Читать книгу Das Überlebensprinzip - Christian Ruf - Страница 6
3. Tag
ОглавлениеNoch immer liegt Schnee und es hat sogar noch mal nachgeschneit. Wie eine glitzernde Kristallfläche glänzt die Landschaft bei strahlend blauen Himmel und eisiger Kälte. Ich kann mich an einen Skiurlaub erinnern bei dem ich morgens früh zum Sonnenaufgang eine solche Schneepiste alleine herunter gefahren bin - es war so traumhaft schön!
Wir blieben also immer noch im Haus und warten ab. Nur Ben wurde es allmählich zu eintönig. Kann ich ja verstehen. Ihm wäre eine coole Schneeballschlacht oder ein Spaziergang im Schnee bestimmt lieber. Aber so etwas geht eben nicht. Gelangweilt schaute er durch das dreckige Fenster zwischen den Gardinen hindurch nach draußen. Plötzlich wurde er nervös. Er ging einen Schritt zurück und ließ die Gardinen langsam vor sich zufallen. Wie gebannt starrte er in eine Richtung schräg nach links durch das Fenster.
Ich schaute ihm zunächst ganz ruhig aber dann immer mehr angespannt von hinten zu. Eigentlich wollte ich etwas Feuer machen damit unser Haus nicht gänzlich auskühlt. Das musste jetzt erst einmal warten. Wir beide waren ganz still.
Dann schnippte Ben zweimal mit den Fingern: unser vereinbartes Zeichen für höchste Gefahr! Ganz langsam schob ich mich hinter ihn zum Fenster und schaute in dieselbe Richtung wie seine Augen blickten. Da sah ich sie:
Mindestens vier junge Kerle, wenn nicht sogar noch mehr, schlichen sich mit Waffen in der Hand durch die Straßen. Dass sie nicht zu denen gehören, die „Bitte“ sagen, erkannt man gleich. Es war eine Jugendbande ohne festes Zuhause.
Die Kälte und der Schnee treibt sie in die Dörfer. Diese jungen Kerle sind in einem Umfeld aufgewachsen wo man ums nackte Überleben kämpfen muss. Am besten geht das in einer starken, großen Gruppe. Das gefährliche an ihnen ist nicht nur ihre Gewissenlosigkeit, sondern ihre Suche und ihr Verlangen nach Alkohol. Das zusammen ist eine absolut tödliche Mischung.
Zum Glück sind Ben und ich auf solch einen Vorfall eingerichtet. Unser Raum wurde schnell in ein scheinbar nicht benutztes Zimmer umgeräumt. Dann gingen wir flugs runter in den Kellerraum. Dieser ist hinter einem Spalt in einer Zwischenmauer versteckt, dass man ihn von außen nicht erkennen kann. Gleichzeitig haben wir von hier aus aber eine weitere Möglichkeit das Haus unbemerkt nach hinten verlassen zu können und uns zwischen den Häusern und Schuppen aus dem Staub zu machen…
Ich nahm mein Gewehr und die Munition mit. Dazu unsere Messer, die Schuhe und jeder eine Decke. Wir mussten uns heute Abend wohl oder übel in den Wald zurückziehen und dort übernachten. Ben schnappte sich noch schnell das neue Fernglas. Gute Idee, fand ich. Unten im Keller versteckt mussten wir nun erstmal abwarten.
Draußen streiften die Kerle durch die Straßen des Ortes. Sie schienen sich sehr sicher zu fühlen. Jeder von ihnen hatte mindestens eine Schusswaffe. Es mussten insgesamt so etwa acht oder neun Jungs im Alter von höchstens zwanzig Jahren sein. Und ein Mädchen war auch mit dabei - eine seltsame Truppe.
Nach und nach gingen sie in jedes Haus und schauten nach etwas Essbarem. Als sie in unser Haus kamen, fiel mir mit Schrecken ein, dass wir vergessen hatten unsere gesammelten Lebensmittel zu tarnen. Wir hatten sie zusammen mit den anderen zusammengetragenen Reiseutensilien im großen Zimmer einfach liegen gelassen!
Ein lautes Rufen von oben bestätigte meine Befürchtung - man hatte sie wie auf dem Präsentierteller entdeckt. Jetzt blieb nur zu hoffen, dass keiner auf die Idee kommen würde den Besitzer dieser Sachen zu suchen. Ben und ich verhielten uns mucksmäuschenstill und lauschten. Die komplette Meute hatte sich nun im Haus versammelt. Froh über diesen Fund machten sie sich sofort über das Essen her. Es herrschte reges Diskutieren und lautes Rufen während sich um die Verteilung der Lebensmittel gestritten wurde. Wir warteten weiter ab.
Als die Gruppe der jungen Leute am späten Abend immer noch im Haus war, wurde klar dass sie hier noch mindestens über Nacht bleiben werden. Im Schutze der Dunkelheit würden wir nun unseren Keller besser verlassen müssen. Ich schob mich zuerst durch den Lichtschacht hinaus. Draußen krabbelte ich unter den Fenstern entlang durch den weißen und eiskalten Schnee bis an die Hausecke. Danach schlüpfte Ben aus unserem Kellerversteck. Die Hauswand warf einen halbdunklen Schatten auf die vor uns liegende Fläche des Hofes.
Hinter ein paar Holzbrettern lagen vorbereitet ein paar Tannenzweige mit denen wir unsere Spur verwischten. Wir gingen vorsichtig an der Wand entlang bis zur nächsten Hausecke. Von dort waren es nur drei Meter bis in die Nachbarscheune durch die wir ungesehen den Ort verlassen konnten… Solange keiner zufällig hier draußen herumliefe, durfte das auch kein Problem sein. In meiner Hand hielt ich mein Messer dennoch einsatzbereit. Allein der Gedanke, dass jederzeit jemand aus dem Haus kommen könnte, erzeugte eine ungeheure Anspannung. Vorsichtig spähte ich um die Ecke. Niemand war zu sehen. Das Gegröle im Haus war unverändert.
Rasch ging ich die paar Schritte rüber in die Scheune. Kaum drüben angekommen blickte ich zu Ben zurück. Er hatte Angst - das sah ich. Ohne Worte nickte ich ihm mit Bestimmtheit zu - los doch!
Er sprang mit klopfendem Herzen zu mir herüber. Im selben Moment ging die Tür auf und ein Typ kam heraus. Schnell griff ich Bens Ärmel und zog in zu mir. Jetzt bloß nicht bewegen oder weglaufen. Sonst hätten wir die ganze wilde Bande hinter uns her gehabt.
Wir pressten uns an die Wand neben der Tür. Irgendwie schien dieser Kerl nichts Bestimmtes vor zu haben. Er lief herum als wenn er etwas suchen würde. Wenn er dabei allerdings in die Scheune gekommen wäre, hätte ich schnell handeln müssen bevor er hätte rufen können. Ich zog also mein Messer aus der Scheide und hielt es in meiner rechten Hand bereit…
Plötzlich blieb er genau auf der anderen Seite unserer Holzwand stehen. Ich hörte sogar seinen Atem während wir unbeweglich versuchten nicht das kleinste Geräusch zu erzeugen. Er fing an irgendetwas wegzuräumen um Holzscheite für den Ofen hervorzuholen. Als er ein paar vom Stapel genommen hatte, hörten wir wie er schnell wieder ins Haus ging und dabei fluchte: „…scheißkalt!“
Nun wurde es aber höchste Zeit sich zu verdrücken. Wir verließen den Ort indem wir rückwärts auf den Spuren unserer Besucher liefen. Nur geübte Spurenleser würden den Unterschied zwischen den frischen und den alten erkennen können. Im Wald angekommen begaben wir uns in unser Notquartier in der Höhle im Steinbruch. Wir kuschelten uns eng aneinander weil es hier draußen zwischen den Felswänden doch einiges kälter ist wie in den Häusern. Morgen werden wir weitersehen…