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VERDIS WIEN-DEBUT IM SPIEGEL DER KRITIK

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In der k.k. Haupt- und Residenzstadt Wien wurden im Laufe der Jahrzehnte nach Verdis Wien-Debut (1843) fast alle seiner Opern aufgeführt, manche davon schon sehr bald nach ihrer Uraufführung.{16} Die Rezeption von Verdis Opern durch das Publikum spiegelt sich in den zeitgenössischen Werk- und Aufführungskritiken allerdings nur undeutlich wider, weil viele Rezensenten politischen, d.h. deutschnationalen Vorurteilsfraktionen angehörten und in ihren Kritiken weit mehr über ihre eigene sektiererische Engstirnigkeit als über das rezensierte Werk aussagten. Während das Publikum, wie an den Aufführungszahlen abzulesen ist, Neuheiten begeistert besuchte und Verdis Wien-Visite im Juni 1875 dem gefeierten Staatsbesuch eines beliebten Monarchen gleichkam, verhielt sich die Kritik den Arbeiten des Komponisten gegenüber vielfach zwiespältig bis ablehnend.

Für Verdi bedeutete sein Wien-Besuch im April 1843 eine doppelte Premiere. Es war seine erste Auslandsreise überhaupt, und der von Gaetano Donizetti einstudierte und von Verdi zweimal dirigierte Nabucco war die erste außerhalb Italiens aufgeführte Verdi-Oper. Mangels Technologien für die Aufnahme und Wiedergabe von Musik bedeutete dies auch die erste Begegnung von Wiener Publikum und Kritik mit einer Oper des hierzulande bislang unbekannten jungen Komponisten.


Giuseppe Verdi zur Zeit seines ersten Wien-Besuchs

Einige Zeitungsberichte über Verdis Wien-Debut sollen zeigen, wie unterschiedlich die Sichtweisen der Kritiker waren. Sie seien Eduard Hanslicks Urteil über den Nabucco ...

Die Oper machte sehr geringe Wirkung. Nur die Italianissimi im Publicum wagten es, ihr Wohlgefallen zu bekennen; die Kritik brandmarkte die Geistlosigkeit und Trivialität dieser Musik und protestirte damals noch gegen den entferntesten Vergleich Verdi’s mit Donizetti.“{17}

... gegenübergestellt. Ferdinand von Seyfried beispielsweise berichtet:

Diese Oper hat bei ihrem ersten Erscheinen in der vorjährigen Carnevalstagione im Theater alla Scala zu Mailand Furore gemacht und dem jungen Maestro schnell einen großen Ruf verschafft. Ich finde dieß bei der leichteren Erregbarkeit des italienischen Publicums recht gut erklärbar, zudem, als diese Musik im modernen Geschmack der neuitalienischen Schule – für welche die Bezeichnung „die lärmmachende“ vielleicht die beste wäre – gehalten ist. Ueberall wird tüchtig auf den Effekt losgearbeitet, und die Mittel, welche dazu gebraucht werden, sind geradezu keine gewöhnlichen. Verdi hat offenbar gute Studien gemacht und verräth ein Talent, das jetzt schon zu den seltenen gehört. Er wird nie langweilig, entwickelt einen reichen Born von Ideen, wenn auch nicht immer neuen, doch ungesuchten, instrumentirt gut, freilich oft gewaltig das Trommelfell berührend, und weiß sich der Conception des Dichters mit Glück anzuschmiegen. Begeistern kann er den Zuhörer selten, angenehm zu berühren weiß er ihn aber immer, weßhalb der Eindruck doch stets ein günstiger ist, wenn er auch nicht nachhaltig wirken kann. Recht wohltuend war, es zu bemerken, daß Verdi die Bedeutung des Chores erfaßt und diesen mit Vorliebe behandelt hat. Fast alle Chöre (und die Oper enthält deren recht viele) sind mit Fleiß und Studium ausgearbeitet und bringen großen Effect hervor. Der vorzüglichste ist aber der Klagechor der Israeliten im dritten Acte. Ich war mächtig davon ergriffen, mußte jedoch unwillkührlich lächeln, als ein Blick auf das Textbüchlein mir die Worte sehen ließ: „Ebrei incatenati e costretti al lavoro!“ Will der Dichter damit anzeigen, daß die Juden klagen, weil sie in Ketten geschmiedet sind und arbeiten müssen? Wozu soll der Nachsatz?{18}

Seyfried lobt dann die uraufführungserprobten Interpreten Giorgio Ronconi (Nabucco) und Prosper Dérivis (Zaccaria), die berühmte Teresa de Giuli Borsi (Abigaille), sowie die beiden jungen, noch wenig bekannten Sänger Giovanni Severi (Ismaele) und Francesca Salvini{19} (Fenena) und schließt dann:

Die Nummern, welche den größten Beifall fanden, waren ein Chor im ersten Akt, die Sortita Ronconi’s mit concertanter Begleitung von fünf Hauptstimmen und dem Chor in demselben Act (wiederholt), die Arie von de Giuli=Borsi im zweiten Acte, im dritten und gelungensten Act das Duett zwischen Letztgenannter und Ronconi (wiederholt) und der Eingangs berührte Klagechor der Juden, und im vierten Acte Ronconi’s Arie mit Chor und die Preghiera am Schluß (Vocal). Die Ausstattung mit durchaus höchst gelungenen neuen Dekorationen, fünf oder sechs an der Zahl, war in hohem Grade würdevoll. Die Oper wird sich mit Glück auf dem Repertoir behaupten. Das Theater war voll, obgleich Tausende und Tausende gleichzeitig ein Gratisschauspiel, der großartige „Zapfenstreich“ zu Ehren Sr. kaiserl. Hoheit des Erzherzogs Carl Ludwig in den Straßen beschäftigte.{20}

August Schmidt leitet seine Rezension des Nabucodonosor{21} mit einer allgemeinen Betrachtung über Sinn und Zweck der „Beurtheilung eines Kunstwerkes“ ein und setzt dann fort:


Der Kritiker August Schmidt

Die Empfehlung, welche dieser Oper durch die höchst beifällige Aufnahme bei ihrer ersten Aufführung in der Scala in Mailand voranging, berechtigte zu großen Erwartungen, und wenn dieser durch die hiesige Aufführung derselben nicht in dem Grade entsprochen wurde, als wir hofften, so ist wohl eher die tausendzüngige Fama, als der Componist oder sein musikalisches Werk anzuklagen. Sie versprach uns Außerordentliches, während wir nur Gewöhnliches zu hören bekamen. Diese Oper macht sich weder in harmonischer noch auch in melodischer Beziehung vor den contemporären Erzeugnissen dieses Genres der Opernmusik vorzugsweise bemerkbar. Dem melodischen Theile mangelt die Originalität der Erfindung, in harmonischer Beziehung aber sind die verschiedenartigen Einflüsse der deutschen, französischen und italienischen Schule bemerkbar. Da der Maestro jedoch diese fremdartigen Elemente nicht in der Art zu bemeistern verstand, um sie zu vereinigen und zu einem vollkommenen Ganzen zu gestalten, so ist der Eindruck, den diese rapsodischen discordirenden Tonformen hervorbringen, kein erfreulicher. Damit soll aber keineswegs gesagt seyn, daß Sigr. Verdi mit dieser Oper einen Mißgriff gethan, im Gegentheile ist sie ein verdienstliches Werk eines jugendlichen Talentes, das für die Zukunft Erfreuliches erwarten läßt, wenn die verschiedenartigen Einzelheiten sich consolidirt, der junge Maestro zu einer richtigen Kunstanschauung gekommen, und die Klarheit der Idee ihn zu dem wahren Verständnisse gebracht haben wird, wodurch erst die Selbstständigkeit seines Talentes wirksam heraustreten wird. Besonders lobenswerth ist die Behandlung seines Vocales in der Kenntniß der einzelnen Stimmkräfte und in der richtigen Benützung derselben, so wie in der künstlerischen Gewandtheit, mit der er schöne akustische Effecte hervorzubringen weiß, kann aber Verdi den besten italienischen Componisten der Jetztzeit an die Seite gesetzt werden. Bei den größten Fehlgriffen in der musikalischen Characteristik finden sich in diesem Werke wieder Stellen, die eine tief empfundene characteristische Auffassung beurkunden. Wie gesagt, der Herr Compositeur hat mit dieser Oper den Beweis für sein großes Kunstvermögen abgelegt, das uns Vieles und Schönes in der Zukunft erwarten läßt.

Die Aufführung war im Ganzen eine sehr gelungene, die Siegespalme aber gebührt Sigr. Ronconi in der Titelrolle, dem größten italienischen Sänger, den die neueste Zeit hervorgebracht hat. Welche geistreiche characteristische Auffassung, welche meisterhafte Darstellung verbunden mit der größten Kunstvollendung im Gesange! [...] Der Compositeur leitete die Aufführung selbst und wurde von dem Publicum freundlich empfangen.{22}


Der Bariton Giorgio Ronconi

Wie man sieht, sind Hanslicks weiter unten im Zusammenhang nachzulesende Behauptungen über den Nabucco unzutreffend, obgleich es außer seiner auch noch andere Gegenstimmen gab. Alfred Julius Becher beispielsweise dekretierte: „Mit einer solchen Plattheit der Erfindung dürfte sich kein Deutscher vor ein Publikum wagen.“{23} Oder ein anderer (anonymer) Rezensent:

Ist denn wirklich ein solch’ totaler Mangel an deutschen Original=Novitäten, daß man bei den Welschen borgen muss? Wir lesen von so vielen, in so vielen deutschen Städten mit so vielem Beifall aufgeführten deutschen Opern, von so vielen deutschen Tonsetzern, wir lesen davon so viel, und hören davon so wenig, oder gar nichts! Weshalb? Muß denn gerade, was andernwärts gefällt, in Wien mißfallen? [...] Oder, wenn man stolz genug ist, in Wien einen selbständigen Geschmack anzusprechen, warum bestellt man für diesen Geschmack nicht eigene, eigens für Wien verfaßte Werke? [...]

Von Auffassung des erhabenen religiösen Elementes, das im Stoffe lag, keine Idee; von Charakteristik im Allgemeinen, Charakteren im Besondern keine Ahnung; von eigentlicher Originalität, oder besser, von einem Style, keine Spur; Alles Manier, überkommene Manier von Donizetti,Bellini,ja Meyerbeer ; aber, wie gesagt, einzelne hübsche Arien, Duetten, Chöre, wirksame Behandlung der Stimmen, Theatereffekt u.s.w. in so genügender Masse – daß es der Masse am Ende gefällt, oder sie wenigstens nicht langweilt.{24}

Nachdem die Leistungen der Sänger der deutschsprachigen Aufführung ausführlich besprochen wurden, lässt der Anonymus weitere interessante und kuriose Hinweise folgen:

Das Finale des ersten Aktes mußte zum Theile wiederholt werden, so wie der ganze Chor der Israeliten im dritten Akte (wohl der gelungenste der Partitur) trotzdem, daß sich die Sänger darin vom Orchester sehr merklich nachziehen ließen. [...] Die Ausstattung war, wenn nicht uneben, doch keineswegs splendid; namentlich fiel uns die komische Uniformirung der assyrischen Armee mit Pickelhauben und mittelalterlichen Knappenröcklein auf. Ueberhaupt schien auf ein historisches Kostüm gar keine Rücksicht genommen zu werden; Assyrier, Römer, Griechen, Spanier, Deutsche – versteht sich, mittelalterlich – werden so ziemlich gleich uniformirt. Oekonomie! Der Besuch war sehr zahlreich, der Beifall sehr groß.{25}

Im ersten Teil dieser Rezension zeigt sich jene engstirnige nationalistische Grundhaltung, die zu dieser Zeit auch anderswo zu beobachten ist. (Die bis heute nicht überwundene Xenophobie hat in Wien, auch wenn die Stadt große Zugewanderte wie Mozart, Beethoven oder Brahms vereinnahmte und Rossini, Donizetti oder Nicolai mit offenen Armen aufnahm, eine lange Tradition.)

Eduard Hanslick über Giuseppe Verdis Opern

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