landsmann ihres Lieblingsregisseurs einmal erklärte, wie er es gedreht hätte, antwortete der nur knapp: »Schon möglich – aber mein Name ist Fritz Lang.«

Auch bei der zweiten Oscar®-Verleihung gab es eine Nominierung für einen Österreicher, und es sollte nicht seine einzige bleiben. Paul Muni, 1895 in Lemberg (damals Österreich-Ungarn, heute Ukraine) geboren, wurde gleich für sein Debüt in Hollywood honoriert, und das nicht nur von der Akademie. Zunächst erhielt der als Meshilem Meier Weisenfreund geborene Mime einen neuen Namen, und dann auch noch gleich eine neue Nationalität.

In einem ersten Pressebericht des Filmstudios war über ihn zu lesen: »Mr. William Fox persönlich hat den berühmten russischen Schauspieler Paul Muni für den Film entdeckt.«

Als er dagegen protestieren wollte, erklärte ihm der Presseagent des Studios: »Russisch ist bei uns die höfliche Umschreibung von Jiddisch.«

Filmpionier William Fox war ebenso Altösterreicher. 1879 als Wilhelm Fuchs geboren, emigrierte die Familie schon recht bald in die USA, wo William 1915 die Fox-Film-Company gründete, mit der er 1919 nach Hollywood übersiedelte. Sein Unternehmen ging nach ereignisreichen Produktionsjahren in die 20th Century Fox über, jener Filmfirma mit der wohl schönsten Fanfare und den berühmten kreisenden Scheinwerfern am Nachthimmel über Hollywood.

Doch wir waren bei Paul Muni. Bei nur 23 Filmauftritten konnte er am Ende seines Lebens auf fünf Nominierungen und einen Oscar® zurückblicken – davon später mehr. Just jene Rolle, die wohl seine bekannteste wurde, blieb aber unbelohnt: die Hauptrolle in Howard Hawks »Scarface« (1932), einer freien Biografie von Al Capone, der damals gerade ins Gefängnis wandern musste. Dieser Streifen gilt längst als Meilenstein der Filmgeschichte und als Klassiker des Gangsterfilm-Genres.

Auch der Abräumer des Jahres 1932 geht genau genommen auf das Konto einer Österreicherin, denn bester Film des Jahres wurde »Menschen im Hotel« mit Greta Garbo und John Barrymore in den Hauptrollen, basierend auf dem gleichnamigen Roman von Vicki Baum. Die 1888 in Wien geborene Schriftstellerin hatte die Einladung der MGM, selbst am Drehbuch mitzuarbeiten, dankbar angenommen, schließlich wurden ihre Bücher schon bald danach von den Nationalsozialisten öffentlich verbrannt. In den USA schrieb sie weitere Bestseller, wie »Hotel Shanghai«, »Kautschuk« und »Vor Rehen wird gewarnt«. Auch für die Filmindustrie blieb sie tätig, handelte sich aber aus, sechs Monate im Jahr Zeit für ihre Bücher zu bekommen.

Mit Los Angeles hat Vicki Baum sich dennoch nie ganz anfreunden können. »Seitdem wir hier in diesem übelriechenden, khakifarbenen Smogzelt leben, wissen wir kaum noch, wie es damals gewesen ist«, schrieb sie in ihrer Autobiografie.

Sie starb 1960 in Hollywood, fast 40 Jahre danach wurde in ihrer Heimatstadt Wien ein Platz nach ihr benannt.

Damals, in der Kinderzeit des Tonfilms, wurden Filme, denen eine Chance auf dem internationalen Markt gegeben wurde, zugleich – Szene für Szene – oft von denselben Darstellern in mehreren Sprachen gedreht, zum Beispiel »Der blaue Engel« (1930). Erst ein paar Jahre später, und nicht zuletzt aufgrund der politischen Ereignisse, wurde dann derselbe Stoff von verschiedenen Regisseuren und Schauspielern in unterschiedlichen Sprachen und Ländern erarbeitet. Wie 1934 »Maskerade«, der erste Film von Paula Wessely. Autor Walter Reisch nahm sein Buch mit nach Hollywood, wo es im Jahr darauf als »Escapade« mit Luise Rainer verfilmt wurde – auch dazu kommen wir noch. Die Synchronisation der Dialoge, bei der in der Regel andere Schauspieler übersetzte Textteile zu den Lippenbewegungen der Darsteller auf der Leinwand sprechen, kam erst später, denn einstweilen bestand gerade in Deutschland daran kein allzu großer Bedarf. Unter dem Einfluss des heranziehenden Nationalsozialismus änderte sich sogar die Wahl der Filmstoffe. Auf einmal galt es, nicht bloß zu unterhalten, sondern das nationale Gewissen des Publikums wachzurütteln. Man hob glorreiche Vorbilder aus der Vergangenheit wie zum Beispiel Friedrich den Großen hervor, um die Zuschauer einerseits über die wenig erbauliche Gegenwart hinwegzutrösten und andererseits an sogenannte bessere Zeiten zu erinnern, als das Land noch den starken Führer hatte, den es wieder brauchen würde. Politische Diskussionen wurden, solange sie überhaupt noch gestattet waren, ins Kino verlagert, wo bereits 1931 Nazi-Störtrupps Vorführungen des Antikriegsfilms »Im Westen nichts Neues« (der knapp zuvor mit dem Oscar® als bester Film ausgezeichnet worden war) verhinderten – eines der ganz wenigen Filme, von dem es eine Stummfilm- und eine Tonfilmfassung gibt und der schon damals eine deutsche Version bekam, wenn auch um 40 Minuten gekürzt.

Nach dem 30. Jänner 1933 und der Machtergreifung durch die Nationalsozialisten wurde ohnehin alles schlagartig anders. Von den 29 Filmateliers in Deutschland waren binnen dreier Monate nur noch elf in Betrieb. Die UFA, die 1932 beachtliche zehn Millionen Mark eingenommen hatte, spielte ein Jahr danach vergleichsweise jämmerliche 80.000 Mark ein. Die Spitzenkräfte des deutschsprachigen Kinos mussten ihr Leben retten und ihre Koffer packen. Viele gingen ins vorerst noch freie Österreich, doch so gut wie alle, die es rechtzeitig schafften, zog es früher oder später nach Hollywood.

Oft denkt man beim Film zunächst an Schauspieler und Regisseure, und nicht ganz zu Unrecht wird auch heute noch an der UCLA, der Universität von Los Angeles, gelehrt, dass der amerikanische Film ohne so kreative Geister wie Josef von Sternberg, Fritz Lang, Erich von Stroheim, Billy Wilder, Otto Preminger oder Fred Zinnemann arm wäre (dass einige von ihnen in den USA nie einen Preis, geschweige denn einen Oscar®, gewonnen haben, steht auf einem anderen Blatt, ist vielleicht aber auch gar nicht so wichtig). Doch ganz besonders erfolgreich waren Österreicher in einer anderen Kategorie, für die jedoch erst nach 1933 Oscars® vergeben wurden und die wir etwas später unter die Lupe nehmen werden.

Die Öscars®

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