Читать книгу Eduard Hanslick über Giuseppe Verdis Opern - Christian Springer - Страница 8
DER VERDI-KRITIKER OTTO NICOLAI
ОглавлениеEs überrascht nicht, dass im selben Blatt auch Otto Nicolai (Königsberg 1810 – Berlin 1849) Kritiken veröffentlichte, jener von Italien zutiefst frustrierte preußische Komponist, der nach der unfreiwilligen Trennung von seiner italienischen Verlobten Erminia Frezzolini, einer berühmten Sopranistin, und seinem darauf folgenden, nicht ganz freiwilligen Abgang von der italienischen Musikszene nicht mehr zu den Freunden der italienischen Kollegenschaft zählte und sich in die Reihe der vehementen Kritiker zeitgenössischer italienischer Opern einreihte.
Das Nabucco-Libretto von Temistocle Solera war von Bartolomeo Merelli, dem Impresario des Teatro alla Scala, zuerst Otto Nicolai angeboten worden, der sich mit seiner italienischen Erfolgsoper Il templario{26} (nach Walter Scotts Roman Ivanhoe; Turin 1840) neben den Erfolgskomponisten des Tages behaupten hatte können. Nicolai lehnte es ab, den Nabucco zu vertonen und entschied sich für Il proscritto, der ursprünglich Verdi angeboten worden war und den dieser nicht komponierte. Diese Oper fiel im März 1841 mit gravierenden Konsequenzen durch und Nicolais Karriere in Italien erfuhr durch den Mißerfolg ein abruptes Ende (die Oper wurde in Wien 1844 unter dem Titel Die Heimkehr des Verbannten aufgeführt). Er verlangte daraufhin von Merelli die Auflösung seines Vertrages. Seinem Wunsch wurde entsprochen und er ging nach Wien, wo er er zähneknirschend vom Erfolg des Nabucco erfuhr. Zu seinen italienischen Kollegen und zu Verdi fiel ihm nichts besseres ein als:
Wie sehr ist aber auch Italien in den letzten 5 Jahren gesunken?! Donizetti lebt fast immer in Paris oder Wien, in welch letzterer Stadt er jetzt als k.k. Kammerkapellmeister und Hofkompositeur mit 4000 fl. Gehalt auf Lebenszeit engagiert ist – und thut nichts mehr für Italien. Rossini ist ganz verstummt. Wer jetzt in Italien Opern schreibt ist Verdi. Er hat auch den von mir verworfenen Operntext Nabucodonosor komponiert und damit großes Glück gemacht. Seine Opern sind aber wahrhaft scheußlich und bringen Italien völlig ganz herunter. * – Ich denke unter diese Leistungen kann Italien nicht mehr sinken – und jetzt möchte ich dort keine Opern schreiben.{27}
Nicolais Frustration ist deutlich spürbar. Über Verdi hat er an der mit * bezeichneten Stelle auch eingetragen: „Er instrumentiert wie ein Narr – ist kein Meister in technischer Hinsicht – muß ein Herz wie ein Esel haben und ist wirklich in meinen Augen ein erbärmlicher, verachtenswerter Kompositeur.“{28} Was sich jedenfalls wie bösartige Kritikerinkompetenz liest, war der Ärger über den Erfolg der Oper des fast gleichaltrigen Kollegen. Es schien aber weniger Erfolgsneid zu sein als vielmehr die bedauernde Einsicht über die Beschränktheit der eigenen musikdramatischen Mittel:
Das für Mailand bestimmte neue Buch von Temistocle Solera „Nabuco“ war durchaus unmöglich in Musik zu setzen – ich mußte es refüsieren, überzeugt, daß ein einziges Wüten, Blutvergießen, Schimpfen, Schlagen und Morden kein Sujet für mich sei. – Der Nabuco taugte nicht. Der Proscritto taugte nicht.{29}
Wenig bekannt ist, dass Nicolai 1844 in Wien eine weitere private Frustration erlitt, als er erfolglos um die Hand der jungen Mathilde Graumann anhielt, die als Mathilde Marchesi bald eine der gefragtesten Gesangspädagoginnen Europas wurde.
Der Komponist Otto Nicolai
Selbstverständlich fand sich auch ein Kritiker, der meinte, Verdi als phantasielosen Plagiator entlarvt zu haben:
Verdi ist ein Eklektiker und setzt unverzagt seine melodischen Saugröhren bald an den Werken Rossini’s und Bellini’s, bald an jenen Mercadante’s und Donizetti’s an; dies die Ursache, warum diese Gedanken häufig Gefallen und Mißfallen zugleich erregen: ersteres, weil man sie hört, letzteres weil man sie erkennt.“{30}
Bedauerlicherweise teilte der Experte nicht mit, welche Anklänge an welche Werke er vernommen zu haben glaubte.
Das auch damals schon interpretenbesessene Wiener Publikum feierte also die Sänger und verlangte ihnen Wiederholungen ab. Interessanterweise wurde der Erfolg der Oper dem Konto der Sänger und nicht dem des Komponisten gutgeschrieben, obwohl die verlangten und gewährten Wiederholungen keine Solostücke waren, sondern Duette, Ensembles und Chöre.
Dass der Chor „Va, pensiero“ aus der Feder des großen Bewunderers der Chorwerke Händels (dies ist eine Parallele zwischen Verdi und Beethoven) damals in Wien noch nicht als zentrales Element der Oper verstanden wurde und vom Wiener Publikum unbeachtet blieb, ist – wie den Berichten Seyfrieds und des Anonymus der „Wiener Allgemeinen Musik-Zeitung“ zu entnehmen ist – wie vieles in der Verdi-Rezeption eine Legende.