Читать книгу Eduard Hanslick über Giuseppe Verdis Opern - Christian Springer - Страница 6

MUSIKKRITIK IM ITALIEN DES 19. JAHRHUNDERTS

Оглавление

Dumme Kritiken und noch dümmere Lobhudeleien: kein erhabener, künstlerischer Gedanke; nicht einer, der meine Absichten begriffen hat; immerzu albernes Geschwätz und Unsinn, und hinter allem eine gewisse Mißgunst mir gegenüber, als hätte ich ein Verbrechen begangen, daß ich die Aida geschrieben habe und sie gut aufführen habe lassen. Keiner, der wenigstens die ungewöhnliche Aufführung und mise en scène hervorgehoben hätte! Nicht einer, der zu mir gesagt hätte: Hund, ich danke dir!{5}

In dem Ärger, den Verdi anlässlich der Kritikerreaktionen auf seine von ihm selbst am Teatro alla Scala in Mailand inszenierte europäische Erstaufführung von Aida äußerte, schwingt die Diagnose eines bemerkenswerten, dem Komponisten schmerzhaft bewussten Phänomens mit, das seine gesamte Karriere begleitete: das fast völlige Fehlen einer seiner künstlerischen Statur und Entwicklung entsprechenden zeitgenössischen Musikkritik.

Zwar gab es in Italien den zu seiner Zeit führenden Kritiker Filippo Filippi (1830-1887), einen Juristen, der auch eine musikalische Ausbildung genossen hatte und ab 1858 als Musikkritiker bei Ricordis Gazzetta Musicale di Milano tätig war, diese von 1860 bis 1862 leitete und von 1859 bis zu seinem Tod Kritiker bei der Perseveranza sowie bei weiteren Fachpublikationen wie der Gazzetta Musicale di Napoli war, doch verstellte ihm seine Wagner-Bewunderung die ungehinderte objektive Sicht auf Verdis Schaffen (obwohl er zwiespältig aufgenommene Opern Verdis wie den Simon Boccanegra durchaus verteidigte).


Der Kritiker Filippo Filippi

So befand Filippi beispielsweise – von der Atmosphäre der musikalischen Zwietracht des neuen Italien infiziert, wo futuristische Musik und von jenseits der Alpen importierter Modernismus die Oberhand zu gewinnen schienen, obwohl man all das nicht wirklich verstand und vorwiegend nur aus Kunst-Snobismus zu goutieren vorgab –, dass in der Aida die Verschmelzung von Altem und Neuem nicht so gut gelungen sei wie im Don Carlos. Und er fügte die polemische Bemerkung hinzu, dass den Einfluss von Gounod, Meyerbeer und Wagner auf Verdi zu leugnen der Behauptung gleichkomme, die Sonne sei dunkel. Bei näherer Betrachtung stellt sich allerdings heraus, dass derlei Äußerungen weniger durch profunde Musikanalysen denn durch beleidigte Eitelkeit begründet waren: Verdi hatte Filippis Angebot, nach Kairo zu reisen{6} und von den dortigen Aida-Proben zu berichten, trocken abgelehnt. Zu La forza del destino war Filippi nichts Klügeres eingefallen, als Verdi öffentlich eines Plagiats zu bezichtigen: Er meinte, in Leonoras Arie „Pace, pace mio Dio“ Anklänge an Schuberts „Ave Maria“ vernommen zu haben.{7} Entgegen seiner sonstigen Gewohnheit reagierte Verdi nach Rücksprache mit seinem Verleger Giulio Ricordi auf diese absurde Anschuldigung und wies sie brieflich, nicht ohne Ironie, zurück.{8}

Filippis Verdi-Kritiken, immerhin die Arbeiten eines professionellen Musikkritikers, gingen in keinem Moment so in die Tiefe wie die 1859 in Florenz erschienene Arbeit Studio sulle opere di Giuseppe Verdi{9} von Abramo Basevi (1818-1885), einem Arzt aus Livorno, der neben seinem Brotberuf eingehende musikalische, philosophische und psychoakustische Studien betrieben hatte. Dieses Werk bewies Einsichten in die Kompositionen Verdis, wie sie der Musikkritik der Zeit verschlossen waren. Nicht umsonst wird Basevis Werk in Italien bis heute immer wieder neu aufgelegt.


Der Kritiker Abramo Basevi

Ansonsten war die Musikkritik im Italien des 19. Jahrhunderts vorwiegend „Dilettanten, Stümpern, Chronisten und ignoranten Pseudojournalisten“{10} anvertraut. Musikanalysen der Arbeiten Rossinis, Bellinis, Donizettis oder Verdis gab es zu deren Lebzeiten in Italien fast überhaupt nicht. Viele Rezensionen gaben oft nur geschwätzig und schwülstig subjektive Hörerlebnisse oder Beschreibungen des Verlaufs von Opernabenden oder Konzerten sowie der Publikumsreaktionen wieder, ohne auf die Musik oder deren Interpretation einzugehen. Dieser Musik-Boulevardjournalismus beschränkte sich vielfach auf die Wiedergabe von Theaterklatsch und Berichte über lächerliche Banalitäten im Umfeld der Oper wie die Toiletten der Damen oder ihr glitzernder Schmuck. Man mag über den Stellenwert von Musikkritik – sowohl der Werkkritik als auch der Interpretationskritik – als Mittel der Weiterentwicklung eines Künstlers durchaus geteilter Meinung sein, doch dass sie über das Niveau von Hagiographien, Operntratsch, Ablaufberichten von Premieren und geistlosen Betrachtungen des bei diesen Gelegenheiten stattfindenden Gesellschaftslebens hinausreichen sollte, ist wohl unbestritten.

Zwar konnte man den Opernkritiken entnehmen, welches Werk aufgeführt wurde, doch wie es gesungen und gespielt wurde, blieb zumeist im Dunkeln. Anders verhielt sich dies bei Konzerten, bei denen in den Kritiken sogar oft unklar blieb, welche Werke gespielt wurden. Dies ist bei der in Italien damals üblichen Form der Konzerte – mit Opern-Ouverturen oder kurzen Symphonien, Instrumentalkonzerten oder einzelnen Sätzen aus solchen, beliebten Opernarien, bei denen beispielsweise ein berühmter Geiger wie Paganini den Vortrag einer berühmten Sängerin wie Giuditta Pasta begleitete und paraphrasierte usw. – gravierend, da ihre Programme nur in wenigen Fällen komplett rekonstruiert werden können.

Das Programm eines solchen Konzertes – es fand in Triest am 15. November 1824 statt – sah beispielsweise wie folgt aus:

Erster Teil

Vorspiel für großes Orchester.

Kavatine aus La gazza ladra des Maestro Rossini, gesungen von Signora [Antonia] Bianchi.

Konzert in einem Satz in E, ausgeführt von Paganini.

Zweiter Teil

Ouverture für volles Orchester.

Kavatine aus Il barbiere di Siviglia des Maestro Rossini, gesungen von Signora Bianchi.

Rezitativ und drei bekannte Arien mit Variationen einzig auf der vierten Saite der Violine, ausgeführt von Paganini.

Dritter Teil

Lebhafte Symphonie für volles Orchester.

Kavatine mit Echo aus La pietra del paragone des Maestro Rossini, gesungen von Signora Bianchi und ausgeführt von Paganini.

Sonate für großes Orchester.

Larghetto und kleine Polonaise mit Variationen, ausgeführt von Paganini.

Zwar kann man rekonstruieren, dass es sich beim Programmpunkt 3 um Paganinis Konzert für Violine und Orchester Nr. 1 handelte, von dem dieser oft nur den ersten Satz spielte, doch sind Autoren und Werke der Programmpunkte 1, 4, 6, 7, 9 und 10 nicht eruierbar. Da von der Presse schon den Programminformationen so geringe Bedeutung zugemessen wurde, kann man sich unschwer vorstellen, dass sich Zeitungsleser wohl oder übel mit Berichten wie dem folgenden zufriedengaben:

Die Violine Paganinis, die über die Menschen solch eine magische Macht ausübt, hat keine Gewalt über das Wetter, das den ganzen Tag und besonders gestern sehr schlecht war. Aber was macht das schon! Das Verlangen, ihn zu hören, war so stark, dass trotz des strömenden Regens der Zulauf gewaltig war; wunderschöne Damen schmückten alle Logen; und bereits lange bevor es beginnen sollte, blieb im Parkett kein Platz mehr frei. Paganini erschien. Seine ersten Töne erregten Bewunderung und Erstaunen, auf diese folgte Begeisterung, und der Saal hallte wider vom Beifall.{11}

Was hätte man über Paganini Spielweise, seine Phrasierungen, seine Griff- und Bogentechnik sowie seine Scordatura-Tricks nicht alles berichten können, wären kompetente Kritiker am Werk gewesen!

In Frankreich (Paris galt zu Verdis Zeit als das musikalische Zentrum Europas) wurden Verdis Opern fast ausschließlich{12} in französischen Übersetzungen und Adaptierungen aufgeführt. Jérusalem kam in Paris als Umarbeitung und teilweise Neufassung der Lombardi heraus, Macbeth in Form einer Revision, Les Vêpres siciliennes und Don Carlos wurden in französischer Sprache eigens für Paris komponiert. Selbst Otello und Falstaff erschienen in französischen Übersetzungen (bei denen allerdings der Librettist Arrigo Boito die Hand federführend im Spiel hatte), wobei für ersteren die vom Pariser Publikum gewünschten Balletteinlagen nachkomponiert wurden. Es ist daher nicht weiter überraschend, dass etliche von Verdis „französischen“ Opern trotz aller formalen Konzessionen an den Pariser Geschmack aufgrund des leichten Hanges der Franzosen zum Chauvinismus als Arbeiten eines Ausländers, dem das Wesen der französischen Musik und des französischen Geschmacks zwangsläufig fremd sein mußte, zwiespältig bis ablehnend aufgenommen wurden. Berühmtheit erlangt haben Äußerungen wie jene von Georges Bizet, der über den Don Carlos befand:

Verdi ist kein Italiener mehr. Er macht Wagner. Er hat nicht mehr seine bekannten Fehler, aber auch nicht einmal mehr eine einzige seiner guten Eigenschaften. Die Schlacht ist für ihn verloren, und seine Oper liegt nunmehr im Todeskampf – in einer Agonie, die sie lediglich der Weltausstellung zu danken hat, die länger als normal dauert.{13}

Was hätte der sechs Jahre nach dieser Äußerung im Alter von weniger als siebenunddreißig Jahren verstorbene Bizet wohl über Otello und Falstaff gesagt?

Obwohl die Stimmung ausländischen Komponisten gegenüber im deutschen Sprachraum etwas offener als in Frankreich war, wurde hier wie auch in Italien die Verdi-Rezeption vor allem durch die enorme Publikumsbegeisterung bestimmt und weniger durch Publikationen der Musikkritik und Musikwissenschaft. Es drängt sich wohl oder übel der Eindruck auf, dass sich deren Vertreter nur äußerst widerwillig zu einer Beschäftigung mit dem Thema Verdi herbeiließen. Dies ist vor allem dadurch erklärbar, dass – wie anhand des Beispiels Hanslick zu zeigen sein wird – als Beurteilungskriterium für italienische Opern das spezifisch deutsche instrumentale Musikverständnis{14} herangezogen wurde.

Gerüchteweise und äußerst vage war in Italien in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts bisweilen von einer nur wenigen Fachleuten bekannten rabiaten Kritikerzelebrität, die in Wien publizierte, die Rede. Es handelte sich dabei um Dr. Eduard Hanslick, einen einschlägig vorgebildeten Musikexperten und Ordinarius für Geschichte und Ästhetik der Musik an der Universität Wien, der seine Kritiken nach eigener Aussage für ein musikalisch hochgebildetes Publikum schrieb, das „einem künstlichen Gewebe von harmonischen und kontrapunktischen Verschlingungen zu folgen liebt“ und der die Musikkritik nicht nur in Wien, sondern im gesamten deutschen Sprachraum trotz seiner heftigen Abneigung gegen Größen wie Liszt, Wagner oder Bruckner dominierte. Noch Mitte des 20. Jahrhunderts war der Bekanntheitsgrad von Hanslicks Verdi-Kritiken in Italien verschwindend gering, was auch einen Schluß auf die geringe Wertschätzung zuläßt, die ihnen in Italien entgegengebracht wurden. Die Kenntnis dieser Texte war auf so wenige Experten beschränkt, dass der Musikwissenschafter Massimo Mila noch 1951, anläßlich der Gedenkfeiern zum 50. Todestag Verdis, noch unwidersprochen schreiben konnte:

Es ist wenig bekannt, daß trotz all diesem Elend auf dem Gebiet der Kritik [in Italien] die Musik Verdis im vergangenen Jahrhundert doch auch von einem bedeutenden Kritiker – allerdings nicht in Italien – beurteilt wurde, nämlich Eduard Hanslick, dem Autor jener kleinen Abhandlung Vom Musikalisch-Schönen, die der bekannteste Beitrag ist, den die Musik[kritik] zur Ästhetik geleistet hat, jenem unversöhnlichen Gegner der Kunst Wagners, dem Paladin der Brahms’schen Klassik.{15}

Milas Text ist zu entnehmen, dass er Hanslicks Beurteilungen von Verdis Opern nicht kannte. Er hätte sich sonst ganz anders geäußert.

Wie die Begegnung des Kritikers Hanslick (der mit dem Komponisten zwei Mal zusammentraf) mit der Musik Verdis im Detail aussah, soll in der Folge dargestellt werden. Nicht unerwähnt darf bleiben, dass die – wie zu sehen sein wird – nicht nur überhebliche, sondern fast durchgängig irrige Haltung Hanslicks Verdi und dessen italienischen Kollegen gegenüber hier aus dem Blickwinkel der italienischen „Musikbolde“ (© Eduard Hanslick) betrachtet wird.

Eduard Hanslick über Giuseppe Verdis Opern

Подняться наверх