Читать книгу Das Überlebensprinzip - Christian Ruf - Страница 16
13. Tag
ОглавлениеBeim morgendlichen Zusammenpacken horchte Ben auf einmal auf. Auch mir war es, als wenn da ein fremdes Geräusch gewesen wäre. Schweigend lauschten wir in den Wald hinein.
Nichts. Lange nichts - aber da war doch etwas und es stammte von Menschen! So eine Situation ist ziemlich unangenehm, denn man weiß dass andere da sind, aber nicht wo und wie viele…
Wir packten schnell unsere Habseligkeit weiter ein. Doch dann hörten wir dieses Geräusch wieder. Weit entfernt - aber eindeutig: Schüsse aus einem Maschinengewehr! So ein Mist! Wer hat nur solche schweren Waffen? Vielleicht hatte sich derjenige aus einem Stützpunkt der Armee mit Material versorgt? Möglich dass es hier im Wald eine ehemalige Kaserne gab?
Trotzdem wird normalerweise nur im Kampf geschossen, denn jeder verbrauchte Schuss schmälert die Fähigkeit zur Verteidigung. Oh, wie sehne ich mich nach dem Tag, wenn der letzte heimtückische Schuss gefallen ist. Aber dann bleiben immer noch die Messer und Pfeil und Bogen…
Da wir tief unten im Tal nicht die Richtung ausmachen konnten, woher das Geräusch kam, gingen wir einen offenen Hügel hinauf. Das war sehr riskant, da man gesehen werden konnte. Das letzte Stück krabbelten wir sicherheitshalber auf dem Boden. Zu unserem Erstaunen stand genau auf dieser Anhöhe ein Funkmast.
Wir blickten abwechselnd mit dem Fernglas in die Landschaft um uns herum. Es war aber nichts Besonderes zu sehen. Auch waren die Schüsse längst wieder verstummt. Lediglich ein Bellen von Hunden war noch zu hören. Ben zog mich am Ärmel und zeigte mit dem Finger nach oben.
„Auf den Funkturm hoch?! Du spinnst ja!“ antwortete ich ärgerlich. So eine bekloppte Idee. Ganz ohne Sicherungsgurt die Außenleiter hoch? Niemals!
„Schon gar nicht ich mit meiner Höhenangst.“
Doch Ben meinte es ernst und wollte selber hoch klettern.
„Du weißt doch gar nicht was für ein Wind da oben bläst. Außerdem wird man dich relativ gut von weitem erkennen können. Ich bin dagegen.“ versuchte ich es ihm auszureden.
Ben deutete auf die Sonne und dann in die Richtung woher das Gebell herkam. Ja, da hat er recht. Wir hatten die noch tief stehende Sonne im Rücken - das würde ein Vorteil sein. Schließlich mussten wir vorher wissen, wer uns da drüben hinter dem Hügel begegnet. So war ich schließlich einverstanden.
Er nahm sich das Fernglas und kletterte wie ein kleiner Affe die Leiter am Mast empor. Es schien ihm richtig Spaß zu machen! Im oberen Drittel angekommen begann er mit seiner Ausschau. Es musste wohl sehr interessant sein, denn er blickte lange in Richtung der Hügel…
Plötzlich fiel ein Schuss! Ich schaute hoch zu Ben - er war in Deckung hinter den Mast gegangen. Ängstlich zeigte er in die Richtung wohin er eben noch mit dem Fernglas geblickt hatte. Sofort legte ich mich auf den Boden und lud mein Gewehr durch. In dem Wald drüben war aber niemand zu erkennen. Fieberhaft schaute ich von links nach rechts hin und her…
Doch dann erkannte ich was! Auf einem Hochstand am unteren Waldrand sah ich ein kurzes Blitzen, wie wenn sich die Sonne in etwas spiegelte. Ein zweiter Schuss fiel - und prallte am Mast neben Ben ab. Warum hatten wir diesen Posten vorher nur übersehen?! Aber auch jetzt konnte ich keine Gestalt ausmachen. Wieder ein kurzes Blitzen - ob das Gewehr ein Zielfernrohr hatte? Wahrscheinlich ja, sonst konnte er nicht so verteufelt gut treffen!
Ich zielte auf die Stelle woher das Blitzen kam und drückte ab. Ben nutzte diese Rückendeckung und kletterte ein gutes Stück tiefer. Dann Pause und abwarten. Ich feuerte ein zweites Mal blind an die Stelle im Hochstand und hatte keine Ahnung, ob ich überhaupt traf. Sofort kletterte Ben wieder weiter nach unten und ließ sich die letzten drei Meter ins hohe Gras fallen. Sofort war ich bei ihm. Glücklicherweise war er unverletzt. Er gestikulierte wie wild um mir total aufgeregt zu erklären was er gesehen hatte.
Langsam verstand ich: „Ein Kampf zwischen zwei Gruppen? Die einen verteidigen eine alte Kaserne während die anderen sie umlagern?“
Das klang übel! Wenn wir da dazwischen geraten wären… Doch auf einmal hörten wir Hundegebell.
„Wir müssen sofort hier weg! Nicht dass die uns hier suchen.“ rufe ich. „Schnell!“
Wir rannten geduckt die abgewandte Seite des Hügels hinunter. Und das keine Sekunde zu spät: ein scharfes Zischen durchschnitt die Luft und - Rums - schlug heftig eine Granate im Mast ein! Sie hatten also auch richtig schwerere Waffen! Eine Jagd auf Leben oder Tod begann.
Unten im Tal angekommen rief ich Ben zu: „Wir müssen durch den Bach hier laufen, damit die Hunde unsere Witterung nicht so gut finden können.“
Das Wasser war zwar nicht tief, aber es spritzte die Beine hoch bis zum Bauch. Ständig mussten wir aufpassen nicht in ein Loch zu treten oder auf einem wackeligen Stein auszugleiten. Sich jetzt den Knöchel zu verstauchen wäre das Todesurteil. Das Wasser war eiskalt aber wir rannten um unser Leben! Hinter uns hören wir noch immer das Kläffen der Hunde. Der Bach lief plötzlich in eine Anlage von Fischteichen hinein, die hier im breiter werdenden Tal angelegt waren. Der unterste Teich davon war am größten und hatte in der Mitte eine sandige Insel mit drei Birken. Das sollte unsere Rettung werden.
„Wir müssen da auf die Insel drauf, Ben.“ Er schaute mich fragend an. „Los, wir brauchen so etwas wie ein Boot oder Floß…“
Wir entdeckten ein altes Blechfass - immerhin. Schnell warfen wir alle Sachen hinein, zogen uns komplett aus und legten unsere Kleider und ein paar Steine als Gewicht auch noch dazu, so dass wir das Fass senkrecht schwimmend mit der Öffnung nach oben ins Wasser lassen konnten. Wir stiegen mit dem Fass zwischen uns in das fürchterlich kalte Wasser. Ich dachte mein Herz würde stehen bleiben - es tat am ganzen Körper nur weh! Aber es musste sein. Wir hielten jeweils mit einer Hand den Rand fest und zogen das Fass schwimmend rüber zur Insel. Dort angekommen holten wir alles wieder heraus und rollten das Fass ins Wasser zurück, so dass es versank.
„Wir müssen alles verbuddeln damit die Hunde es nicht riechen können. Nur den großen Schlafsack nicht - den brauchen wir gleich noch!“ befahl ich. Mit bloßen Händen gruben wir in den weichen Sandboden ein kleines Loch, legten die Sachen hinein und deckten es mit Erde und Ästen gut ab.
„Und jetzt graben wir uns selber auch noch ein - bis an die Nasenlöcher!“ sagte ich total ernstgemeint. „Los doch, Ben. Warst du noch nie am Meer in Urlaub?“
Zum Glück bestand der Boden aus dem leichten Schwemmsand und das machte uns das Graben leichter. So ein manngroßes Loch auszuheben wäre sonst so schnell nicht möglich gewesen. Schließlich war es geschafft. Fast nicht mehr nass, völlig verkühlt und nackt zwängten wir uns gemeinsam in den Schlafsack und schoben uns mit den rausschauenden Armen und Händen den Sand über die Beine, den Körper und vorsichtig auf das Gesicht. Wie ein kleiner Hügel lagen wir nun still auf unserer Rettungsinsel bestens versteckt.
Wir warteten endlos lange und völlig regungslos. Durch die Isolation des Schlafsacks wärmten sich unsere Körper zum Glück allmählich wieder auf. Immer wieder hörten wir das Bellen näher kommen, dann war es wieder weiter weg. Offensichtlich suchten sie uns eine ganze Weile, aber ohne Erfolg. Als es dunkler wurde, herrschte schließlich Stille. Sie hatten es aufgegeben!
Ich schob mein Gesicht als erster aus der Erde und flüsterte zu Ben rüber: „Wir können wohl wieder raus kommen. Die sind wir los.“
Meine Glieder waren steif und taten schrecklich weh. Unbeholfen kletterten Ben und ich aus dem Schlafsack wieder heraus - wir sahen aus wie Ferkel. Am liebsten hätte ich mich zuerst einmal gründlich gewaschen, aber das wäre in dem kalten Fischteich bestimmt mein Tod gewesen. So gruben wir unsere Sachen wieder aus, rieben uns den Dreck so gut es ging vom Körper ab, nahmen unsere Kleider und zogen sie einfach wieder an. Das Zelt wurde mühsam mit klammen Fingern aufgerichtet und mit herabgefallenen Birkenästen verdeckt. Sofort krochen wir hinein.
„Wir schlafen diese Nacht zusammen in einem Schlafsack. Dann können wir uns gegenseitig wärmen.“ schlug ich vor.
Die ganze Aktion und auch die Nacht waren einfach nur schrecklich… Aber - wir hatten überlebt!