Читать книгу Theorien der Sozialen Arbeit - Christian Spatscheck - Страница 68
7.4 Wissenschaftsverständnis
ОглавлениеDer Theologe und Pädagoge Wichern erörtert 1845/46 ausführlich in seiner „Christlichen Erziehungs- und Unterrichtslehre“ das Verhältnis von Erziehung und Wissenschaft. Er bezeichnet die Erziehung „absichtlich zuvörderst als eine Kunst, um auszudrücken, dass sie ihrem letzten Grund nach etwas durchaus Praktisches (und Ideales) ist, wenigstens sich im Leben als solches erweist“ (vgl. Wichern 1975, 259 ff.). Das Wissen über Erziehung, in seinem Zusammenhang dargestellt, ergibt für Wichern eine Wissenschaft, die Erziehungslehre. Nach Wichern ist das Wissen über die Erziehung ein anderes Wissen als die Erziehung selbst. Die durch Erfahrung und Schrift erworbene Einsicht über das Erziehen und Erziehende wird zum Wissen über Erziehung, wo es sich über den ganzen Bereich desselben ausbreitet. Der Organismus solchen Wissens ist Wissenschaft und in diesem Falle Erziehungslehre. Das konstitutive Prinzip in ihr ist nicht der menschlichen Erfahrung entnommen, sondern die göttliche Weisheit selbst in Christo, die alle menschliche Erfahrung überragt, ein wahrhaft ideales Prinzip, durch dessen Zustimmung allein einem Gesetz oder Satz ein Ort in der christlichen Erziehungslehre zugeführt werden kann, wie jeder Satz und jedes Gesetz aus diesem Prinzip geflossen sein muss. Das Wissen über Erziehung ist das zur Klarheit gewordene und werdende Bewusstsein über die bezeichnete Tätigkeit (vgl. a. a. O., 263 f.).
Die Praxis wird nicht durch das Wissen begründet. Die Praxis ist für Wichern vielmehr „eine besondere eigentümliche Erweisung des göttlichen, uns in Christo mitgeteilten Geistes“. Die Praxis ist oft eher da als das Bewusstsein eines Wissens darüber. Ebenso wenig wird zuerst das Wissen durch die Praxis als solche begründet. „Das helle klare Wissen schöpft aus der Offenbarung und den durch sie bestimmten Verhältnissen und Erfahrungen des Lebens.“ Das richtige Verhältnis von Wissenschaft und Praxis ergibt sich nach Wichern allein aus der gegenseitigen, lebensvollen Beziehung beider aufeinander. Die göttliche Offenbarung ist das Prinzip christlicher Erziehungslehre (vgl. a. a. O., 265 f.).