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DIE GROSSE ILLUSION

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»Hollywood – das ist jener Ort, wo sogar Charlton Heston mit seinem Nussknacker-Charme Preise fürs Schauspielen gewinnt.«

Shirley Knight, Oscar®-Nominierung 1960

Wen die unverhohlene Bewunderung für die große amerikanische Traumfabrik stört, der sollte sich vor Augen führen, dass die vielleicht besten Hollywoodfilme von Leuten wie dem Briten Alfred Hitchcock, dem Italiener Frank Capra, dem Russen Lewis Milestone, dem Deutschen Ernst Lubitsch, dem Polen Roman Polanski, dem Tschechen Miloš Forman, dem Griechen Elia Kazan, den bereits erwähnten Österreichern Wilder, Preminger, Zinnemann und unzähligen anderen Künstlern vieler anderer Nationen geschaffen wurden. Zugegeben, es sind wohl auch ein paar Amerikaner dabei …

Wahrscheinlich war Hollywood in Wirklichkeit nie, was es angeblich war. Mein Gott, wie enttäuscht war ich doch bei meinem ersten Besuch! Das war 1993. Glanz und Glamour hatte ich vor meinem geistigen Auge, Blitzlichtgewitter und Stars unter sanft sich wiegenden Palmwedeln, alles blitzsauber und beinahe so antiseptisch wie in US-Fernsehserien. Und dann das. Es gab damals wahrscheinlich Müllhalden in Österreich, die mehr Flair und Ausstrahlung hatten als dieses Kaff, das angeblich die Hauptstadt der Unterhaltungsindustrie war.

Wir stiegen im Holiday Inn ab, einem 1972 erbauten Mittelklasseschuppen in zentraler Lage (mittlerweile ist es Teil des 2001 eröffneten Hollywood & Highland-Komplexes, hat um 165 Millionen Dollar seinen Besitzer gewechselt und ist um beinah ebenso viel neu renoviert worden). Zentral war allerdings ein relativer Begriff. Stimmt, es waren nur wenige Schritte zum berühmten Grauman’s Theatre, jenem im Stil einer chinesischen Pagode gebauten Kino, vor dem die Stars seit 1927 ihre Hand- und Fußabdrücke in Beton verewigen. 2013 sicherte sich ein chinesischer Elektronikkonzern um fünf Millionen Dollar die Namensrechte vom Chinese Theatre, das noch immer fixer Bestandteil aller Sightseeing-Touren durch Los Angeles ist. Will man dort privat fotografieren: No problem! Mit einem professionell aussehenden Apparat, gar mit einer Videokamera? Nur mit »special permission«, einer schriftlichen Erlaubnis, die im Voraus eingeholt werden muss. Kann aber dauern. Nicht gewusst? Sorry, Sir. – Aber: ein Halbschritt nach hinten, dann ist sogar filmen okay. – Äh, why? – Weil man dann nicht mehr auf dem Grundstück selbst, sondern auf dem Gehsteig davor steht, der ohnehin den besseren Überblick über alle Betonplatten bietet. Hier Privatgrund, da öffentlicher Grund, understand? Noch zehn Zentimeter zurück, Sir – jetzt noch zwei … thank you for your cooperation. – Na ja, Amerikaner halt … Aber zum Beispiel diese Sehenswürdigkeit war wirklich in »walking distance« – selbst für Amerikaner, die jede Strecke über 100 Meter bekanntlich lieber mit dem Auto zurücklegen. Auch das hat seine Gründe. In weiten Teilen der USA geht man davon aus, dass nur Obdachlose oder Verbrecher zu Fuß gehen. Dementsprechend oft sind passionierte Spaziergänger aus Europa dort auch beliebte Opfer ausgedehnter Polizeikontrollen, die bekanntlich ja gar nicht so ungefährlich sein können.

Ganz nah vom Hotel lag auch das Hollywood Wax Museum, das es noch immer gibt, obwohl es wahrscheinlich eines der schlechtesten Wachsfigurenkabinette der Welt ist. Ohne Beipacktext würde vermutlich niemand erkennen, um wen es sich bei den ausgestellten Figuren handeln soll.

»Guiness World of Records« und »Ripley’s – Believe it or not«, Kuriositätensammlungen unterschiedlichster Weltrekorde, lagen ebenfalls gleich gegenüber der Straße, bei der es sich immerhin um den weltberühmten Hollywood Boulevard handelte. Über den zieht sich auch der größte Teil des »Walk of Fame«: in rosa Marmorsterne eingelassene Messingnamenszüge berühmter Film- und Fernsehschaffender (Christoph Waltz zum Beispiel wurde im Dezember 2014 mit Stern Nummer 2536 geehrt).

Ende der 1950er-Jahre wurde die Idee geboren, sich doch touristenwirksam bei jenen zu bedanken, die maßgeblich dazu beigetragen hatten, dass Hollywood die vielleicht bekannteste Stadt der Welt geworden war. Begonnen wurde ganz bescheiden, mit gerade einmal acht Sternen an einer Straßenkreuzung. Mit der Zeit wurden es mehr und mehr, Fans kamen, um »ihrem« Star ein Mal zu begegnen, vielleicht sogar Blumen zu bringen, und sich mit ihm, also auf ihm stehend, fotografieren zu lassen. Und so wurden bald schon hundertfach Sterne mit Namen verdienter Persönlichkeiten der Film- und Unterhaltungsindustrie angefertigt, um möglichst vielen Filmfreunden ein Motiv zu geben, doch den »Walk of Fame« zu besuchen.

Natürlich ließ sich damit auch ganz direkt ein gutes Geschäft machen. Eine Zeit lang war es gang und gäbe, diese Sterne ganz offiziell zu verkaufen. Freilich konnte sich dennoch nicht jeder auf dem Hollywood Boulevard verewigen lassen, aber gegen eine Zahlung von 15.000 Dollar an den Hollywood Historic Trust bekam man damals die Möglichkeit, beim »geheimen Auswahlkomitee« der Hollywood Chamber of Commerce einen Antrag auf einen Stern zu stellen. Der Vorsitzende dieses Komitees war zu jener Zeit ein ehemaliger Discjockey namens Johnny Grant, der sich »Ehrenbürgermeister von Hollywood« nannte und, man ahnt es, selbst auch mit einem Stern auf dem Boulevard verewigt ist – während man nach Namen wie Clint Eastwood, Lee Marvin oder Robert Redford bis heute vergeblich sucht. Bis zu seinem Tod im Jahr 2008 im Alter von fast 85 Jahren ließ Johnny Grant es sich nicht nehmen, jede »Star-Ceremony«, bei der ein neuer Stern feierlich enthüllt wurde, persönlich vorzunehmen. An ihn selbst erinnert heute nicht nur sein Stern, sondern auch ein sehr kurzer Weg, der von der Hauptstraße direkt in die Tiefgarage des ehemaligen Holiday Inn abbiegt. Das Straßenschild ist dabei fast länger als die ganze Einfahrt. Ernstgemeinte Ehrenbekundung oder subtile Bösartigkeit? Man weiß es nicht.

In Hollywood verstand man es schon seit jeher zu feiern, wofür man stets Gründe suchte und fand. 1987 feierte man 100 Jahre, dass ein Farmer seinen Grundbesitz auf den Namen »Hollywood« eintragen ließ. Als er dann nach einigen Jahren den damals noch mit 4000 Glühbirnen beleuchteten Schriftzug »Hollywoodland« auf einem Hügel seiner Farm anbringen ließ, wurde auch das 100 Jahre später gefeiert. Die letzten vier Buchstaben des berühmten Wahrzeichens (eines der wenigen der Stadt) sind übrigens irgendwann verrottet und wurden nicht mehr ersetzt, zumal die Grundstückspreise in der Zwischenzeit in den Himmel geschossen sind und jeder Quadratmeter teuer verkauft wurde.

Das Land unterm ehemaligen »land« ließ sich zunächst aber nicht veräußern, weil zunächst noch zu viele wussten, dass die Buchstaben lange Zeit beliebte Ausflugsziele potenzieller Selbstmordkandidaten waren und in den ersten Jahren niemand seinen Bungalow in das Blut jener Unglücklichen stellen wollte.

2006 feierte man dann jedenfalls das 100-Jahr-Jubiläum des ersten Drehtages des allerersten Hollywoodfilms, 2009 die 100 Jahre seit der Gründung des ersten Filmstudios. Man muss kein Hellseher sein, um zu behaupten: 2027 steht ein gigantomanisches »100 Jahre Oscar®«-Fest ins Haus. Wie auch immer sich das Filmgeschäft, die Entertainment-Industrie und Hollywood bis dahin auch entwickeln mögen, es wird gefeiert, koste es, was es wolle.

Gleich an der Ecke Hollywood/Highland gab’s vor dem Jahr 2000 auch noch das Max-Factor-Museum, einst Sitz des Make-up-Königs von Hollywood, der schon in den 1930er-Jahren seine Schminkräume farblich auf die jeweiligen Haarfarben der Kundinnen abgestimmt hatte und wo man mit etwas Glück Marlene Dietrich, Claudette Colbert, Bette Davis und Greta Garbo begegnen konnte, die sonst zwar in unterschiedlichsten Studios an verschiedenen Filmen arbeiteten – aber bei Max Factor kamen sie alle zusammen. Das historische Gebäude ist heute Sitz des Hollywood Museum, das die wahrscheinlich weltgrößte Sammlung an Film-Memorabilia beherbergt, wie das Originaltoupet von »Frankenstein« Boris Karloff oder Judy Garlands rote Schuhe aus »The Wizard of Oz«.

Doch ansonsten? Fast-Food-Buden, Pornokinos, Tattoo-Stecher, Sexshops, ein paar Filialen der Scientology Church und zahlreiche schmierige Souvenirläden. Alles geprägt von äußerster Geschmacklosigkeit, ziemlich verdreckt und gesäumt von Drogensüchtigen und Obdachlosen. Die Filmindustrie war längst in andere Stadtteile des Vier-Millionen-Einwohner-Riesenmolochs Los Angeles abgewandert, nur der berühmte Schriftzug auf dem Berghang darüber deutete darauf hin, dass man hier offensichtlich doch richtig sein musste.

Die Stars? Abgesehen von denen auf dem »Walk of Fame« waren alle längst in Nobelgegenden wie Beverly Hills, Bel Air, Malibu oder Palm Springs übersiedelt, nicht einmal zur Oscar®-Verleihung ließen sie sich hier sehen. Einige der alten Filmpaläste, die in früheren Jahren Austragungsort der Gala waren, standen inzwischen leer, dienten als Peepshow oder waren überhaupt abgerissen worden. Die Veranstaltung selbst fand mittlerweile in Downtown L.A. statt, im Dorothy-Chandler-Pavilion oder im Shrine Auditorium. Es war einfach frustrierend.

So also sah es aus, das Synonym für die amerikanische Filmwelt, das Allerheiligste der großen Traumfabrik? Doch vielleicht habe ich damals vieles noch zu verklärt betrachtet. Es gibt ja die Anekdote von den Dreharbeiten zum allerersten »Rosaroten Panther«-Film (1963). Peter Sellers sprang in der Rolle des Inspector Clouseau bekanntlich kurzfristig für Peter Ustinov ein und wurde damit eigentlich durch Zufall weltberühmt. Die Dreharbeiten zum »Rosaroten Panther«, der danach auch als Zeichentrickheld Erfolge feierte, fanden nicht in Hollywood, sondern in Italien, in den Cinecittà-Studios statt.

Als Sellers am Drehort ankam, begrüßte Regisseur Blake Edwards ihn dennoch mit den Worten: »Willkommen in Hollywood.«

»Äh, Rom, eigentlich …«, korrigierte ihn Sellers.

Worauf Edwards (dem wir Jahre später zu seinem Ehren-Oscar® gratulieren durften) den Briten freundlich auf die Schulter klopfte und meinte: »Hollywood is a State of Mind.«

Und das ist vielleicht der einzig mögliche Zugang zu diesem Phänomen, das sich nicht wirklich in Worte fassen lässt.

Die Öscars®

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