Читать книгу Eduard Hanslick über Giuseppe Verdis Opern - Christian Springer - Страница 5
VORWORT
ОглавлениеIst von Eduard Hanslick die Rede, so fällt früher oder später unweigerlich die Bezeichnung „Kritikerpapst“. Dieser dubiose Begriff ist allerdings weniger ehrenvoll als vielmehr verräterisch, zeigt er doch, dass seine Anhängerschaft dem Kritiker Unfehlbarkeit zuschreibt und sich selbst als seine ihm blind ergebene Glaubensgemeinde definiert.
Genau das ist das Problem bei jeder Form von Kritik, die per definitionem eine prüfende Beurteilung nach begründetem Maßstab sein sollte. Dieser wiederum fußt auf musikalischen und technischen Parametern, die objektive Kritik ermöglichen, doch war und ist Musikkritik leider zumeist etwas Subjektives, weit entfernt davon, unfehlbar zu sein.
Das trifft auch auf Eduard Hanslick zu, den ein Verehrer folgendermaßen in Schutz zu nehmen versucht: „Die geschichtliche Gestalt Hanslicks ist der Nachwelt zumeist im Zerrspiegel kenntnisloser Entstellung oder übelwollender Verunglimpfung überliefert worden. Der bittere Haß R.[ichard] Wagners hat den Schwarm seiner Anbeter veranlaßt, Hanslick mit der verbohrten Engstirnigkeit der Proselyten zu verfolgen. Dadurch wurde der Fall Hanslick zum Schulbeispiel dafür, wie verfälschende Propaganda über fast einhundert Jahre hin kaum je nachgeprüften Urteilen zu allgemeiner Geltung verhilft.“{1}
Sobald die Worte „Entstellung“ und „Verunglimpfung“ im Zusammenhang mit Eduard Hanslick fallen, denkt man sogleich an Anton Bruckner, Franz Liszt, Richard Wagner, Hugo Wolf und Pjotr Iljitsch Tschaikowski, allesamt bedeutende Komponisten, die Hanslicks unqualifizierte Schmähungen hinnehmen mußten – ein Sündenregister, das weder verbohrter Engstirnigkeit noch verfälschender Propaganda bedarf, um als solches erkannt zu werden. Dafür sorgt Hanslick höchstselbst mit seinen hinlänglich überprüften krassen Fehlurteilen ebenso wie mit seiner inakzeptablen Wortwahl, die in vielen Fällen durchaus strafrechtlich relevante Dimensionen annimmt.
Der Umstand, dass Hanslick von ihm selbst in die Welt gesetzte Unwahrheiten über Verdis Opern – manche würden sie heute „alternative Fakten“ nennen –, die ihm bei Selbstzitaten anläßlich ihrer Jahrzehnte später erfolgten abermaligen Veröffentlichung in Buchform längst als solche bekannt sein mußten, unüberprüft, ja sogar genußvoll übernimmt, zeigt, dass er seine Vernichtungsfeldzüge mit voller Absicht betrieb und nicht willens war, etwas richtigzustellen oder zurückzunehmen, obwohl es sich längst als falsch oder obsolet erwiesen hatte.
Er verwendete in vielen seiner Kritiken ein äußerst beleidigendes, unsachliches Vokabular, über das er sich allerdings beschwerte, wenn es ihm selbst gegenüber angewandt wurde. So wie er von Tschaikowskis Violinkonzert geschrieben hatte: „Es bringt uns zum erstenmal auf die schauerliche Idee, ob es nicht auch Musikstücke geben könne, die man stinken hört“, warf er Verdi „ästhetischen bösen Willen“ vor und nannte dessen Opern „abstoßend, plump, roh, trivial, mühsam, dürftig, langweilig, peinlich, kindisch, grell, banal, gekünstelt, geschmacklos, gemein, fremdartig, unsympathisch“. Er attestierte der „Verdi’schen Musik ein schielendes, verlogenes Gesicht“, fand, dass sie mit „kramphafter Anstrengung“ komponiert sei und bezeichnete sie – Vischers{2} Diktum „Heinrich Heine sei die giftig gewordene Romantik“ plagiierend – als „giftig gewordene italienische Musik“. Er meinte, daß die „entsetzlichen Verdi’schen Pianissimo=Chöre [...] wie fernes Hundegebell“ klingen und befand zusammenfassend: „Verdi ist bei all’ seiner Intelligenz, seinem lebhaften, energischen Temperament eine gemeine Natur. Er hält es keine fünfzig Tacte aus, ohne einer Trivialität zu verfallen oder sie aufzusuchen.“ Das alles sagt weniger über die kritisierten Werke aus als über den Verfasser solcher Texte.
Bemerkenswert ist, dass im Vergleich mit den von Hanslick angegriffenen und künstlerisch in den Schmutz gezogenen Komponisten seine jahrzehntelangen Attacken gegen Giuseppe Verdi kaum Beachtung fanden und finden. Die Ablehnung und Zurückweisung von Hanslicks Verdi-Verkennung ist im deutschen Sprachraum traditionell äußerst schwach ausgefallen. Wenn gesagt wird: „Zwar sind auch die darin formulierten Einwände Ausdruck eines Mißverständnisses, eines deutschen Mißverständnisses, das nicht begreifen will, wie sehr für den Musikdramatiker Verdi die dramatische Situation alles, die Logik der Handlung fast nichts ist“{3}, greift diese halbe Absolution Hanslicks zu kurz, denn auch sie erfolgt aus deutscher Sicht, ignoriert die Tatsache, dass Verdi immer vom Wort her komponiert, vernachlässigt dabei Verdis wohlbelegte Intentionen in Hinsicht auf die psychologisch und dramaturgisch glaubhafte – somit in sich logische – Darstellung von Figuren und Situationen, und wird dem Komponisten deshalb in keinem Moment gerecht.
Wie anhand der Originalzitate zu sehen sein wird, ist Hanslicks Entwicklungskurve in Sachen Verdi sonderbar. Er beginnt seine Einschätzungen 1848 mit opportunistisch geifernder Wut, nimmt sich dann im Laufe der Jahrzehnte zuerst zu spöttischer Verachtung, dann zu herablassender Geringschätzung zurück, scheint sich in den 1870er Jahren ruckartig zu besinnen und in aufatmendes Erstaunen und tiefes Verständnis überzugehen, das fast in einen Widerruf seiner „Jugendsünden“{4} mündet, endet dann aber mit spektakulärem Unverstand.
Herr Univ.-Prof. Dr. Eduard Hanslick ist an dem immensen Verdi nicht gewachsen. Er ist ungeachtet der Einwände seines Duzfreundes Brahms, der Verdi für ein Genie hielt, an dem „geistlosen Charlatan“ kläglich gescheitert.
Ch. S.