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Vorspiel
ОглавлениеZeit: Vergangenheit – Gegenwart – Zukunft = Ewigkeit
Koordinate: Olympus – Intermittierende Zwitterdimension
Interessiert musterte die Schicksalsgöttin Atrophos den Lebensfaden,
den sie soeben locker in der Hand hielt. Sie erkannte mit ihren
feinen Sinnen intuitiv die großen schicksalsschweren Zusammenhänge,
die sich in der seltsamen Struktur dieses Faden verbargen.
Nachdenklich betrachtete sie den seidig glänzenden Stoff, der aus
dem Nichts der Ewigkeit gesponnen war und vom sagenumwobenen
Baum des Schicksals stammte. Lange sann sie vor sich hin und
langsam dämmerte es ihr. Nämlich die Erkenntnis, dass sie diesen
Faden eigentlich nicht in ihren Händen hätte halten sollen. Mit einer
im wahrsten Sinne des Wortes fadenscheinigen Bitte um einen
Besuch bei ihm, dem großen Gegenspieler, wollte der Vater der
Lüge sie am heutigen Tag von ihrer Arbeit fernhalten.
War eine Schicksalsgöttin verhindert, übernahm in der Regel
eine ihrer beiden Schwestern die Arbeit. Leider nicht mit der gewohnten
Gründlichkeit, die ihr selbst bei der eigenen Tätigkeit
zur Selbstverständlichkeit geworden war. Sie war die Älteste und
Mächtigste unter den drei Nornen und schlussendlich ging es um
die Schicksale intelligenter Lebewesen. Und das war etwas so Bedeutungsvolles,
dass man es nicht oberflächlich erledigen durfte.
Da sie keine Lust verspürt hatte, dem Fürst der Lüge gefällig zu
sein und sie zudem einer inneren Eingebung nachgeben wollte,
entschied sie sie sich kurzfristig gegen diesen Besuch. Ihrer jüngeren
Schwester Lachesis wäre auf Grund geringerer Erfahrung bei
diesem Aspekt der Arbeit wahrscheinlich nichts Ungewöhnliches
an dem Faden aufgefallen. Denn es war, musste Atrophos ehrlicherweise
zugestehen, in der Tat wirklich sehr schwer festzustellen,
was an dem Gewebe nicht in Ordnung war. Die Bedeutung des Faden
zu erkennen, erforderte einen intensiven Einblick in das Leben
dieser Person. Erst im Zusammenhang mit anderen Beziehungsfäden
offenbarte sich der teuflisch schlaue Plan sowie das Muster,
das dahinter verborgen lag.
Für solche, weit in die Zukunft reichende als auch ausgeklügelte
Machenschaften, kam nur einer infrage, der Fürst der Lüge
höchstpersönlich. Tief atmete Atrophos ein und gedachte der Zufallsgöttin
Tyche mit einem warmen Gedanken. Endlich kam sie
zu einer Entscheidung und nahm geistigen Kontakt zu einem der
Wächter der Ewigkeit auf und bat um Erlaubnis für einen Eingriff in
das Schicksalsgefüge des Schöpferplans. Im Bruchteil eines Augenblicks
übermittelte sie dem Wächter des Schicksals ihre Absicht
und beendete dann die Verbindung. Die Antwort ließ diesmal
erstaunlich lange auf sich warten. Doch nach einiger Zeit, die
der Schicksalsgöttin wie eine Ewigkeit vorkam, meldete sich mit
einem leisen Klopfzeichen der Wächter in ihrem Geist. Eindeutig
erkennbar an seinem individuellen Signum, das nicht einmal der
Fürst der Lüge zu fälschen imstande war, wie sie vermutete. Und
es niemals, dessen war sich Atrophos so gut wie sicher, auch nicht
versuchen würde, denn hinter den Wächtern stand der Schöpfer
selbst.
›Deinem Ersuchen wird stattgegeben, Atrophos. Du kannst die
erforderlichen Maßnahmen einleiten und wirst dich persönlich
darum kümmern, dass alles im Sinne des großen Plans umge17
setzt wird. Wir raten dir daher, dich selbst zu inkarnieren, damit
du zeit- und ortsnah die notwendigen Dinge in die Wege leiten
kannst. Übergib deine laufenden Arbeiten einer von uns legitimierten
Kopie deiner Selbst, die wir dir unverzüglich schicken.
Deren Aufgabe ist selbstverständlich, wie du sicher weißt, befristet
bis zum Augenblick deiner Rückkehr. Die She’ek dürfen keinesfalls
die Herrschaft über das Magische Universum erlangen. Zu
viel Schaden würde im Plan des Schicksals angerichtet, sollten sie
mit ihrem Vorhaben erfolgreich sein. Es wird vom Schöpfer selbst
nicht hingenommen, wenn sein Alter Ego versucht, den She’ek
Zutritt in ein Universum zu verschaffen, in dem sie im großen
Plan nicht vorgesehen sind.‹
Atrophos frohlockte innerlich, denn endlich bekam sie die erhoffte
Genehmigung für ihr Vorhaben und konnte dem großen
Gegenspieler damit eine empfindliche Niederlage beibringen. Dafür
war sie nur allzu gern bereit, als körperliche Inkarnation eine
oder auch mehrere menschliche Zeitspannen auf besagtem Planeten
zu verbringen. Es gab ihr Gelegenheit, die Geschehnisse vor
Ort zu beeinflussen und im Sinne des großen Plans zu lenken.
Sofort ging sie ans Werk und informierte ihre beiden Schwestern,
die ihre Aufgaben weiterführen würden, bis eine Kopie ihrer
Selbst, von den Wächtern der Ewigkeit erschaffen, als Ersatz
eintraf. Nachdem sie nochmals gründlich über ihren Plan nachgedacht
hatte, setzte sie sich mit Chronos, dem Gott der Zeit, in
Verbindung, denn er musste ihr bei ihrem Vorhaben Unterstützung
leisten. Sie hatte zu dem sympathischen Chronos ein gutes,
sogar inniges Verhältnis und er würde ihre Bitte nicht abschlagen,
zumal sie praktisch im Auftrag der Wächter handelte. Der geistige
Kontakt erfolgte schnell und hatte augenblicklich eine warme und
herzliche Vertraulichkeit.
›Was kann ich für meine teuerste Freundin tun, meine liebe
Atrophos?‹ erkundigte sich die warme Geiststimme von Chronos.
Sanft streichelte Atrophos mit ihrem mentalen Fühler über das
Bewusstsein ihres vertrauten Kollegen und gelegentlichen Liebhabers.
›Fühle dich umarmt, Chronos! Du kannst mir helfen, unserem
gemeinsamen Widersacher eine Niederlage beizubringen. Ich
habe bereits die Erlaubnis der Wächter erhalten, eine Änderung
im Schicksalsgewebe vornehmen zu dürfen. Mein lieber Chronos,
unser geschätzter Freund Mephisto plant eine große Sache. Mit
unerfreulichen Folgen für den Ablauf des vorgesehenen Schicksalsplanes.
Nur durch Zufall bin ich darauf aufmerksam geworden.
Nun, tatsächlich ist meine Freundin Tyche wohl schuld daran,
dass aus der Einladung Mephistos nichts geworden ist. Wenn
mir die Bedeutung dieses Fadens entgangen wäre, würden wir das
Magische Universum mit großer Wahrscheinlichkeit an die She’ek
verlieren und das darf nicht geschehen, dieses hat mir der Wächter
ausdrücklich bestätigt. Nun, da wir von diesem hinterhältigen
Plan erfahren haben und der Faden noch nicht zu Ende gesponnen
ist, bleibt noch Gelegenheit, diese Katastrophe zu verhindern.
Wirst du mir helfen?‹
Die Antwort vom Gott der Zeit kam ohne Verzögerung und
ließ durch eine zart angedeutete Vibration bereits auf eine gewisse
Vorfreude schließen.
›Aber sicher doch, meine Liebe, wie könnte ich dir diese Bitte
abschlagen. Vor allem, wenn es darum geht, unserem alten Freund
einen Denkzettel zu verpassen. Ihm einen seiner hinterlistigen Pläne
zunichte zu machen, ist doch immer ein Vergnügen für mich.
Sag mir, was ich machen soll und betrachte es als erledigt. Und –
was ich noch sagen wollte, meine Liebe. Lass dich bei Gelegenheit
wieder bei mir sehen. Es wäre doch endlich einmal an der Zeit, uns
intensiv und ausgiebig miteinander auszutauschen. Ich habe dich
ja seit Ewigkeiten nicht mehr leibhaftig gesehen, Ato, geschweige
denn umarmt.‹
Die Schicksalsgöttin musste über seine Gedanken schmunzeln,
denn Zeit und Ewigkeit waren ihm anvertraut. Doch konnte er, in
gewissen vorgegebenen Grenzen, über diese schöpferischen Elemente
nach Belieben verfügen und daher war diese Aussage zumindest
zweideutig zu verstehen. Sie lächelte still in sich hinein.
Dieser Chronos, er konnte es nicht lassen, der alte und ewig junge
Satyr versuchte stets, sie oder einer ihrer Schwestern zu becircen.
Obwohl sie alle bereits ein mehr oder weniger intimes Verhältnis
zu ihm unterhielten. Das blieb bei dem engen Kontakt, den sie
naturgemäß miteinander hatten, einfach nicht aus. Außerdem fand
sie ihn als Mann durchaus sehr attraktiv und andere Gelegenheiten,
sich angenehmen Sinnesfreuden hinzugeben, waren in der Abgeschiedenheit
ihrer außerdimensionalen Existenzblase bei Weitem
nicht so reizvoll und interessant. Jedoch musste sie Nachsicht walten
lassen. Obwohl er der Gott der Zeit war, entgingen ihm solche
Dinge oft in der Hektik seiner Arbeit. Er wusste manchmal einfach
nicht mehr, mit wem er gerade ein Verhältnis unterhielt oder
wie oft oder wie lange …
Eindringlich erklärte sie Chronos ihr Anliegen und dieser wieherte
förmlich vor Vergnügen
›So sei es, Atrophos. Lassen wir deinen Plan geschehen‹. Und
mit diesen Gedanken hob er seine Uhr und ließ den Sand der Zeit
rückwärts fließen …
Zeit: Vergangenheit
Koordinate: System Magica
Hell und feurig strahlte der mächtige Stern und sandte seine
Lichtboten in das Universum hinaus. Fünf mehr oder weniger
große Planeten umkreisten ihr Muttergestirn in unterschiedlichen
Abständen. Und viele Milliarden Meilen von der Sonne Magica
entfernt bildete eine formlose wolkige Schale aus Eis und Gesteinsbrocken
die Grenze des Systems zum offenen Sternenmeer.
Hier, gefangen in der Dunkelheit und Einsamkeit am Rande des
Nichts, bewegten sich die Frühgeburten aus der Entstehungszeit
des Muttergestirns auf ihren ewig gleichen Bahnen und drehten
sich dabei taumelnd um ihre Achse. Sie vollendeten ihren Reigen
um das ferne Zentrum in tausenden von Jahren. Hin und wieder
stießen sie mit kleineren oder größeren Geschwisterbrocken zusammen,
um dann, gezogen von der filigranen Schwerkraft der
fernen Mutter, mit zunehmender Geschwindigkeit in den inneren
Lebenskreis einzudringen. Kein intelligentes Wesen konnte
20 erahnen, was für Auswirkungen dieses Geschehen, weit ab der bewohnten
Welten, haben mochte. Wirklich keins …?
Fern vom Muttergestirn verschob sich in der Wolke aus Geröll
und erstarrten Gasen ein Energiequant um den Bruchteil einer
Winzigkeit, was zur Folge hatte, dass sich die Bahn eines kleineren
Gesteinsbrockens veränderte. Er war ein Winzling unter Millionen
anderer Mitglieder seiner Familie aus Eis, Stein und Erz und hatte
nur die Größe einer kleinen Hütte.
Jetzt trieb er langsam auf einen mächtigen Felsen von fast tausend
Yard Durchmesser zu und stieß ihn sanft an. Von diesem
Hauch einer Berührung geküsst, verließ der Berg aus Stein in den
nächsten tausend Umläufen seine Jahrmillionen alte Bahn. Er
nahm Kurs auf das ferne Zentrum und strebte unaufhaltsam diesem
entlegenen Licht entgegen.
Es sollten viele Zeitalter vergehen, in denen der fliegende Berg
mehrmals das helle Licht umkreiste, bis sich der uralte Felsen mit
hoher Geschwindigkeit einer der inneren Welten näherte.
Eines kommenden Tages lag, wie es die Schicksalsgöttin Atrophos
geplant hatte, der Planet Joy direkt auf seinem Kurs und
würde die Verschmelzung des Kindes aus Gestein und Erz mit seinem
Muttergestirn verhindern. Noch war kein intelligentes Leben
auf Joy vorhanden, denn die Zeit der Lemurer oder Menschen war
noch nicht gekommen. Deren Existenz lag noch Millionen von Jahren
in ferner Zukunft und näherte sich der kommenden Gegenwart
nur langsam, Schritt für Schritt. Doch der Kontinent, welcher
dereinst Alurien heißen sollte, hatte sich bereits aus heißer Magma gebildet.
Ebenso erhoben sich unzählige Inseln aus dem weiten grünblauen
Meer, in dem sich reiches und vielfältiges Leben entwickelte.
Üppige Vegetation hatte sich über den ganzen Planeten
ausgebreitet und dichte Wälder bedeckten das grüne Land, über
das unzähliges Getier auf Suche nach Nahrung umherzog.
Alles schien im Einklang mit der Natur, bis eines Tages der
Himmel über den fruchtbaren Savannen aufglühte und ein
grelles Licht innerhalb weniger Sekunden wie eine feurige Lanze
durch die Atmosphäre stieß. Wie ein titanischer Hammerschlag
traf der glühende Felsbrocken auf den nördlichen Rand Aluriens.
Er bohrte sich dabei tief in den Leib des jungen Kontinents,
wo er mit sonnengleicher Urgewalt explodierte, um dabei im
Umkreis von tausend Meilen und mehr alles Leben zu vernichten.
Nichts vermochte der kolossalen Druckwelle standzuhalten
und gigantische Flutwellen jagten berghoch um die Welt, so mächtig,
dass sie noch auf der anderen Seite Aluriens selbst die großen Inseln überfluteten. Gleichzeitig schoss eine gewaltige Feuersäule in die Höhe und riss Abermillionen
Tonnen von Wasser und pulverisierten Gesteins in die Atmosphäre.
In den folgenden zwei Jahren verfinsterte sich der Himmel,
bis die unermüdlich herniederströmenden Regenfälle den größten
Teil des Staubes wieder aus der Gashülle filterten.
* Himmels Hammer *
Dunkel ist mein Reich – und fern,
nur eisig Kälte spürt das eh’ern Herz.
Die Mutter nur ein fremder Stern,
es friert mich, den Berg aus Stein und Erz.
Als stummer Wächter meine Bahn ich zieh
und doch verstoßen bin für alle Zeit.
Ab und an ein Bruder flieht,
ich muss bleiben – bis in alle Ewigkeit.
Wärme würde mir die Mutter geben
und mein kaltes Herz erwecken.
Lasst mich – lasst mich zu ihr streben,
um ihre wahre Liebe zu entdecken.
Ein Stoß mich zart berührt –
sanft verspür ich der Mutter Ruf.
Ihr Licht – das mich führt,
zu ihr – die mich gebar und schuf.
Lang, lang – wird die Reise sein,
doch was zählen schon die Jahre.
Irgendwann fühl ich der Mutter Schein,
werd ihre Liebe spür’n – die Wahre.
Eine Runde um die Mutter noch,
dann wird sie mich umarmen.
Ich eile immer schneller – und doch,
es kennt das Schicksal kein Erbarmen.
Ein Geschwisterkind mir den Weg versperrt,
es will der Mutter Wärme nur für sich.
Ich kämpfe – hab verzweifelt mich gewehrt,
umsonst – es ist stärker denn als ich.
Voller Zorn brüll ich nun auf,
stürz mich aufs Geschwisterkind.
Immer schneller wird mein Lauf
und schlag ein – wie der Blitz geschwind.
Das Licht wird hell und immer heller;
ich wühl mich tief in seines Leibes Kammer.
Schmerz wird heiß und immer greller,
aus und vorbei, er ist Amboss – ich der Hammer.
In dieser Zeit der Agonie starben viele der Arten aus und es
dauerte lange, bis sich die Überlebenden von diesem Ereignis erholten.
Das Klima Joys kühlte sich in dieser Phase der Dunkelheit
merklich ab und es sollte Jahrzehnte dauern, bis die Sonne Magica
ihr Kind wieder ausreichend erwärmte.
Der Einschlag setzte Wälder und Savannen in Brand, wobei er
den Boden bis in mehrere Fuß Tiefe sterilisierte. Zugleich hinterließ
er einen gewaltigen Krater von über zwanzig Meilen Durchmesser.
Die nachfolgenden Gesteinsbrocken schlugen eine zusätzliche,
lang gestreckte Kerbe in die umliegende Hügelkette und
schufen dabei eine enge Schlucht, die als natürlicher Kanal eine
Verbindung zum alurischen Meer öffnete. Dieses Ereignis sollte
sich in späteren Zeitaltern noch als sehr nützlich erweisen. In diesen,
von Himmelskräften geschaffenen See, ergoss sich der Ozean
und verdampfte noch tagelang in der Gluthölle, die am Grund des
Einschlagkraters herrschte.
Die Unmengen an Wasserfluten kühlten letztendlich das Feuer
und brachten die Lava zum Erstarren. In kurzer Zeit füllte sich
die klaffende Wunde, wodurch sich ein ansehnliches Gewässer von
ungewöhnlicher Tiefe bildete, der zudem außerordentlich rein und
klar das Licht der Sonne Magica spiegelte. Der metallische Kern
des steinernen Riesen ruhte unversehrt im Untergrund, bis irgendwann,
in hundert Jahrtausenden oder später – neugierige Lemurer
oder Menschen kamen.
Sie würden forschen und suchen, um dann zu erkennen, dass diese
Katastrophe der Vorzeit einen wahren Schatz hinterließ, nämlich
Obsidianerz in reinster Form. Es war das wertvollste Mineral
nach dem kostbaren Sternenstaub, den das Magische Universum zu
bieten hatte.
Mit Genugtuung nahm die Schicksalsgöttin das kosmische Wirken
zur Kenntnis und war sich sicher, dass der finstere Widersacher
keine Ahnung davon hatte. Er würde nicht vermuten, dass bei
diesem Geschehen göttliche Kräfte der Gegenseite im Spiel waren,
die damit seinen Plan zunichte machen konnten …
Zeit: Gegenwart
Koordinate: Joy
… ungefähr fünf Millionen Jahre nach dieser kosmischen Katastrophe
brachte die Sonne Magica die eine Hälfte des Planeten
zum Leuchten. Kadmos und Jaspar, die sich gegenseitig umkreisenden
Zwillingsmonde von Joy, versanken langsam hinter dem Horizont
und spendeten dabei der dunklen Seite der Welt ihr silbern
und bläulich schimmerndes Licht.
In den tiefdunklen Wäldern Aluriens regte sich im beginnenden
Morgen langsam erwachendes Leben während sich die Tagschläfer
verkrochen, um nun ihrerseits in sicheren Verstecken auf die
nächste Nacht zu warten. Unheimliche Wesen begrüßten nun den
neuen Tag und machten sich bereit, ihren Teil des Tages mit jagen
oder gejagt werden zu verbringen. Nicht jedes Tier würde die
kommende Nacht erleben. So ist das Gesetz der Natur, dass nur
die Glücklichen und Gerissenen, die Vorsichtigen und Wachsamen,
den ständigen Kampf ums Dasein überstehen. So lange, wie Glück
und Vorsicht andauerten.
In Fuxina, der Hauptstadt Aluriens, kehrten die letzten unverdrossenen
Teilnehmer des nächtlichen Spiels in ihre Herbergen
zurück, um ihren wohlverdienten Schlaf zu halten. Unterdessen
erwachten bereits die ersten Einwohner aus ihren Wonne- oder
Albträumen, um sich auf ihr kommendes Tagwerk vorzubereiten.
Nichts deutete darauf hin, dass dieser Tag anders werden würde
als die vorherigen. Jedoch lag eine deutlich spürbare Spannung in
der Luft, ein Knistern wie vor einem gewaltigen Gewitter.
Auf dem geräumigen Marktplatz hatte sich wie fast immer ein
ansehnliches Häuflein müde wirkender Spieler eingefunden. Lebhaft
diskutierten sie bereits die Ereignisse der letzten Nacht während
sie ganz nebenbei ihre täglichen Besorgungen erledigten. Der
Basar belebte sich, doch erst in den Abendstunden würde er vor
Geschäftigkeit brummen. Tagsüber versorgten sich die Besucher
des Marktes mit den Notwendigkeiten, die ein Alltag so mit sich
bringt. Denn ein hungriger Magen verlangt nach Nahrung, also
musste frisches Brot, Gemüse, Fleisch und Fisch herbeigeschafft
werden. Gewürze durften nicht fehlen und natürlich nicht das
kräftige dunkle Bier, für das Alurien im ganzen bewohnten Arm
bekannt war und das zu jeder Tageszeit getrunken wurde.
Die ersten Händler hatten in den frühen Morgenstunden ihre
Stände aufgebaut oder besetzt und breiteten ihr vielfältiges Angebot
an Waren aus. Unzählige Düfte erfüllten rasch die Luft, um
menschliche und fremde Nasen schnell an die Grenze ihrer Unterscheidungsfähigkeit
zu bringen. Über offenen Feuern drehten sich
mächtige Bratspieße, auf denen aufgesteckte kleine Büffelmufftis in
der Hitze langsam garten. An anderen Ständen glänzten Obst und
Gemüse in kräftigen Farben und verleiteten den hungrig Suchenden
zum Verweilen und Probieren. Ansehnliche und hässliche
Marktweiber priesen ihre Ware und versuchten gleichzeitig, die der
Konkurrenz schlecht zu reden. Der zunehmende Lärm von unzähligen
schreienden Händlern, keifenden Marktfrauen sowie den
immer anwesenden und herumjohlenden Bettelkindern machte es
fast unmöglich, ein normales Gespräch zu führen.
Im Zentrum des Basars reckte ein titanischer Drachenbaum seinen
Stamm fast fünfhundert Fuß in den Himmel wobei er sein
Astwerk wie einen riesigen Baldachin über einen großen Teil des
Marktes spreizte. Damit gewährte er den darunterliegenden Ständen
Schutz vor Regen und Sonnenlicht.
Es hieß, er sei schon mindestens tausendfünfhundert Jahre
alt, gepflanzt von einem der Gründer Fuxinas. Er hatte sich zu
einem wahren Giganten entwickelt und wegen der Größe seinen
passenden Namen bekommen – Großer Drache oder auch Big Giant.
Diesen Namen verdiente der Baum wahrhaftig. Er, der mehr von
der Geschichte Fuxinas zu berichten wüsste als jedes andere noch
existierende Lebewesen dieses Planeten.
Langsam näherte sich von der westlichen Seite der Stadtmauer
herkommend eine männliche Gestalt der Seitengasse, die zum
Monolithen führte, der auch Das Orakel genannt wurde. Sie war von
kräftiger Statur und mochte vielleicht sechseinviertel Fuß groß
sein. Auf dem Kopf trug sie einen dunklen Dreispitz, wie er
bei Piraten gewöhnlich anzutreffen war. Unter einer leicht verblichenen
dunklen Weste war ein blaufarbenes Hemd zu sehen, dessen obere Knöpfe fehlten,
wodurch es eine reichlich behaarte Brust offenbarte. Sowohl ihr Kopf- als auch
Brustbewuchs schien nicht mehr dunkel zu sein, denn etliche silberne Fäden
durchzogen das Haupthaar und gaben ihr das Aussehen einer silbern schimmernden
Löwenmähne.
Daraus konnte ein Betrachter schließen, dass diese Person nicht
mehr in ihren jungen Jahren stand und doch wirkte sie seltsam
zeitlos. Ein objektiver Beobachter würde diesen Mann, denn um
einen solchen handelte es sich offensichtlich, um die fünfzig Jahre
schätzen, wohl eher darüber als darunter. Die Haut wirkte wettergegerbt
als ob sie zu viel Sonnenlicht ausgesetzt worden war
und somit die typische Farbe der Sternenfahrer aufwies. Die derbe
braune Hose saß straff am sehnigen Körper und wurde von
einem breiten Gürtel um die immer noch schmalen Hüften gehalten.
Seine Beine steckten in halbhohen weichen Lederstiefeln, die
unterhalb der Knie in umgeklappte Stulpen endeten, welche an
der Innenseite keilförmig eingekerbt waren. Der auffällige Gürtel
war aus einem unbekannten Leder gefertigt und mit etlichen
kupferfarbenen Metallplättchen verziert, wobei die Schnalle selbst
aus reinem Silber zu bestehen schien. Seitlich des Gürtels befand
sich eine Dolchscheide. Nach Farbe und Maserung war sie aus
seltenem Orcaholz und gut einen Fuß lang. Aus ihr ragte der auffällige
Knauf einer Waffe, auf dem ständig die rechte Hand des
Mannes ruhte. Es schien eine alte Gewohnheit in diesem Verhalten
zu liegen. So als ob der lange Dolch, fast schon ein Kurzschwert,
zusätzliche Sicherheit gab. Auch möglich, dass er aus langer Erfahrung
heraus einfach darauf vorbereitet sein wollte, auf eine Gefahr
augenblicklich reagieren zu können. Denn sein Blick schweifte
ständig wachsam umher und betrachtete das Treiben um sich herum
mit dem milden Verständnis eines erfahrenen Reisenden. Seine
Hände waren groß und kräftig, ohne jedoch prankenhaft zu
wirken. Deutliche Schwielen zeichneten sich in den Handflächen
ab, die den Eindruck vermittelten als könnten sie kraftvoll zupacken
und eine Waffe sicher führen. Dennoch wirkten die langen
Finger durchaus feinnervig, so als verständen sie es ebenso mit
filigraneren Dingen umzugehen, als Dolch oder Schwert zu halten.
Über seiner linken Schulter hing an einem breiten Riemen eine
braune Ledertasche, die augenscheinlich aus der gleichen Haut wie
der Gürtel gefertigt war und gut gefüllt zu sein schien. Auffällig
an ihm war nicht nur seine halblange Mähne, in der auffällig silberne
Strähnen schimmerten, sondern die schwarze Augenkappe,
die sein rechtes Auge abdeckte während das linke Auge einen tiefen
Braunton offenbarte.
Sein Gesicht war, abgesehen von der Abdeckung des Auges,
durchaus ansehnlich und wurde von einem dunklen Dreitagebart
bedeckt. Der länglich geformte Kopf passte gut zu der kräftigen
jedoch nicht allzu großen Nase. Darunter befand sich ein mittelgroßer
Mund, der von samtweichen Lippen umrandet wurde,
die so mancher Lady Herzklopfen verursacht haben dürfte. Ab
und an verzog er sein Gesicht zu einem Lächeln und ließ dabei
zwei Reihen leicht bräunlich verfärbter Zähne erkennen. Möglicherweise
war er Anhänger dieser süchtig machenden Räucherstäbchen,
die neuerdings immer beliebter in Fuxina wurden. Seine
ungeschmückten Ohren, etwas ungewöhnlich für einen Sternenfahrer,
schmiegten sich dicht an den Kopf und wurden vom Dreispitz
teilweise leicht verdeckt. Alles in allem wirkte sein Gesichtsausdruck
offen, fast freundlich. Nur leichte Neugier und oberflächliches
Interesse am Treiben um sich herum waren dem einäugigen
Blick zu entnehmen. Ab und zu nickte er grüßend zu einem Bekannten
oder hübschen Marktweib hinüber ohne seinen Schritt
zu verlangsamen. Insgesamt machte der Mann einen sehr selbstbewussten
Eindruck und schien jemand zu sein, der wusste, wer er
war und was er wollte. Niemand, der auf Händel aus war, würde
sich diesen Mann zum Streit aussuchen. Dieses Gefühl vermittelte
seine markante Erscheinung eindrucksvoll.
Er mochte auf der Suche nach einer bestimmten Person sein.
Immer wieder wanderte sein prüfender Blick umher und nahm die
Gestalten, die um ihn herum hin und her eilten, in Augenschein.
Doch ohne den Gesuchten ausfindig zu machen, näherte sich Piratenkapitän
Hieronymus Stern, denn um diesen Mann handelte
es sich, seinem tatsächlichem Ziel, dem mystischen Kubus. Dieses
Viertel der Stadt, dem er nun zustrebte, wurde vom hoch aufragenden Turm der Spiele beherrscht, der sich groß und wuchtig über einhundertfünfzig Fuß in die Höhe reckte. Trotzdem stand er nur am Rande eines großen Platzes, obwohl er der zentrale Punkt
von ganz Fuxina war. Auf der freien Fläche vor dem Turm drängte sich
eine immer größer werdende Schar neugieriger Menschen und Angehörige
anderer Rassen um einen uralten Monolithen. Dieser, von
unbekannten Erbauern hinterlassene Kubus, zeigte auf seinen vier
glatten Seitenwänden aktuelle und vergangene Ereignisse in den
vier gängigen Schriften der bewohnten Welten. Er war ein quadratischer
Würfel von dreißig mal dreißig Fuß und augenscheinlich
ein massiver Block aus einem einzigen Fels, obwohl das Material
aus dem der Monolith bestand, in Alurien unbekannt war.
Außer wichtigen Vorkommnissen aus allen Regionen des Spiralarms,
teilweise sogar Mitteilungen, die nicht einmal aus diesem zu
stammen schien, wurden vor allem die Abläufe und Resultate des
JIXX-Spiels ausführlich angezeigt. Es gab im unteren Bereich des
Monolithen auf allen Seiten eine mannshohe Fläche, auf der jeder
Teilnehmer und Bewohner Fuxinas seine eigenen Mitteilungen
hinterlassen konnte. Dazu brauchte er sich nur vor die Wand des
Würfels zu stellen und auf eine unbekannte, vermutlich magische
Weise wurden seine Gedanken auf den Monolithen übertragen,
immer in der richtigen Schrift und ohne jeglichen Fehler. Nicht
jeder Wunsch nach Veröffentlichung wurde angenommen und die
Kriterien, nach denen das Orakel entschied, entzogen sich bisher
allen Untersuchungen der Gelehrten. Wurden Nachrichten nach
einiger Zeit nicht mehr gelesen, erlosch die Mitteilung nach und
nach auf unerklärliche Weise. Es war als ob dem Würfel ein eigenes
Bewusstsein innewohnte, denn die Schriften in größerer Höhe
des Orakels waren so angepasst, dass sie vom Boden aus bequem
und ohne Sehhilfe gelesen werden konnten. Sie wurden jedoch
immer kleiner je tiefer die Zeilen lagen. Auf der Oberseite des
Kubus fand man nur eine stilisierte Flasche in den felsigen Boden
eingeritzt. Weise und Gelehrte stritten seit Generationen über die
Bedeutung dieses Zeichens.
Doch dies war im Augenblick für Hieronymus Stern von untergeordneter
Bedeutung. Er hatte eine Nachricht durch ein Botenwiesel erhalten und suchte
nun nach dem Auftraggeber, denn die Botschaft war unklar gehalten und hatte
nur seine Neugier geweckt.
Sein Schiff, die Fregatte Sternenteufel, lag bereits seit einigen Wochen
im Geheimen Hafen, weil er und einige seiner Mannschaft Teilnehmer
an den JIXX-Spielen von Joy waren. Und dieses Ereignis zog alle drei Jahre
Tausende von JIXX-Süchtigen in seinen Bann und somit nach Fuxina. Die Stadt
platzte wie immer bei diesem Ereignis aus allen Nähten und Stern war froh, dass
sich seine Unterkunft an Bord des Schiffes befand. Die Spiele hatten bereits
begonnen und die Neugierigen um ihn herum studierten die aktuellen
Resultate. Nicht wenige fluchten erbärmlich, weil ihre Favoriten
unterlegen waren. Andere jubelten überschwänglich, hatten
sie doch auf den Sieger gesetzt. Viele, eigentlich die meisten, der
anwesenden Leser hatten Wetten abgeschlossen und nicht wenige
verspielten dabei Hab und Gut.
Hieronymus Stern hatte heute Wettkampfpause und suchte auf
der grünlich schimmernden Fläche nach einer Nachricht, die an
ihn gerichtet war. Ja, dort stand eine Mitteilung und sie konnte
nur für ihn bestimmt sein, denn im Text verborgen war das Erkennungswort,
das ihm das Botenwiesel überbracht hatte.
›Heute Abend, zur Stunde der Eule, treffen wir uns an vereinbarter Stelle.
Bringt mit, um das ich euch gebeten hatte und lasst zurück, was
ihr mitbringen wolltet.‹ Hieronymus Stern runzelte die Stirn und
dachte nach. In der Tat, er hatte vorgehabt, seine Gefährtin Aurelia
zu dieser Zusammenkunft mitzunehmen. Doch anscheinend sollte
er stattdessen seine Waffenmeisterin Gysell Sadori mitbringen. Nun
gut, für dieses Treffen würde er darauf eingehen, denn die Andeutungen
waren hinreichend genug, um sein Interesse zu wecken.
›Wer weiß‹, dachte er voller Hoffnung, ›vielleicht knüpfen sich
einige lukrative Aufträge an dieses Treffen.‹
Außerdem war die Absenderin der Botschaft keine Unbekannte, wenn er sie auch
noch nie getroffen hatte. Nun, da er um die Stunde wusste, blieb ihm noch ausreichend
Zeit, sich um einige wichtige Dinge in der Stadt zu kümmern. Auch ein Piratenkapitän
hat schließlich geschäftliche Angelegenheiten zu erledigen und so machte sich Stern auf
den Weg ins Händlerviertel, wo er ein vielversprechendes Gespräch mit Magnus, dem
Faun, zu führen gedachte. Der alte Gauner war sein wichtigster Abnehmer für
Beute aller Art in Fuxina und zahlte anständige Preise. Er war unbestritten auch der
größte Hehler von ganz Alurien und dazu ein gewiefter Halunke. Der gerissene Magnus
war Angehöriger der Diebesgilde und zahlte enorme Mitgliedsbeiträge, mit denen er
sich den Schutz der Gilde sicherte. Die Herrschenden versorgte er mit kleinen Präsenten und Aufmerksamkeiten. Daher ließen sie ihn Ruhe seine Geschäfte machen, solange er ihren eigenen Interessen nicht in die Quere kam. Wechselseitige Beziehungen zu aller
Nutzen war auch hier das Geheimnis des Erfolges. Ein Beispiel, dem sich auch Hieronymus Stern zutiefst verpflichtet fühlte.
* Sternfahrers Lied *
Zu den Sternen zieht es mich – himmelwärts,
in die endlos schwarze Nacht.
Mir wird so leicht, so leicht ums Herz,
sehe ich der Sonnen farbig Pracht.
Sag Himmel – wo ist dein End …
Meine Augen spiegeln der Sterne Licht
und spür Sehnsucht in tiefstem Grund.
Zurück zur Erde will ich nicht,
Aufbruch – denn es ist der Sterne Stund.
Sag Himmel – wo ist dein End …
Dass unendlich Meer der Sterne leuchtet,
in ew’ger Ruh und Pracht.
Sieh nur – in allen Farben funkelt,
was mich so glücklich macht.
Sag Himmel – wo ist dein End …
Unendlichkeit der Weiten
und Leben überall.
Will der Planeten Tanz begleiten
und Sterne sehen ohne Zahl.
Sag Himmel – wo ist dein End …
Träume quellen hoch im Überfluss,
geboren in der Seele tiefsten Raum.
Hier bin ich auf ewiglich -
eins mit Schöpfers Weltentraum.
Sag Himmel – wo ist dein End …
Der Sternenraum ist Heimat mir,
umfasst mich doch für alle Zeiten.
Getrieben von der Sonnen Wind,
will ich immer weiter gleiten.
Sag Himmel – wo ist dein End …
Es gibt kein Halten und kein zagen,
ich würd es immer wieder tun.
Sternenwind wird mich weiter tragen,
mag das Ziel auch verborgen ruh’n.
Sag Himmel – wo ist dein End …
Am Ende werd ich glücklich sein,
egal, wie lang es dauern mag.
Ewigkeit – vielleicht ein schöner Schein,
doch dem Schöpfer nur ein einzig Tag.
Sag Himmel – wo ist dein End …
Jede Reise hat ein Ziel,
auch wenn wir es nicht sehn.
Ich bin daheim vom großen Spiel
und alles – kann ich nun verstehn.
Und weiß – der Himmel hat kein End.